China Science Investigation

Die Bling-Bling-Professoren aus Aachen

Privatflugzeuge, Sportwagen, Luxusimmobilien: Die Realität von Professoren an staatlichen technischen Hochschulen ist alles andere als bescheiden. Einige sind offenbar Millionäre mit eigenen Firmen. Insider an der RWTH Aachen sprechen von einem korrupten System – und viel Geld fließt aus China.

von Till Eckert

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(Collage: Niklas König / CORRECTIV)

Nur wenige Menschen tragen eine so große gesellschaftliche Verantwortung wie Professorinnen und Professoren. Ihre Entscheidungen formen die Zukunft, indem sie bestimmen, welche Forschungsfragen verfolgt werden.

Sie haben die Macht, die Karrierewege ihrer Studierenden zu lenken. Mit wem sie ihr Wissen teilen und wie sie es tun, liegt ganz in ihrer Hand. Als Beamte mit wenigen Pflichten sind sie fast unantastbar. Kein Dekan oder Rektor kann ihnen Anweisungen erteilen.

Die Welt der Professorinnen und Professoren an staatlichen technischen Hochschulen ist heute weit weniger rein akademisch geprägt, als viele es sich wohl gemeinhin vorstellen. Hinter den Mauern dieser Einrichtungen geht es um Status, Einfluss und vor allem um sehr viel Geld.

Insider erheben gegenüber CORRECTIV schwere Vorwürfe gegen die Professorenschaft der RWTH Aachen, einer der angesehensten Universitäten und damit womöglich sinnbildlich für viele Hochschulen im Land: Die Forschung werde dort immer mehr zur Nebensache. An erster Stelle stehe stattdessen für viele an der Universität die persönliche Bereicherung. Immer mehr Professorinnen und Professoren seien gleichzeitig auch Unternehmer, offensichtlich Millionäre – und teils „von China gekauft“.

Unsere Quellen bleiben aus Sicherheitsgründen anonym, wir stellten jedoch sicher, dass sie tiefe Einblicke in die Universitätsabläufe der RWTH erhalten haben. Falls auch Sie an einer Universität arbeiten und Hinweise zu fragwürdigen Praktiken haben, melden Sie sich gerne: Signal

CORRECTIV recherchierte in den vergangenen Monaten deshalb zum Innenleben der RWTH Aachen. Wir sprachen dafür mit mehreren aktiven und ehemaligen Angestellten mit tiefen Einblicken in die dortigen Strukturen. Wir durchleuchteten das System externer Finanzflüsse an die Universität und analysierten Nebentätigkeiten von rund 100 Professorinnen und Professoren an den Fakultäten für Maschinenbau und Elektrotechnik. Wir überprüften außerdem ihre Verbindungen nach China. 

Bei unseren Recherchen stießen wir auf elitäre Tendenzen, dubiose Geschäftspraktiken und auf ein System, das anfällig für Einflussnahme von externen Geldgebern ist. Die Professorinnen und Professoren der RWTH hantieren mit Geldern in beachtlichen Höhen: Über sogenannte Drittmittel fließen von staatlichen Förderern und der Industrie Hunderte Millionen Euro an die Uni. Deren Leitung weiß jedoch nicht über alle Geldflüsse Bescheid, die nebenbei von Professorinnen und Professoren verhandelt werden. 

CORRECTIV erzählt in dieser Recherche die Geschichten von sechs Professoren. Es geht um Luxus und fragwürdige „Firmen-Hülsen“. Es geht um Millionen aus China und um eine bemerkenswerte Offenheit für sensible Forschung mit dortigen Militäreinrichtungen. 

Die Fälle zeigen, wie sich an der RWTH eine Kultur entwickeln konnte, die nicht wissenschaftliche Sorgfalt und Risikoabwägungen ins Zentrum der Arbeit stellt, sondern die Jagd nach immer mehr Geld – auch solchem aus einem autokratischen Überwachungsstaat.

Kapitel 1: Ein zweifelhafter Ratschlag

(Collage: Niklas König / CORRECTIV)

Vor einigen Jahren machte auf den Fluren der RWTH Aachen ein Professor auf sich aufmerksam, weil er offen zeigte, was er hatte. 

Sein Büro befand sich in einem neubarocken Sandsteinbau gleich neben dem Hauptgebäude der Universität. Laut Zeitzeugen glich es von innen einem Apple-Store: Minimalistisch, schick und teuer eingerichtet. 

In einem Aachener Wohnviertel baute er sich eine auffällige Villa und zur Arbeit fuhr er teils mit einem Sportwagen. Hinter vorgehaltener Hand nannte man ihn an der Uni deshalb auch „den Bling-Bling-Professor“. 

Sein Auftreten an der Uni rief irgendwann wütende Mitarbeiter auf den Plan. Und dann auch die Steuerfahndung. Es kam zum Gerichtsverfahren, an deren Ende der Mann wegen Steuerhinterziehung in 32 Fällen und Untreue in zwei Fällen zu 18 Monaten Haft verurteilt wurde. Jetzt kämpft er um seinen Beamtenstatus. Die Aachener Nachrichten berichteten 2023 umfassend über das Verfahren und das Urteil.

Das Gericht und die Zeugen zeichneten darin das Bild eines reuelosen, reichen, von Statussymbolen behangenen Professors, der seinen Pflichten nicht nachkam und der das Drittmittel-System der RWTH missbraucht habe. 

Drittmittel, so nennt man Gelder, welche von außen an eine Universität fließen, eingeworben durch Professorinnen und Professoren. An der RWTH unterscheidet man zwischen „hoheitlichen Drittmitteln“, das sind solche aus öffentlichen Fördertöpfen des Bundesforschungsministeriums oder der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), und „Industrie-Drittmitteln“, das sind solche von privaten Firmen und Konzernen.

Er machte ihnen diese Deutung nicht schwer: So machte der Professor etwa eine Reise nach Istanbul als Betriebsausgabe geltend, die tatsächlich eine Privatreise war, mit dem Golfclub. Die Ermittlungen legten zudem offen, dass er Gelder seines RWTH-Lehrstuhls für sein Wohnhaus und hochpreisige Autos abzweigte: einen Porsche Cayenne, einen Porsche GTS, einen Land Rover, einen Mercedes SL 280, einen Jaguar F-Type, eine Harley-Davidson, einen Audi RS 6 und einen Smart.

Doch das Urteil warf mehr Fragen auf, als es beantwortete: Es war nämlich das erste Mal, dass die Drittmittel-Praxis einer gewichtigen deutschen Universität Bestandteil eines Gerichtsverfahrens wurde. Und in dem so umfangreich beschrieben wurde, wie es funktioniert. 

An staatlichen technischen Hochschulen wird mit gigantischen Summen hantiert. Die RWTH gilt als eine der drittmittelstärksten Universitäten des Landes, die Professorinnen und Professoren der technischen Fakultäten werben jährlich Hunderte Millionen Euro ein; pro Professor fließen im Schnitt rund 932.000 Euro an eingeworbenen Drittmitteln an die RWTH. Groß im Geschäft sind insbesondere die Professorenschaft des Maschinenwesens, aber auch der Elektrotechnik. 

Vieles deutet darauf hin, dass sich der verurteilte Professor vom Spirit der Professorenschaft dieser Fakultäten anstecken ließ.

So sei ihm von oben deutlich zu verstehen gegeben worden, dass die Drittmittel, die von seiner Fakultät reinkommen, zu gering seien. Das sagte er vor Gericht. Er habe sich dann mit der Universitätsleitung auf einen angestrebten Betrag von 300.000 Euro jährlich geeinigt. Wie genau das gehen solle, sei ihm zunächst unklar gewesen. 

Auf die zündende Idee habe ihn ein medial bekannter Professor von der Fakultät für Maschinenwesen gebracht, der im Verfahren auch als Zeuge aussagte: Günther Schuh. 

Schuh berichtete ihm von einem System, mit dem man leichter und mehr Drittmittel einwerben kann. Nämlich mittels eigener Firmen, sogenannten „Professoren-GmbHs“, die zwischen Geldgeber und Uni stehen, quasi als Vermittler, die den Vertrieb, der der RWTH fehle, „verstärken“ würden.

Dem verurteilten Professor sei früh gesagt worden, welches Glück er habe, dass er eine eigene GmbH habe, über die er „Drittmittelprojekte laufen lassen“ könne. Genau das habe er laut Zeitzeugen dann auch über Jahre getan. Nach Ansicht des Gerichts übertrat er dabei aber auch justiziable Grenzen.

Der Mann sei damals überfordert gewesen, meinen Zeitzeugen: die Professur auf der einen Seite, Geschäftsführer auf der anderen. Beide Jobs seien ohne Überforderung nicht machbar, weil schon die Tätigkeit als Professor allein „eine 80-Stunden-Woche“ bedeute. 

Der Fall des verurteilten Professors machte in der Region Schlagzeilen. Die RWTH spricht gegenüber CORRECTIV von einem „Einzelfall“. Doch mit der fragwürdigen Praxis, ein eigenes Unternehmen mit der Beamtentätigkeit an der RWTH zu verkuppeln, steht er längst nicht alleine da: An der renommierten Universität sind solche Professoren-GmbHs stark verbreitet. 

Sie könnten ein Teil der Erklärung dafür sein, wie Professorinnen und Professoren einen beträchtlichen Reichtum generieren und im Schnitt fast eine Million Euro im Jahr für die RWTH einwerben können. Bislang war der Öffentlichkeit nicht bekannt, wie genau diese Drittmittel-Einwerbung an der RWTH funktioniert.

Dafür lohnt sich ein Blick auf den Pionier hinter dem lukrativen Modell.

Kapitel 2: Der emsige „Elektro-Guru“

(Collage: Niklas König / CORRECTIV)

Es ist schwer, Schritt zu halten mit all den Entwicklungen und Tätigkeiten von Günther Schuh. 

Auf seiner Webseite beschreibt er sich als Wissenschaftler und Unternehmer. Er ist der Meinung, dass Innovationen „eine wissenschaftliche und unternehmerische Zusammenarbeit erfordern“. 

Er nimmt sich selbst beim Wort: 2005 initiierte Schuh den „RWTH Aachen Campus“, ein Netzwerk aus Wissenschaft und Wirtschaft mit „aktuell über 420 Technologieunternehmen“. Schuh baut und zementiert Brücken zwischen der Industrie und der RWTH Aachen. 

Auf diese Verzahnung ist man an der Uni seit Jahrzehnten stolz, man treibt sie aktiv voran. Sie dürfte der Grund dafür sein, dass sie von Geld nur so strotzt. Die hohen Summen wurden längst zum Imperativ: Ohne all die Drittmittel geht es gar nicht mehr, denn die Infrastruktur ist extrem teuer. Und je mehr Drittmittel fließen, desto höher sind auch die Mittel aus der öffentlichen Hand für die Uni. 

Letztlich profitiert die ganze Region von diesem Ansatz: Die RWTH Aachen ist die größte Arbeitgeberin und Ausbilderin der Region. Schuh selbst gründete verschiedene Unternehmen mit dem Ziel, Elektromobilität voranzutreiben. Das spült Geld nach Aachen und die Umgebung und lockt potenzielle Arbeitskräfte an. 

Schuh gilt als Visionär: Er machte Streetscooter, ein Elektro-Transporter-Start-up, groß und verkaufte es an die Deutsche Post. Er wollte einen elektrischen Kleinwagen zu bezahlbaren Preisen auf den Markt bringen. Er beteiligte sich an der Entwicklung eines Hybrid-Kleinflugzeugs namens Silent Air Taxi. Einige nennen ihn „den deutschen Elon Musk“. 

Schuh tritt häufig in den Medien, in Youtube-Videos und in Podcasts auf. Er  zeigt sich darin stolz, ganze 19 Unternehmen gegründet zu haben. Bei 14 ist er nach Handelsregisterdaten aktuell immer noch Geschäftsführer. Er ist zudem in mehreren Aufsichts- und Verwaltungsräten tätig.

Nebenher ist Schuh auch Professor an der RWTH Aachen und leitet dort zwei Lehrstühle. Es gibt nicht viele Pflichten, die Professorinnen und Professoren erfüllen müssen; die zur Lehre und Prüfung gehören dazu. Doch bei all dem Unternehmer-Drang rückt die Tätigkeit als Professor bei Schuh offensichtlich in den Hintergrund: Laut Medienberichten lehrt er nur noch vier Wochenstunden an der Uni.

CORRECTIV hat Schuh dazu befragt. „Ich bin aktuell an 14 privatwirtschaftlichen Unternehmen beteiligt, aber nur bei einem aktiver Geschäftsführer. Bei drei weiteren bin ich nicht aktiver kontrollierender Geschäftsführer. Dies geht nicht zu Lasten meiner Lehr- und Prüfungsverpflichtungen“, sagt Schuh. „Ich gehöre bei allen fünf Leistungskriterien unserer Universität zur Spitzengruppe unserer Universität und vernachlässige meine Universitätspflichten in keinerlei Hinsicht. Meine Lehrverpflichtungen wurden zwar etwas reduziert, dies hat aber andere Gründe, denn ich habe Sonderaufgaben zum Auf- und Ausbau des von mir entwickelten RWTH Aachen Campus, zur Großprojektakquisition und zur Start-up Factory übernommen.“

Es sind Menschen wie Schuh, die an der RWTH das Tempo vorgeben. „Es gibt da diesen internen Wettbewerb darüber, wer die meiste Kohle ranschafft“, sagt ein Insider. Es herrsche eine Kultur des Stolzes, eine „Männerkultur“. 

Gleichzeitig hätten die Professorinnen und Professoren einen Freifahrtschein: Sie müssen sich nicht für ihre Entscheidungen und Handeln rechtfertigen, vor niemandem. Tatsächlich können sie völlig weisungsfrei handeln, organisatorisch und fachlich – so lange sie ihren Lehr- und Prüfungsverpflichtungen nachkommen. „Auf so einem Nährboden wächst der Wunsch nach einem Porsche und nach einem Flugzeug“, meint ein Insider.

Auch Schuh ist ein überzeugter Porsche-Fahrer. Auf langen Strecken nehme er aber sein privates Flugzeug, eine Cirrus SR22, wie er in Interviews sagt. Das Modell gibt es ab 622.000 Euro zu kaufen.

Als Professor mit Beamtengehalt allein kann man den Wohlstand, der für so eine Anschaffung erforderlich ist, wohl nur schwer generieren. Pro Monat beträgt dieses Gehalt rund 7.000 Euro, je nach Bundesland mehr oder weniger. Laut Insidern geht das nur über Umwege wie eigene Firmen. Solche, die Professorinnen und Professoren der RWTH zuhauf gründen. 

Schuh sagt gegenüber CORRECTIV: „Ich habe bereits mehr als 20 Start-ups in den vergangenen 30 Jahren unterstützt und teilweise mitgegründet. Einige dieser Beteiligungen habe ich zwischenzeitlich gewinnbringend verkauft. Außerdem haben meine Frau und ich kontinuierlich ein kleines Immobilien-Portfolio aufgebaut, das von meiner Frau gemanagt wird.“

Im Zeugenstand des Verfahrens gegen den verurteilten Professor berichtete Schuh selbst von der Praxis der Professoren-GmbHs. Ein Modell, bei dem er Vorreiter war und das dann an der ganzen Uni Schule gemacht habe. 

Vereinfacht gesagt geht es bei dem Konzept darum, eine Firma zwischen potenziellen Geldgebern aus der Industrie auf der einen Seite und der RWTH auf der anderen Seite zu installieren. 

Die Absprachen mit der Industrie laufen mit der Firma, die RWTH wird dann beauftragt und stellt für das Projekt mittels Unteraufträgen Material und Mitarbeiter von den Lehrstühlen. So können mehr Drittmittel für Forschungsprojekte generiert werden.

(Grafik: CORRECTIV)

„Die Professoren-GmbH organisiert mit ihren erfahrenen Beschäftigten Marketing und Vertrieb, übernimmt die Projektleitung und das Projektmanagement und gewährleistet das Projektergebnis gegenüber dem Kunden. Die Beratungs-GmbH beauftragt und bezahlt dann zum Beispiel für circa 30 bis 70 Prozent des Projektvolumens den Lehrstuhl der Universität, der für die Methodenanwendung und -evalution wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in das Projekt entsendet“, so erklärt das Günter Schuh gegenüber CORRECTIV. 

Laut Insidern ist das Modell ein regelrechter Drittmittel-Kreislauf: Der Lehrstuhl könne mit den Geldern wissenschaftliches Personal einstellen, sogenannte aktive Personalmittel. Alle Gelder liefen so als Drittmittel durch die Universität, obwohl das Personal faktisch für die GmbH arbeite. 

Eine Win-Win-Situation würden die einen das nennen. Eine dubiose Praxis die anderen.

„Die Leitung beziehungsweise Mitarbeit in Unternehmen erfolgt in Nebentätigkeit“, sagt ein RWTH-Sprecher gegenüber CORRECTIV. Sie würden vor Genehmigung sorgfältig geprüft, dabei würden auch Lehr- und Prüfungsverpflichtungen berücksichtigt.

Die Begrifflichkeit „aktiver Geschäftsführer“, die Schuh nannte, ist dabei womöglich ein Knackpunkt: Laut Insidern ist es gang und gäbe, dass sich Professorinnen und Professoren die Geschäftsführungstätigkeit mit mindestens einer weiteren Person aufteilen, beziehungsweise eine Person buchhalterisch die Geschäftsführung übernimmt.

Heute leiten nach unseren Recherchen mindestens 21 Professorinnen und Professoren der Fakultäten Maschinenwesen und Elektrotechnik eine oder mehrere Firmen. CORRECTIV konnte mindestens drei solcher Professoren-GmbHs ausmachen, in denen als Geschäftszweck offiziell die „anwendungsbezogene Forschung“ ausgewiesen wurde. 

Forschungs- und Entwicklungsverträge mit Unternehmen im Besitz eines Professorin oder Professoren seien laut der RWTH prinzipiell möglich. „Es werden Forschungs- und Entwicklungsverträge mit Zahlungsplänen für Drittmittelprojekte vereinbart, die zu Vollkosten erfolgen und entsprechend dokumentiert werden.“ Mögliche Interessenkonflikte würden „abgefragt“ und es würden „Nebentätigkeitsvereinbarungen mit den RWTH-Mitgliedern geprüft und geschlossen“. 

Laut Hochschulnebentätigkeitenverordnung (HNtV) ist es auch genehmigungspflichtig, wenn Personal und Material der Hochschule für Nebentätigkeiten verwendet werden sollen. Die Frage, wie viele solcher Genehmigungen für solche Aufträge die RWTH insgesamt an Professorinnen und Professoren ausgesprochen hat, beantwortete der Sprecher nicht. In den Verträgen zwischen Uni und Professoren-GmbH werde „jede Aufgabe und die Einbindung von Infrastruktur und Personal sehr detailliert aufgeschlüsselt“.

Das klingt nach reichlich Transparenz. Doch gerade die konkreten, einzelnen Verträge zwischen dem ursprünglichen Geldgeber und Professoren-GmbH prüft die Universität nicht, wie Schuh im Verfahren gegen den verurteilten Professor berichtete und gegenüber CORRECTIV noch einmal bestätigt. 

Der tatsächliche Geldfluss an die Firmen der Professorinnen und Professoren bleibt so im Dunkeln.

Laut Insidern könnten Professorinnen und Professoren durch die fehlende Kontrolle mit ihren GmbHs weitaus mehr Geld einnehmen als letztlich an die Uni fließe. Die Uni habe so auch keinen Überblick darüber, ob möglicherweise sicherheitsrelevantes Wissen ins Ausland abfließt. 

Der verurteilte Professor nannte die Praxis im Gericht einen „Drittmittelzirkus“. Er werfe sich vor, dabei begeistert mitgemacht zu haben. Mittlerweile sehe er es kritisch, dass „vor allem das erforscht wird, was finanzstarke Geldgeber erforscht haben wollen“. 

Diese Kritik ist nicht neu, sondern vermutlich so alt wie die Praxis der externen Drittmittel selbst. Es darf angenommen werden, dass niemand Geld an eine Universität und deren Professoren schiebt, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. 

Ein Land, das viele besonders finanzstarke Geldgeber für solche Drittmittel-Aufträge beheimatet, ist China. 

Günther Schuh liebäugelte in der Vergangenheit mit Geld aus der sogenannten Volksrepublik: 2020, als eines seiner Unternehmen, „e.Go“, drohte, den Bach runter zu gehen, wollte er es mit der Hilfe eines chinesischen Autoherstellers retten. Der Notarvertrag war schon unterschrieben, doch die Pandemie machte ihm einen Strich durch die Rechnung.

Viele seiner Kolleginnen und -Kollegen an der RWTH sind da schon einen Schritt weiter: Teils machen sie über Professoren-GmbHs Geschäfte mit chinesischen Firmen. Und für Forschungsprojekte fließen Millionensummen aus dem Überwachungsstaat. Die kommen teils direkt von chinesischen Ministerien.

Kapitel 3: Die China-Fans der RWTH

(Collage: Niklas König / CORRECTIV)

Kai-Uwe Schröder ist ein wahrer China-Fürsprecher. In internen Veranstaltungen schwörte er die Belegschaft und Studierenden laut Insidern immer wieder darauf ein, dass der Fokus bei Kooperationen auf solchen mit China liegen müsse. Er selbst sagt gegenüber CORRECTIV, es gebe keine Grundlage für diese Behauptung. Er handle lediglich im Sinne der „Wissenschaftsdiplomatie“.

Schröder ist Start-Up-Gründer und Professor für Strukturmechanik und Leichtbau an der RWTH Aachen. Er leitet dort das entsprechende Institut. Und er ist Rektoratsbeauftragter für China an der Uni. Als solcher dürfte er sich den Risiken der Zusammenarbeit mit Institutionen aus dem Überwachungsstaat bewusst sein.

Nach unseren Recherchen kooperierte er für Forschungsarbeiten in den vergangenen drei Jahren jedoch ganze 18 Mal mit Forschenden von Einrichtungen der sogenannten „Seven Sons of National Defense“. Dabei handelt es sich um eine Gruppe aus sieben chinesischen Universitäten, die laut dem australischen Think-Tank ASPI zwar als zivile Hochschulen deklariert sind, aber tief mit der Militär- und Rüstungsindustrie verbunden sind. Oder einzelne Labore für Verteidigungstechnologie betreiben.

Darunter ist etwa das Harbin Institute of Technology (HIT), mit dem die RWTH seit 2021 auch ein Hochschulabkommen hat. Es handelt sich dabei um eine chinesische Spitzenuniversität von herausragender Bedeutung für das Militär. Von chinesischen Staatsmedien wird sie als zentral für „Innovation in der Verteidigungstechnologie und Modernisierung von Waffen und Rüstungsgütern“ beschrieben. Sie sei führend in Bereichen wie Satellitentechnologie, Robotik und Informationstechnologie. 

Das HIT steht geradezu beispielhaft für die Verschmelzung von Zivilem und Militärischem. In den dortigen Laboren wird laut eigenen Angaben in hoher Zahl „militärisch-zivile Integrationstechnologie“ produziert. Von „Dual-Use“-Gütern in der Forschung spricht man, wenn die Ergebnisse sowohl zivilen als auch militärischen Nutzen haben – das HIT produziert solche quasi am Fließband. 

Dass es bei ihrer Forschung sicherheitsrelevante Risiken gibt, nehmen Schröder und die RWTH aber offensichtlich gelassen. Mindestens fünf chinesische Institutionen finanzierten Schröders Forschungsarbeiten teilweise mit. Darunter ist der China Scholarship Council (CSC), eine Institution, die ihren Stipendiaten CORRECTIV-Recherchen zufolge brutale Knebelverträge aufzwingt, die sie zur bedingungslosen Treue vor der Kommunistischen Partei verpflichten. 

Darauf angesprochen antwortet Schröder knapp: Bei den Arbeiten „begleite“ er die „innovative Forschung“ zweier chinesischer Forschenden und er „diskutiere mit ihnen die von ihnen mit ihren Mitteln und Ressourcen erzeugten Ergebnisse“. Er stelle damit einen Wissensfluss von China nach Deutschland her. 

Es ist ein bemerkenswertes Narrativ, das Schröder damit bedient: CORRECTIV wies in mehreren Recherchen aus den vergangenen Jahren auf Forschung mit China als Sicherheitslücke hin. Das Thema ist hochbrisant und wird seither breit in Wissenschaft und Politik diskutiert. Wie riskant die Zusammenarbeit mit chinesischen Einrichtungen ist, zeigte sich erst zuletzt durch die Festnahme dreier Deutscher, die sich mutmaßlich der Spionage für China schuldig machten. Das Mittel ihrer Wahl, um an technologisches Wissen zu gelangen: gezielte Forschungskooperationen. 

Im April redete Sinan Selen, der Vizepräsident des Bundesverfassungsschutzes, auf einer Tagung nahe dem Brandenburger Tor Unternehmern deutlich ins Gewissen: Es müsse davon ausgegangen werden, dass „jede chinesische Firma und jede Forschungseinrichtung“ dem direkten Einfluss der Kommunistischen Partei unterliegt. Ein Umstand, den die RWTH Aachen selbst 2022 gegenüber CORRECTIV einräumte. Im gleichen Atemzug wiegelte die Uni aber ab: Man habe interne Prüfverfahren, um potenzielle Risikokooperationen auszuschließen. 

Ähnlich äußert sich der RWTH-Sprecher auch heute gegenüber CORRECTIV. Die RWTH habe sich über „ihre Präambel der Grundordnung zu friedlicher Forschung bekannt“. Es handele sich bei der Forschung mit den chinesischen militärnahen Einrichtungen entweder um „Grundlagenforschung“ – ein Argument, das CORRECTIV seit zwei Jahren immer wieder begegnet und womit eine Diskussion über mögliche militärische Anwendbarkeit der Forschung gut abmoderiert werden kann. Oder Forschende aus chinesischen Einrichtungen seien quasi aus Versehen als Co-Autoren auf Forschungsarbeiten genannt worden.

So etwa argumentiert Haris Gačanin, RWTH-Professor für „Mobility & Transport Engineering“ gegenüber CORRECTIV. Er selbst hat keine Professoren-GmbH. Er fällt aber mit sensibler Forschung auf: In mindestens 14 Fällen kooperierte er laut veröffentlichten Arbeiten in den vergangenen zwei Jahren mit Forschenden der „Seven Sons“ und in mindestens drei Fällen auch mit Forschenden der National University for Defence Technology (NUDT). 

Die NUDT untersteht direkt der Zentralen Militärkommission, dem höchsten militärischen Führungsorgan Chinas. Die Universität ist bekannt für ihre Forschung, unter anderem zu Supercomputern, autonomen Fahrzeugen und Hyperschallraketen. Ein spezielles Forschungszentrum kümmert sich ausschließlich um „Dual-Use“-Basistechnologien, um Robotik und Künstliche Intelligenz. 

Bei einer Forschungsarbeit von 2023 etwa ging es darum, Radartechnologie für unbemannten Luftfahrzeugen – Drohnen – zu verbessern (PDF). Ein „Dual-Use“ ist durch den Nutzen für das chinesische Militär offensichtlich, immerhin experimentiert die NUDT seit Jahren an Drohnenschwärmen, die für die Felderkennung eingesetzt werden sollen.

Auch die Regierung scheint ein Interesse daran zu haben, dass solche Forschung vorangetrieben wird: Für die Arbeit floss unter anderem Geld von der National Natural Science Foundation of China, einer Stiftung, die dem Technologie-Ministerium untersteht. Sie förderte Arbeiten, an denen Gačanin beteiligt war, in mindestens 41 Fällen. 

Gačanin erklärt gegenüber CORRECTIV, dass er „nie mit der NUDT zusammengearbeitet“ habe und dies auch jetzt nicht tue. „Auch bin ich mit keinem der Forschungsmitarbeiter oder Professoren des NUDT bekannt“, sagt er. Er will erst kürzlich davon erfahren haben, dass ein NUDT-Wissenschaftler als Autor auf eine seiner Forschungsarbeiten gesetzt worden sei. 

Die konkrete Forschung zur Radartechnologie für Drohnen befasse sich mit „grundlegender Theorie mit mathematischen Modellen“. Er habe diese überprüft. Mit den weiteren Autoren habe er nie persönlich Kontakt gehabt. Nach den Richtlinien der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) zur „guten wissenschaftlichen Praxis“ und Integrität müssen Forschende aber „in wissenschaftserheblicher Weise“ an Arbeiten beigetragen haben, um darin als Autorinnen und Autorinnen genannt zu werden. Wie das gehen soll, ohne sich zumindest einmal mit den anderen beteiligten Forschenden ausgetauscht zu haben, ist zumindest offen.

„Vor Ihrer E-Mail war mir der zweite Autor von der NUDT überhaupt nicht bekannt“, sagt Gačanin. „Es scheint üblich zu sein, im letzten Moment neue Co-Autoren hinzuzufügen, ohne die anderen zu konsultieren, und ich kann nur vermuten, dass dies auch hier der Fall ist.“ Eine Exportkontrolle sei nicht nötig gewesen, da es sich um Grundlagenforschung handele. 

Er habe in keiner seiner Arbeiten einen Beitrag zur militärischen oder angewandten Forschung geleistet. Gačanin sagt außerdem, er sei nie von einer Förderorganisation in China finanziert worden und habe nie einen Nutzen aus den Veröffentlichungen gezogen. Er wiederholt, dass es sich um Grundlagenforschung handele. „Ein möglicher ‘Dual-Use’ dieser Veröffentlichung für militärische oder andere unerwünschte Anwendungen ist extrem weit hergeholt“, sagt Gačanin. Zudem seien die Forschungsarbeiten „öffentlich und damit für die Gesellschaft zugänglich“. 

Dass chinesische militärnahe Einrichtungen Forschungsergebnisse aus Kooperationen direkt oder indirekt für militärische Anwendungen nutzen, ist aber nicht ausgeschlossen: Die sogenannte „militärisch-zivile Fusion“ ist in China mindestens seit 2015 in vollem Gang, auf allen Regierungsebenen. Die Grenzen zwischen der zivilen und militärischen Nutzung von Forschung werden dabei immer mehr verwischt. Das ist Teil einer offiziellen, lang angelegten Strategie

Die politische Führung Chinas verfolgt seit Jahren das Ziel, Wissen und Technologie auch für den Rüstungssektor zu nutzen. „Die wichtige Rolle, die die Innovation in Wissenschaft und Technologie der Landesverteidigung spielt“, wird durch die chinesische Führung dabei immer wieder hervorgehoben. Es sollen „neue Muster für eine tief integrierte militärisch-zivile Wissenschafts- und Technologieentwicklung geschaffen werden, die alle Elemente abdeckt und multidisziplinär und hocheffizient ist.“

Zudem sind veröffentlichte Forschungsarbeiten laut Experten nur die Spitze des Eisbergs: Wichtiger als die öffentlichen Ergebnisse sind die Beziehungen, die Einblicke in universitäre Infrastrukturen und Forschungsaufbauten.

Von den rund 100 Professorinnen und Professoren der Fakultäten Maschinenwesen und Elektrotechnik konnten wir zusammen mit Schröder und Gačanin mindestens 19 Professorinnen und Professoren ausmachen, die laut ihren Arbeiten mit Forschenden der „Seven Sons“ oder der NUDT kooperiert haben. 

Mindestens 45 der Professorinnen und Professoren dort waren an Forschungsarbeiten beteiligt, für die Gelder aus China flossen.

Auf den Professor Bernd Markert, der den Lehrstuhl für Allgemeine Mechanik leitet, trifft beides zu: Er kooperierte mit Forschenden der „Seven Sons“ und seine Arbeiten wurden bereits mit Geld aus China gefördert. Aber seine Verbindungen gehen noch tiefer. 

Markert leitet auch eine Professoren-GmbH. Der Geschäftszweck der IAM Aachen GmbH ist die Durchführung von „Forschungs-, Transfer- und Dienstleistungsprojekten“. 

Es gibt eine indirekte Verbindung zum chinesischen Staat: Markerts Firma hält laut Handelsdaten von Sayari, einem Anbieter von Informationen über Unternehmensdaten, als Shareholder auch zwei Prozent Anteile an der CRRC Changchun Germany RailTech GmbH. Sie hat den „Fuxing“, einen chinesischen Wasserstoff-Zug, entwickelt.

Markert antwortete nicht persönlich auf Fragen von CORRECTIV. Der RWTH sei bekannt, dass Markerts Firma Anteile an der chinesischen Firma hält. „Die Beteiligung im Sinne eines Joint Ventures ist übliche Praxis, um eine vertrauenswürdige Geschäftsbeziehung aufzubauen“, sagt der Sprecher. „Bis jetzt kam es lediglich zu einem Dienstleistungsauftrag in Höhe von 93.700 Euro gemäß Vollkostenrechnung, der als Unterauftrag über das Institut von Herrn Markert abgewickelt wurde.“ Der Vertrag sei der Hochschule bekannt und mit der Drittmittelabteilung der Hochschule kommuniziert worden. Dabei handelt es sich jedoch nur um den Geldfluss von Markerts Professoren-GmbH an die Uni – der Geldfluss vom ursprünglichen Geldgeber an diese bleibt offen.

„Es hat keine Übermittlung von Gütern von der RWTH an die CRRC Changchun Germany RailTech GmbH oder einer Muttergesellschaft stattgefunden“, sagt der RWTH-Sprecher. Es handele sich zudem um „reine Grundlagenforschung aus dem Bereich der Mechanik, bei der bekannte und etablierte Methoden zum Einsatz kommen, die über Veröffentlichungen des Instituts ohnehin der ganzen Welt zugänglich sind“. Es gebe laut des Sprechers also „keinen Grund zur Besorgnis“.

Die Verbindung bleibt auffällig: An der chinesischen Firma hält nach Sayari-Handelsdaten nämlich auch der chinesische Staat Anteile. 

Die enge Beziehung nach China macht sich für einige auch im Lebenslauf bemerkbar, etwa durch Gastprofessuren. Die Karriere von Markus Oeser zeigt einen bemerkenswerten Sprung: Der Professor für Bauingenieurwesen war jahrelang an der RWTH beschäftigt, bevor er 2021 Präsident der Bundesanstalt für Straßenwesen wurde, auf Vorschlag des damaligen Verkehrsministers Andreas Scheuer. An der RWTH hält Oeser weiterhin Vorlesungen.

Oeser hat in mindestens 86 Fällen mit Wissenschaftlern der HIT für Forschungspapiere zusammengearbeitet – er dürfte damit der Spitzenreiter in Sachen Forschungskooperationen mit chinesischen militärnahen Einrichtungen sein. An der HIT hatte er seit 2015 auch eine Gastprofessur inne.

Wer solche Gastprofessuren eingeht, muss nach CORRECTIV-Informationen in der Regel einen Vertrag unterschreiben, der zur Treue gegenüber der Kommunistischen Partei verpflichtet. Der Einfluss des chinesischen Überwachungsstaates ist somit sogar vertraglich festgehalten. Wir haben Oeser gefragt, ob er einen solchen Vertrag unterzeichnete. Er war für CORRECTIV bis zur Veröffentlichung dieses Artikels jedoch nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Später teilte Oeser CORRECTIV über einen Anwalt mit, in seinem konkreten Vertrag mit der HIT habe er eine Klausel unterschrieben, die ihm verboten habe, im Rahmen seiner Lehr- und Forschungstätigkeit „verleumderische Aussagen gegen die Kommunistische Partei“ zu tätigen. Seine Forschung mit der HIT beschränke sich auf einen Bereich der Uni, in der keine Militärforschung betrieben werde.

Nach eigenen Angaben flossen von kurz nach dem Jahrtausendwechsel bis Ende 2023 rund 3,5 Millionen Euro von staatlichen chinesischen Stellen an die RWTH. Das sind aber nur die offiziell ausgewiesenen Drittmittel, die über Forschungsprojekte an die Uni gingen – Gelder, die etwa über Drittmittel-Aufträge von chinesischen Firmen über Professoren-GmbHs möglicherweise direkt an Professorinnen und Professoren flossen, werden nicht erfasst.

Landesrechnungshof hat keine Erkenntnisse über Nebentätigkeiten von RWTH-Professoren

„Kooperationen zwischen nichtstaatlichen Zuwendungsgebern und Wissenschaft sind grundsätzlich richtig und notwendig, weil sie den Transfer von Forschungserkenntnissen fördern und aufwendige Forschung oftmals erst möglich werden lassen“, sagt Matthias Jaroch, Sprecher des Deutschen Hochschulverbands (DHV). „Sie bergen aber tendenziell stets die Gefahr, die grundgesetzlich verbriefte Forschungsfreiheit zu beeinträchtigen.“ Das Risiko der Beeinflussungsversuche durch Dritte wachse. 

Laut Jaroch sei das wirksamste Mittel dagegen ausreichend Grundfinanzierung durch Bund und Länder, die der Verband immer wieder fordere. Solange diese nicht bestehen würde, blieben die Universitäten darauf angewiesen, sich alternative Geldquellen zu erschließen. Wichtig sei größtmögliche Transparenz und Offenlegung der Kooperationsverträge von Professorinnen und Professoren. 

Während Nebentätigkeiten grundsätzlich erlaubt seien, bedürfen sie einer Genehmigung, vor allem dann, wenn auch Hochschulressourcen dafür verwendet werden sollen. Sie dürften auch nicht mehr als ein Fünftel der Arbeitszeit einnehmen. Die Frage, inwieweit mehrere Nebentätigkeiten mit der hauptamtlichen Tätigkeit in Forschung und Lehre zeitlich in Einklang gebracht werden können, sei laut Jaroch berechtigt, müsse aber im Einzelfall geprüft werden.

„Die Offenlegungspflichten bei Nebentätigkeiten sind eindeutig und klar. Der Wert dieser Bestimmungen hängt jedoch maßgeblich davon ab, dass ihre Einhaltung ordnungsgemäß überprüft wird“, sagt Jaroch. Hochschulleitungen und den Landesrechnungshöfen als Organen der Finanzkontrolle hätten in diesem Zusammenhang eine zentrale Bedeutung.

CORRECTIV fragte den Landesrechnungshof Nordrhein-Westfalen, wie viele Professorinnen und Professoren der RWTH Aachen seiner Kenntnis nach eigene Firmen leiten und ob ihm die Einkünfte aus diesen Firmen bekannt seien. Antwort: „Keine Erkenntnisse.“

Interessenkonflikte und offene Türen für Einflussnahme? Experte übt starke Kritik an Praktiken an der RWTH

Christopher Bohlens, der für den Verein Transparency International Deutschland die Arbeitsgruppe Wissenschaft leitet und als Sachverständiger im Wissenschaftsrat tätig ist, kritisiert die Praktiken an der RWTH scharf. Für ihn legt die CORRECTIV-Recherche „ein tiefes strukturelles Problem der Universität und ihrer Verbindungen zur Industrie und zu ausländischen Geldgebern offen“. 

Insbesondere die Tatsache, dass Verträge zwischen den Professoren-GmbHs und der Industrie nicht von der Universität geprüft werden, untergrabe die Transparenz und Kontrolle dieser finanziellen Ströme. „Normalerweise sollten Kooperationen, Forschungsaufträge und Auftragsforschungen immer über die Hochschule abgewickelt werden“, sagt Bohlens. 

„Dafür gibt es in der Regel festgelegte Prozesse, die bestimmen, wie Hochschulen Verträge und Vergütungen gestalten“, sagt Bohlens. Wenn jedoch Firmen gegründet würden, um diese Aufträge abzuwickeln und dadurch Professorinnen und Professoren die Möglichkeit hätten, „zu ihrem eigenen Vorteil in die eigene Tasche zu wirtschaften“, entspreche dies nicht den üblichen Standards und sei intransparent. Hierzu besteht laut dem Experten auch die moralische Frage, ob dies in Einklang mit den Zielen von Forschung und Lehre steht. Dass die Rechenschaftspflicht gegenüber der Hochschule und dem Land durch die fehlende Prüfung nicht erfüllt wird, führt zu einem Mangel an Transparenz und Kontrolle, der potenziell korrupte Praktiken begünstigt, sagt Bohlens.

Dass Gelder aus China fließen, wirft laut Bohlens Fragen zur Unabhängigkeit der Forschung und der möglichen Einflussnahme durch ausländische Regierungen auf. „Besonders alarmierend ist, dass Gelder auch für Projekte mit militärischem Bezug geflossen sind, was sicherheitspolitische Implikationen haben könnte“, sagt Bohlens. 

„Die Fälle müssen auch unter dem Gesichtspunkt der illegitimen Einflussnahme durch China und anderer autoritärer Staaten betrachtet werden, die mithilfe von viel Geld und teils strategisch eingesetzter Korruption in ganz unterschiedlichen Sektoren ihre Interessen durchsetzen. Hier spielt auch der Wissenschaftsbereich eine wichtige Rolle.“

Laut Bohlens ergebe sich durch die Recherche „dringender Handlungsbedarf“. So sollten klare Richtlinien und strengere Aufsichtsmechanismen implementiert werden, um Interessenkonflikte zu minimieren und die Integrität der akademischen Forschung zu sichern. „Nur so kann gewährleistet werden, dass die Wissenschaft im Dienst der Gesellschaft und nicht privater oder ausländischer Interessen steht.“

Unsere Recherche zeigt, was passieren kann, wenn an einer Universität Professuren und Unternehmertum miteinander verschmelzen. An den Fakultäten Maschinenwesen und Elektrotechnik an der RWTH Aachen entstand eine Kultur, in der Business und Cash offenbar wichtiger sind als Forschung und Lehre. Die Verbindungen der Professorinnen und Professoren in den chinesischen Militärapparat sind weitreichend.

Diese Probleme betreffen nicht nur die RWTH in Aachen: Sie können überall dort auftreten, wo Universitäten enge Verbindungen zur Industrie und ausländischen Geldgebern pflegen, ohne hinreichend für Transparenz zu sorgen.

Sie bedrohen das Fundament einer Institution, die auf Wissen und auf Integrität gebaut sein sollte.

Text & Recherche: Till Eckert
Redaktion: Anette Dowideit
Faktencheck: Stella Hesch
Mitarbeit: Max Bernhard
Design: Niklas König, Mohamed Anwar
Kommunikation: Valentin Zick, Esther Ecke

Update, 17. Juli, 18 Uhr:
Wir haben die Textpassage zu Markus Oeser an einigen Stellen präzisiert und um ein Detail zu seinem Vertrag mit der HIT ergänzt.