Neue Räume für CORRECTIV
Volles Haus an diesem Dienstag im neuen CORRECTIV-Buchladen in Essen. Das Recherchezentrum eröffnet sein neues Büro für Nordrhein-Westfalen, eine Kombination aus Redaktion, Cafe und Buchladen.
Mehr als 100 Gäste haben Platz gefunden in den neuen Räumen von CORRECTIV in Essen. Dass der Laden voll war, hat aber auch mit dem Thema des Abends zu tun. Es geht um Gesundheit und Krankheit, konkret: Wie Krebskranke mit den für sie lebensrettenden Arzneien ausreichend versorgt werden – oder eben nicht.
Das Ruhrgebiet macht da gerade ihre besonderen Erfahrungen. Hier in Essen steht Peter S. (43) vor Gericht, der Apotheker aus Bottrop, der gepanschte – und damit wohl vielfach unwirksame – Zytostatika an mehrere tausend Patienten verkauft haben soll.
Nicht wenige der Zuhörer sind selbst Betroffene. So sind die „Onko-Mädels“ aus Bottrop da, eine Gruppe von Krebspatientinnen und Kundinnen der Alten Apotheke, die sich nach dem Auffliegen des Skandals locker organisiert haben.
Oliver Schröm, der künftige CORRECTIV-Chefredakteur, und sein Kollege Niklas Schenck haben aber weit über den Fall Bottrop hinaus zu berichten. Sie haben gemeinsam das Buch „Die Krebs-Mafia“ (Lübbe-Verlag) geschrieben und kennen die Szene, die sich das Gesundheitssystem zur Beute mache. Sie haben teilweise mit versteckter Kamera die belastenden Gespräche aufgezeichnet.
Die Geschichten handeln von Apothekern und Pharmahändlern wie dem Hamburger „Imoglobin-König“ und auch Ärzten, die aus einem Milliarden-Markt illegalen persönlichen Profit schöpfen. Von Bestechung, auf die Spitze getriebenen Arznei-Preisen und von Patienten, die dem hilflos gegenüberstehen, wenn sie verdorbene Therapien weit hinter dem Ablauf-Datum untergejubelt bekommen. Der Skandal der „Alten Apotheke“ von Bottrop „ist nicht die Ausnahme“, sagt Oliver Schröm.
Das Publikum ist überraschend fachkundig. Nicht nur Patienten, sondern auch Insider der medizinischen Berufe sind gekommen – Ärzte und Apotheker. Spannend fallen die Erinnerungen eines Krankenhaus-Apothekers aus Essen aus, der bis 2009 über 39 Jahre lang selbst Krebsmedikamente in Kliniken erstellt hat. Er sagt, „der Markt“ habe die Krebsmedikation an sich gerissen.
„Bei uns wurden die Medikamente individuell für die Patienten erstellt. Wenn diese, weil sie sich schlecht fühlten, die Präparate nicht einnehmen konnten, dann haben wir die Medikamente vernichtet“, sagt er. In seiner Zeit hätten sie in den Kliniken „die Zytostatika-Entwicklung vorangetrieben“. Heute sei dies anders. Selbst abgelaufene Arzneien würden angeboten. „Es gibt keine Ethik mehr in diesem Bereich“.
Das Problem der abgelaufenen Arzneien ist aktuell. Auch eine ehemalige pharmazeutische Assistentin und heutige Ärztin äußert sich dazu an dem Abend in der Akazienallee. Als Zuhörer wissen wollen, wie sich Patienten denn in der Arztpraxis verhalten sollen, gibt sie eine direkte Empfehlung: „Mut, den Arzt anzusprechen. Und zuerst die Ampulle mit dem Ablaufdatum fotografieren, bevor mir der Arzt was ins Auge spritzt“.
Heute drängen sogar Krankenkassen dazu, abgelaufene Arzneien zu verkaufen, wird bekannt. Sie verklagen Apotheker, die sich an eigentlich vorgegebene Daten halten, auf Schadenersatz.
Es gibt noch einen Aspekt: Wie kontrolliert der Staat das Geschäft mit den Krebsmedikamenten? Verfolgt die Justiz Fehlverhalten? Erst seit kurzem, berichten Schröm und Schenck. Denn erst jetzt, seit 2016, kann Korruption im Gesundheitswesen besser verfolgt werden. Aber eben noch nicht gut genug.
Der Abend zeigte, wie sich CORRECTIV den neuen Laden vorstellt: Menschen kommen zusammen, diskutieren, trinken und stöbern in Büchern, die von der Redaktion empfohlen sind. Darunter sind Bücher über guten Journalismus, Graphic Novels und Sachbücher – und alle Bücher, die im Verlag von CORRECTIV erscheinen.
In den Räumen sitzt auch die Essener Redaktion. Mit dem Laden will das Recherchezentrum neue Wege gehen, ein Treffpunkt für Bürger und Journalisten sein. Und auch ein Ort für tollen Kaffee.
Der Laden liegt in der Akazienallee 8-10 in Essen und ist montags bis freitags von 10 bis 18:30 Uhr geöffnet. Sowie samstags, „falls einer da ist“. So steht es an der Tür.