Diese Zitate über Selenskyj stammen alle aus einem einzigen Artikel
Hat die deutsche Presse Wolodymyr Selenskyj noch vor einem Jahr als „korrupt“ bezeichnet? Diesen Eindruck erweckt ein Beitrag des Deutschland-Kurier auf Facebook. Doch die zitierten Aussagen stammen alle aus nur einem Artikel und wurden teilweise manipuliert.
„Das schrieb die deutsche Presse noch vor einem Jahr über den ‚Heldenpräsidenten‘“, steht auf einem Bild des Deutschland-Kurier, das sich seit April auf Facebook und Twitter verbreitet. Daneben sind ein Foto des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und sieben Zitate in Anführungszeichen zu sehen; alle ohne Quellenangaben. Damit wird der Eindruck erweckt, es habe mehrere Presseberichte gegeben, die Selenskyj unter anderem Korruption vorwarfen.
Wir haben die Quellen der Zitate recherchiert. Eine Google-Suche nach den Worten „korrupt wie eh und je“ führt direkt mit dem ersten Treffer zur Quelle: Alle sieben Aussagen stammen aus einem einzigen Meinungs-Artikel der Süddeutschen Zeitung von Februar 2021. In anderen Medienbeiträgen konnten wir sie so nicht finden.
Der Artikel in der Süddeutschen Zeitung warf Selenskyj 2021 vor, nicht genug gegen Korruption zu tun
Selenskyj als Person wurde in dem Artikel der Süddeutschen Zeitung nicht als korrupt bezeichnet. Die Aussage „korrupt wie eh und je“ war der Titel des Artikels, der sich um Probleme in der Ukraine drehte. Es wurde kritisiert, dass eines seiner Wahlkampfversprechen gewesen sei, gegen die Korruption im Land vorzugehen, er dieses Versprechen jedoch nicht oder nicht nachhaltig genug gehalten habe.
Einige Zitate wurden vom Deutschland-Kurier allerdings verändert und zugespitzt. Ein Originalsatz der Süddeutschen lautete zum Beispiel: „Selenskyj hat mit der Ausnahme seines Vorgehens gegen den kremlnahen Politiker und Medienmogul Wiktor Medwedtschuk nichts getan, um die Macht der Oligarchen über weite Teile der Politik, der Medien und der Wirtschaft aufzubrechen.“ In dem Zitate-Bild auf Facebook wurde daraus „Tut nichts gegen die Macht der Oligarchen“.
Auch schrieb die Süddeutsche nicht, dass Selenskyj korrupte Gerichte und Gremien zur Richterauswahl „kontrolliere“, sondern dass diese von ihm „unangetastet“ blieben. Dass „unabhängige Institutionen unter seiner Macht gleichgeschaltet“ seien, steht so nicht in dem Artikel.
Im Original lautet der Textabschnitt, aus dem die angeblichen Zitate entnommen wurden, so: „Ein funktionierender Staat braucht unabhängige Institutionen – die gibt es unter Selenskyj weiterhin nicht. Im Gegenteil, 2020 unterstellte er sich faktisch die zuvor halbwegs unabhängige Zentralbank und die Generalstaatsanwaltschaft; so gut wie alle angesehenen Reformer wurden gefeuert. Der Geheimdienst SBU, die atemberaubend korrupten Gerichte, die Gremien zur Richterauswahl und -entlassung: Sie alle bleiben unangetastet.“
Selenskyj war schon kurz nach seiner Wahl im Jahr 2019 Vetternwirtschaft vorgeworfen worden, weil er viele politische Posten an Freunde und Geschäftspartner vergab, wie etwa die Deutsche Welle berichtete. Dass es Zweifel an Selenskyjs Versprechen gab, die Korruption in der Ukraine zu bekämpfen, und dass er mehrere Offshore-Firmen habe, war mehrfach Gegenstand von Berichterstattung in deutschen Medien.
Redigatur: Viktor Marinov, Uschi Jonas