Fußballdoping

Wie der VfB Stuttgart Doping organisierte

Eine Vizemeisterschaft mit Hilfe anaboler Steroide. Hunderte Tabletten eines harten Anabolikums bestellt der VfB Stuttgart. Ein neues Gutachten zeigt, wie Sportmediziner der Universitätsklinik Freiburg dabei geholfen haben, Fußballer zu dopen.

von Daniel Drepper , Jonathan Sachse

Sportmediziner Dr Armin Klümper 1978 in seiner Freiburger Praxis© imago/Horst Müller

Diese Recherche veröffentlichen wir gemeinsam mit Zeit Online, dem Kölner Stadtanzeiger und der Pforzheimer Zeitung.

In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre besucht ein Profifußballer die Universitätsklinik Freiburg. In seinem baden-württembergischen Verein sitzt er zu dieser Zeit nur noch auf der Bank, er will zurück in die erste Elf. Er betritt die Abteilung Sport- und Leistungsmedizin von Joseph Keul und Armin Klümper. Beide galten damals unter Athleten als Wunderdoktoren. In Wahrheit dopte Klümper viele Athleten.

Der Fußballer trifft in der Sportmedizin der Universitätsklinik auf einen unbekannten Assistenten Klümpers, der sich zufällig die Mappe des Fußballers greift. Dieser Assistent wendet sich etwa 30 Jahre später an den Sportwissenschaftler Andreas Singler. Der Vorgang war bisher nicht bekannt und findet sich nun anonymisiert in einem Gutachten zur Dopingvergangenheit der Uniklinik Freiburg.

Seit Wochen kündigt die Uni Freiburg auf ihrer Webseite an, dieses Gutachten zu veröffentlichen. Dem gemeinnützigen Recherchezentrum CORRECTIV liegt eine Version des Gutachtens vor. Das Dokument zeigt, wie fließend der Übergang zwischen einfacher sportmedizinischer Betreuung und hartem Doping damals im Spitzenfußball war.

Beratungsgespräch oder Dopinganreiz?

Herz-Kreislauf-Check, Blutbild, Ultraschall – der Fußballer durchläuft in der Universitätsklinik das Standardprogramm. Die Auswertung zeigt keine ungewöhnlichen Werte. Im Patientenzimmer lässt sich der Fußballer über leistungssteigernde Mittel aufklären. Eine Dreiviertelstunde dauert das Gespräch. Dem Arzt wird klar, dass der Spieler mit Infusionen bereits vertraut ist. Vitamin- und Elektrolytpräparate hat er bereits erhalten. Was gibt es noch?

Fußballer und Arzt kommen auf Anabolika zu sprechen. Anabole Steroide beschleunigen den Muskelaufbau. Besonders nach Verletzungen hilft es Sportlern, schneller wieder auf dem Platz zu stehen. Der Arzt beantwortet Fragen des Fußballers zu Anabolika, klärt über positive Wirkungen auf und potentielle Nachteile. Durch den Mediziner erfährt der Fußballer, warum gerade Bodybuilder auf Anabolika setzen. Nach dem Gespräch weiß der Fußballer, wie er Anabolika anwenden müsste. Ein Rezept oder eine Spritze erhält er nicht. Was er mit dem neu erlernten Wissen anfängt, nachdem er die sportmedizinische Abteilung verlässt, ist nicht bekannt.

Die Aussagen geben einen Einblick in die Arbeit der Universitätsklinik Freiburg, die offenbar jahrzehntelang das Zentrum westdeutschen Dopings war. Mittlerweile ist bekannt, dass solche Gespräche Athleten oft nicht abgeschreckt, sondern eher motiviert haben zum Dopen.

Anabolika zur Stuttgarter Vizemeisterschaft

Bereits im Frühjahr 2015 beschrieb der Dopingexperte Andreas Singler in einem Vorabbericht, wie der VfB Stuttgart und der SC Freiburg Anabolika für ihre Spieler gekauft hatten. Spätestens seitdem ist belegt, dass auch Fußballer über Doktor Klümper leistungssteigernde Mittel bekamen. In seinem neuen Gutachten beschreiben Singler und seine Mitarbeiterin Lisa Heitner die Details.

Der Sportwissenschaftler Singler gehörte zur mittlerweile aufgelösten Evaluierungskommission Freiburger Sportmedizin. Auf 24 Seiten geht es nun ausschließlich um systemische Manipulationen im Fußball. Wieder stehen die Vereine VfB Stuttgart und SC Freiburg im Zentrum.

Das Jahr 1978 war ein wichtiges Jahr für den VfB Stuttgart. Zuvor spielten die Stuttgarter zwei Jahre nur zweite Liga. Nach dem Wiederaufstieg landete der VfB gleich auf Platz vier in der Bundesliga. Im Jahr darauf, 1978/79, wollten die Stuttgarter unbedingt um die Meisterschaft mitspielen. Helfen sollten dabei Karlheinz Förster, Hansi Müller und Dieter Hoeneß. Und Anabolika, besorgt bei Doktor Armin Klümper von der Uni Freiburg.

Bekannt ist mittlerweile, dass Hansi Müller und Karlheinz Förster nach ihrer aktiven Zeit Geld für Armin Klümper sammelten. Sie gründeten einen Förderverein für Klümper. Die Zusammenhänge erschließen sich erst jetzt. Die ehrenamtlichen Sammeldienste dürften mit den Erfahrungen verbunden sein, die die Spieler zu ihrer aktiven Zeit mit Klümper sammelten.

Bereits in seinem ersten Gutachten schrieb Singler, dass Stuttgart und Freiburg damals Anabolika an der Universitätsklinik Freiburg bestellten. Spannend sind die Details. Erst jetzt, im neuen Gutachten, wird die genaue Lieferstruktur erklärt.

Doping über den Masseur

Einer Version des neuen Gutachtens zufolge lief es in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren vermutlich so: Ein Masseur des Vereins bestellte Medikamente bei der Universitätsklinik Freiburg. Die Lieferung an das Team lief über eine von zwei Apotheken, die Klümper regelmäßig nutzte. Von dort landete auch die Rechnung beim Verein. Diese Belege waren es, die ab 1984 eine Sonderkommission des baden-württembergischen Landeskriminalamtes in zwei Strafverfahren besonders interessierten. Auf den Listen tauchen mehrere Medikamentenlieferungen an den VfB Stuttgart mit dopingrelevanten Stoffen auf. Darunter das Anabolikum Megagrisevit.

Für den VfB Stuttgart begann die Saisonvorbereitung im Sommer 1978 mit einem Trainingslager in den USA. Für die Reise über den Atlantik bestellte der Verein ein großes Paket Megagrisevit. Auf einer Rechnung aus dem Zeitraum sind 600 Tabletten anabole Steroide gelistet, wie Singler in seinem neuen Gutachten schreibt. Nach Einschätzung von Singler hätten damit 20 Spieler im Trainingslager ohne Problem täglich mit je einer Anabolika-Tablette versorgt werden können. Eine weitere Lieferung Anabolika wurde kurz nach Saisonstart im August abgerechnet. Die nächste Rechnung stammt aus der Vorbereitungsphase für die Rückrunde. Diesmal sind es 400 Tabletten Megagrisevit. Das hätte gereicht, um 20 Spieler über zwei Woche täglich versorgen zu können.

Für den VfB Stuttgart war es eine erfolgreiche Saison. Am Ende fehlte nur ein Punkt auf Meister Hamburger SV. Dieter Hoeneß schoss 16 Tore.

Verbindungen zu Doping auch beim SC Freiburg

Der SC Freiburg spielte zur gleichen Zeit eine Klasse tiefer. Prominentester Name damals im Kader: Joachim Löw. In der Saison 1979/80 ist Löw mit 14 Toren erfolgreichster Torschütze im Team. Haben auch die Breisgauer mit Anabolika nachgeholfen? Das legen zumindest die Akten der Staatsanwaltschaft Freiburg nahe, mit denen das Gutachten der Freiburger Dopingkommission arbeitet. Für August 1979 gibt es einen Beleg für eine Anabolikalieferung von Armin Klümper an den SC Freiburg – allerdings über einen geringen Betrag.

Joachim Löw hatte im Jahr 2015 im ZDF-Sportstudio zugegeben, dass er „das ein oder andere Mal“ die Dienste von Klümper genutzt habe. Löw will nicht immer genau gewusst haben, was er von Klümper verabreicht bekam. Er schloss allerdings aus, wissentlich gedopt zu haben.

Das neue Gutachten von Singler erinnert daran, dass der erste offizielle Dopingfall im deutschen Fußball in Freiburg ans Licht kam. Der damalige Ersatztorwart Gerd Sachs bekam 1992 nach einer Verletzung von einem Arzt Anabolika gespritzt. Der Arzt soll angeblich nichts mit dem SC Freiburg zu tun gehabt haben. Das fand damals nicht der DFB heraus, sondern der SC Freiburg selbst. Torhüter Sachs wurde nicht mehr eingesetzt und nach Regensburg abgegeben. Den Dopingfall machte der Verein unter dem damaligen Trainer Volker Finke allerdings erst zwei Jahre später öffentlich.

Infusionen in englischen Wochen

Es sind noch wesentlich aktuellere Dopingbezüge bekannt. Ein wichtiger Name: Andreas Schmid. Der war als Arzt der Universitätsklinik in Freiburg am Doping des Team Telekom um Jan Ullrich beteiligt. Auf Anfrage von CORRECTIV schreibt die Universitätsklinik Freiburg, Schmid sei seit 1998 fast ein Jahrzehnt für den SC Freiburg tätig gewesen. Dabei hätte Schmid als Mannschaftsarzt Spieler des SC Freiburg in der Uniklinik Freiburg behandelt. Damaligen Beteiligten zufolge soll es sich dabei jedoch ausschließlich um die Leistungsdiagnostik der Spieler gehandelt haben, drei Mal im Jahr. Mit Doping soll Schmid bei den Fußballern des SC Freiburg angeblich nichts zu tun gehabt haben.

Als das organisierte Doping des Team Telekom 2006 aufflog, weigerte sich der SC Freiburg zunächst, sich von Doping-Arzt Schmid zu trennen. Erst im Mai 2007 beendete der Verein die Zusammenarbeit dann doch. Ein Ermittler des Bundeskriminalamtes, der am Telekom-Doping-Skandal arbeitete, schrieb 2008 an die Staatsanwaltschaft Freiburg: „Es drängt sich der Verdacht auf, dass auch beim SC Freiburg gedopt wurde.“

Der Ermittler bezieht sich dabei auf einen Brief aus der medizinischen Abteilung des Vereins an den damaligen Trainer Volker Finke. Im Brief erklärt ein ärztliche Betreuer seinen Rücktritt. Er kritisiert „gefährliche intravenöse Therapien“ beim SC Freiburg. Besonders in englischen Wochen hätte es Infusionen gegeben. In einem Fall sollte er einem Spieler eine Infusion mit einer Diclofenac-Lösung geben. Das sei in Deutschland wegen möglicher lebensbedrohlicher allergischer Reaktionen verboten gewesen. Deswegen hätte er eigenmächtig auf eine andere, ungefährliche Infusion gesetzt. Der Brief wurde auf einer DVD bei einer Hausdurchsuchung von Doping-Arzt Andreas Schmid gefunden.

Die Staatsanwaltschaft Freiburg beendete die Ermittlungen, nachdem der ärztliche Betreuer nach seinem Rücktritt beim SC Freiburg in einem Gespräch im Oktober 2008 davon sprach, „in fast achtjähriger Zusammenarbeit“ nie irgendwelche Hinweise erhalten zu haben, dass Schmid Spieler gedopt habe. Der Spieler, der die fragliche Infusion bekam, spielte zum Zeitpunkt des Verhörs schon nicht mehr beim SC Freiburg. Ein Beteiligter von damals weist darauf hin, dass Infusionen zum damaligen Zeitpunkt, also vor 2005, noch erlaubt gewesen seien, es sich also nicht um Doping handelte.

VfB Stuttgart und SC Freiburg gaben Archive frei

Die Universitätsklinik Freiburg hat auf Anfrage von CORRECTIV nicht beantwortet, ob auch Fußballer an der Universität gedopt wurden. Die Pressestelle verwies auf die noch ausstehenden Gutachten der ehemaligen Evaluierungskommission. Außer den hier beschriebenen Ergebnissen, dürften darin keine weiteren Erkenntnisse zum Fußball stehen.

Auch den SC Freiburg und den VfB Stuttgart hat CORRECTIV mit den im Gutachten beschriebenen Vorgängen konfrontiert. Der SC Freiburg bestätigte, dass Andreas Schmid von 1998 bis 2007 für den SC Freiburg gearbeitet hat. Die konkrete Frage, ob Spieler gedopt wurden, beantwortete der SC Freiburg auch auf Nachfrage nicht und verwies wie die Universitätsklinik Freiburg auf die ausstehenden Gutachten. Der SC Freiburg habe für die Untersuchungen der Universität sein komplettes Archiv zur Verfügung gestellt, schreibt Fritz Keller, Präsident des SC Freiburg, auf Anfrage von correctiv.org. Keller sitzt schon seit 1994 im Vorstand des Vereins und schreibt, der SC Freiburg sei an einer vollständigen Aufklärung interessiert.

„Wir lehnen jegliche Form von Doping ab“, sagt Tobias Herwerth, Pressesprecher des VfB Stuttgart auf unsere Anfrage. Der VfB hätte alles offen gelegt. Beim Austausch mit der Evaluierungskommission hätte der Verein seinen Mannschaftsarzt und den Archiv-Beauftragen einbezogen.

Korrektur 26. Oktober: In einer früheren Version des Artikels haben wir an mehreren Stellen verkürzt von der Uni Freiburg gesprochen. Um Missverständnisse auszuräumen, haben wir im Text jetzt deutlicher zwischer der Uni Freiburg und der Universitätsklinik Freiburg unterschieden.

Update, 25. November: Nach einem weiteren Gespräch mit einem Insider beim SC Freiburg haben wir einige Textpassagen, die sich auf den SC Freiburg bezogen, ein wenig abgeschwächt. Über weitere Gespräche und Informationen freuen wir uns.


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