Liebe Leserinnen und Leser,
während einige Hardliner in der deutschen Politik schon Anfang dieser Woche das Ende des Assad-Regimes in Syrien als willkommene Chance beschrieben, Schutzsuchende aus diesem Land wieder loszuwerden, schlagen andere Alarm:
Unser Gesundheits- und Pflegesystem könnte arge Probleme bekommen, wenn ein großer Teil der Fachkräfte wieder nach Hause geht – was wahrscheinlich ist. Denn Ärztinnen und Krankenpfleger gehören zu denen, die für den Wiederaufbau Syriens am dringendsten gebraucht werden. Warum aber hängt unser Gesundheitssystem überhaupt so stark von ausländischen Fachkräften ab? Darum geht es im Thema des Tages.
Außerdem im SPOTLIGHT: Gemeinsam mit Lokalmedien im ganzen Land haben wir ein Projekt gestartet: Wir wollen gemeinsam dafür sorgen, dass im Bundestagswahlkampf wirklich die Themen bei den Kandidaten zu Wort kommen, die Sie, die Wählerinnen, interessieren. Wie das genau geht, erklären wir in der „Werkbank“.Morgen, im Wochenend-SPOTLIGHT, geht es darum, wie unterschiedlich die Menschen in Deutschland und Frankreich auf die Nachricht vom Ende des Assad-Regimes in Syrien reagierten.
Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende, und schreiben Sie mir wie immer gerne: anette.dowideit@correctiv.org.
Thema des Tages: Was, wenn die Syrer gehen?
Der Tag auf einen Blick: Das Wichtigste
Leserfrage der Woche: AfD: Verfahren zu rechtem Gegröle in Bayern läuft noch
Faktencheck: Nach Entmachtung des Assad-Regimes: Manipuliertes Foto kursiert
CORRECTIV-Werkbank: Beteiligen Sie sich an unserem Lokalprojekt
Der Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, warnt aktuell: Wenn syrische Ärztinnen und Ärzte wieder in ihr Heimatland zurückkehren – was für Syrien wichtig ist – würde dies zu spürbaren Versorgungsengpässen in deutschen Kliniken führen. Die wichtigsten Fragen und Antworten dazu:
Wie viele syrische Ärztinnen und Ärzte in Deutschland arbeiten:
Laut einer Statistik der Bundesärztekammer waren es Ende vergangenen Jahres rund 5.800. Die meisten davon, etwa 5.000, arbeiten in Krankenhäusern.
Wie viele das im Verhältnis sind:
Auf den ersten Blick gar nicht so viele: Insgesamt arbeiten in deutschen Krankenhäusern etwa 220.000 Ärztinnen und Ärzte. Beim zweiten Blick allerdings zeigt sich: Auf dem Land, wo Fachpersonal für das Gesundheitswesen viel knapper ist als in Großstädten, kann es tatsächlich handfeste Probleme geben. Das zeigt eine Analyse des Mediendienstes Integration (allerdings schon von 2019). Darin steht auch: Insgesamt beträgt der Anteil ausländischer Ärzte bei uns 12,4 Prozent. Mehr als jede zehnte Ärztin beziehungsweise Arzt hat also nicht die deutsche Staatsbürgerschaft.
Wo wir noch von Zuwanderern abhängen:
Vor allem in der Pflege. Auch hier kommt etwa jede zehnte Kraft aus einem anderen Land.
Woran das liegt:
Zum einen am demografischen Wandel: Wir in Deutschland leben immer länger und von Jahr zu Jahr werden die Jungen im Verhältnis zu den Alten immer weniger. Das ist nicht nur ein Problem für das gesetzliche Rentensystem, sondern zum Beispiel eben auch für die Pflege. Schon jetzt fehlen vielerorts Pflegekräfte, und das Problem wird sich drastisch verschärfen: Bis 2049 werden voraussichtlich mindestens 280.000 zusätzliche Pflegekräfte benötigt, hat das Statistische Bundesamt ausgerechnet. Und zum zweiten daran, dass gerade Altenpflege kein besonders prestigeträchtiger und gut bezahlter Job ist.
Was dagegen getan wird:
Seit Jahren gibt es Anwerbeprogramme vor allem für Pflegekräfte aus anderen Ländern – von Bund, Ländern und Berufsverbänden. Zum Teil funktionieren sie auch. Allerdings hilft es dabei nicht unbedingt, wenn deutsche Politiker (vor allem vom linken und rechten Rand) stetig signalisieren, dass sie keine Ausländer in Deutschland haben wollen. Denn das bekommen Menschen in anderen Ländern durchaus über Medien mit.
Freisprüche im Fall Dramé
Im August 2022 erschossen Polizisten im Innenhof einer Jugendhilfeeinrichtung den jugendlichen Flüchtling Mouhamed Dramé, weil sie sich von ihm bedroht fühlten. Seither wurde der Fall rechtlich aufgearbeitet. Das Dortmunder Landgericht hat jetzt die Polizisten freigesprochen. CORRECTIV hatte vor rund einem Fall Versäumnisse in dem Fall aufgedeckt.
wdr.de/correctiv.org
Kindergeld soll steigen
Die Fraktionen von SPD, Grünen und FDP im Bundestag haben sich heute geeinigt: Noch vor der Wahl soll ein Gesetz zur Erhöhung des Kindergeldes beschlossen werden. Wahrscheinlich soll das nächste Woche passieren.
tagesschau.de
Archäologischer Sensationsfund
In Frankfurt am Main gruben Archäologen ein Amulett aus, das der älteste Beweis für das Christentum nördlich der Alpen sein könnte.
fr.de
Die wichtigsten Ereignisse in Putins Feldzug gegen den Westen
Der Angriffskrieg gegen die Ukraine ist nur ein Schritt auf Russlands langem Weg zu vergangener Größe. Seit einem Vierteljahrhundert verfolgt Wladimir Putin imperiale Machtfantasien. Eine Timeline:
correctiv.org
Leserfrage der Woche
Daniela Schmidt aus Nürnberg hat uns gefragt:
„Vor knapp einem Jahr grölten Mitglieder der bayerischen Landespartei der AfD in einer Diskothek in Greding. Was wurde aus diesem Vorgang?“
Frau Schmidt bezieht sich auf diesen Vorgang: Im Januar grölte eine Gruppe Feiernder nach dem AfD-Parteitag in einer Disco zur Melodie des Partyhits „L’Amour Toujours“ die Zeilen „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ – denselben Text, der später auch auf Sylt skandiert wurde. Damals nahm die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth Ermittlungen auf.
Wir haben die Staatsanwaltschaft gefragt, was daraus wurde. Sie hat das Verfahren mittlerweile ans Amtsgericht Schwabach weitergegeben. Dort antwortete man uns: Das Verfahren laufe noch. Zunächst seien Strafbefehle gegen sechs Personen erlassen worden, und zwar wegen Volksverhetzung beziehungsweise des Verwendens von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen.
Die Betroffenen hätten dagegen allerdings Einspruch eingelegt. Das bedeutet: Es wird zu einer Gerichtsverhandlung kommen. Der Termin dafür steht allerdings noch nicht fest.
Nach der Entmachtung des Assad-Regimes in Syrien konnten Menschen aus dem Folter-Gefängnis Sednaya befreit werden. Bilder davon gehen um die Welt, darunter mischt sich allerdings eine Fake-Aufnahme.
CORRECTIV.Faktencheck
Endlich verständlich
In der tagesaktuellen Berichterstattung wird mit vielen Fremdwörtern, spezifischen Bezeichnungen und Fachbegriffen um sich geworfen. Vor allem auf dem Weg zur vorgezogenen Bundestagswahl. Um etwas Klarheit zu schaffen, hat sich unsere Jugendredaktion Salon5 ein neues Format ausgedacht: Auf Instagram erklärt sie jetzt regelmäßig, was die aktuell häufig genutzten Formulierungen eigentlich bedeuten. Heute im Begriffscheck: Rechtspopulismus.
Salon5 (Instagram)
So geht’s auch
Der Rhetorik-Preis „Rede des Jahres 2024“ der Universität Tübingen geht an eine SPD-Bundestagsabgeordnete: Heike Heubach hatte am 10. Oktober über Klimaschutz gesprochen, in Gebärdensprache.
tagesschau.de
Fundstück
Der interkulturelle Kalender des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zeigt die Vielfalt von Feier- und Gedenktagen verschiedener Religionen und Kulturen, die in Deutschland gemeinsam leben. Der Kalender für 2025 ist bereits verfügbar:
bamf.de
In der Fußgängerzone von Bergisch Gladbach steht ein kleiner Pavillon. Es ist ein kalter und regnerischer Tag. Auch zwei Pinnwände stehen da, auf denen ganz oben zwei Fragen angepinnt sind.
„Worüber sollen die Kandidatinnen und Kandidaten im Wahlkampf sprechen?” und „Welche konkrete Frage würden Sie den Kandidatinnen und Kandidaten dazu stellen?”
Den Infostand mit den Pinnwänden hat ein Demokratie-Verein aufgestellt. Die beiden Fragen stellt das Lokalmedium Bürgerportal Bergisch Gladbach zusammen mit CORRECTIV.
Mit dem Projekt „Deine Stimme, deine Themen“ versuchen wir mit sechs lokalen Medienpartnern herauszufinden, welche Themen die Menschen vor der Bundestagswahl umtreiben und welche Fragen sie den Kandidierenden gerne stellen würden. Bisher sind schon mehr als 1.200 Antworten eingegangen. Bis zum 18. Dezember können Sie sich noch beteiligen.
Um möglichst viele verschiedene Menschen zu erreichen, gehen die lokalen Partner-Medien kreative Wege: RUMS aus Münster arbeitet mit einer Meme-Seite auf Instagram zusammen. Dem Stader Tageblatt können Leserinnen und Leser Postkarten schreiben. VierNull aus Düsseldorf kooperiert mit einem Marktforschungsinstitut. Auch in Lindau und im Landkreis Dahme-Spreewald sind Lokaljournalistinnen von Kolumna beziehungsweise Wokreisel unterwegs, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen.
Am Ende sind die beiden Pinnwände in der Fußgängerzone von Bergisch Gladbach voll mit bunten Zetteln. Viele Menschen haben sich trotz Kälte, Regen und Vorweihnachtsstress die Zeit genommen, ihre Themen und Fragen zu formulieren. Das Bürgerportal wird die Vorschläge auswerten und die Fragen den Kandidatinnen und Kandidaten stellen.
Wahlberichterstattung von unten nach oben, sozusagen.
An der heutigen Ausgabe hat mitgewirkt: Till Eckert
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CORRECTIV ist das erste spendenfinanzierte Medium in Deutschland. Als vielfach ausgezeichnete Redaktion stehen wir für investigativen Journalismus. Wir lösen öffentliche Debatten aus, arbeiten mit Bürgerinnen und Bürgern an unseren Recherchen und fördern die Gesellschaft mit unseren Bildungsprogrammen.