Kampf um Wasser

ARD-Aktion #unsereFlüsse: Großteil untersuchter Bäche verfehlt EU-Umweltziele

Die ARD-Mitmachaktion #unsereFlüsse zeigt: Drei Viertel der 2.700 untersuchten Bachabschnitte aus ganz Deutschland weisen eine schlechte, mäßige oder unbefriedigende Lebensraumqualität auf. Bürgerinnen und Bürger konnten sich beteiligen. DNA-Proben aus über 30 Bächen haben zudem ergeben: Über die Hälfte von ihnen verfehlt die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie der EU. Wir haben die Ergebnisse für lokale Medienpartner aufgeschlüsselt.

von Katarina Huth , Elena Kolb , Max Donheiser

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Schön wär´s: So gesund und naturnah sehen die wenigsten der untersuchten Bachabschnitte in ganz Deutschland aus. (Foto: Kristaps Ungurs / unsplash.com)

Durch das Wasser der saarländischen Theel ziehen sich graue Schlieren; das Bachwasser riecht modrig und faulig, notiert Kasper Dieter. Für seinen ökologischen Zustand bekommt der Bach eine „fünf“ aufgedrückt – die schlechteste Bewertung.

Dieter ist einer der Bürgerinnen und Bürger, die zwischen Mitte Mai und Ende September dieses Jahres die Bäche vor ihrer Haustür erforscht haben. Der 59-jährige Rentner hat früher als Gas- und Wasserinstallateur gearbeitet und beobachtet den Bach, der direkt an seinem Grundstück vorbeifließt, schon länger. „Nachdem mein Hund in dem Wasser gespielt hat, waren seine Pfoten entzündet“, sagt Dieter gegenüber CORRECTIV. Grund sei seiner Ansicht nach, dass Fäkalien aus der Kanalisation „einfach in den Bach geleitet werden“.

In einem Fragebogen für die ARD-Mitmachaktion #unsereFlüsse beantwortete Dieter weitere Fragen zur Theel: Wie klingt ihr Bach? Wie oft gibt es tiefe oder flache Stellen? Durch welche Landschaft fließt ihr Bach? Anhand der Angaben bewerteten Biologinnen und Fließgewässerökologen des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) sowie des Deutschen Zentrums für Integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig, wie es dem Bach geht.

Mit erschreckenden Ergebnissen: Drei Viertel der erfassten Bachabschnitte wiesen Defizite in ihrer Lebensraumqualität auf. Nur 25 Prozent der Bäche seien in einem „sehr guten“ oder „guten“ Zustand. Zu oft werden Gewässerverläufe geändert oder es geraten Düngemittel ins Wasser. Auch leiten Pharma- und Chemieunternehmen ihre Abwasser in die Flüsse. Aletta Bonn, Biologin am UFZ, sagt dazu auf einer Pressekonferenz: „Für gesunde und lebendige Flüsse brauchen wir Gewässerrandstreifen“. Diese sind bei kleinen Bächen und Flüsslein nicht vorgeschrieben. Bei starkem Regen werden Pflanzenschutzmittel von umliegenden Ackern direkt ins Wasser gespült. „Damit Gewässer gesund sein können, müssen sie möglichst naturnah und wenig verändert sein“, sagt Bonn.

Deutsche Flüsse sind ökologisch besonders schlecht bewertet

Menschen wie Kasper Dieter haben dazu beigetragen, eine gravierende Wissenslücke zu schließen. Schulklassen, Angelvereine, Umweltverbände und Freiwilligengruppen zogen monatelang durch die Landschaft, um Bäche im ARD-Onlineportal einzureichen. Insgesamt gingen über 2.700 Beobachtungen ein. Bisher wussten wir viel zu wenig über den Zustand von kleinen Bäche wie der saarländischen Theel. Große Flüsse oder Seen werden regelmäßig kontrolliert. Doch kleinere Gewässer fallen durchs Raster.

Das ist fatal. Denn Flüsse und Bäche machen fast 70 Prozent unser 500.000 Flusskilometer aus. Sie sind beim Waldspaziergang nicht einfach nur schön anzuschauen, sondern erfüllen wichtige Funktionen. Sie bieten Lebensräume für Tiere und Pflanzen, versorgen uns mit Trinkwasser und können die Folgen des Klimawandels mildern. Das hat man auch schon längst auf Ebene der Europäischen Union erkannt. Eine EU-Vorschrift – die sogenannte Europäische Wasserrahmenrichtlinie – schreibt vor, dass bis 2027 alle europäischen Oberflächengewässer in einem guten oder sehr guten Zustand sein müssen.

Das Vorhaben, die europäischen Gewässer ökologisch aufzuwerten, scheitert bisher vor allem in Deutschland. In Europa sind immerhin 37 Prozent der Gewässer in einem mindestens guten Zustand. Hierzulande sind es gerade mal neun Prozent der großen Flüsse und Seen.

Viele Positivbeispiele in Rheinland-Pfalz

Insgesamt beteiligten sich Bürgerinnen und Bürger aus ganz Deutschland an der Aktion. CORRECTIV schlüsselt sie nach Bundesländern auf: Die meisten Einreichungen stammen aus Nordrhein-Westfalen. Über 500 Bachabschnitte wurden fotografiert und untersucht. Verhältnismäßig finden sich besonders viele Negativ-Beispiele in Schleswig-Holstein. Von 250 Einreichungen wurden etwa 120 mit „schlecht“ bewertet. Viele Positiv-Beispiele kommen aus Rheinland-Pfalz: Immerhin 19 von 238 beobachteten Bachabschnitten bewerten die Forschenden mit einem „sehr gut“.

Zusätzlich zu den Bachbeobachtungen nahm ein Team der Universität Duisburg-Essen DNA-Proben aus über 30 Bächen in ganz Deutschland. Über die Hälfte dieser Gewässer wichen dabei vom gewünschten ökologischen Zustand „sehr gut“ und „gut“ ab. Naturnahe Bäche waren insgesamt artenreicher als die, die durch Wohnsiedlungen oder Industriegebiete fließen.

Die saarländische Theel bewerteten die Expertinnen und Experten ökologisch mit einer „fünf“. „Das Verschmutzungsproblem, mit dem AnwohnerInnen an der Theel seit längerem kämpfen, spiegelt sich auch in seiner Fauna wider“, sagt das Team um Florian Leese. „Hier leben viele störungsresistente Wirbellose, die mit Verschmutzungen gut umgehen können“. Außerdem findet eine „invasive Wanderratte“ in der Theel ihr zu Hause. Aber auch eine bedrohte Art, die Quellschnecke fanden die Forscherinnen und Forscher in dem Bach. Für Leese sind solche Funde „Hoffnungsfunken“: Kein Bach ist verloren. Selbst in Gewässern, die äußerlich trüb oder verdreckt erscheinen, leben teilweise seltene Arten. Jede Maßnahme, um die Bäche zu schützen, lohnt.

Das Projekt 

Die ARD-Mitmachaktion läuft seit Mitte Mai. Noch bis Ende Oktober können Sie unter diesem Link weitere Bäche einreichen. Die ARD hat CORRECTIV als Medienpartner des Projekts die Ergebnisse vorab zur Verfügung gestellt. Regelmäßig teilen wir, gefördert durch die Stiftung Mercator, klimabezogene Recherchen mit Lokaljournalistinnen und -journalisten über unser Netzwerk CORRECTIV.Lokal. Hier können Sie sich kostenlos im Netzwerk anmelden.

Wissenschaftliche Partner der ARD-Mitmachaktion sind das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Deutsches Zentrum für Integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig, Friedrich-Schiller-Universität Jena sowie die Universität Duisburg-Essen. Zahlreiche Partner aus Wissenschaft und Politik wie die Deutsche Umwelthilfe und das Umweltbundesamt unterstützen das Projekt. 

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