Faktencheck

Landtagswahl Brandenburg: Unterschiede zwischen Brief- und Urnenwahlergebnis belegen keinen Betrug

Die AfD warnt ihre Wählerinnen und Wähler immer wieder vor der Briefwahl. Nach den Wahlen in Brandenburg wird nun dennoch beklagt, dass so wenige Menschen die Partei per Brief gewählt hätten. Einige suggerieren gar Wahlbetrug. Dafür gibt es keinerlei Hinweis.

von Max Bernhard

Landtagswahl in Brandenburg - Briefwahl
Online heißt es, das schlechte Abschneiden der AfD bei der Briefwahl in Brandenburg sei ein Beleg für Wahlbetrug. Das ist falsch. (Quelle: Patrick Pleul / DPA / Picture Alliance)
Behauptung
„Massiver“ Wahlbetrug erkläre, warum die AfD bei der Landtagswahl 2024 in Brandenburg weniger Stimmen per Brief als an der Urne bekam.
Bewertung
Falsch. Laut dem Büro des Landeswahlleiters Brandenburg gab es keine Hinweise auf Wahlbetrug. Laut einem Experten erklären sich die Unterschiede bei den Ergebnissen der Urnen- und Briefwahl durch soziodemografische Merkmale, wie zum Beispiel Alter und Bildungsgrad. Hinzu kommt, dass die AfD immer wieder vor der Briefwahl warnt, auch dadurch lässt sich das niedrigere Ergebnis erklären.

Die SPD gewann laut offiziellem Endergebnis die Landtagswahlen in Brandenburg mit 30,9 Prozent der Stimmen. Dahinter folgt die AfD mit 29,2 Prozent. Die AfD erhielt deutlich weniger Zweitstimmen per Brief (17,5 Prozent) als an der Urne (34,8 Prozent). Alle anderen Parteien erzielten dagegen bei der Briefwahl ein besseres Zweitstimmenergebnis.

Dazu schrieb Florian Machl vom österreichischen Online-Medium Report24 am 22. September auf X: „Eine andere Möglichkeit als massiver Wahlbetrug bei den Briefwahlstimmen“ sei „völlig undenkbar“ und bezieht sich dabei offenbar auf das Ergebnis der AfD. Ähnlich äußerte er sich in einem Text für Report24. Report24 ist –  wie der österreichische Online-Sender Auf1 – für das Verbreiten von Desinformation bekannt. Beide versuchten 2021 Einfluss auf die Bundestagswahl in Deutschland zu nehmen.

Auch der Chef von Auf1, Stefan Magnet, kommentiert unter Berufung auf Machl zu den Wahlergebnissen in Brandenburg: „Wahlbetrug durch Briefwahl.“ Die Behauptung verbreitet sich auf Telegram und auf X, unter anderem schreibt dort der ehemalige AfD-Politiker Georg Pazderski, die Ergebnisse hätten für ihn ein „Gschmäckle“. Auch der Bundesvorsitzende der AfD, Tino Chrupalla, griff die Behauptung in einer Pressekonferenz zur Landtagswahl auf. Es habe Unterschiede gegeben, die „auch mathematisch für einige schwer zu erklären sind.“

Auf Anfrage erklärte uns Christopher Sokol aus der Geschäftsstelle des Landeswahlleiters Brandenburg jedoch, dass der Landeswahlleitung aktuell „keinerlei begründete Informationen der Wahlmanipulation“ vorliegen. Was steckt also hinter den vergleichsweise geringen Briefwahlstimmen für die AfD in Brandenburg?

Chrupalla antwortete nicht auf eine Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck. Machl, der Chefredakteur und Herausgeber von Report24, bezeichnete seinen X-Beitrag in einer Antwort per E-Mail als „Meinungsäußerung“ und verwies – ohne näher auf die Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck einzugehen – auf ein etwa einstündiges Video, in dem er dieselbe und andere Behauptung zur Briefwahl macht.

Auf X suggerieren mehrere Beiträge, dass die Unterschiede zwischen den Brief- und Urnenwahlergebnissen bei der Landtagswahl 2024 in Brandenburg einen Wahlbetrug bei der Briefwahl belege. Das ist falsch. (Quelle: X; Screenshot und Unkenntlichmachung: CORRECTIV.Faktencheck)

Unterschiede zwischen Urnen- und Briefwahlergebnissen der AfD gab es schon in der Vergangenheit

Eine Überraschung sind die Wahlergebnisse in Brandenburg nicht, denn auch in der Vergangenheit schnitt die AfD bei der Briefwahl schlechter ab als an der Urne. Dominic Nyhuis vom Institut für Politikwissenschaft der Leibniz Universität Hannover verwies auf ähnliche Unterschiede bei vorherigen Wahlen: „Bei der Europa- und Bundestagswahl in Brandenburg war die Diskrepanz ähnlich hoch“, schrieb er CORRECTIV.Faktencheck auf Anfrage.

Das zeigen auch Auswertungen des Leibniz-Instituts für Sozialwissenschaften in Mannheim und der Universität Duisburg-Essen. Bei der Bundestagswahl 2021 wählten in Brandenburg 21,7 Prozent der Urnenwählenden und 11,6 Prozent der Briefwählenden die AfD – ein Unterschied von fast 50 Prozent. Diesen Unterschied gab es auch mit Blick auf den bundesweiten Durchschnitt.

In jedem Bundesland erhielt die AfD mehr Stimmen an der Urne als bei der Briefwahl. (Hinweis: Das Leibniz-Institut erstellte die Auswertungen vor der Wiederholungswahl in Teilen Berlins im Februar 2024.)

Schon bei der Bundestagswahl 2021 erzielte die AfD in Brandenburg ein deutlich besseres Ergebnis an der Urne wie dieser Vergleich der Zweitstimmenergebnisse für Brief- und Urnenwahl zeigt (Quelle: regierungsforschung.de / Bundeswahlleitung; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Auch bei der Europawahl 2024 zeigte sich für Brandenburg ein ähnliches Ergebnis: 32 Prozent der Urnenwählenden gaben der AfD ihre Stimme, aber nur 15,7 Prozent der Briefwählenden – ein Unterschied von rund 50 Prozent.

Laut Wahlforscher Aiko Wagner vom Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin gab es in der Vergangenheit keine Belege dafür, dass hinter den wenigen AfD-Briefwahlstimmen und den vergleichsweise vielen AfD-Urnenwahlstimmen Wahlbetrug steckt. Ein solcher Betrug wurde weder bei der Europawahl 2024 noch bei der Bundestagswahl 2021 gemeldet.

Experte: Unterschiede bei Brief- und Urnenwahl erklären sich über soziodemographische Merkmale

Stattdessen lasse sich der Unterschied über die soziodemografischen und beruflichen Eigenschaften erklären, so Wagner.

Wagner untersuchte in einer 2020 veröffentlichten Arbeit die Unterschiede zwischen Urnen- und Briefwählern bei der Bundestagswahl 2017. Damals zeigte sich ein ähnliches Bild wie bei den Landtagswahlen in Brandenburg 2024: Der Wahlsieger, die CDU, schnitt unter den Briefwählenden besser ab, die AfD schlechter.

Auch das aktuell schlechtere Abschneiden der AfD lässt sich laut Wagner, basierend auf den vorherigen Erkenntnissen, über die soziodemografischen und beruflichen Eigenschaften der Wählerinnen und Wähler erklären, wenn auch zu den aktuellen Landtagswahlen noch nicht die entsprechenden Daten vorliegen: „Rentnerinnen und Rentner nutzen häufiger die Briefwahl, wählen aber seltener AfD.“ Ähnlich verhalte es sich beispielsweise auch bei Studierenden und Menschen mit höherem Bildungsgrad. Insgesamt gebe es eine ganze Reihe solcher Eigenschaften, mit der sich die Unterschiede bei der Urnen- und Briefwahl erklären ließen.

Laut einer Studie zur Bundestagswahl 2017 beeinflussen verschiedene Faktoren, wie Beruf, Geschlecht und Bildung die Wahrscheinlichkeit, dass jemand per Brief wählt. Diese Unterschiede wirken sich auch auf das entsprechende Wahlergebnis aus. (Quelle: Wagner, A. & Lichteblau, J. (2020). Germany Going Postal? Comparing Postal and Election Day Voters in the 2017 German Federal Election. German Politics, 31(4), 602–625. https://doi.org/10.1080/09644008.2020.1759553; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

AfD schürt immer wieder Misstrauen gegenüber Briefwahl 

Hinzu komme außerdem, dass die AfD gegenüber dem Funktionieren der Demokratie ein „gewisses Misstrauen“ säe, erklärt Wagner weiter. Tatsächlich schürt die AfD immer wieder Misstrauen gegenüber der Briefwahl, wie CORRECTIV.Faktencheck bereits berichtete. Die AfD fordert sogar ein Verbot der Briefwahl. Auch deshalb dürften AfD-Wählende im Vergleich weniger häufig per Brief wählen.

Fazit: Die Diskrepanzen bei AfD-Wählenden zwischen Urnen- und Briefwahl sind keineswegs neu. Sie sind kein Beleg für Wahlbetrug, sondern lassen sich durch soziodemografische Unterschiede und eine Abneigung gegenüber der Briefwahl seitens der AfD erklären.

Redigatur: Kimberly Nicolaus, Matthias Bau 

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Webseite der Landeswahlleitung Brandenburg mit Wahlergebnissen der Bundestags-, Europa- und Landtagswahlen: Link
  • Studie zu Unterschieden zwischen Urnen- und Briefwählern bei der Bundestagswahl 2017: Link
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