Hintergrund

Mit Siff auf Wählersuche

Framing ist ein neu-deutscher Begriff. Er beschreibt, wie mit Formulierungen Politik und Denken geprägt werden soll. Der Kommunikationswissenschaftler Niehr zum Framing im Wahlkampf.

von Lisa-Marie Eckardt

Univ.-Prof. Dr. phil. Thomas Niehr

Univ.-Prof. Dr. phil. Thomas Niehr

Der Sprach- und Kommunikationsforscher Thomas Niehr von der RWTH Aachen beschäftigt sich mit dem sogenannten Framing im Wahlkampf. Dabei beobachtet er, wie und ob rhetorische Muster die Wahrnehmen prägen und verändern können.

Herr Niehr, den Wahlkampf in Deutschland finden viele langweilig. Sehen Sie das auch so?
Nein, das sehe ich überhaupt nicht so: Allein schon die Reaktionen auf die AfD-Provokationen finde ich sehr spannend. Auch das Auftreten der SPD, die ja in diesem Wahlkampf (mal wieder) eine sehr undankbare Rolle hat – nämlich als Juniorpartner einer Großen Koalition Wahlkampf zu machen –, finde ich durchaus interessant.

Langeweile auf der einen Seite. Andererseits wird viel über Wut gesprochen. Wie passt das zusammen?
Offensichtlich passt das gar nicht gut zusammen. Vermutlich haben aber die Wutbürger keine Langeweile. Möglicherweise ist die Rede vom langweiligen Wahlkampf aber auch eine von JournalistInnen gepflegte Routineformel. Wenn ich in dem Zusammenhang dann noch höre, dass zu Zeiten von Brandt und Wehner alles viel weniger langweilig war, dann kann ich dazu nur sagen: Wir leben halt nicht mehr in den 1960/1970er Jahren. ​​​​​​

Gibt es bei deutschen Parteien politisches Framing wie im US-Wahlkampf?
Wo gibt es kein Framing? Dieser schöne Ausdruck besagt ja lediglich, dass in der Sprache der Politik verschiedene Perspektiven zum Ausdruck kommen. Unser aller Sprachgebrauch ist stets perspektivisch, und eine – wie auch immer geartete – „objektive“ Sprache gibt es nicht. Zumindest gilt dies für natürliche Sprachen.

Wie benutzt die AfD politisches Framing?
Na ja, man muss nur hinschauen bzw. -hören. Wenn beispielsweise ein führender AfD-Politiker – seinen Namen muss ich hier nicht unbedingt nennen – davon spricht, eine SPD-Politikerin in Anatolien zu „entsorgen“, dann wird damit sicherlich ein Frame aufgemacht. Man könnte ihn den Müll-Frame nennen. Das gleiche gilt für Ausdrücke wie „rot-grün-versifftes 68er Deutschland“ usw. Brisanter wird das Ganze, wenn die Perspektive weniger deutlich ist als bei solch provokativen Ausdrücken. Ausdrücke wie Flüchtlingswelle, -krise, -ansturm sind im öffentlichen Diskurs häufig anzutreffen, und zwar nicht nur bei der AfD. Auch mit solchen Ausdrücken wird ja ein Bedrohungs-Szenario eröffnet, ohne dass die Sprecher auch nur darüber nachdenken. 

Wie erfolgreich sind Verleumdungskampagnen?
Diese Frage kann man nicht pauschal beantworten. Es hängt sicherlich von den RezipientInnen ab, ob sie finden, dass so etwas die Anstandsgrenzen verletzt und daher zu unterlassen ist, oder ob sie solche Provokationen eher begrüßen. Das wird immer dann besonders deutlich, wenn parteiintern kritische Stimmen laut werden.

Das TV-Duell wurde zu großen Teilen von AfD Themen beherrscht. Greifen Journalisten die Frames der AfD zu stark auf? Was kann man dagegen tun?
Journalisten sind hier in einer Zwickmühle, aus der ich keinen einfachen Ausweg weiß: Einerseits ist es ihre Aufgabe, möglichst umfassend zu informieren. Und dazu gehören ja auch die Provokationen der AfD. Andererseits setzen sie sich damit dem Vorwurf aus, über jedes Stöckchen zu springen, dass die AfD ihnen hinhält. Insofern sind JournalistInnen gut beraten, sich auch immer wieder auf ihre Kernkompetenzen zu besinnen – Stichwort: Faktencheck.

Wenn Frames wichtiger als Fakten sind, machen Faktenchecks dann überhaupt einen Sinn?
Frames stehen ja nicht unbedingt im Widerspruch zu Fakten. Insofern halte ich es geradezu für eine journalistische Pflicht, den perspektivischen Sprachgebrauch des öffentlichen Diskurses an der Realität zu messen.