Kampf um Wasser

Alles für die Kohle: Wie ein Konzern unser Wasser abgräbt

Geheime Daten, Netzwerke in Wissenschaft und Politik und überforderte Behörden: Der Kohlekonzern Leag schafft es, sich Wasser für sein Geschäftsmodell zu sichern. Der Einfluss der Firma auf die Wasserversorgung der Region ist weit größer als der von Tesla.

von Annika Joeres , Katarina Huth , Elena Kolb

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Es ist ein heißer Tag in der Lausitz, als ein kleines Team von Hydrologen ihren Bus nahe der Spree parkt. Über drei Stunden Anfahrt haben die Forscher aus Bayreuth auf sich genommen, um im Ufergehölz nach kleinen Rohren zu suchen, die aus dem Boden ragen: Grundwasser-Messstellen. In ihrem Gepäck haben sie einen speziellen Inbusschlüssel, mit dem sich die Rohre öffnen lassen. Den werden sie brauchen, denn eine Erlaubnis, hier Proben zu nehmen, haben sie vom Eigentümer nicht: dem Kohlekonzern Leag. Sie sind nach eigener Aussage einige der wenigen Wissenschaftler aus einer anderen Region, die in der Lausitz geforscht haben. 

Dabei wollten die Forscher eigentlich nur Proben nehmen, um die Wasserqualität zu untersuchen. Ein übliches Verfahren, aber in der Lausitz bleiben die Fachleute rund um die Leag bislang unter sich. Diese Szene macht deutlich, wie groß die Macht des Konzerns ist: Er besitzt das Monopol über Informationen zum Trinkwasser einer ganzen Region, Informationen über die wichtigste Ressource. Aber die Leag besitzt nicht nur die Macht über wichtige Messstellen. Offenbar kann der Konzern nach CORRECTIV-Recherchen bisher  – und in Zukunft – weitgehend ungehindert Grund- und Trinkwasser nutzen. Womit der Kohlekonzern als der größte Wassernutzer Brandenburgs auch die Trinkwasserversorgung von Berlin gefährdet. Und das weitaus mehr, als es die deutlich häufiger kritisierte Fabrik von Tesla je tun könnte.

Die entscheidende Kontrollbehörde des Kohlekonzerns sieht sich offenbar außerstande, ihre Aufgabe zu erfüllen. Das Landesamt für Bergbau, Geologie und Rohstoffe Brandenburg (LBGR) in Cottbus kontrolliert und genehmigt die Vorhaben der Leag und kann bestimmen, wie viel Wasser sie entnimmt. Der LBGR-Präsident Sebastian Fritze räumt jedoch gegenüber CORRECTIV ein: „Die Modelle der Leag für das  Grund- und Oberflächenwasser können wir nicht prüfen“. Aktuell fehlten dafür Fachpersonal und Stellen. Dabei muss sein Amt aktuell wichtige Entscheidungen treffen: Die Leag hat beantragt, bis 2044 noch einmal 1,4 Milliarden Kubikmeter Grundwasser alleine am Tagebau bei Jänschwalde zu nutzen. Fritze drückt seine Ohnmacht gegenüber dem mächtigen Kohlekonzern, dem wichtigsten Arbeitgeber der Region, so aus: „Man muss ein gewisses Vertrauen haben.“

Die Leag-Strategie

Vertrauen in die Leag? Eine vergangene CORRECTIV-Recherche deckte bereits auf, wie der Kohlekonzern Schweigeklauseln mit Städten verabredet, damit sie nicht mehr benennen, wie der Bergbau Grundwasser verunreinigt. Diese Recherche nun zeigt, dass dem Konzern seit Jahren keine Grenzen gesetzt wurden. An einem Tagebau schöpfte er jahrelang viermal so viel Wasser wie genehmigt. Er verspricht Bürgerinnen und Bürgern in Brandenburg und Sachsen Seenlandschaften, von denen am Ende womöglich nur halbvolle Tümpel bleiben. Und die Folgen seines Bergbaus auf den Wasserhaushalt einer ganzen Region sind noch für Jahrhunderte zu spüren: Alleine die Bergbaufolgeseen benötigen laut einer Studie des Umweltbundesamtes künftig zusätzlich zwei Milliarden Kubikmeter Wasser, das ist theoretisch mehr als eine Badewanne pro Mensch auf der Erde. Wasser in Seen, das in heißen Sommern teilweise unwiederbringlich verdunstet. 

Noch ein weiterer Vergleich macht deutlich, wie überraschend wenig die Leag für ihre Wassernutzung kritisiert wird: Die benachbarte Teslafabrik ist mit rund zwei Millionen Kubikmetern pro Jahr nur auf Platz neun der brandenburgischen Wassernutzer. Trotzdem wird über die tatsächlich kritikwürdige Ansiedlung des Konzerns in einer der trockensten Regionen Deutschlands vielfach mehr diskutiert als über den mit Abstand größten Nutzer, die Leag.

Diese fehlende Debatte nutzt dem Konzern. Die Recherche zeigt: Die Leag kann sich für ihren ungebremsten Kohleabbau auf überforderte Behörden und auf ein Netzwerk von Gutachtern verlassen, die sich mindestens im Interessenkonflikt befinden. Ein Gutachter ist darunter, der vom Umweltbundesamt und weiteren staatlichen Behörden über deren Antworten auf CORRECTIV-Anfragen informiert wurde. Das wahrscheinliche Ziel: Eine abgestimmte Antwort an die Presse. Diese Nähe aller Protagonisten wird die Leag auch für ihre künftigen Projekte nutzen. Etwa bei wasserstofffähigen Erdgaskraftwerken, die der Konzern mit tschechischen Eigentümern betreiben will, könnte er von Wasser profitieren, das mühsam importiert werden muss. Die Leag-Strategie zeigt sich in fünf Schritten:

1. Das Datenmonopol der Leag
2. Der Rechtsbruch
3. Das Netzwerk
4. Falsche Versprechen: Das Seenparadies
5. Verdrehte Argumente

1. Das Datenmonopol der Leag

Aber zunächst zurück zu jenen Daten, die die Leag für das kleine Hydrologen-Team verschlossen hielt. An jenem heißen Tag in der Lausitz wollte das Team um den Forscher Sven Frei lediglich Daten erheben, die ein unverzichtbarer Teil ihrer Forschung sind. „Zahlreiche Informationen und Daten sind offenbar aufgrund der politischen Brisanz des Themas nicht öffentlich zugänglich“, sagt Frei. Angehäuft wird das Datenmonopol der Leag von einem ausgewählten Kreis: Es sind immer wieder dieselben Gutachter, die von dem Konzern beauftragt werden. 

Das ist für Menschen in der Lausitz und ihre Wasserversorger ein großes Problem: Sie können ohne unabhängig ermittelte Daten nur schwer beweisen, dass Schäden an ihren Häusern oder etwa verunreinigtes Grund- und Trinkwasser vom Bergbau verursacht werden. So umgeht die Leag auch potenzielle Forderungen nach Schadenersatz. 

„Sämtliche Daten liegen bei der Firma“

Die Leag für offensichtliche Schäden ihres Bergbaus verantwortlich zu machen, sei schwierig, bestätigt ein Insider. „Sämtliche Datengrundlagen liegen bei der Firma.“ Der Mann arbeitet für eine betroffene Gemeinde und sagt: Wenn Kommunen Bergschäden – Seen mit weniger Wasser oder Risse in Häusern zum Beispiel – anzeigen würden, dann erkenne die Leag diese nicht als solche an. Nicht öffentliche Ausgleichszahlungen gäbe es aber trotzdem, so der Insider. Hinzu kämen Zahlungen für Feuerwehr- und Kulturvereine. Das fördere in der Region eine Kultur von „ohne die Braunkohle geht nichts“.

Die wenigen Gutachter, die mit den Daten arbeiten können, tun dies nicht nur im Auftrag des LBGR, sondern auch für die Leag selbst. „Wir können nur die Daten prüfen, die wir von der Leag bekommen“, sagt LBGR-Präsident Fritze. Er ist seit drei Jahren im Amt und sieht die vorherigen Entscheidungen seiner Behörde kritisch: Bis vor einigen Jahren habe das LBGR den Bergbau vor allem gefördert. „Das war ein falsches Verständnis unserer Funktion.“

Allerdings gebe es eine „direkte Abstimmung des LBGR mit den Wasserbehörden. Sowohl die unteren Wasserbehörden, also Landkreise, als auch die Gemeinden müssen zu den bergbaulichen Vorhaben Stellung beziehen“, so Fritze. 

Was hat der Braunkohlebergbau mit dem Trinkwasser zu tun?

Durch das Verbrennen von Braunkohle gelangt mehr CO2 in die Erdatmosphäre als bei jedem anderen Energieträger. Dadurch erhitzt sich die Erde. Durch den Klimawandel kommt es vermehrt zu Dürre und Hitze und das Wasser, das noch in Seen und Flüssen ist, verdunstet bei hohen Temperaturen schneller. Schon heute ist Brandenburg eine der trockensten Regionen Deutschlands. 

Außerdem sorgt der Braunkohleabbau für sinkende Grundwasserspiegel: Je tiefer die Kohlebagger in den Tagebauen in den Boden graben, umso mehr nachlaufendes Grundwasser müssen die Kohlekonzerne in umliegende Flüsse oder Seen abpumpen. Nur so bleiben die Kohlegruben trocken. Etwa 58 Milliarden Kubikmeter Grundwasser wurden aus der Lausitz in den vergangenen Jahren abgeleitet, das ist mehr Wasser als der Bodensee fasst. 

Zusätzlich ist das Wasser, das Kohlekonzerne aus den Gruben pumpen, häufig mit Stoffen wie Eisen und Sulfat belastet. Über die Spree gelangen diese Stoffe bis in Städte wie Frankfurt (Oder) und Berlin.

Auch Berlin sorgt sich um die Trinkwasserversorgung

Ausgerechnet diejenigen, die auf das Wasser aus der Lausitz angewiesen sind, fühlen sich nicht genügend berücksichtigt: Die Berliner Wasserbetriebe (BWB) beziehen einen Teil ihres Wassers für Hauptstadt und Umgebung aus der Spree, die wiederum in der Lausitz entspringt. Deshalb sorgt sich Berlin über die zukünftigen Planungen der Leag. Die Leiterin des Bereichs Wasserversorgung bei den Berliner Wasserbetrieben, Gesche Grützmacher sagt, dass bei der Planung der Bergbaufolgelandschaft nicht ausreichend berücksichtigt werde, welche Auswirkungen sie auf Menge und Güte des Trinkwassers in der Hauptstadt haben könnte. „Das muss jetzt nachgeholt werden.“

Es ist sogar noch unklar, wie viel Wasser die Leag in Zukunft nutzen wird. Der Bedarf für ihre geplanten wasserstofffähigen Erdgaskraftwerke, mit denen sie nach dem Kohleausstieg ihr Geschäft sichern will, kann oder will die Leag nicht beziffern. „Bezüglich der Fragen nach konkreteren Informationen verweisen wir auf laufende Genehmigungsverfahren, bei denen wir den Behörden nicht vorgreifen können“, schreibt die Leag auf Anfrage. Aber schon jetzt sorgen sich die Berliner Wasserbetriebe um dieses Projekt, dessen Auswirkungen sie aufgrund des Datenmonopols der Leag nicht einschätzen können. Laut einer internen Mail der BWB, die CORRECTIV vorliegt, können die Berliner „die Szenarien zum Wasserbedarf für die Wasserstoffproduktion“ nicht nachverfolgen. Offenbar wurden sie auch in der Vergangenheit kaum gehört. Weiter heißt es in der E-Mail, dass konkrete Einwendungen der BWB bislang von den Genehmigungsbehörden nicht berücksichtigt worden seien. Sie seien „für die abwägende Behörde nicht bindend“ gewesen. 

Aus einer internen E-Mail der Berliner Wasserbetriebe.  (Screenshot: CORRECTIV)

Europäische Union kritisiert die Erlaubnisse für die Leag

Dabei wurden die leichtfertigen Wasserentscheidungen des LBGR schon vom Europäischen Gerichtshof kritisiert: Bei der Genehmigung der Flutung des Cottbuser Ostsees – künftig der größte künstliche Bergbausee Deutschlands – habe das Amt die Trinkwasserversorgung nicht ausreichend berücksichtigt. Die Gutachter des Amts hätten nicht einmal die korrekten Messstellen benutzt. Das Gerichtsverfahren angestoßen hatte die Stadt Frankfurt (Oder) und ihre Wassergesellschaft aufgrund erhöhter Sulfatwerte im Spreewasser. Dadurch mussten sie ihr Trinkwasser aufwändig und teuer verdünnen. Kurz vor der Verhandlung am Europäischen Gerichtshof setzte der Kohlekonzern einen außergerichtlichen Vergleich durch, der im Gegenzug zu einer Zahlung von fünf Millionen Euro eine Schweigevereinbarung der Stadt zur Trinkwasserversorgung enthält. Eine Praktik, die der Konzern offenbar in ganz Brandenburg durchzieht, wie CORRECTIV aufdeckte

2. Der Rechtsbruch

Selbst offizielle Befugnisse kann der Leag-Konzern ignorieren. Jahrelang entnahm er am Tagebau Jänschwalde bei Cottbus viermal so viel Wasser wie ursprünglich genehmigt. Laut der Antwort der Brandenburger Landesregierung auf die Kleine Anfrage von Grünen Abgeordneten entnahm die Leag 2021 beispielsweise rund 107 Millionen Kubikmeter Wasser in Jänschwalde. Nach Zahlen des LBGR lag der Leag für dieses Jahr jedoch nur eine Genehmigung für rund ein Viertel der Menge vor. Aber auch hier schafft die Leag Tatsachen – und das Bergbauamt kann nur zusehen. Wir haben keine Wahl: Wir können die aktuelle Wasserentnahme nicht stoppen. Es besteht sonst die Gefahr, dass die Grube zusammenfällt“, sagt LBGR-Leiter Fritze. Die Leag wiederum schreibt nur lapidar, die jährlichen Sümpfungsmengen, die für einen sicheren Tagebaubetrieb notwendig seien, würden regelmäßig den Behörden berichtet. So fehlen dem brandenburgischen Grundwasser über Jahre viele hunderte Millionen Kubikmeter – insgesamt beträgt das Wasserdefizit durch den aktuellen und historischen Bergbau sieben Milliarden Kubikmeter. 

Betroffener sammelt seit Jahren Beweise gegen die Leag 

Anwohnerinnen und Anwohner erleben direkt, wie sich die Überschreitung der genehmigten Wassermenge auswirkt. Hans-Ulrich Berger hat über Jahre sorgfältig Beweise gesammelt.  In den Aktenordnern des Rentners stapeln sich Dokumente und Analog-Fotos. Auf einer schwarz-weiß Aufnahme sieht man Bergers Mutter auf seinem Bootssteg stehend, wie sie Schwäne im Wasser füttert. „Meine Eltern waren seit 1948 Anlieger am Pinnower See“, erzählt Berger. Er verspüre eine innere Bindung zu diesem See, an dem er Teile seiner Jugend verbrachte und wünsche sich, dass der See wieder in Ordnung gebracht werde, damit auch seine Enkel noch darin schwimmen könnten. 

Auf den jüngeren Fotos des Sees ist jedoch kaum noch Wasser zu sehen, der Bootssteg führt nun in eine Wiese. „Da wo ich früher geangelt habe, wachsen jetzt Erlen“, erzählt Berger. Der Wasserstand des Sees geht immer weiter zurück. An Bergers Grundstück fehlen circa 40 Meter Wasser in der Länge und fast vier Meter an Wasserhöhe, sagt er. Der Pinnower See liegt nahe dem Leag-Tagebau Jänschwalde, dessen Betrieb das Grundwasser in der Region und damit wahrscheinlich auch im Bereich des Pinnower Sees absenkt. „Das ist nach meiner Meinung die Hauptursache für den Wasserverlust des Pinnower Sees“, sagt Berger. 2017 startete er deswegen eine Petition. Daraufhin veröffentlichte die Leag 2019 eine Pressemitteilung, in der sie – zumindest für die Zukunft – den Einfluss des Bergbaus auf die Wasserabsenkung anerkennt. Es sei künftig „ein zunehmender bergbaulicher Einfluss durch die Grundwasserabsenkung für den Tagebau Jänschwalde“ unter anderem im Pinnower See anzunehmen. Das Landesbergamt verpflichtete den Konzern daraufhin, bis 2021 den Wasserpegel zu heben und wieder eine geschlossene Wasserfläche herzustellen. „Es sollte der Wasserstand von 2010 wiederhergestellt werden. Daran hat sich die Leag jedoch nicht gehalten“, sagt Berger. Trotz Wassereinleitungen der Leag, gehe der Wasserstand weiter zurück, so Berger. „Die Landespolitik hat einfach zugeschaut und ist bis heute untätig geblieben“, sagt Berger. Zusätzlich habe die Leag einen neuerlichen Antrag auf Grundwasserentnahmen bis 2044 in Jänschwalde gestellt. Trotz Tagebauende sollten weiter riesige Grundwassermengen entnommen werden, so Berger. „Wenn das genehmigt wird, stirbt der See“, sagt er. 

Hans-Ulrich Berger hat seit den 1970ern Fotos am Pinnower See aufgenommen. So kann er den Wasserstand nachvollziehen. (Bild: CORRECTIV)

3. Das Netzwerk

Zu Hilfe kommt dem Leag-Konzern immer wieder ein Netzwerk aus Männern, das mit der Leag eng verflochten ist. Viele Protagonisten der Region treffen sich im Verein „Wasser-Cluster-Lausitz e.V.“. Dieser will sich laut eigener Aussage in die „Problemlösungen für die Lausitzer Wasserwirtschaft einbringen“. Gefördert wird das „Wasser-Cluster“ laut Website unter anderem vom LBGR. Vor allem aber dominiert hier ein Konzern: die Leag. 

 

Einige der Mitglieder des Vereins „Wasser-Cluster Lausitz e.V.“ sind in dieser Grafik zu sehen. (Grafik: CORRECTIV)

Im Wasser-Cluster ist zum Beispiel Thomas Koch Mitglied. Er leitet bei der Leag die Abteilung Geotechnik.

Erster Vorsitzender des Vorstandes ist Ingolf Arnold. Als Vorgänger von Thomas Koch leitete er bis 2020 die Geotechnik-Abteilung der Leag. 

Gegenüber CORRECTIV schreibt er, dass er die nötige Distanz zwischen Bergbaubetreiber, Politik, Behörden und Gutachtern gewahrt sieht, „schon allein deshalb, weil es den hier genannten Personen um die Sache geht und nicht darum, politisch zu punkten oder aber in den Medien gefeiert zu werden.“

Gutachter stellte Auswirkungen des Klimawandels in Frage

Neben den Beschäftigten der Leag sind beim „Wasser-Cluster Lausitz“ auch Gutachter vertreten, die im Auftrag der Leag den Lausitzer Datenschatz anhäufen. Da ist zum Beispiel Christoph Gerstgraser, der nicht nur an einem umstrittenen Bericht für das Umweltbundesamt mitarbeitete, sondern auf seiner Website auch die Leag als Auftraggeber aufführt. Seine Person ist doppelt auffällig: Bei einer Fachtagung 2021 stellte Gerstgraser die Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels in Frage. Das ist besonders heikel für jemanden, der auch die Folgen der Klimakrise in seinen Berechnungen berücksichtigen muss. Auf CORRECTIV Anfrage wollte sich Gerstgraser nicht äußern. 

Ein weiterer Protagonist im „Wasser-Cluster“ ist Wilfried Uhlmann. Uhlmann betreibt in Dresden ein Ingenieurbüro, das Institut für Wasser und Boden. Seit Jahren erstellt er Gutachten zum Einfluss des Bergbaus auf die Wasserversorgung in der Lausitz. Er arbeitet sowohl für die Kontrollbehörde LBGR als auch für Leag und deren Vorgänger Vattenfall. Das ist in etwa so, als würde er Gutachten für den Tesla-Konzern und die Wasserbehörden gleichzeitig erstellen. Er sei aber, so versichert Uhlmann schriftlich, seinem „Berufsethos nach objektiv und unabhängig.“ Der Vorwurf der Befangenheit sei „abstrus“. 

Auffällige Nähe zwischen Gutachtern und Behörden

An Uhlmanns Arbeit vorbei zu kommen, ist in der Lausitz kaum möglich. In seiner schriftlichen Replik auf die CORRECTIV-Anfrage bezeugt Uhlmann seine Nähe zu den Behörden er verweist auf Antworten des Umweltbundesamtes (UBA) und einer weiteren Behörde. Antworten aus dem direkten Schriftverkehr zwischen CORRECTIV und den Behörden, die er eigentlich nicht kennen dürfte. Offenbar hat ihn das staatliche UBA über die Presseanfrage auf dem Laufenden gehalten. Diese Nähe zwischen Kontrollbehörden und Gutachtern ist typisch für den Kohlekonzern in der Lausitz. Immer wieder beziehen sich Genehmigungen und neuerliche Gutachten auf dieselben Berechnungen von Uhlmann. Weil er sie teilweise im Auftrag der Kohlekonzerne erstellte, sind nicht alle davon öffentlich einsehbar. Uhlmann findet die verschlossenen Dokumente und Daten der Leag nicht verwerflich. Es gebe keine Veröffentlichungspflicht. Es wäre das Gleiche, Journalistinnen aufzufordern, Informationen zu Blutdruck, Urinanalysen und psychischem Zustand zu veröffentlichen.

Die Kohle-Netzwerke in der Lausitz machen es Wissenschaftlern wie dem Forscherteam um Frei extrem schwer, sich ein unabhängiges Bild vom Wasserhaushalt in der Lausitz zu machen. Zum Vorteil der Leag. 

4. Falsche Versprechen der Leag: das Seenparadies

Der Konzern ist so mächtig, dass er seit Jahren auch seine eigenen Versprechen brechen kann, ohne dafür belangt zu werden.  Vor den Toren von Cottbus, dort, wo früher einmal im Tagebau Cottbus Nord nach Braunkohle gebaggert wurde, sollte schon längst der größte künstlich angelegte See Deutschlands entstehen. Info-Tafeln am Rande des Ufers, aber auch hauswandgroße Bilder in Cottbus versprechen eine Hafenlandschaft und Hotels mit Seenblick. Schon Mitte der 2020er-Jahre sollte er befüllt sein.  Nun heißt es neuerdings, der Ostsee solle erst bis 2030 volllaufen. Ein Blick hinunter vom Aussichtsturm Merzdorf auf den Cottbuser Ostsee zeigt: Die ehemalige Grube ist lange nicht voll, die Flutung mit Spreewasser wurde mehrfach gestoppt – wegen Sanierungsarbeiten und weil das Wasserdefizit in der Region zu groß ist. 

Es ist nicht das einzige Versprechen: Auch in Welzow Süd und Nochten sollen quadratkilometergroße Löcher der ehemaligen Tagebaue der Leag mit Grundwasser gefüllt sein.

Schwierige Zukunft für die Wasserversorgung
Die Tage der Braunkohle in der Lausitz sind gezählt. Spätestens 2038 darf der fossile Brennstoff nicht mehr abgebaut werden. Neben leeren Grundwasserspeichern hinterlässt der Kohleabbau in der Region kilometerweite Gruben und verschmutztes Wasser. In den Trockenjahren 2018, 2019 und 2022 mussten die Wasserverluste in den Bergbaufolgeseen, also denen mit Wasser aufgefüllten Tagebau-Gruben, wegen hoher Verdunstung durch Wasser aus der Spree und Lausitzer Neiße ausgeglichen werden.Den Wasserhaushalt wieder so herzustellen, wie er vor dem Kohlebergbau war, wird lange dauern. Wenn es überhaupt gelingt. Lange heißt nicht nur wenige Jahre oder Jahrzehnte; in einem Planungsdokument zu dem Leag-Tagebau Nochten ist von technischen Nachsorgemaßnahmen im Wasserhaushalt bis ins Jahr 2150 die Rede.

Ein „Debakel wie beim Ostsee“ verhindern

„Die Flutung der Kohlegruben wünscht sich vor allem der Bergbaubetreiber, denn es ist die billigste Art, die Flächen wieder zu renaturieren“, sagt Hannelore Wodtke. Seit 16 Jahren wohnt die Rentnerin neben dem Tagebau Welzow Süd. Als sie in die Kleinstadt in der Lausitz zog, konnte sie von ihrem Grundstück aus auf einen kleinen Tümpel schauen, in dem die Jungs aus ihrem Dorf angelten. Nun tut sich wenige hundert Meter von ihrem Haus entfernt der Schlund des Tagebaus auf. Wodtke hat Teile ihrer Familie umsiedeln sehen, Nachbardörfer verschwanden, Friedhöfe wurden abgebaggert. 

Hannelore Wodtke wohnt seit 16 Jahren am Tagebau Welzow. „Wenn ich meine Wäsche raushänge und der Wind ungünstig steht, ist sie sofort schwarz“, erzählt sie CORRECTIV. Tag und Nacht wären die Kohlebagger im Einsatz. (Bild: CORRECTIV)

Wodtke würde in Welzow gerne ein „Debakel wie beim Cottbuser Ostsee“ verhindern – aber nichts lässt darauf hoffen. Der See von Welzow könnte nach aktuellen Planungen sogar noch größer werden als der Ostsee. „Wo soll denn das ganze Wasser dafür herkommen?“, fragt Wodtke. Eine Antwort darauf gibt es nicht. Klar ist aber, dass aus der Spree, dieser für Berlins Trinkwasser so wichtige Fluss, aktuell knapp vier Kubikmeter Wasser pro Sekunde in den Cottbuser Ostsee fließt. Und dass mit den zunehmend längeren Hitzeperioden durch die Klimakrise sehr viel Wasser aus den Seen unwiederbringlich verdunsten wird – und die Füllung möglicherweise nie vollendet werden kann. Die Leag räumt CORRECTIV gegenüber ein, dass sich „die Zeiträume für die Flutung der Bergbaufolgeseen im Falle häufig auftretender niedriger Wasserverfügbarkeit verlängern werden.“

5. Verdrehte Argumente

Nachdem der Bergbau der Leag und ihrer Vorgänger für ein Wasserdefizit von vier Milliarden Kubikmetern verantwortlich ist, soll die Hilfe nun von außen kommen.  Am besten mit Hilfe von Überleitern aus Flüssen wie der Oder, Neiße oder Spree. So schlägt es zumindest ein Bericht vor, der im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA) erstellt wurde und im Juni 2023 erschien. Der Bericht heißt: „Wasserwirtschaftliche Folgen des Braunkohleausstiegs in der Lausitz“. Der BUND Sachsen und Brandenburger Umweltverbände kritisieren den Vorschlag einer Flussüberleitung im Bericht: Der Bau eines Überleiters würde weitere negative ökologische Folgen nach sich ziehen, außerdem seien die Folgen des Klimawandels bei der UBA-Studie nicht berücksichtigt worden. 

Mitgeschrieben am Bericht hat unter anderem eine Tochterfirma der Leag, die GMB GmbH und Gutachter, die auch im „Wasser-Cluster-Lausitz“ auftauchen: Wilfried Uhlmann und Christoph Gerstgraser. Das Honorar für die Studie betrug laut UBA rund 435.000 Euro. Die Unabhängigkeit der Ergebnisse des Projektes, so das UBA weiter, sei durch die fachliche Begleitung im Umweltbundesamt selbst sichergestellt worden. 

Teile dieser Recherche wurden am 23. September 2023 live während der Premiere des Stücks „Kraftwerk – Ein Theaterabend über Kohle, Wasser und die Ewigkeit“ am Staatstheater Cottbus veröffentlicht. Das Stück von Calle Fuhr, das auf Recherchen von CORRECTIV basiert, läuft noch bis Februar 2024. Tickets und weitere Informationen finden Sie unter diesem Link.

Der so wichtigen Frage darüber, wer die Kosten für die mögliche Flussüberleitung tragen soll, bleibt das Amt allerdings eine Antwort schuldig. Kosten und Kostentragung seien in der Studie nicht untersucht worden. Von einer möglichen Flussüberleitung könnte auch die Leag in Zukunft profitieren, aber auch „die gesamte Lausitz“. 

Früherer Kohleausstieg würde den Schaden begrenzen 

Die Leag habe zu der Überleitung noch keine Planungen, teilt sie mit. Insofern weigern sich sowohl Behörden als auch der Kohlekonzern selbst, wichtige Zahlen für die Zukunft zu benennen: Wer trägt die Kosten für eine potenziell notwendige Leitung? Und wieviel Wasser wird die Leag künftig für ihre Kraftwerke nutzen wollen? Entscheidende Politiker der Region wollen offenbar, dass die Allgemeinheit die Kosten trägt.  Der umweltpolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion Brandenburg, Wolfgang Roick, fände es „unfair“, wenn die Leag für die Leitung zahlen müsste. Immerhin sei der Kohleausstieg Wunsch der Gesellschaft gewesen. „Mit dem früheren Ausstieg berauben wir die Leag um mehrere Jahre, in der sie Gewinne hätte machen können“, sagt Roick gegenüber CORRECTIV. „Die Leag ist ein starkes Unternehmen vor Ort, ein lokaler Produzent.“ Laut Roick mache die Leag in puncto Sanierung  „was sie kann“. 

Nur aus der Grünen Partei kommen kritische Stimmen. Laut Bundestagsabgeordneten Bernhard Herrmann sei die größte Schadensbegrenzung letztendlich ein früherer Kohleausstieg. „Nach 2030 wird der Kohleabbau in Deutschland sowieso nicht mehr wirtschaftlich sein“, sagt er gegenüber CORRECTIV. „Je eher wir aus der Kohle aussteigen, desto kleiner wird auch der zu behebende Schaden im Wasserhaushalt sein.“ Ein früherer Kohleausstieg aber wird in keinem der Szenarien, in keinem der Gutachten besprochen.

Text: Annika Joeres, Elena Kolb, Katarina Huth Recherche: Annika Joeres, Elena Kolb, Katarina Huth, Lilly Brosowsky Redaktion: Justus von Daniels, Anette Dowideit Faktencheck: Gesa Steeger, Stella Hesch Design: Charlotte Eckstein Kommunikation: Valentin Zick, Esther Ecke, Luise Lange-Letellier.