Die Fake-News-Debatte immunisiert
Ein Gespräch mit Martin Emmer. Er ist Professor an der Freien Universität Berlin und forscht zu Internet und Mediennutzung. Correctiv sprach mit dem Kommunikationswissenschaftler über Falschmeldungen, Filterblasen und Fact-Checking.
Herr Professor Emmer, Fake News ist zu einer Art politischer Kampfbegriff geworden. US-Präsident Donald Trump nennt so Berichte von Medien, die ihm nicht gefallen. Wie würden denn Sie den Begriff definieren?
Grundsätzlich steht hinter dem Begriff etwas bewusst Falsches. Es gibt aber auch andere Gründe, warum etwas nicht zutreffend sein kann: Zum Beispiel Fehler, die man macht – der Mensch irrt sich. Das könnte man, wenn man Fake News als Kampfbegriff benutzen will, wie Trump das tut, ausweiden. Aus Sicht eines strategischen Akteurs kann alles, was hilft, den anderen zu diskreditieren, Fake News genannt werden. Das gilt auch für Meinungsäußerungen — eigentlich etwas, das nichts mit Fake und auch nichts mit News zu tun hat. Und es gibt bewusst gesetzte falsche Informationen.
Sie sind Experte für Mediennutzung. Wie wirken Fake News?
Wir wissen viel darüber, wie Menschen generell mit Medieninhalten umgehen. Und daraus kann man Aussagen ableiten, die auch für Fake News gültig sind. Zunächst: Viele gehen von einer naiven Idee aus. Danach bekommen die Leute von den Medien irgendwelche Nachrichten vorgesetzt, und das macht dann was mit ihnen. Das ist aber zu simpel. Oft ist der Zusammenhang sogar genau umgekehrt. Es gibt auch Leute in sogenannten „Echokammern“, die sogar gezielt Futter für ihre verquere Weltsicht suchen. Und denen ist das eben relativ egal, ob das wahr ist oder falsch. Sie lesen oder schauen sich das an, um das Gefühl zu haben: „Ja, genau, ich hab recht. So hab ich das schon immer gesehen.“ Und dass einiges dann nicht ganz wahr ist, wird schnell verdrängt…
Was bedeutet das für Faktenprüfungen und Seiten wie „Echtjetzt“?
Es macht den Kampf gegen Fake News schwer. Man soll nicht meinen, es genüge, einfach nur die Fakten zu widerlegen und damit sei das Problem gelöst. In der Werbeforschung und der Psychologie kennt man das Phänomen der „kognitiven Dissonanz“…
..dabei geht es um unangenehme Selbstzweifel…
Genau. Nehmen wir das berühmte Beispiel des Rauchers, der ungern zuhört, wenn es um die Gefahren des Rauchens geht, während er sehr gerne der Geschichte über Altkanzler Helmut Schmidt lauscht, der ja als starker Raucher über 90 geworden ist. So sind wir eben gestrickt. Wir wollen mit uns im Reinen sein. Das führt dazu, dass wir Informationen aus dem Weg gehen. Und all das wird mit den digitalen Medien viel einfacher, als es früher war. Da war man noch stärker auch Inhalten ausgesetzt, denen man ungeplant begegnet ist. Gerade im Internet kann man immer stärker Unliebsames außen vor lassen oder aus dem Weg gehen.
Welche Rolle spielen dabei die Algorithmen?
Sie unterstützen genau das. Soziale Netzwerke wie Facebook wollen ja, dass wir uns wohlfühlen. Sie möchten verhindern, dass kognitive Dissonanzen entstehen. Leute, die also Dingen aus dem Weg gehen wollen, werden von diesen Systemen besonders bestärkt. Gerade diese Leute sind sehr ansprechbar für nicht ganz zutreffende Informationen. Selbstverständlich ist das auch eine Persönlichkeitsfrage. Jeder Erwachsene müsste eigentlich in der Lage sein, auch Gegenpositionen zu verstehen und auszuhalten.
Wer ist besonders anfällig für Fakes und warum?
Fachkollegen aus der Soziologie verweisen darauf, dass es zum Beispiel um Brüche in der Biographie geht. Wenn es etwa einen Punkt gibt, an dem man sich eingestehen muss, dass man das, was man sich als junger Mensch erträumt hat, leider nicht mehr erreichen wird. Oder jemand merkt, dass der Job plötzlich nicht mehr sicher ist. In einer solchen Situation tendieren Menschen dazu, Erklärungen zu suchen und leider manchmal auch nach Schuldigen. Das sind die Ausländer oder der Kapitalismus oder die Wessis oder die Stasi oder was auch immer… Leider sucht der Mensch die Schuld selten bei sich – hier spielt die kognitive Dissonanz wieder rein. Es hat weniger mit dem Bildungsstand zu tun, eher spielt schon das Alter eine Rolle. Bei jungen Menschen ist das noch nicht so ausgeprägt wie bei Menschen über 40.
Haben Jüngere vielleicht sogar mehr Medienkompetenz und können Falsches von Richtigem, Satirisches von Seriösem und Fakes von Wahrhaftigem unterscheiden?
Viele Mediennutzung, vor allem Facebook-Nutzung, verfolgt doch gar nicht das Ziel, Informationen aufzunehmen. Das ist oft ein Kurzschluss, vor allem von Journalisten. Die Motive der User oder Leser sind meistens ganz andere. Es geht um Zeitvertreib. Es geht darum, die Identität, das eigene digitale Ich zu beschreiben. Deshalb werden auch strategisch Sachen geliked, damit andere Leute das sehen. Ob das wirklich die eigene Meinung abbildet, spielt dann keine Rolle. Es geht oft auch nicht darum, was wahr ist und was falsch. Es kommt eher drauf an, dass es ins eigene Selbstbild passt oder cool ist. Trotzdem glaube ich, dass die Frage der Bildung und Kompetenzen, immer wichtiger wird.
Warum?
Früher hat man sich mehr darauf verlassen, dass das schon stimmt, was Journalisten berichten. Im Prinzip war klar: Was in der Tagesschau kam, darüber konnte man reden, als sei es wahr. Das ist nicht mehr so. Wir brauchen im Prinzip alle Kompetenzen wie Journalisten, um im Internet souverän zu agieren. Und das ist noch nicht weit verbreitet. Quellenprüfen muss eine Grundkompetenz von uns allen werden. Da muss man in Schulen, in der politischen Bildung und auch in den Familien deutlich stärker ein Auge drauf haben.
Aber die Profis arbeiten doch weiter, die Tagesschau sendet noch. Wie konnten die traditionellen Quellenprüfer derart in Verruf geraten? Warum glaubt man traditionellen Medien nicht mehr?
Grundsätzlich ist es doch nicht schlecht, wenn die Leute ein wenig skeptisch sind. Man kann auch so pauschal gar nicht sagen, dass Medien in Verruf geraten sind. Es ist eher so – und auch das ist ein Ergebnis des medialen Wandels —, dass man die Kritik an den Medien sieht. Wo hätte man denn vor 25 Jahren darüber lesen können, dass irgendjemand glaubt, dass die Medien alle lügen. Welche Zeitung hätte so etwas denn als Leserbrief gedruckt? Das hat also keiner gesehen. Aber ich würde viel drauf wetten, dass viel von dem, was wir heute sehen – wie: „Die lügen doch alle“ oder auch der ganze Hass im Netz gegen Ausländer – dass dies alles nicht neu ist. Es wird nicht ausgelöst durch die Medien oder die Netzwerke, sondern war im Prinzip schon immer da. Es wird jetzt offen sichtbar. Weil jeder zum Beispiel auf Facebook offen posten kann und es niemanden gibt, der das wegfiltert.
Sie haben gerade über Hass und rüde Sitten im Netz gesprochen. Sind Hate-Speech und Fake News enge Verwandete?
Ja klar. Man kann Fake News natürlich einsetzen, um Hass zu schüren. Wenn man Fake News als strategisch-manipulativ verbreitete falsche Informationen versteht, dann können sie in Hass-Kontexten eine große Rolle spielen. Das haben wir ja erlebt: die vielen Gerüchte, dass Asylbewerber Frauen vergewaltigt oder Kinder entführt hätten.
Was kann die Enttarnung und Richtigstellung von Fake News bewirken?
Ich bin skeptisch, dass es auf einer Individualebene Wirkung entfalten kann. Ob Sie damit Menschen, die so etwas glauben wollen, überzeugen können? Das dürfte in den seltensten Fällen passieren. Trotzdem halte ich es für eine grundsätzlich gute Idee. Denn wir müssen unseren gesellschaftlichen Konsens aufrechterhalten, dass wir unsere Debatten auf Basis von Fakten führen. Deshalb bin ich überzeugt, dass man so auch eine Art Brandmauer einziehen kann. Damit zumindest jeder, der guten Willens ist, erfahren kann, was falsch ist. Und man erreicht sicher auch Leute, die vielleicht etwas weniger politisches Interesse oder Erfahrung haben und deshalb anfälliger wären, Falsches zu glauben, zu liken oder zu posten. Man kann also in der Mitte der Öffentlichkeit Fakten deutlich machen. Aber an den Rändern wird es immer Leute geben, die das nicht glauben wollen. Damit werden wir leben müssen.
Sehen Sie die Politik auch in der Pflicht bei der Bekämpfung von Fake News?
In der öffentlichen Kommunikation, in den Medien, hat der Staat nichts zu suchen. Eine staatliche Medieninhaltskontrolle würde unserem Grundgesetz widersprechen. Aber trotzdem sehe ich die Politik gefordert. Man muss sich Gedanken machen, wie man mit den neuen Akteuren umgeht. Denen muss man einen verlässlichen rechtlichen Status zuweisen. Und da haben wir im Moment Probleme: Konzerne wie Google oder Facebook bieten mediale Dienstleistungen an, die in unserem Medienrecht bisher überhaupt nicht vorgesehen sind. Wichtig wäre: Wie kann man Vielfalt sicherstellen in der digitalen Welt? Wo ist denn die Vielfalt? Wenn ich mir anschaue, dass in bestimmten Bevölkerungsgruppen Facebook die Hauptinformationsquelle ist, dann sind wir in einem Bereich, wo im Fernsehen schon längst alle möglichen Kommissionen eingeschritten wären, wenn solche Marktanteile erreicht wären.
Wagen Sie mal einen Blick auf den Bundestagswahlkampf. Müssen wir mit Manipulationsversuchen wie in den USA, während der Brexit-Kampagne oder zuletzt in Frankreich rechnen?
Ich rate von Hysterie ab. Der Verzicht auf Faktizität, wie er bei Trump zu beobachten war und ist, kann vielleicht mal bei einem Thema funktionieren. Aber im Grunde sind in der deutschen Politik zu viele Schranken eingebaut, auch das Mediensystem ist breiter aufgestellt. Für manche ist ja auch schon ausgemacht, dass Putin mit seinen digitalen Armeen entscheidet, wer Bundeskanzler wird. Das geht zu weit, nicht zuletzt, weil das Thema bei uns ja schon in der breiten Öffentlichkeit bekannt ist. Das wirkt auch als Immunisierung. Während der Ukraine-Krise ist das zum ersten Mal virulent geworden. Damals wurde nach einer kurzen Phase der Verunsicherung schnell klar, wie massiv beeinflusst der Diskurs in bestimmten Foren etwa durch Posts von bezahlten Mitarbeitern in russischen Agenturen, den sogenannten „Troll-Factories“, war. Und durch das Öffentlichmachen schmilzt die Wirkungsmacht wieder. Sie erreicht am Ende wieder nur die an den Rändern. Umstrittene Angebote wie Russia Today sammeln eher die Extreme von beiden Seiten, von links und rechts.
Ist unsere Art der demokratischen Selbstverständigung in Gefahr durch die Entstehung von Filterblasen, von Abschottung und Desinformation?
Demokratie muss man immer neu aktualisieren. Demokratie ist Streit. Und das ist doch das Positive an der Debatte. Dass wir wieder merken, dass die Demokratie nichts ist, was wir als Endpunkt der Geschichte mal erreicht haben. Echokammern hat es immer gegeben, behaupte ich. Ich würde gerne erstmal einen Beleg dafür finden, dass sie heute größer sind als vor 30 Jahren, als wir sie einfach nicht sehen konnten. Solche Zirkel gab es an den Stammtischen doch immer schon. Am Ende aber haben die meisten von uns aber immer noch ein großes Set an sozialen Kontakten, die verhindern, dass wir da reinrutschen. Die Forschung zeigt, dass die meisten immer noch ein überraschend vielfältiges Weltbild über unsere Medien und Internetnutzung kriegen. Die Tatsache, dass wir solche Gespräche führen, zeigt, dass die Gesellschaft das Problem erkannt hat und nach Lösungen sucht. Ich bin Optimist. Wir kriegen das in den Griff.