Faktencheck

Corona-Kettenbrief enthält mehrere Falschaussagen und unbelegte Behauptungen zu China 

Auf Whatsapp wird ein Kettenbrief geteilt, in dem suggeriert wird, die chinesische Wirtschaft profitiere vom neuartigen Coronavirus. Viele der Behauptungen, mit denen das belegt werden soll, sind falsch oder ohne Belege.

von Steffen Kutzner , Bianca Hoffmann

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Symbolbild: Statistiken zu Corona-Zahlen. (Quelle: Pexels/Markus Spiske)
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Größtenteils falsch. Von den sieben Behauptungen, die wir geprüft haben, sind sechs überwiegend falsch oder unbelegt.

Leser haben uns viele Anfragen zum Wahrheitsgehalt eines Kettenbriefes geschickt, der offenbar vor allem auf Whatsapp geteilt wird. In dem Text gibt es zahlreiche Behauptungen, die suggerieren, China profitiere wirtschaftlich vom Ausbruch des Coronavirus, sei aber selbst kaum betroffen – weder vom Virus noch von den wirtschaftlichen Folgen.

Der auf Whatsapp geteilte Kettenbrief. (Screenshot und Collage: CORRECTIV)

In der Whatsapp-Nachricht werden mehrere Behauptungen aufgestellt. Wir haben die wesentlichen geprüft.

1. Behauptung: Das Coronavirus sei nie in Peking, Shanghai oder anderen wichtigen Städten Chinas angekommen

Das Coronavirus wurde nach Angaben der chinesischen Behörden auch in großen Städten Chinas nachgewiesen, darunter Peking, Shanghai und Hongkong. Die Infektionszahlen sind jedoch sehr klein im Vergleich zur Provinz Hubei. Dort liegt auch Wuhan, wo das Virus vermutlich seinen Ursprung hatte.

Fallzahlen der chinesischen Behörden für Provinzen und Städte vom 13. Mai 2020. (Quelle: DXY, Screenshot: CORRECTIV)

Mit Stand vom 13. Mai meldete China 1.050 Fälle in Hongkong, 660 in Shanghai, 593 in Peking und 68.134 für die Provinz Hubei. Diese Angaben sind auf der Webseite von DXY gelistet, einer chinesischen Plattform, die ihre Daten laut eigener Aussage von den nationalen Gesundheitsbehörden bezieht.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gibt auf ihrer Webseite für Peking (in den Daten unter dem englischen Namen Beijing) am 28. Februar 410 Fälle an, am 6. März 422 und am 15. März 442. Shanghai meldete laut WHO am 28. Februar 337 Fälle, am 6. März 339 und am 15. März 353.

Auszug aus der Übersicht der WHO zu den SARS-CoV-2-Zahlen in den chinesischen Provinzen vom 15. März. (Quelle: WHO, Screenshot: CORRECTIV)

Die Johns-Hopkins-Universität zählt am 14. Mai 2020 für Hongkong 1.050 kumulierte Fälle, für Peking 593, für Shanghai 660 und für die Provinz Hubei 68.134 – die Universität stützt sich also auf die von China offiziell gemeldeten Zahlen.

Deren Verlässlichkeit wurde in der Vergangenheit jedoch angezweifelt, Ende März gab es unter anderem von der Tagesschau, der Süddeutschen und der Deutschen Welle kritische Berichte.

Fallzahlen der Johns-Hopkins-Universität vom 14. Mai 2020 für die Städte Hongkong, Shanghai, Peking und die Provinz Hubei. (Screenshot und Collage: CORRECTIV)

Fazit: Die Behauptung ist falsch. Das Coronavirus ist auch in anderen Städten Chinas angekommen, auch wenn die Infektionszahlen gemäß der offiziellen Angaben deutlich niedriger sind als in Wuhan.

2. Behauptung: Wuhan sei „plötzlich“ frei von Covid-19

Es gab nach Angaben der chinesischen Behörden zwischen dem 3. April und dem 8. Mai keine neuen Infektionsfälle mehr in Wuhan. Die Zahl der akut Infizierten ist rückläufig: Am 1. April hatte es laut der Webseite der chinesischen Gesundheitskommission in Wuhan noch 1.128 Infektionen gegeben. Am 16. April waren es nur noch 129 und am 23. April 47

Am 17. April hatte Wuhan jedoch die Fallzahlen nach oben korrigiert: Die kumulativen Fälle wurden um 325 auf 50.333 Fälle erhöht und die Todesfälle um 1.290 auf 3.869 Fälle. Am 9. Mai meldeten die chinesischen Behörden einen neuen Fall und am 10. Mai fünf neue Fälle in der Region Hubei, seitdem keine mehr (Stand: 13. Mai). Ob diese Fälle in der in Hubei gelegenen Stadt Wuhan auftraten, geht aus den Pressemeldungen nicht hervor. 

 

Die WHO nennt in ihren täglichen Berichten keine Zahlen für Wuhan oder Hubei, sondern nur für ganz China. Am 13. Mai 2020 gab es sieben Neuinfizierte, womit sich die Zahl auf bisher insgesamt 84.458 Fälle erhöht hat. Laut den chinesischen Gesundheitsbehörden galten am 13. Mai 79.635 Fälle davon in China als geheilt. 

Fazit: Dass Wuhan „plötzlich“ frei vom Coronavirus gewesen wäre, ist den veröffentlichten Zahlen zufolge irreführend. Richtig ist aber, dass die Fallzahlen stark zurückgegangen sind und es seit Anfang April nach offiziellen Angaben nur einzelne Neuinfektionen gab.

3. Behauptung: Die chinesischen Aktienmärkte seien im Gegensatz zu den europäischen und amerikanischen Märkten nicht zusammengebrochen

Malte Rieth, wissenschaftlicher Mitarbeiter in den Abteilungen Makroökonomie und Konjunkturpolitik des Deutschen Instituts für Wirtschaft in Berlin, antwortete auf eine Presseanfrage von CORRECTIV, der chinesische Markt habe zwischen Januar und März 2020 „über 30 Prozent an Wert“ verloren. Aktuell betrage der Verlust gegenüber Januar noch „etwa 10 Prozent“. Die europäischen und amerikanischen Märkte seien zwischen Januar und März ebenfalls um „etwa 35 Prozent“ eingebrochen. Aktuell betrügen die Verluste im Vergleich zu Januar noch „etwa 20 Prozent“.

Auszug aus der E-Mail des Deutschen Instituts für Wirtschaft. (Screenshot: CORRECTIV)

Fazit: Die Behauptung ist falsch. Die chinesischen Märkte sind ebenfalls eingebrochen.

4. Behauptung: China habe ein Virus geschaffen, gegen das schon vorher ein Mittel existierte 

Nach Einschätzungen der WHO, des Robert-Koch-Instituts (RKI) sowie einem Statement von mehr als 25 Forschern im Journal The Lancet gibt es keine Hinweise, dass das Coronavirus künstlich erzeugt sein könnte. „Wissenschaftler aus mehreren Ländern haben Genome des SARS-CoV-2 Erregers veröffentlicht und analysiert, und sie kommen mit überwältigender Mehrheit zu dem Schluss, dass dieses Coronavirus von Wildtieren stammt“, schreiben die Wissenschaftler in The Lancet. Autoren einer neueren Studie im wissenschaftlichen Journal Nature kommen nach einer genetischen Analyse des Coronavirus ebenfalls zu dem Schluss: „SARS-CoV-2 ist kein Labor-Konstrukt oder absichtlich manipuliertes Virus.“

Ein „starker Beleg“ dafür sei, dass die Interaktion des Virus mit den menschlichen ACE2-Rezeptoren „nicht ideal“ sei. Dies deute darauf hin, dass es durch „natürliche Auslese“, also Evolution zustande kam. Wir haben die Behauptung, das Virus sei absichtlich manipuliert worden, bereits in unserem Faktencheck zu den 15 häufigsten Gerüchten über das Coronavirus aufgegriffen.

Es gibt bisher laut RKI weder einen Impfstoff noch ein Heilmittel gegen Covid-19: „Eine spezifische, das heißt gegen das neuartige Coronavirus selbst gerichtete Therapie steht derzeit noch nicht zur Verfügung.“ 

Das RKI informiert auf seiner Webseite, aktuell stehe kein Impfstoff gegen Covid-19 zur Verfügung. (Quelle: RKI, Screenshot: CORRECTIV)
Auch spezifische Therapien gegen das neuartige Coronavirus gibt es laut RKI derzeit noch nicht. (Quelle: RKI, Screenshot: CORRECTIV)

Fazit: Gegen das Coronavirus gibt es bisher keinen Impfstoff und auch kein Heilmittel. Zudem gibt es bisher keine Hinweise darauf, dass das Virus künstlich „geschaffen“ worden sein könnte. 

5. Behauptung: In dutzenden Ländern würden Fabriken und Produktionslinien stillstehen

Dass in vielen Ländern einzelne Produktionsbereiche teilweise zurückgefahren wurden, ist richtig. So wurde in Deutschland zum Beispiel bei VW die Produktion in mehreren Werken pausiert. Auch BMW hatte am 18. März verkündet, alle europäischen Automobilwerke und ein Werk in Südafrika vorübergehend zu schließen. (ab Minute 4:46) Laut dem Statistikamt der EU, Eurostat, hatte die Corona-Pandemie zumindest bis März jedoch keinen starken Einfluss auf die Industrieproduktion Europas insgesamt. Aktuellere Daten liegen noch nicht vor. 

Veranschaulichung der Industrieproduktion in der EU von April 2019 bis März 2020. (Quelle: Eurostat, Screenshot: CORRECTIV)

Das chinesische Amt für Statistik meldete einen Produktionsrückgang in der Industrie von 13,5 Prozent in den ersten beiden Monaten des Jahres 2020 im Vergleich zum Vorjahr. Im März erholte sich die Produktion jedoch und der Rückgang betrug noch 1,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Fazit: Die Aussage ist richtig. In vielen Ländern der Welt stehen oder standen Teile der Industrieproduktion still.

6. Behauptung: Russland und Nordkorea seien „fast völlig frei“ von Covid-19

Diese Aussage ist für Russland falsch und für Nordkorea unbelegt. Die WHO hat zum 13. Mai 242.271 Fälle des Coronavirus in Russland registriert. 

Ausschnitt aus der interaktiven Karte zum Coronavirus der WHO. Für Russland sind mit Stand 13. Mai 2020 242.271 Fälle angegeben. (Screenshot und Markierung: CORRECTIV)

Über Nordkorea liegen der WHO keine Fallzahlen vor. Auf der Webseite des Auswärtigen Amtes heißt es dazu: „Aussagen darüber, ob es in Nordkorea zu Infektionen gekommen ist, sind nicht möglich. Es muss davon ausgegangen werden, dass das örtliche Gesundheitssystem nicht über die Möglichkeiten zu Diagnose und Behandlung einer akuten COVID-19-Erkrankung verfügt.“ 

Fazit: Die Aussage ist für Russland falsch und für Nordkorea unbelegt. Russland hat 242.271 Fälle gemeldet. Offizielle Zahlen für Nordkorea gibt es nicht.

7. Behauptung: China habe geschafft, den Ölpreis zu senken

Es ist richtig, dass der Ölpreis unter anderem in Folge der Coronakrise sank, die nach bisherigen Erkenntnissen in China ihren Ausgang nahm. Die Gemeinschaft ölexportierender Staaten (OPEC), der China nicht angehört, beschloss am 12. April 2020 via Videokonferenz eine Senkung der Fördermenge, um den Markt stabil zu halten. Die Coronakrise betrifft jedoch China insgesamt ebenfalls (wie wir bei der dritten Behauptung bereits dargelegt haben), weshalb die Aussage, dahinter stecke ein Interesse, den Ölpreis zu senken, reine Spekulation ist. 

Gesamtfazit: Abgesehen von der Behauptung, dass die Industrieproduktion in vielen Ländern zurückgefahren wurde, sind alle geprüften Behauptungen entweder falsch oder unbelegt.