Hintergrund

Desinformation im Wahlkampf: Was uns das Superwahljahr für die Bundestagswahl lehrt

Fast die Hälfte der Weltbevölkerung war 2024 zur Wahl aufgerufen. Die Sorge vor Desinformations-Kampagnen und dem Einfluss von Künstlicher Intelligenz war groß. Wie das Superwahljahr aus Faktencheck-Sicht verlief und was das für die anstehende Bundestagswahl bedeutet.

von Sophie Timmermann

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2024 gab es Wahlen weltweit – und sie waren begleitet von Falschbehauptungen (Symbolbild: Jonathan Raa / Picture Alliance / Sipa USA)

In mehr als 60 Ländern wurde 2024 gewählt. Mit Claudia Sheinbaum wurde erstmals eine Frau zur Präsidentin in Mexiko, Indiens Premier Narendra Modi kann trotz Verlust der absoluten Mehrheit weitermachen — und Donald Trump wird im Januar 2025 wieder als US-Präsident vereidigt. 

CORRECTIV.Faktencheck hat vor allem die Europawahlen, die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg und die US-Wahl mit Faktenchecks begleitet. Welche Rolle KI dabei spielte und welche Taktiken, Desinformationskampagnen und Narrative auch zur Bundestagswahl zu erwarten sind, erklären wir hier. 

Schon vor dem Superwahljahr: KI-Wahl-Schreck in der Slowakei 

Zunächst ein Schritt zurück: Noch vor dem Superwahljahr ließ ein KI-Vorfall in der Slowakei aufhorchen. Tage vor den Parlamentswahlen Ende 2023 tauchte dort eine Aufnahme eines Gesprächs zwischen Spitzenkandidat Michal Šimečka und der slowakischen Journalistin Monika Tódová auf. Beide besprechen darin angeblich, wie sie die Wahl manipulieren und Stimmen kaufen könnten – mutmaßlich steckte dahinter ein KI-Fake. Die Aufnahme erreichte kurz vor der Wahl Tausende. Welchen Einfluss sie am Ende hatte, ist unklar. Fest steht: Šimečkas Pro-Nato-Partei Progressive Slowakei verlor am Ende gegen den russlandfreundlichen Robert Fico. 

Der Fake lieferte einen Vorgeschmack auf das, was KI möglich macht. Menschen im US-Bundesstaat New Hampshire erhielten im Januar 2024, nur Tage vor den dortigen Vorwahlen, einen Anruf, in dem ihnen angeblich US-Präsident Joe Biden dazu riet, nicht daran teilzunehmen. Doch die Aufnahme war nicht authentisch, die Robocalls laut Generalanwaltschaft mutmaßlich mit Hilfe von KI durchgeführt. 

Europawahl: Keine großen Vorfälle, aber besser nicht auf ChatGPT hören

Vorfälle wie diese führten im Vorfeld der Europawahlen zu Sorgen vor der Einflussnahme durch Desinformation. Schon Monate vor der Wahl tauchten grenzübergreifend Erzählungen auf, mit denen Angst vor EU-Verordnungen geschürt werden sollte, etwa zu angeblichen Insekten im Essen

Je näher die Wahl rückte, desto mehr nahm EU-bezogene Desinformation zu. Im Mai machte sie laut Analysen des European Digital Media Observatory (EDMO), einer Beobachtungsstelle für Desinformation, 15 Prozent der über 1.700 geprüften Falschbehauptungen von Faktencheck-Redaktionen in ganz Europa aus – ein Höchststand.

KI-generierte Aufnahmen machten laut EDMO bis zur Europawahl nur etwa vier Prozent aller geprüften Meldungen aus. Doch es fällt offenbar Vielen schwer, KI-Fakes von authentischen Inhalten zu unterscheiden, wie eine Analyse des Institute for Strategic Dialogue zur US-Wahl zeigte. Nutzer klassifizierten demnach Inhalte in 52 Prozent der Fälle Inhalte falsch und behaupteten häufig, dass authentische Inhalte von KI generiert wurden. 

Vorsicht war auch bei der Nutzung von Chatbots geboten: Ein Experiment von CORRECTIV.Faktencheck im Frühling 2024 zeigte, wie diese bei Fragen nach der Europawahl versagten. Die Bots erfanden Kandidatinnen und Kandidaten, wussten nicht, wann die Wahl stattfindet und empfahlen erfundene oder zweifelhafte Quellen.

Neben zahlreichen Falschbehauptungen über die richtige Stimmabgabe und die Integrität der Wahlen, wurden klassische Wahlkampf-Themen häufig bedient – etwa zum Ukraine-Krieg, zu Migration und dem Klimawandel. Auch von Seiten Russlands gab es Versuche, die Stimmung und damit die Wahl zu beeinflussen. Etwa mit der seit Jahren laufenden Doppelgänger-Kampagne, die Seiten bekannter Medien kopiert, um mit Fake-Artikeln Stimmung gegen den Westen und die Ukraine zu machen. 

Der „große Zwischenfall“ blieb laut Angaben der EU-Kommission aus – und so auch die Masse an KI-basierter Desinformation. Tommaso Canetta, Koordinator von EDMO, resümierte nach der Europawahl: Der Kampf gegen Desinformation wurde gewonnen, aber der Zermürbungskampf sei noch lange nicht vorbei.

Landtagswahlen nähren unbelegte Vorwürfe zu Wahlbetrug 

Egal, ob eine Wahl die gesamte EU-Bevölkerung betrifft, oder nur ein deutsches Bundesland: In der Welt der Desinformation wird sie aufschlagen. So auch bei den Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen im September. Sie galten als Wegweiser für die kommende Bundestagswahl. Die AfD Brandenburg gab mit einem KI-generierten Video den Ton für ihren Wahlkampf an. In dem Video wird Stimmung gegen Migration gemacht, Migranten werden als gefährlich und fremd dargestellt und die Energiewende verteufelt. Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg bewertete das Video als „potenziell entwicklungsbeeinträchtigend“ für junge Menschen.

Und wie so oft fanden auch wiederkehrende Falschbehauptungen rund um den Wahlvorgang in Sozialen Netzwerken ein Echo. Ab August mehrten sich falsche und irreführende Meldungen zur richtigen Stimmabgabe, den geltenden Regeln im Wahllokal – und immer wieder unbelegte Vorwürfe zu angeblichem Wahlbetrug. Dahinter steckt laut Expertinnen und Experten eine rechtspopulistische Masche, um eine akute Gefahr von Wahlfälschungen zu vermitteln, die so gar nicht existiert.

In Deutschland würden Wahlbetrugs- und Manipulationsvorwürfe besonders prominent durch AfD-nahe Akteure verbreitet, erklärte uns Paula Jöst vom Institut für Politikwissenschaften der Universität Mainz vor den Landtagswahlen. Das war auch schon bei der letzten Bundestagswahl der Fall, wie Analysen vom Institute for Strategic Dialogue Germany zeigten. 

Klar ist: Auch einzelne, tatsächlich geschehene Fehler können solche Ängste verstärken. Nach einer Korrektur der Sitzberechnung im Sächsischen Landtag hatte die AfD einen Sitz weniger und damit keine Sperrminorität mehr. In dem Softwarefehler witterten rechte Kreise fälschlicherweise direkt einen Beleg für Wahlbetrug

Der Wahlkampf spielt sich auch in Sozialen Netzwerken ab – und besonders auf Tiktok. CORRECTIV.Faktencheck fand dutzende Kanäle, die sich fälschlich als Partei- oder Politiker-Profile der AfD ausgaben. Im Namen der Partei erreichen sie Hunderttausende – ein Vorgehen, das eigentlich gegen die Community-Richtlinien von Tiktok verstößt. Die Plattform schaute über Jahre nur untätig zu. Unterstützung bekam die AfD von einem zwielichtigen Netzwerk aus Aktivisten von Rechtsaußen, das half, die Partei auf Tiktok künstlich groß aussehen zu lassen. 

Die Rolle von Tiktok in Wahlkämpfen ließ auch zuletzt wieder aufhorchen. Am 17. Dezember leitete die EU-Kommission ein Verfahren gegen das Unternehmen ein. Nach der inzwischen annullierten Präsidentschaftswahl in Rumänien soll geprüft werden, ob die Plattform dabei genug gegen die Einmischung ausländischer Akteure getan hat.  

Fest steht: Schon jetzt häufen sich Falschmeldungen zur Bundestagswahl auf Tiktok – und auch die Schatten-AfD mit ihren Fake-Profilen ist weiter aktiv. 

US-Wahlkampf: Alte Lügen, neuer alter Präsident 

Am 5. November fanden zum 60. Mal in der Geschichte der Vereinigten Staaten die US-Präsidentschaftswahlen statt. Die zentrale Frage: Schafft es Trump – trotz seiner vielen Falschbehauptungen zu Migration, der Rechtmäßigkeit der US-Wahl 2020 oder dem Sturm aufs Kapitol – wieder ins Weiße Haus? Die Antwort: Ja, er hat es geschafft. Im Januar wird Trump Joe Biden als neuer alter US-Präsident ablösen. 

Der US-Wahlkampf war geprägt von ideologischer Spaltung – und begleitet von zahlreichen Falschbehauptungen. Viele davon kamen direkt vom republikanischen Präsidentschaftskandidaten; manche auch von seiner demokratischen Konkurrentin Kamala Harris. 

Beide waren auch selbst Zielscheibe von Falschbehauptungen. Über Harris hieß es etwa, sie sei gar nicht berechtigt, US-Präsidentin zu werden, weil ihre Eltern zum Zeitpunkt ihrer Geburt keine US-Staatsbürgerschaft gehabt hätten. Das stimmt nicht – und nährt ein rassistisches Narrativ. Bei Trump ging es schon Monate vor der Wahl um den Ablauf und die Folgen des versuchten Attentats auf ihn im Sommer. 

Auch im US-Wahlkampf spielten Erzählungen rund um angeblichen Wahlbetrug eine Rolle. So sorgte ein Video für Aufruhr, das zwei Männer in einem Auto zeigt, die angeblich Haitianer waren. Das Entscheidende: Einer sagte, er habe mehrfach im US-Bundesstaat Georgia gewählt. Die BBC fand Hinweise, darunter falsche Adressen und Archivfotos, die darauf hindeuteten, dass das Video eine Fälschung ist. Laut US-Geheimdiensten stecken „russische Einflussnehmer“ dahinter, Forscher fanden Hinweise auf ein bekanntes russisches Desinformationsnetzwerk namens Storm-1516 – nicht die einzige Aktion der Gruppe

Mit Trumps Wahlsieg bekommt ein weiterer bekannter Verbreiter von Desinformation noch mehr Macht: Elon Musk. Laut dem gemeinnützigen Center for Countering Digital Hate wurden über 80 Beiträge auf X von Elon Musk über die US-Wahl von Faktencheckerinnen und -checkern als falsch oder irreführend eingestuft. Keiner dieser Beiträge habe eine Community Note enthalten, also eine Korrektur durch andere Nutzerinnen und Nutzer. 

Nach dem Superwahljahr ist vor der Bundestagswahl

Was bedeutet all das für die Bundestagswahl 2025? Wie schon 2021 und 2017 ist mit Falschmeldungen und Desinformations-Kampagnen zu rechnen. 

Über Monate wurde 2021 versucht, den Wahlkampf in Deutschland mit Desinformation zu beeinflussen. Im Visier waren vor allem Annalena Baerbock von den Grünen und Armin Laschet von der CDU – eine Parteien-Tendenz, die sich auch aktuell bemerkbar macht.

Es sei mit einer Zunahme ausländischer Manipulations- und Einflusskampagnen zu rechnen, antwortet die Bundesregierung im September auf eine kleine Anfrage. Auch der Verfassungsschutz rechnet mit Aktionen der Desinformation, Diskreditierung, Cyberangriffen, Spionage und Sabotage, darunter von Russland. Falsche Zitate und Diskreditierungsversuche machen schon jetzt die Runde, etwa ein aus dem Zusammenhang gerissenes Zitat von Friedrich Merz oder ein gefälschter Tagesschau-Bericht über eine angebliche Verhaftung Robert Habecks

Und was erwartet uns in technischer Hinsicht? Das Superwahljahr hat das Gefahrenpotenziel von KI verdeutlicht – doch es hat auch gezeigt, dass es die Technologie für die Verbreitung virale Fakes nicht unbedingt braucht – vor allem dann, wenn Falschmeldungen auf hartnäckige Desinformationsnarrative aufbauen. Diese Narrative und gänge Falschmeldungen zu kennen, hilft dabei, ihre Wirkung einzudämmen. 

SPD, CDU, CSU, Grünen, FDP und die Linke einigten sich noch im Dezember auf ein Fairness-Abkommen für den Bundestagswahlkampf. Darin geloben sie unter anderem, auf bewusst falsche Tatsachenbehauptungen zu verzichten, KI-erzeugte Inhalte zu kennzeichnen und nicht auf Fake-Profile mit falscher Identität für den Wahlkampf zurückzugreifen. Wir werden ein Auge darauf werfen, ob sich dahinter ein glaubwürdiges Versprechen verbirgt. 

Zur AfD heißt es in der Vereinbarung: „Mit der AfD und mit Parteien, die nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen, wird es keinerlei Zusammenarbeit geben.“ Das BSW lehnt die Vereinbarung ab, weil man sie als unehrlich und selbstgerecht empfinde und legte sich stattdessen eine Selbstverpflichtung zum fairen Wahlkampf auf.

Fest steht: Jeder und jede kann sich gegen Fakes und Manipulation im Bundestagswahlkampf wappnen. Hier sammeln wir Tipps zum Erkennen von Falschmeldungen. Alle unsere Faktenchecks zur Bundestagswahl gibt es fortlaufend hier. Ihnen ist eine potenzielle Falschmeldungen begegnet? Dann schicken Sie uns einen Hinweis per WhatsApp. 

Redigatur: Uschi Jonas, Gabriele Scherndl

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