Debatte

Willkommen in Nordrhein-Versagen

Auch nach sieben Jahren in der Landesregierung wissen die Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen immer noch nicht, was sie eigentlich an der Spitze des Landes wollen. Unser Autor Stefan Laurin sagt: Jeder Gestaltungswille ist ihnen fremd.

von Stefan Laurin

© IMG_2638.jpg (Der failed-Stempel wurde nachträglich eingefügt) von Thomas Rodenbücher unter Lizenz CC BY 2.0

Zwei Parteien regieren Nordrhein-Westfalen seit 2010: SPD und Grüne. Eine Koalition, die weitgehend konfliktfrei arbeitet. An der Spitze des Bündnisses steht mit Hannelore Kraft (SPD) eine äußerst beliebte Ministerpräsidentin. Alles gut also?

Es scheint so: Die Zeiten der rot-grünen Zank-Koalitionen von 1995 bis 2005 unter den Ministerpräsidenten Johannes Rau, Wolfgang Clement und Peer Steinbrück sind vergessen. Wo früher Streit war, herrscht schon heute Harmonie.

Das hat einen einfachen Grund: Während die Ministerinnen und Minister der Grünen, Sylvia Löhrmann (Bildung), Barbara Steffens (Gesundheit) und Johannes Remmel (Umwelt) grüne Politik machen und ihre Agenda – von der Einführung der Sekundarschule über das Rauchverbot in der Gastronomie bis hin zur Einschränkung des Flächenverbrauchs durch die Landesplanung –  konsequent umsetzen, ist bei den sozialdemokratischen Ministerinnen und Ministern bis heute nicht zu erkennen, was sie überhaupt wollen. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft sieht darin kein Problem. Sie glaubt, dass der Dauerstreit mit den Grünen der Grund für die historische Niederlage 2005 war, nach der die SPD nach 39 Jahren in NRW in die Opposition musste.  

Kraft ohne Gestaltungswillen

Sicher, die SPD-Minister sind alle gerne an der Spitze ihres Ministeriums, aber die Frage nach dem Warum – die Frage, was sie überhaupt mit ihrer Macht umsetzen, was gestalten wollen – hat bislang kaum einer aus dieser Runde beantwortet. Auf sie alle trifft zu, was Stefan Willeke im Mai vergangenen Jahres in seinem Artikel in der ZEIT über Ministerpräsidentin Hannelore Kraft feststellte: Kraft ist im Amt, ohne jeden Gestaltungswillen. Willeke schieb: „Sie will — nichts

Dieser Mangel an Ideen fällt umso mehr ins Auge, wenn man zurückblickt. Vor garnicht allzu langer Zeit machten SPD-Minister aus NRW bundesweit beachtete Politik. Die Minister hatten Pläne und den Willen, sie durchzusetzen. Nicht jeder war mit den Projekten der SPD-Granden einverstanden, und vieles von dem, was sie durchsetzten, hat die Zeiten auch nicht überstanden. Aber sie gestalteten das Land. Ihnen reichte es nicht Minister oder Ministerin zu sein.

Das Land verändern – verbessern

Als Johannes Rau NRW-Wissenschaftsminister war, trieb er den Ausbau der Gesamthochschulen voran, einem damals als fortschrittlich empfundenen Typ von Hochschulen. NRW-Innenminister Herbert Schnoor stand in den 80er Jahren für ein liberales Demonstrationsrecht und war der Gegenspieler von Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann (CSU). Die beide führten eine tiefgreifende Debatte um die langfristige Ausrichtung der Innenpolitik. Und nicht Schnoor lag hinten. Im Gegenteil. Er konnte mit seinem Ansatz Erfolge verweisen, gerade weil er ihn in NRW gegen Widerstände durchsetzte.

Wolfgang Clement war sowohl in seiner Zeit als Minister als auch später als Ministerpräsident ein Politiker mit einem unbändigen Gestaltungswillen. Sicher, viele seiner Ideen wie der Metrorapid erwiesen sich als nicht umsetzbar, aber er hat zumindest daran gearbeitet, das Land zu verändern, zu verbessern. In seiner Zeit wurden etliche Technologiezentren im Ruhrgebiet gebaut. Viele scheiterten – aber immerhin konnten ein paar davon die Zeit überstehen und Impulse für den Wandel setzen. Etwa in Dortmund.

Erinnert sich wer an Christoph Zöpel? Der damalige Bauminister setzte die Idee einer Internationale Bauausstellung Emscher Park um, ein milliardenschweres Umbauprogramm für das nördliche Ruhrgebiet. Ok, die ursprünglichen Ziele wurden längst nicht alle erreicht. Aber immerhin hat er es versucht und bei diesem Versuch vieles umgesetzt. Die Emscher wird in einigen Jahren wieder ein naturnaher Fluss sein. Die Kloake verschwindet jeden Tag ein kleines Stück mehr.  

Willkommen in Nordrhein-Versagen

Jan Fleischhauer hat auf Spiegel-Online NRW als Failed State beschrieben. Er hat damit Recht.

Der amtierende NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) hat außer der Public-Relation-Aktion  „Blitzmarathon“ wenig hinbekommen. NRW ist eine Salafistenhochburg. Rockerbanden werden in ihrem Tun kaum behindert und wachsen stark.

Und kann noch einer zählen, in wie vielen Kategorien NRW am Tabellenende aller Bundesländer steht? In keinem Land kommen so viele Studenten auf einen Professor, ist die Betreuung von Kindern so miserabel und sind die Chancen für Langzeitarbeitslose so schlecht wie an Rhein und Ruhr.

Aus Nordrhein-Westfalen ist längst Nordrhein-Versagen geworden.

In der SPD auf der sicheren Seite

Doch warum ist das so? Warum sieht die aktuelle Generation der hiesigen SPD-Minister so blass aus, wenn man sie mit ihren Vorgängern vergleicht?

Als die heutige SPD-Ministerinnen und Minister in den 80er und 90er Jahren in die SPD eintraten, gingen diejenigen aus ihren Jahrgängen, die eher links waren und politisch etwas bewegen wollten, zu die Grünen. In die SPD ging, wer in ihren damaligen Hochburgen im Ruhrgebiet, Köln und Düsseldorf einen Job bekommen wollte. Mit der Partei war man auf der sicheren Seite. Und wer in der SPD etwas werden wollte, bemühte sich vor allem darum, wenig anzuecken.

So beförderte die Kultur innerhalb der SPD nicht jene, die Ideen hatten und gestalten wollten, sondern die Parteimitglieder, die sich brav auf den Karriereweg begaben. Karrierewege, die vom Vorstandsposten im Ortsverein über Jobs in landeseigenen Gesellschaften bruchlos in die Landesregierung führen konnten.

Selbst Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat einen ähnlichen Weg an die Spitze genommen. Offene Streitigkeiten, das Eintreten für Positionen, das war alles nicht gewollt. Aber eine Partei die nicht diskutiert, die nicht streitet, ist nicht in der Lage, sich weiter zu entwickeln. Auf alle Herausforderungen, vor denen sie steht, hat die nordrhein-westfälische SPD immer nur eine Antwort: Geschlossenheit. Das macht sie zu einer wahlkampfstarken Partei. Aber weil die Debatten um Inhalte kaum geführt werden, ist längst aus dem Blick geraten, wofür man diese Wahlkämpfe führt.

Die Macht zu gestalten

Das Ziel dieser SPD-Politikergeneration, all dieser Krafts, dieser Jägers und Duins, war immer nur der nächste Posten, das nächste Mandat. Nie ging es ihnen um die Umsetzung einer Idee, die sie unbedingt durchsetzen wollten; nie brannten sie für ein bestimmtes Vorhaben; nie verbanden sie ihr politisches Schicksal mit einem Projekt.

Macht war für diese Leute immer nur Selbstzweck, nie ein Instrument, um zu gestalten.

Diese Strategie funktioniert in einem SPD-Ortsverein in Duisburg oder Mülheim ohne Probleme, zur Führung des einwohnerreichsten Bundeslandes in Deutschland ist sie fatal.