Wie Inhalte der AfD den Wahlkampf auf Youtube dominieren
Wer sich auf Youtube über die bayerische Landtagswahl informieren will, landet schnell bei der AfD. Sechs Videos von oder über die Partei schaffen es unter die zehn meistgeklickten Videos im vergangenen Monat. Warum sind die Inhalte so präsent?
Nach einer gemeinsamen Recherche von CORRECTIV und BR24. Mitautorin: Jenny Stern
Grüne Wiesen, ein Song bayerischer Künstler und eine „Abrechnung“ mit deutschen Promis: Auf den ersten Blick wirken die erfolgreichsten Youtube-Videos zur Landtagswahl in Bayern vielfältig. Doch insgesamt dominiert die AfD die Top 10 der meistgeklickten Videos. Zu sehen sind ein Werbespot der Partei, das Video einer bayerischen Bundestagsabgeordneten und vier Wahlkampfreden der Co-Vorsitzenden der Bundestagsfraktion Alice Weidel und des Thüringer Vorsitzenden Björn Höcke.
Wir haben den gesamten September die meistgeklickten Videos auf Youtube zur bayerischen Landtagswahl analysiert. Der erfolgreichste Clip hat mehr als 950.000 Ansichten (Views), der Clip auf Platz 10 immer noch mehr als 59.000. Von den sechs AfD-Videos stammt eines von einem offiziellen Kanal der Partei (AfD Bayern TV), eines vom Kanal einer AfD-Politikerin und vier von AfD-Unterstützer-Kanälen.
Für unsere Analyse haben wir die meistgeklickten Videos zu den Stichworten „Bayern Wahl“, „Landtagswahl Bayern“, „Wahlkampf“ und „Bayern“ gesucht. Fußballvideos haben wir aus den Trefferlisten ausgeschlossen.
Außer der CSU, den Grünen und der AfD schaffte es keine andere Partei in die Top 10. Dafür aber „Russia Today“ (RT). In dem Video reisen Journalisten des von Russland finanzierten TV-Senders durch Bayern und sprechen mit Kandidaten und Bürgern über den Wahlkampf. Zu Wort kommen Politiker der CSU, AfD, SPD und Grünen.
Die AfD-Unterstützer-Kanäle
Obwohl nur zwei Videos eines offiziellen AfD-Kanals unter den Top 10 landen, sind die Inhalte der Partei unverhältnismäßig präsent. Denn zehntausende Nutzer klickten auf Videos von AfD-Unterstützer-Kanälen. Drei der Videos in unserer Auswertung stammen vom Kanal „PolitikUpdate“. Darin zu sehen: drei Reden Alice Weidels, der Vizevorsitzenden der AfD-Bundestagsfraktion.
AfD-Wahlkampfreden sind das bestimmende Format des Kanals „PolitikUpdate“, der erst seit Anfang September existiert. Seitdem wurden dort 95 Videos veröffentlicht und damit erstaunlich viele Zuschauer erreicht: Das Top-Video („Schlagabtausch zwischen Schulz und Gauland“) hatte mehr als 302.000 Ansichten. Nicht bekannt ist, wer den Kanal betreibt. Allerdings ist eine Webseite unter den Videos verlinkt: „Unterstützt unabhängigen Journalismus: Express-Zeitung“.
Die „Express Zeitung“ sitzt in der Schweiz. In den meist monatlich erscheinenden Online-Ausgaben zweifeln Autoren an, dass Menschen auf dem Mond gelandet sind, sie bezweifeln die Wirkung von Impfstoffen oder kritisieren die Migrationspolitik. Einer der Geschäftsführer ist André Barmettler. Er schreibt auf Anfrage, die „Express Zeitung“ habe nichts mit dem erwähnten Youtube-Kanal zu tun. Bei dem Link auf Youtube handele es sich um ein Partnerprogramm: „Der Link auf unsere Seite ist ein Affiliate-Link, wofür man sich anmelden kann, wenn man die Zeitung bewerben möchte. Bei einem Abschluss eines neuen Abonnements, welcher durch einen solchen Partnerlink vermittelt wurde, erhält der Affiliate-Partner eine entsprechende Kommission.“
Noch ein zweiter Unterstützer-Kanal der AfD taucht in unserer Recherche auf. Auf Platz 8 landet das Video einer Rede von Björn Höcke, die er in Bayern gehalten hat. Das Video wurde vom Kanal „LokalFernsehen“ hochgeladen. Der Kanal postet verschiedene Videos anderer Kanäle, oft über die AfD, zum Beispiel von „RT Deutsch“, aber auch von öffentlich-rechtlichen Sendern. Auch Artikel von Seiten wie „Journalistenwatch“ oder „Anonymousnews“, die für Falschmeldungen bekannt sind, verbreitet der Kanal. In den vergangenen Wochen war er sehr aktiv, postete AfD-Inhalte, Reden, die auf Wahlkampfveranstaltungen oder im Bundestag gehalten wurden. Das Video der Rede Höckes erreichte für den Kanal ungewöhnlich viele Klicks: knapp 60.000. Die meisten Videos der vergangenen Wochen haben nur ein paar hundert Ansichten, viele aber auch weniger. Die AfD dominiert die Top 10 durch Kanäle wie „PolitikUpdate“ und „Lokalfernsehen“.
Was hinter solchen Unterstützer-Vereinen stecken könnte, ordnet Joachim Trebbe ein. Er hat ein ähnliches Phänomen bereits in der Schweiz beobachtet. Trebbe ist Professor für Kommunikationswissenschaften an der Freien Universität Berlin, forscht unter anderem zum Nutzerverhalten in den Sozialen Medien. In der Schweiz komme die Kampagnenarbeit bei Volksabstimmungen weniger von den Parteien selbst, sagt er. Sondern vielmehr von Vereinen, die für das Programm einer Partei werben: „Parteien wollen Abstimmung nicht offen beeinflussen, sondern verdeckt – über Vereine“, sagt Trebber.
Die AfD-Unterstützer-Kanäle könnten laut Trebbe denselben Zweck erfüllen: Das Video stehe nicht unter dem Banner einer Partei, sondern wirke eher wie eine thematische Initiative. Trebbe sagt: „Wer so ein Video sieht, denkt nicht zuerst: Ach, das ist AfD, das schaue ich mir nicht an.“
Wie die Videos sich auf Desinformationsseiten weiterverbreiten
Einmal auf Youtube veröffentlicht, werden die Videos mit AfD-Inhalten über andere Webseiten weiterverbreitet. Dabei fallen in unserer Analyse die Webseiten „Gloria.tv„, „Ungeheuerliches“ und „Friedliche-loesungen.org“ auf.
„Gloria.TV“
„Gloria.TV“ ist bekannt für erzkonservative Inhalte. Damit ist die Seite seit Jahren erfolgreich, oft auch mit gezielter Desinformation. Im Sommer des vergangenen Jahres recherchierte BuzzFeedNews die erfolgreichsten Artikel über Angela Merkel auf Facebook zwischen 2012 und 2017. Das Ergebnis: Sieben von zehn Artikeln waren Falschmeldungen. Die erfolgreichste Meldung in den fünf Jahren war ein falsches Merkel-Zitat, das über GloriaTV verbreitet wurde.
„Die erfolgreichste Fake News über Angela Merkel hat der Analyse zufolge nicht nur mehr Interaktionen als alle anderen Artikel über Merkel, sondern sogar als jegliche Artikel der meisten deutschen Leitmedien. Egal ob BILD, Spiegel, Süddeutsche Zeitung, FAZ oder Stern – kein Artikel aus diesen Quellen hat auf Facebook so viele Interaktionen erzeugt wie das erfolgreichste Stück, um das es in dieser Analyse geht”, schrieb BuzzFeedNews.
„Gloria.TV“ funktioniert ähnlich wie Youtube. Nutzer können Videos hochladen. Aber die Seite veröffentlicht auch regelmäßig eigene Nachrichten-Clips. Medien wie „Spiegel“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, „Le Monde“ und „Financial Times“ bezeichnet der Sender darin als „Oligarchen-Medien”, die Missbrauchsfälle in der Kirche „hochspielen” würden.
Auch AfD-Wahlkampfreden werden auf der Seite regelmäßig geteilt. In unserer Analyse teilt Gloria.TV zwei Reden von Weidel, eine von Höcke. Gloria.TV bezeichnet sich selbst als „gemeinnütziges, weltumspannendes katholisches soziales Netzwerk”. Der Sender gibt an, eine private Initiative zu sein, „die nicht direkt mit der kirchlichen Hierarchie verbunden ist”. Im Impressum wird eine US-amerikanische Adresse in Dover (Delaware) genannt.
Die katholische Kirche in Deutschland distanziert sich ausdrücklich von der Seite. „Die Deutsche Bischofskonferenz ist in keiner Weise an gloria.tv beteiligt”, schreibt Pressesprecher Matthias Kopp auf Nachfrage. Bereits 2013 hatte sich die Kirche distanziert, nachdem der Sender unerlaubt Angebote von kirche.tv, dem offiziellen Account der Katholischen Fernseharbeit, übernommen hatte. „Gloria.tv ist eine Art YouTube für katholische Radikale”, schrieb „Spiegel Online“ 2013 in einem Artikel. „Die Zeit“ bezeichnete die Seitenbetreiber als „katholische Fundamentalistentruppe”. Aktuell wird die Seite des Senders anonym betrieben.
„Ungeheuerliches“
Auf der Website „Ungeheuerliches“ können sich User durch einen Video-Mix aus vermeintlichen Ufo-Sichtungen, Verschwörungstheorien und Reden der AfD klicken. Aus der kontroversen Mischung von Videos machen die Betreiber kein Geheimnis. „Politik, Grenzwissenschaft, UFOs, Verschwörungstheorien und kurioses aus aller Welt” lautet der offizielle Untertitel der Webseite. Die Seite „Ungeheuerliches“ verbreitete das Video der AfD-Bundestagsabgeordneten Corinna Miazga und Björn Höckes Rede. Ansonsten stammen besonders viele geteilte Videos von „Anonymousnews“. Auch Artikel der Blogs „Philosophia Perennis“, „PI-News“ und „News for friends“ finden sich auf der Seite. Alle vier haben in der Vergangenheit falsche oder teilweise falsche Meldungen verbreitet und gezielt desinformiert.
Im Impressum der Website von „Ungeheuerliches“ ist der Name Michael Stawicki als Verantwortlicher samt einer Adresse in der Nähe von Bonn eingetragen. Auf Twitter postet ein Account unter demselben Namen Links zum AfD-nahen „Compact-Magazin“, „Philosophia Perennis“ und „RT Deutsch“. Die Top-Google-Treffer für den Namen Michael Stawicki führen zu einem ehemaligen Präsidenten der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Auf Nachfrage stellt er klar, nichts mit der Seite zu tun zu haben und nicht der genannte Michael Stawicki zu sein.
„Friedliche Lösungen“
Die Seite „Friedliche-loesungen.org“ verbreitet das Video von „RT Deutsch“ und die Wahlkampfrede von Höcke. Auch diese Seite basiert zum großen Teil auf von anderen Portalen übernommen Meldungen. Sie wirbt damit, angemeldeten Benutzern einen eigenen „Nachrichtenstrom” aus deren bevorzugten Quellen zur Verfügung zu stellen. Zur Auswahl stehen dafür beispielsweise die Seiten „Ungeheuerliches.de„, „Watergate“, „Sputniknews“, „pravda.tv„, die in der Vergangenheit Falschmeldungen weiterverbreitet haben. Im Impressum der Seite steht eine englische Adresse in Manchester.
Das sagen die bayerischen Parteien zu Youtube
Nur drei Parteien sind unter den zehn meistgeklickten Videos in unserer Analyse vertreten. CSU und Grüne mit je einem Video ihres offiziellen Kanals und die AfD direkt und indirekt durch sechs Videos von Unterstützer-Kanälen und ein Video der AfD-Bundestagsabgeordneten Corinna Miazga. Für wie wichtig halten die Parteien selbst den Wahlkampf auf Youtube? Wir haben nachgefragt.
Der Wahlwerbespot der Grünen erreichte in unserem Ranking den vierten Platz. Die Grünen Bayern nutzen Youtube „als wichtige Ergänzung vor allem für diejenigen, die aktiv im Netz nach uns suchen. Hier bleiben die Inhalte länger präsent als z.B. in der Facebook-Timeline”, schreibt ihre Pressesprecherin. Weil Bewegtbild immer wichtiger werde, bereite man verstärkt Inhalte in Videoform auf. Die CSU antwortete bis Redaktionsschluss nicht auf unsere Presseanfrage.
Die AfD Bayern möchte auf Nachfrage weder kommentieren, ob sie Youtube für den Wahlkampf nutzt, noch warum und wie. „Zum großen Teil werden unsere Plattformen von ehrenamtlichen Unterstützern aus der Bevölkerung gepflegt”, antwortet die Partei allgemein auf unsere Anfrage und distanziert sich damit von der Verantwortung für ihre Kanäle.
Für die SPD spiele Youtube im Wahlkampf „eine unterstützende Rolle”, um die Reden der Spitzenkandidatin, Streams ihrer Gesprächsreihe, Aufrufe zu Demonstrationen und Wahlwerbespots zu teilen. Außerdem nutze die Partei Youtube für das Untertiteln ihrer Videos.
Die Freien Wähler schreiben: „Wir konzentrieren uns auf die etwas politischere Plattform Facebook.” Youtube werde aufgrund begrenzter finanzieller und personeller Möglichkeiten „nicht zentral bedient”. „Im Vergleich eher weniger wichtig” findet die FDP Bayern Youtube für ihren Wahlkampf, dafür nutze sie eher andere Soziale Medien. Ähnlich antwortet die bayerische Linke: „Youtube hat einen geringeren Stellenwert als Facebook, Instagram oder Twitter.“ Auch die Bayernpartei nutzt Youtube „momentan eher nachrangig” und vor allem zum Teilen in anderen Sozialen Medien.
Problematische Plattform Youtube?
Die Hälfte der Videos, die wir analysiert haben, erreichten weniger als 100.000 Menschen. In der Welt der Youtube-Clips vergleichsweise wenig. Ist die Plattform für die Landtagswahlen überhaupt relevant? Informieren sich Menschen dort über Politik, wenn die Parteien selbst eher Facebook und Twitter vorziehen? In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov und der Jugendzeitschrift Bravo von Juni 2017 gaben 58 Prozent der 14- bis 17-Jährigen an, sich auf Youtube über politische Themen zu informieren. Youtube stand damit an erster Stelle der Sozialen Medien, noch vor Instagram, Facebook und Whatsapp.
Die Plattform ist aber nicht nur bei jungen Menschen populär. Laut YouGov-Umfragen waren 27 Prozent der Nutzer im vergangenen Monat über 55 Jahre alt. Das ist der größte Anteil in den verschiedenen Altersgruppen.
Dass Youtube bei den Älteren so populär ist, war zunächst eine Überraschung, sagt Kommunikationswissenschaftler Trebbe. Ein Grund dafür: Youtube sei ein Medium mit niedriger Schwelle. Die Videos und Kommentarfunktionen sind öffentlich, man brauche keine Hashtags zu kennen, wie etwa auf Twitter, so Trebbe.
Den Kommunikationswissenschaftler Alexander Sängerlaub überrascht es nicht, dass unter den meistgeklickten Videos unserer Analyse viele AfD-Unterstützer-Kanäle sind. Er hat für den Berliner Thinktank „Stiftung Neue Verantwortung“ die Nutzung von Sozialen Medien verschiedener Wählergruppen im Zusammenhang mit der Bundestagswahl 2017 untersucht. „Die Wähler der AfD haben den Eindruck, wahre Informationen nur direkt von der Partei zu bekommen oder über der Partei nahestehende Angebote und auf alternativen Medienplattformen”. Tatsächlich passiere dadurch oft genau das Gegenteil, da die Beiträge weder seriös journalistisch aufbereitet sind, noch objektiv informieren. „Das ist einerseits nicht jedem bewusst und andererseits auch eine Strategie, bei der die Presse ausgeschaltet wird”, so Sängerlaub. Durch die direkte Kommunikation der Parteien über die sozialen Netzwerke falle die Einordnung und Hintergrundberichterstattung durch Journalisten weg.
„Teilöffentlichkeit“ nennt Kommunikationswissenschaftler Joachim Trebbe das. Diese Teilöffentlichkeit wird schnell zur einzigen Öffentlichkeit vieler Nutzer. Das liegt auch an den Plattformen selbst. Trebbe sagt: „Die Filterbubble ist allgegenwärtig.“ Denn auf Youtube bekommen Nutzer Videos vorgeschlagen, die sie möglichst lange auf der Seite halten sollen. Die Clips mit den besten Aussichten darauf wählt ein Algorithmus aus. Wer sich also mehrere Clips über die AfD ansieht, erhält bald ähnliche Vorschläge – solche, die das System passend für die angenommene Meinung hält.