Neue Rechte

Droht der Identitären Bewegung ein Verbotsverfahren?

Mit dem Versuch, das rechtsextreme Compact-Magazin zu verbieten, ist das Innenministerium Mitte 2024 gescheitert. Doch die nun vorliegende Urteilsbegründung zeigt die Möglichkeit für ein Verbot einer anderen rechtsextremen Gruppierung auf: der „Identitären Bewegung”.

von Ulrich Kraetzer

Demonstration gegen Veranstaltung mit Rechtsextremisten Sellner
Gut gestylt und rechtsextrem: IB-Mann Martin Sellner. Quelle: picture alliance/dpa | Paul Zinken

Der Versuch, das rechtsextreme Magazin Compact des nicht minder rechtsextremen Publizisten Jürgen Elsässer zu verbieten, endete für die damalige Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) mit einer Niederlage. Denn das Bundesverwaltungsgericht setzte das im Juli 2024 verfügte Verbot nur wenige Wochen später per Eilentscheidung aus. Im Juni dieses Jahres bekräftigten die Leipziger Richter ihre Einschätzung – und urteilten auch im Hauptsacheverfahren, Faesers Verbot sei rechtswidrig gewesen. Nicht nur Jürgen Elsässer schien somit einen Sieg errungen zu haben, sondern mit ihm auch die gesamte Szene der sogenannten „Neuen Rechten“.

Seit Montag liegt nun die schriftliche Begründung des Urteils vor – und die Lektüre des Richterspruchs macht deutlich, dass sich die Rechtsextremen zu früh gefreut haben könnten. Denn das Bundesverwaltungsgericht legt nicht nur dar, warum die vom Innenministerium angeführten Gründe für ein Verbot von Compact nicht ausreichten. Es befasst sich auch ausführlich mit den Plänen eines der prominentesten Vertreters der „Neuen Rechten“: Martin Sellner.

Der österreichische Mastermind der deutschsprachigen Sektion der vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingstuften „Identitären Bewegung“ (IB), ist nicht nur ein enger Vertrauter von Compact-Gründer Jürgen Elsässer. Er kommt in dessen Magazin auch immer wieder zu Wort, etwa in prominent platzierten Kolumnen und dem Videoableger des Magazins. Bei ihrer Prüfung des Compact-Verbotes befassten sich die Richter daher eingehend mit Sellners Ideologie und dessen „Identitärer Bewegung“. CORRECTIV hatte darüber bereits am Montag berichtet.

Deutsche erster und zweiter Klasse

Die Einschätzung der Juristen ist eindeutig: Sellners „Remigrationskonzept“ umfasst auch Staatsbürger mit migrantischem Hintergrund und beinhaltet eben nicht nur eine schärfere Migrationspolitik gegenüber Ausländern. Sellners Ziel ist es vielmehr, mit der „Remigration“ die „ethnokulturelle Identität“ zu bewahren und die sogenannte „ethnische Wahl“ zu verhindern. Dieses entspringt der Ideologie des Ethnopluralismus. Sellners Konzept, so das Gericht weiter, teilt Staatsbürger somit in Deutsche erster und zweiter Klasse ein. Das „Remigrationskonzept“ käme einer „Ausbürgerung“ gleich. Dies widerspricht nach Auffassung des Gerichts dem Gleichheitsprinzip, der Menschenwürde und dem Demokratieprinzip – und ist somit verfassungswidrig.

In Compact findet Sellner zwar immer wieder einen Platz, um seine Pläne zu verbreiten. Für ein Verbot des Magazins seien sein Einfluss auf Compact und die Abspielfläche, die das Magazin ihm biete, aber nicht groß genug, befanden die Richter. Das verfassungswidrige „Remigrationskonzept“, das auch Staatsbürger betrifft, sei für Compact nicht „prägend“.

Für die IB könnten die Ausführungen des Gerichts zu Sellners Konzept höchst relevant werden. Denn zwar nicht für Compact, wohl aber für die IB, kann Sellners Ideologie durchaus als „prägend“ bezeichnet werden.

Blaupause für ein Verbotsverfahren der „Identitären Bewegung“?

Staatsrechtler betrachten die Urteilsbegründung denn auch als Blaupause für ein mögliches Verbotsverfahren gegen die IB. „Die Passagen, in denen sich das Gericht mit der Identitären Bewegung befasst, lesen sich wie wie eine Handlungsanleitung für ein Verbot dieser Gruppierung“, sagte der Staatsrechtler Kyrill-Alexander Schwarz, Professor für Öffentliches Recht an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, auf Anfrage von CORRECTIV. Das Gericht stelle in seiner Urteilsbegründung klar, dass die Ideologie der IB und das Konzept der sogenannten „Remigration“ Menschen in Menschen erster und zweiter Klasse einteile und somit gegen die Menschenwürde verstoße und als verfassungswidrig einzustufen sei. „Legt man die Einschätzungen des Gerichts zugrunde, erscheint ein Verbotsverfahren gegen die IB fast schon zwingend“, sagte Schwarz.

Markus Ogorek, Leiter des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre an der Universität Köln, sagte CORRECTIV, Deutschlands oberste Verwaltungsrichter hätten „noch einmal unterstrichen, dass von der Identitären Bewegung aktive und zielgerichtete Bestrebungen gegen unsere Verfassungsordnung ausgehen.” Anzunehmen, allein aus diesen Erwägungen eine Verbotsverfügung stricken zu können, wäre zwar „vorschnell” sagte Ogorek. „Das Urteil erhöht aber zumindest die Dringlichkeit einer Prüfung durch das zuständige Bundesinnenministerium und liefert weitere gewichtige Argumente”, sagte Ogorek. „Am Ende bleiben Vereinsverbote, wie das Compact-Verfahren gezeigt hat, stark vom Einzelfall und der vorgelegten Beweisführung abhängig, sodass wir hier immer mit einer gewissen Restunsicherheit arbeiten müssen.”

Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums sagte zur Frage nach den Konsequenzen aus dem Urteil und einem etwaigen Verbotsverfahren gegen die IB auf Anfrage von CORRECTIV lediglich, die „sorgfältige Auswertung der Urteilsgründe“ dauere an. „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir uns grundsätzlich nicht zu Verbotsüberlegungen äußern, unabhängig davon, ob zu solchen Überlegungen im Einzelfall Anlass besteht.“

Grüne mahnen Prüfung des Urteils an

Der Druck für die Prüfung eines solchen Verfahrens könnte indes wachsen. Die Grünen kündigten an, sich die Urteilsbegründung hinsichtlich der Auswirkungen auf mögliche weitere Verbote genau anzuschauen. „Alle in Verantwortung Stehenden, allen voran im Bundesinnenministerium, sind aufgefordert, dies ebenfalls zu tun“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Konstantin von Notz, der zugleich als Vize-Vorsitzender des Parlamentarischen Gremiums zur Kontrolle der Geheimdienste fungiert. Mit „allzu vorschnellen Schlüssen“ sei man zurückhaltend. Das Gericht gebe aber konkrete Hinweise zur Auslegung der Verfassung, „die im Kontext von Partei- und Vereinsverboten relevant werden können“, sagte von Notz. „Gerade die Ausführungen zu dem maßgeblich im direkten Umfeld der Identitären Bewegung ersonnenen Konzept der Remigration sind sehr interessant.“

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) bezifferte die Zahl der Mitglieder und Anhänger der IB in seinem Jahresbericht für 2024 auf 450. Die Zahl wirkt überschaubar. Innerhalb der Bewegung der sogenannten „Neuen Rechten“ erfüllt die IB nach Ansicht von Experten aber eine wichtige Funktion. Der Extremismusforscher Matthias Quent etwa sagte im Spiegel, die IB verschiebe durch ihre Aktionen und Parolen „immer wieder die Grenzen dessen, was gesagt werden kann“. Davon profitierten auch andere rechtsextremen Gruppierungen.

Auch in der AfD dürften die Passagen, in denen die Richter sich mit Sellner, der IB sowie dem Konzept des sogenannten „Ethnopluralismus“ und der Forderung nach „Remigration“ befassen, aufmerksam gelesen werden. Denn trotz eines Unvereinbarkeitsbeschlusses stehen einige Mitglieder der AfD im engen Austausch mit Anhängern und Aktivisten der IB. Eine Recherche des Bayerischen Rundfunks zeigte, dass in der vergangenen Legislaturperiode Bundestagsabgeordnete der AfD Anhänger der IB sogar als Mitarbeiter beschäftigten.

Angesichts dieser Nähe zwischen AfD-Mitgliedern und IB-Anhängern könnten die Ausführungen der Leipziger Richter zur IB also auch für die Diskussion um ein mögliches Verbotsverfahren gegen die AfD relevant werden. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Maximilian Krah scheint diese Gefahr erkannt zu haben. Krah hatte bereits im Sommer vor einem Verbot der IB gewarnt und eine Distanzierung von der Gruppierung angemahnt. Angesichts des nun vorliegenden Urteils des Bundesverwaltungsgerichts schrieb Krah auf der Plattform X – gemünzt offenbar in Richtung seiner Parteifreunde: „Remigration ja, aber Finger weg von Staatsbürger!