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Demokratie nicht zum Abschuss freigeben

Thomas Eiskirch ist seit Oktober 2015 Oberbürgermeister von Bochum, „Deutschlands 16-größter Stadt“ wie der ehemalige SPD-Landtagsabgeordnete gerne betont. Ein Gespräch über alte Industrie und neue Chancen, RWE-Anteile und miesen Nahverkehr. Und über den Kampf um Demokratie in entscheidenden Zeiten.

von Christoph Schurian

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correctiv.ruhr (Christoph Schurian)© correctiv.ruhr (Christoph Schurian)

Der letzte Tag auf der Eisbahn in der Jahrhunderthalle Bochum, tags darauf spielen die Musiker von „Deine Lakaien“. Im Februar kommt der historische Jahrmarkt in die riesige Halle, das Steampunk-Festival, im August die Ruhr-Triennale. Trotz gefühlten Minusgraden in der Halle sitzt Thomas Eiskirch eine dreiviertel Stunde in Hemd und Sakko am Biertisch, ein Interview mit blauen Lippen. Er hat es so gewollt.

Der Eissalon ist sein Projekt. Eiskirch wollte das schon im Wahlkampf machen. Den Bochumern einen Herzenswunsch erfüllen, nachdem es seit 2003 in der Stadt keine Eisbahn mehr gab. Jetzt wird die von der städtischen Veranstaltungsgesellschaft organisiert, mit Erfolg. Tausende kamen, vor allem Familien mit Kindern, die Lieblingszielgruppe jedes Stadtpolitikers. Ein Freizeitspaß in der Fabrikhalle, Jugenderinnerungen an die 1980er und 1990er Jahre, Nostalgie. Doch Eiskirch richtet den Blick nach vorn. Die Eisbahn soll Vorbild sein, ein gelungener Mix aus alt und neu, Möglichmachen.  

Verkehrsübungsplatz wird Medizinzentrum

Bochum ist für viele die Stadt mit riesigen Opel-Brachen und den kriselnden Resten von Großindustrie: Bergbau- und Automobilzulieferern, Stahlveredelungsfabriken. Oberbürgermeister Eiskirch hat eine andere Sichtweise: Welche Stadt kann schon eine zusammenhängende Fläche wie die ehemaligen Opel-Werke entwickeln? „Für die Menschen, die da gearbeitet haben und deren Familien, ist das hart.“ Aber bald würden dort mehr Menschen arbeiten als die 3.500, die zuletzt noch bei Opel Arbeit fanden. Mit acht Hochschulen, mehr als 50.000 Studierenden sei Bochum einer der großen Hochschulstandorte in Deutschland. Was sich auch wirtschaftlich auswirke.

Firmen stünden in den Startlöchern, die wissenschaftliches Know How und universitäre Forschungseinrichtungen nutzten, aber auch die industriellen Erfahrungen von ehemaligen Opel-Mitarbeitern bei der Organisation von industriellen Arbeitsprozessen. Jahrelang sei das Medizinzentrum an der Ruhr-Universität bloß ein „super Verkehrsübungsplatz“ gewesen. Jetzt tue sich etwas, endlich! Andererseits: Mit ihren 50 Jahren geht die Ruhr-Uni gegenüber den Traditions-Universitäten weiterhin als Neugründung durch.

RWE-Anteile werden abgestoßen

Mit Traditionen gebrochen hat die Stadt in Sachen RWE. Die Anteile an dem Unternehmen sollen komplett veräußert werden, ein Drittel wurden bereits 2016 verkauft. Es sei darum gegangen, so Eiskirch, nach dem Amtsantritt Belastungen für die Stadt „abzuräumen“. Und da der Einfluss der Kommunen auf das Energieunternehmen ohnehin kaum mehr vorhanden gewesen sei, hätten sie die RWE-Anteile als das betrachtet, was sie sind, ein finanzielles Asset: „Wir werden weiter in Ruhe und Verschwiegenheit beraten, was wir wann mit den weiteren Anteilen tun“. Das sei aber nur eine Frage des Preises.

Einnahmen kann Bochums Haushalt gut gebrauchen. „Wir haben mit den konsumtiven Mitteln weiter Probleme“, dem laufenden Betrieb, der allein aus Abgaben und Steuern zu bestreiten ist. Anders sieht die Lage bei den Investitionen aus. Die Infrastruktur bekomme gerade ein „Update“ verpasst, fast 400 Millionen wurden und werden in alte und neue Schulen verbaut, dazu Straßenbau, allgemeine Infrastruktur.    

Generationswechsel im Ruhrgebiet

Eiskirch will differenzieren, nicht jammern über die Schwächen seiner Stadt und des Reviers. Das Ruhrgebiet habe ein Strukturproblem, die Langzeitarbeitslosigkeit. Deshalb gehe es weniger um regionale Strukturmittel oder darum, die Mittel des Soli umzulenken. „Einfach zu sagen: Jetzt ist auch mal der Westen dran! Das finde ich nicht richtig“. Stattdessen könne man die Voraussetzungen im Ruhrgebiet mit einer „einfachen Lösung“ enorm verbessern: „Die Betreuung der Langzeitarbeitslosen müsste in Bundesauftragsverwaltung gehen“. Die Kommunen könnten sich dann um die Umsetzung der Hilfen vor Ort bewerben, die mit Bundesmitteln finanziert würden: „Die Bürgermeister im Ruhrgebiet wären sofort bereit, ein solches Angebot anzunehmen.“

Überhaupt, die Zusammenarbeit zwischen den Stadtspitzen im Ruhrgebiet freut den Bochumer OB ohnehin. „Es hat ein Generationenwechsel stattgefunden.“ In Bochum, Essen oder Duisburg seien Menschen ins Bürgermeisteramt gekommen, die sich schon lange kennen, ohne in der gleichen Partei zu sein. Auch im Regionalverband Ruhrgebiet werde gut zusammengearbeitet. Gerade hätten sich sechs große Städte der Region gemeinsam um einen „DWNRW-Hub“, ein Zentrum für digitale Wirtschaft des NRW-Wirtschaftsministeriums beworben und sich sogar im Vorfel auf einen gemeinsamen Standort festlegen können: „Das ist ein Signal!“

Mehr Kooperation im Nahverkehr

Die könnte auch der Nahverkehr gebrauchen. Der Bochumer OB hält den weiterhin für „unwürdig“ einer Metropole. Aber man sei auf dem Weg. Fahrpläne würden bald besser abgestimmt. Seit einiger Zeit seien Verkehrsunternehmen durch die  „Kooperation Östliches  Ruhrgebiet“ miteinander verbunden – die KÖR. „Das ‚Ö‘ ist darin der unwichtigste Buchstabe“. Eiskirch plädiert für mehr Kooperation im Ruhrgebiet: „Wir haben jetzt Jahre vor uns, wo die Dinge aufgebrochen werden können.“

Das ominöse Wahljahr in NRW und im Bund, die unsichere politische Großwetterlage, Trump und AfD –  der 46-jährigen spricht von „sensiblen Zeiten“. Es gehe jetzt um nicht weniger, „als unsere Demokratie zu verteidigen“. Er sei damals in die Politik gegangen, um dafür zu sorgen, dass sich so etwas wie die Nazizeit niemals wiederhole. Und der beste Schutz davor sei immer noch der demokratische Staat: „Wir sollten diese Errungenschaften jetzt nicht zum Abschuss freigeben und auch mal deutlich dagegen halten“.