Drogenpolitik: „Die Lage ist fatal“
Offensichtlich hat es zwei Jahrzehnte keinen Politiker interessiert, wie effizient die deutsche Drogenpolitik wirkt. Das sagt Raphael Gaßmann, der Chef der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen. Für die Drogenprävention fordert Gaßmann genauso viel Geld wie Unternehmen in Werbung für Tabak und Alkohol stecken: also eine bis zwei Milliarden Euro. Ein Konterpunkt zum heute veröffentlichten Drogenbericht der Bundesregierung.
CORRECTIV: Nach unseren Recherchen wird nirgendwo dokumentiert, wie viel Geld in welche Bereiche des Anti-Drogen-Kampfes fließt. Ist das ein Problem?
Raphael Gaßmann: Die Datenlage ist insgesamt schlecht. Aber wir wissen, dass Bund, Länder und Kommunen jährlich etwa 50 Millionen Euro in die Prävention stecken und wir haben andere interessante Daten. Und zwar dazu, wie viel Geld in Werbung für Zigaretten und Alkohol fließt. Da werden jährlich – ohne Internet – eine Milliarde Euro investiert. Mit den Kampagnen im Netz sind es wahrscheinlich zwei Milliarden Euro, für die mir suggeriert wird, was für ein schickes, cooles, spannendes Leben ich mit diesen Produkten führen kann. Angesichts dieses extremen Missverhältnisses zwischen Suchtprävention und Suchtwerbung reichen mir die Daten, um zu sagen: Wir brauchen entweder weniger Werbung oder wir brauchen in der Prävention mindestens so viel Geld wie in der Werbung. Also eine bis zwei Milliarden Euro. Mit dem bisherigen Budget kann ich das, was ich an Desinformation durch Werbung zulasse, ganz sicher nicht mehr einfangen.
Was halten Sie von Forderungen, bestimmte Drogen zu legalisieren?
Wir haben in Deutschland in jedem Fall eine sehr strikte Verfolgung von Drogenkonsum. Wir haben pro Jahr mehr als hunderttausend Strafverfahren gegen Cannabiskonsumenten. Nur ein kleiner Teil der Strafverfahren geht gegen Händler. Und das, obwohl in Deutschland selbstschädigendes Verhalten nicht verboten ist. 1994 hat das Bundesverfassungsgericht gesagt: Konsumenten für die Selbstschädigung zu bestrafen mag legal sein, wenn die Strafverfolgung andere davon abhält, überhaupt anzufangen. Aber das war eine Theorie. Die wollte das Verfassungsgericht überprüft sehen. Es ist eine Theorie geblieben.
Wie sehen Sie das Verhältnis von Repression und Prävention in der deutschen Drogenpolitik?
Das ist schwer zu bewerten. Das Bundesverfassungsgerichts kam 1994 im Zusammenhang mit seiner Entscheidung über das Cannabisverbot zu dem Schluss, dass wir angesichts der aktuellen Datenlage nicht bemessen können, wie die deutsche Drogenpolitik wirkt. Die Richter haben dazu aufgefordert, das dringend festzustellen. Wir haben jetzt 2015. Das hat offensichtlich 21 Jahre lang keinen verantwortlichen Bundespolitiker interessiert.
Warum hat niemand nachgefragt?
Da haben schon viele nachgefragt, aber passiert ist nichts. Ich habe zwei mögliche Erklärungen dafür. Erstens: Die Frage interessiert mich als verantwortlichen Politiker offensiv nicht. Es interessiert mich nicht, dass das höchste Verfassungsorgan der Bundesrepublik mich zu einer Evaluation auffordert. Oder, zweite Möglichkeit: Das Ergebnis, das ich bei einer solchen Evaluierung vermute, möchte ich nicht hören. Das spricht nicht gerade für guten politischen Stil.
Sie kritisieren, dass die Prävention im Gegensatz zur Repression finanziell schlecht abgesichert ist. Wo liegt das Problem?
Wir haben bei der Prävention in Deutschland eine sehr unbefriedigende Situation. Jeder Jugendliche kann sich bisher Taschengeldkompatibel mit billigen, harten Alkoholika ins Koma saufen. Aber auch bei klassischer Prävention vor Schulklassen oder über Plakatkampagnen liegt einiges im Argen. Alles ist extrem zersplittert. Einige Länder und Kommunen machen mehr, andere weniger. Prävention ist wie Suchthilfe eine Kann-Leistung, keine Muss-Leistung. Und somit fällt sie als erstes weg, wenn vermeintlich kein Geld da ist. Die Zuständigkeiten und Pflichten sind hier nicht verbindlich geregelt und das ist fatal.
Inwiefern?
Nur ein Beispiel: Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung betreibt aktuell Alkoholprävention für Jugendliche mit Geld der Privaten Krankenversicherungen. Die geben jährlich Millionenbeträge. Diese machen den Großteil der Präventionsausgaben in dem Bereich aus. Das machen die privaten Versicherungen als Imagekampagne, um auszugleichen, dass sie für Suchtbehandlungen ihrer Versicherten nicht bezahlen. Da sehe ich ein gravierendes Problem: Das Gros der deutschen Alkoholprävention wird aus freiwilligen Geldern der privaten Krankenversicherungen bezahlt. Der Bundesrechnungshof hat das zuletzt moniert und angemahnt, dass eigentlich die Bundesregierung für den Gesundheitsschutz ihrer Bürger zuständig ist und dass der nicht vom Marketing von Unternehmen abhängen darf.
Im Herbst soll ein Präventionsgesetz kommen. Wird dann alles gut?
Auf das Präventionsgesetz der Bundesregierung wurden viele Hoffnungen gesetzt. Aber Suchtprävention spielt darin keine zentrale Rolle. Und es werden eben nicht alle verantwortlichen Akteure einbezogen, wie etwa die Wirtschaftspolitik, die man für eine starke Prävention mit im Boot haben müsste. Stattdessen spricht das Gesetz von einer „gesamtgesellschaftlichen Aufgabe“. Heißt im Klartext: Die Gesetzlichen Krankenkassen sollen bezahlen und alles andere bleibt freiwillig. Im Suchtbereich herrscht insgesamt eine bizarre Logik. Hier sind nur jene Leistungen Pflicht, die sich an Abhängige richten, zum Beispiel Rehabilitationsmaßnahmen. Also nur an die, die schon ganz unten angekommen sind. Wenn Eltern ihren Sohn wegen Cannabisproblemen schon vor einer Abhängigkeit in die Suchtberatung schicken wollen, dann haben sie womöglich Pech gehabt. Etwa dann, wenn die Kommune die Beratung wegen Finanzproblemen auf wenige Stunden im Monat runtergefahren hat. Kommunen, aber vor allem auch Bund und Länder müssen endlich so investieren, dass es den aktuellen Problemen annähernd gerecht wird.
Der Bayerische Brauerbund streitet gegen Werbeverbote und Steuererhöhungen mit der These, dass man damit nur die Genusstrinker bestraft und Abhängige nicht abhält.
Zum Brauerbund habe ich eine Anekdote. Auf einer Veranstaltung des Bundesgesundheitsministeriums hat der Deutsche Brauerbund vor etlichen Jahren seine Position kund getan. Der Geschäftsführer sagte: „Wir sind für jede Alkoholprävention zu haben. Außer sie senkt unseren Absatz.“ Das ist eine bemerkenswert ehrliche Position. Und ein Problem. Denn Studien zeigen: 20 bis 40 Prozent des Absatzes, der mit den verschiedenen Rauschmitteln gemacht wird, kommen durch Abhängige herein. Wenn die Produzenten sagen, sie wollten gegen das Abhängigkeitsproblem ankämpfen, hieße das 20 bis 40 Prozent Absatzverlust. Wenn ich kein Geschäft mit Abhängigen machen will, muss ich dafür sorgen, dass es möglichst wenige Abhängige gibt. Und das erreiche ich nur mit hohen Preisen und stark eingeschränkter Verfügbarkeit. Natürlich widersprechen die Interessenvertreter diesen Maßnahmen – eben weil sie wirken und den Absatz senken. Das Problem ist, dass die Politik sich danach richtet und dass die Beziehungen viel zu eng sind. Das zeigt sich schon allein daran, wie massiv Alkohol- und Tabakindustrie in Parteizeitungen oder auf Parteitagen werben. Da geht es also um Parteifinanzen und das hat Folgen für politische Entscheidungen.
Offenbar haben die Brauer nicht genug lobbyiert, der Prokopf-Konsum ging ja zuletzt auch so zurück.
Falsch! Der relevante Prokopf-Konsum ist gestiegen. Wir müssen die demografische Entwicklung im Land miteinbeziehen. Die Deutschen werden immer älter und natürlich trinkt ein durchschnittlicher 65- oder 70-Jähriger weniger als ein 35-Jähriger. Im Vergleich zur Alterung der Gesellschaft ist der Konsum in den vergangenen 15 Jahren aber viel zu wenig gesunken. Wir haben errechnet, dass der durchschnittliche Konsum von zehn Litern Reinalkohol im Jahr etwa einer Badewanne voll Bier und Wein entsprechen. Wenn unter den vielen Alten der Konsum gering ist, heißt das, dass die Badewanne der wenigen Jüngeren noch voller geworden ist: Sie trinken mehr.
Karen Grass ist Rudolf Augstein Datenfellow bei CORRECTIV. Ihre Arbeit wird möglich gemacht durch die Rudolf Augstein Stiftung.
In einem Themenschwerpunkt veröffentlichen wir mehrere Beiträge zur deutschen Drogenpolitik. Karen Grass hat dafür mehrere Monate lang in allen Bundesländern recherchiert und einen umfassenden Report zusammengestellt.
Redaktion: Daniel Drepper
Fotos: Ivo Mayr/privat