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Das Geschäft mit der Müdigkeit

Eiseninfusionen sollen helfen, wach und ausgeglichen zu werden. Doch oft werden schon Gesunde behandelt. Und die Therapie hat Risiken.

von Tania Röttger

Beat Schaub hält Eisen für ein Lebenselixier. Der Umsatz mit Eiseninfusionen beträgt durchschnittlich 6.000 Franken pro Tag.© Basile Bornand

Die Recherche erscheint gleichzeitig in der aktuellen Ausgabe des „Spiegel“.

Vor allem Frauen kommen zu ihm, sagt der Internist Beat Schaub in seiner sonnendurchfluteten Praxis in Binnigen, vor den Toren Basels. Um seinen Hals baumelt eine Kette, die er in einem Massaidorf gekauft hat, wo die Menschen Rinderblut trinken, um sich mit Eisen zu versorgen. Eisen, glaubt Schaub, sei ein Lebenselixier. Und Menschen, die unter Eisenmangel leiden, seien wie vertrocknete Pflanzen, deren Blattspitzen herunter hängen. Er müsse sie begießen, damit sie wieder grün werden.

Hinter ihm liegen Edelsteine auf einem Tisch, im Schrank steht ein Buch mit dem Titel „Chemotherapie heilt Krebs und die Erde ist eine Scheibe“. Das Eisenmangelsyndrom – von dem Schaub behauptet, es wiederentdeckt zu haben – führe zu Schlafstörungen, Müdigkeit, brüchigen Fingernägeln, Haarausfall, Nackenverspannungen, Kopfschmerzen, Depressionen.

In Schaubs Behandlungsräumen stehen Liegen, auf denen erschöpfte Frauen neben hibbeligen Kindern liegen. Sie alle hängen am Tropf: Schaub leitet den Wirkstoff per Infusion direkt in die Venen.

Das ist sehr lukrativ, einerseits: Für fünf Infusionen bekommt Schaub von den Schweizer Krankenkassen rund 1000 Schweizer Franken. In seiner Praxis werden täglich um die 30 Infusionen gegeben. Macht 6.000 Franken Umsatz, durchschnittlich, pro Tag.

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Eiseninfusion haben eine brauen Farbe. Diese wurde extra für das Foto angeklebt.

Markus Hintzen

Zugleich ist diese Behandlungsmethode hoch umstritten: Denn Schaub behandelt auch Menschen, die gar nicht an einer Eisenmangelanämie leiden, der krankhaften Form von Blutarmut. Indem er die Grenzwerte umdefiniert, werden plötzlich auch eigentlich Gesunde zu potenziellen Patienten.  

Auch in Deutschland. Schaub hat eine Firma namens Swiss Iron Health Organisation (SIHO) gegründet, die seine Eisenbehandlung an andere Ärzte lizenziert. 49 deutsche Praxen gehören inzwischen zu seinen Kunden, jedes „Eisenzentrum“ überweist ihm jährlich eine Lizenzgebühr von 590 Euro – die Kosten für Weiterbildungen nicht gerechnet. Vor allem alternative Heiler bieten Schaubs Eisenbehandlung an.

Doch nach Recherchen von CORRECTIV und dem „Spiegel“ hat bislang keine seriöse Studie nachgewiesen, dass die Eisentherapie von Schaub auch hilft. Eisen ist wichtig für viele Körperfunktionen, die über die Blutbildung hinaus gehen, im Gehirn, in den Muskeln.

Schaub richtet seine Diagnose nach dem Ferritinwert. Ferritin ist ein Proteinkomplex, in dem Eisen gespeichert wird. Erst vor wenigen Wochen urteilte die Weltgesundheitsorganisation (WHO): Nur wenn der Ferritinwert unter 15 Nanogramm pro Milliliter sinkt, liege bei einem gesunden Erwachsenen Eisenmangel vor. Nur bei starkem Übergewicht oder einer Entzündung, wie Zika oder Malaria, steige der Grenzwert für Eisenmangel auf Ferritin 30 Nanogramm pro Milliliter.

Schaub hingegen nennt keinen verbindlichen Grenzwert, der schwanke „je nach Frau“, jeder Mensch habe seine eigene „Eisenschwelle“. Er behandelt Menschen, deren Ferritinwert unter 80 liege. Also auch völlig Gesunde.

In der Fachwelt erntet Schaub viel Kritik. „Es ist die bekannte Misere“, sagt zum Beispiel Gerd Antes, Direktor des Deutschen Cochrane Zentrums in Freiburg, das medizinische Studien aus der ganzen Welt auswertet. „Lauthals wird eine Therapie verbreitet, ohne dass es eine hochwertige Studie gibt, die den Nutzen belegt.“

Und Pierre-Alexandre Krayenbühl, Chefarzt am Spital Linth in Uz, ergänzt: „Man sollte nur das tun, was wirklich wissenschaftlich belegt ist.“

Sogar zwei Studien von Vifor Pharma, einem der wichtigsten Hersteller von Eiseninfusionen, deuten darauf hin: eine intravenöse Eisentherapie zeigt vor allem bei einem Ferritinwert von unter 15 Nanogramm pro Milliliter Wirkung. Das deckt sich mit dem Grenzwert der WHO. Wobei, auch das ergaben die Studien: Die Infusionen haben einen beträchtlichen Placebo-Effekt. Selbst dann, wenn kein Milligramm Eisen in der Infusion war, fühlten sich rund die Hälfte der Patienten erfrischt.

Schaub ficht das alles nicht an. Nach 18 Jahren sei er zu 100 Prozent sicher, dass die Therapie wirke, sagt Schaub. Wenn seine Patientinnen einmal „über den Wolken“ seien, mit einem Ferritinwert über 100 Nanogramm pro Milliliter, wollten sie immer „oben bleiben“. Er beruft sich auf seine Datensammlung. In der dokumentieren seine Eisenzentren den Verlauf der Eisentherapie. Die behandelnden Ärzte geben zuerst die Beschwerden ihrer Patienten ein. Nach den Infusionen sollen die sagen, ob sich die Symptome gar nicht, wenig, viel oder vollkommen gebessert haben. Aus diesem Datensatz leitet Schaub ab, dass die Eisentherapie wirksam ist. Er will seine Daten sogar der WHO zur Verfügung stellen.

Der Eisen-Guru kündigt sogar an, demnächst eine eigene wissenschaftliche Untersuchung durchzuführen. Ob er seine angeblichen Behandlungserfolge dabei mit einer Placebogruppe vergleichen oder nur wieder seine Patienten befragen wird, will er aber noch nicht verraten. Studien ohne Placebogruppen nötigen Medizinprüfern aber nur ein müdes Lächeln ab, weil die Ergebnisse viel fehleranfälliger sind. 

Jens Panse, Hämatologe am Universitätsklinikum Aachen ist skeptisch gegenüber den Eiseninfusionen: „Der wissenschaftliche Hintergrund ist zwar gar nicht dumm, aber eine ungezielte Patientenbefragung über das eigene Tun ist keine Wissenschaft.“

Selbst in den Beipackzetteln der Eisenpräparate steht: Man solle erst Tabletten oder Säfte geben, ehe man das Eisen über die Vene verabreiche. Denn Eiseninfusionen können gravierende Nebenwirkungen haben. 2013 verschickte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einen „Rote-Hand-Brief“ an Ärzte und Apotheker, in dem es vor Eiseninfusionen jeglicher Art warnt: „Alle Eisen-Präparate zur intravenösen Anwendung können schwere Überempfindlichkeitsreaktionen mit tödlichem Ausgang verursachen. Diese können auch auftreten, wenn eine vorherige Anwendung vertragen wurde.“ Der Nutzen sollte immer gegen das Risiko abgewogen werden. Hinweise auf 364 unerwünschte Nebenwirkungen sammelte das Bundesinstitut in den vergangenen zehn Jahren bei Ferrlecit und Ferinject, den beiden beliebtesten Präparaten. Schaub selbst verwendet ein anderes Medikament der Firma Vifor, das seinen Aussagen nach das sicherste sei. Doch der „Rote-Hand-Brief“ gilt für alle Eiseninfusionen.

In Deutschland ist der führende Eisen-Apologet Roland Schäfer. Ein Mann mit zurückgekämmten Haaren und ordentlich gestutztem Schnurrbart. Er hat eine Praxis in Frankfurt am Main, in der er Eiseninfusionen verabreicht. Auch er arbeitet mit der Firma Vifor zusammen, die das Präparat Ferinject herstellt, hält Vorträge für die Firma und ist Schirmherr einer Werbe-Website.

Er sagt, orales Eisen würden die Kassen nur bei einer Anämie übernehmen, wohingegen Infusionen auch bei Eisenmangel ohne Anämie bezahlt werden. Zumindest rechnet er die Therapie über die gesetzlichen Krankenkassen ab, und käme bisher damit durch.

Krankenkassen bezahlen die Eiseninfusionen, wenn die „medizinische Notwendigkeit“ vorliege. Das schreiben etwa die Techniker Krankenkasse, die Debeka, oder die AOK auf Anfrage. Ein Arzt vom Verbund für Private Krankenkassen meint außerdem, die Therapie zu bezahlen sei immer noch billiger als Einzelfallprüfungen. Das heißt also, der behandelnde Arzt kann entscheiden, wann eine Therapie notwendig ist. 

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„Iron-Man von Frankfurt“ nennt Schäfer sich scherzhaft. Seine Patientin Christina Pulko, die bereits Eisen erhalten hat, posiert mit einer angeklebten Infusion.

Markus Hintzen

Schäfer gibt auch Schwangeren Eiseninfusionen – er habe sich bei den Gynäkologen in Frankfurt vorgestellt. „Das machen ganz wenige, dass sie Schwangere behandeln“, sagt er. Der Grund? „Man nimmt ja doch ein gewisses Risiko auf sich“. Man behandele praktisch zwei gesunde Menschen.

Der Rote Hand Brief erwähnt Schwangere ausdrücklich: „Eisen-Präparate zur intravenösen Applikation sollten nicht während der Schwangerschaft angewendet werden, es sei denn, es ist zwingend erforderlich.“ Schäfer sagt dazu: „Es gibt Leute in der Medizin, die sind wie Cowboys, die trauen sich“, sagt er. Und dann: „Ja, ich bin der Schwangerschaftscowboy, wenn Sie so wollen“.

Weitere CORRECTIV-Recherchen: „Die Unheiler“: Undercover bei Alternativmedizinern