Ukraine und Doping — nur Gerüchte?
Eine Lebensmittelvergiftung im Trainingslager und jetzt topfit bis zur letzten Minute: Um die Nationalmannschaft der Ukraine ranken sich Dopinggerüchte. Ihr Teamarzt war 2009 wegen eines Dopingfalls neun Monate gesperrt. UEFA und der ukrainische Verband wollen sich zu Details nicht äußern.
Der Salat des Bad Gögginger Hotels Monarch ist bei der Europameisterschaft in aller Munde, er soll Schuld sein an den Magenproblemen von zehn ukrainischen Nationalspielern. Vergiftet worden seien die Spieler Anfang Juni, so Trainer Oleg Blochin. Wirklich? Wenig später brachte Alexander Samorow Doping ins Spiel. Aktuell legte er im Gespräch mit dem Sportinformationsdienst nach: Es gebe „keine andere Erklärung“ als Medikamentenmissbrauch, sagte Samorow. Samorow war 2009 Trainer von Arsenal Kiew. Dort hatten seine Spieler ebenfalls Magenprobleme, kurz darauf lieferte Abwehrspieler Alexander Danilow eine positive Probe ab. Die Kontrolleure fanden Dexamethason im Urin. Der gedopte Spieler und Teamarzt Leonid Mironow wurden damals neun Monate gesperrt. Mironow ist heute Arzt der Nationalspieler.
Das 2009 bei Arsenal Kiew gefundene Mittel Dexamethason ist ein entzündungshemmendes Medikament, ein Glucocorticoid, das die Regeneration unterstützt. Typische Nebenwirkungen sind Magenprobleme. Das Mittel darf eingesetzt werden, wenn eine Ausnahmegenehmigung beantragt wird. Ob die Ukraine Ausnahmegenehmigungen für Substanzen wie Dexamethason beantragt hat, beantworten leider weder die UEFA noch der ukrainische Verband. Das ist schade, denn sollten die Ukrainer Ausnahmegenehmigungen für Glucocorticoide haben, wäre deren möglicherweise erfolgter Einsatz rechtlich kein Problem und die ganze Geschichte aufgeklärt – obwohl der Einsatz sportmedizinisch selbst dann noch fragwürdig bliebe.
Der ukrainische Verband antwortete auch nicht darauf, warum er Leonid Mironow nach dem Dopingfall bei Arsenal Kiew noch eingestellt hat. Mironow hat laut Süddeutscher Zeitung seit 1974 verschiedene ukrainische Fußball-, Basketball- und Handballteams betreut.
Hätte ein möglicher Einsatz von Glucocorticoiden der Ukrainer auffallen müssen? In den meisten Fällen hat die UEFA vor Turnierstart pro Team zehn Spieler im Training getestet, einige Male wohl nur neun. Die 160 geplanten Trainingskontrollen waren also schon vor dem Turnier so gut wie aufgebraucht, alle waren negativ. Angeblich sind diesmal weitere Kontrollen möglich, bisher sind aber keine weiteren Tests bekannt. Bei der Ukraine waren die Kontrolleure laut Süddeutscher Zeitung (habe ich online nicht gefunden) sogar schon Ende Mai, nach dem Salat-Vorfall gab es also offenbar keine Kontrollen.
„Der Fußball ist besonders anfällig für dubiose Mittel, die wissenschaftlich nicht wirklich fundiert und deren Nebenwirkungen unbekannt sind. Die müssen gar nicht immer auf der Dopingliste stehen“, sagte mir Dopinforscher Perikles Simon vergangene Woche. Dazu gehören auch hochdosierte Vitamine oder Kältekammern. Simon vergleicht den Fußball in Gesprächen über Doping gern mit dem Baseball, der von den Bewegungsabläufen ebenfalls sehr komplex ist und ein massives Dopingproblem hat. Einigen Spitzenbaseballern wurde der Einsatz von Designer-Steroiden nachgewiesen. „Bei diesen Mitteln kennt kein Mensch die Nebenwirkungen“, sagt Simon.
International gibt es einige dubiose Fälle von möglichem, schwerwiegendem Medikamentenmissbrauch im Fußball: Algerische Ex-Nationalspieler klagen, dass sie extrem häufig behinderte Kinder zeugen. Ein russischer Therapeut habe ihnen bei den Weltmeisterschaften 1982 und 1986 Spritzen gesetzt, deren Inhalt sie nicht kannten. Im italienischen Fußball beobachten Wissenschaftler, dass Ex-Profis 24 Mal häufiger als die Normalbevölkerung an der tödlichen Nervenkrankheit ALS erkranken.
Die Ukraine hatte ihren letzten Dopingfall im Dezember 2011: Damals hatten Kontrolleure Torwart Alexander Rybka von Schachtjor Donezk, die mögliche Nummer eins, nach einem Ligaspiel positiv auf ein Diuretikum getestet. Diuretika helfen beim Abnehmen, verschleiern aber gleichzeitig andere Substanzen in Dopingproben.
Die FIFA hatte Ende März eine Studie zum Schmerzmittelmissbrauch bei der WM 2010 in Südafrika veröffentlicht. Dort fiel auch der Missbrauch von Glucocorticoiden auf, die 2009 im Urin des Ukrainers gefunden wurden. Gut sieben Prozent der Spieler bekamen mindestens einmal während des Turniers solche Mittel gespritzt. Ein Teamarzt spritzte gar drei Viertel seiner Spieler vor jedem Spiel solch harte Entzündungshemmer. Die Ukraine war in Südafrika nicht dabei.
Die Hintergründe sind Teil eines Textes, den ich für die heutige Ausgabe der Financial Times Deutschland geschrieben habe.