Nein, die Grippe fordert jährlich nicht 25.000 Tote und ist auch nicht komplett verschwunden
„Komisch, mitten in der Grippesaison und niemand hat die Grippe“, schreibt ein Nutzer auf Facebook. Die Grippe habe in den letzten Jahren noch stets 25.000 Tote gefordert und sei nun komplett verschwunden, behauptet er weiter. Das stimmt so jedoch nicht.
Ein Nutzer auf Facebook behauptet am 3. Dezember, dass die Grippe in Deutschland „kürzlich“ noch jährlich 25.000 Menschen getötet habe, nun aber „komplett ausgerottet“ sei.
Unsere Recherchen ergaben: Die Grippewelle begann in den Vorjahren erst im Januar, nicht Anfang Dezember. Die Grippefälle sind aktuell auf einem niedrigen Niveau, das Influenzavirus ist jedoch nicht „ausgerottet“. Es sterben zudem nicht jährlich 25.000 Menschen an Influenza – in den vergangenen Jahren gab es immer wieder Grippesaisons in denen nur sehr wenige Menschen verstarben.
Es sterben nicht jährlich 25.000 Menschen in Deutschland durch Influenza
In dem Facebook-Beitrag wird behauptet, dass die Grippe „kürzlich noch jährlich 25.000 Tote“ gefordert habe. Das stimmt nicht.
Wie CORRECTIV bereits an mehreren Stellen berichtet hat (hier, hier und hier), werden die Todesfälle durch die Influenza für jede Saison anhand der sogenannten „Übersterblichkeit“ statistisch geschätzt. Laut dieser Schätzung starben in der Influenza-Saison 2017/2018 tatsächlich 25.000 Menschen in Deutschland an der Grippe. Dies war jedoch ein ungewöhnlich hoher Wert.
Es gab in den vergangenen Jahren auch mehrere Grippesaisons, in denen es laut Schätzung so gut wie keine Todesfälle gab. Beispielsweise die Saisons 2010/11, 2013/14 oder 2015/16. Die Zahlen schwanken von Saison zu Saison stark.
Die Grippe ist nicht „ausgerottet“
Mit der Behauptung, dass die Grippe „komplett ausgerottet“ sei, führt der Facebook-Beitrag ebenfalls in die Irre, denn er lässt wichtigen Kontext weg: Die Grippesaison hat zwar schon begonnen, nicht jedoch die übliche Zeit der „Grippewelle“. Laut RKI beginnt die Grippesaison Anfang Oktober, die Phase erhöhter Influenza-Aktivität startet aber meist erst im Januar. Der Facebook-Beitrag wurde am 3. Dezember 2020 veröffentlicht.
Auch eine Sprecherin des RKI bestätigte uns per E-Mail, dass die Grippewelle noch nicht begonnen habe.
Richtig ist, dass die aktuelle Grippesaison bisher mild verläuft und unter den Werten der Vorjahre liegt, wie die Arbeitsgemeinschaft Influenza des RKI auf ihrer Homepage bekannt gibt. Einen möglichen Grund gibt das RKI in seinen FAQ zu Covid-19 an: Durch die Einhaltung der AHA(+L)-Regeln (Abstand halten, Hygiene beachten, Alltagsmaske tragen und Lüften) sei das Ansteckungsrisiko für viele Atemwegserkrankungen deutlich reduziert.
174 laborbestätigte Grippefälle in zwei Monaten
Die „Aktivität akuter Atemwegserkrankungen“ ermittelt das RKI unter anderem anhand von Online-Meldungen durch freiwillige Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Online-Portals GrippeWeb. Derzeit melden laut RKI etwa 6.500 bis 8.500 Teilnehmende pro Woche, ob sie Symptome wie Husten, Schnupfen, Halsschmerzen oder Fieber haben.
Für die 49. Kalenderwoche (laut RKI-Bericht: 28. November bis 4. Dezember) schätzte das RKI aufgrund dieser Meldungen, dass bei 3,1 Prozent der Menschen in Deutschland Symptome einer akuten Atemwegserkrankung neu aufgetreten sind. Hier sind Covid-19-Fälle und Grippefälle inbegriffen, da das GrippeWeb laut RKI nicht zwischen verschiedenen Atemwegserkrankungen unterscheidet.
Es gibt jedoch weiterhin Influenza-Erkrankungen, die Krankheit ist nicht „ausgerottet“. Laut RKI wurden seit der 40. Meldewoche (Beginn der Grippesaison) insgesamt 174 laborbestätigte Influenza-Infektionen gemäß Infektionsschutzgesetz gemeldet. Tatsächlich sind dies jedoch sehr niedrige Werte – im Vorjahr um dieselbe Zeit habe es bereits das achtfache an Fällen gegeben (PDF, Seite 5).
Keine Influenza-Viren in Sentinel-Proben
Ein weiteres Monitoring-System für die Influenza in Deutschland sind die sogenannten Sentinel-Praxen. Das sind Arztpraxen, die Rachenabstriche von Patienten mit Grippesymptomen an das RKI senden, teilte uns die Sprecherin des RKI per E-Mail mit. Die Abstriche werden vom RKI unter anderem darauf geprüft, ob sie Influenza-Viren enthalten.
Laut dem aktuellen Influenza-Wochenbericht der Arbeitsgemeinschaft Influenza wurden in der 49. Kalenderwoche 164 Proben eingesandt, von denen keine positiv auf Influenza-Viren getestet wurde. Das war dem Bericht zufolge auch in den vorangegangenen vier Wochen so.
Laut der RKI-Sprecherin ist das jedoch keineswegs ungewöhnlich. Auf eine Anfrage von CORRECTIV heißt es: „In einer Zeit, in der nur wenige Influenzaviren zirkulieren, ist es daher normal, dass bei so einer kleinen Stichprobe keine Funde auftreten.“
Die Maßnahmen gegen das Coronavirus hätten „offensichtlich“ eine Auswirkung auf andere akute Atemwegserkrankungen, schreibt die Sprecherin weiter. Das zeige sich in den Daten des Grippeweb. Einen gewissen Effekt auf Influenza könne man annehmen, aber genaue Aussagen seien nicht möglich, da die Daten je nach Grippesaison stets stark schwanken.
Redigatur: Alice Echtermann, Steffen Kutzner
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck: