Geheime Spenden

Geld für die Genossen: Die Parteispenden-Rekordhalter aus Hamburg-Mitte

Viele Kreisverbände müssen finanziell knapsen – nicht so der SPD-Verband Hamburg-Mitte: Mit mehr als 640.000 Euro innerhalb von vier Jahren setzt der Verband beim Thema Spenden in der Kommunalpolitik ganz eigene Maßstäbe. Der Verband wurde lange Zeit von dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs geführt, der bereits zweimal wegen fragwürdiger Parteispenden im Fokus stand.

von Jonathan Sachse , Miriam Lenz , Jonas Halbe , Gabriela Keller

57. Spargelfahrt des Seeheimer Kreises
Johannes Kahrs (SPD) galt bis zu seinem Rücktritt als begnadeter Netzwerker. Welche Rolle spielte er beim Spenden-Wunder des SPD-Kreisverbands Hamburg-Mitte? Foto: Jörg Carstensen / picture alliance/dpa

Die SPD gibt sich gern als Schutzpartei der Mieterinnen und Mieter – auch in Hamburg. Trotzdem haben im Jahr 2019 nach Recherchen von CORRECTIV.Lokal ein Unternehmen und mehrere Personen aus der Immobilienbranche hohe Spenden an den SPD-Kreis Hamburg-Mitte überwiesen. Insgesamt flossen an den Kreisverband in diesem Jahr mindestens 75.000 Euro aus der Immobilienwirtschaft.

Die Hamburger SPD sieht darin keinen Widerspruch. Und „selbstverständlich“ seien den Spendern in Folge der Zuwendungen keine Vorteile gewährt worden, teilen Landes- und Kreisverband auf Anfrage von CORRECTIV.Lokal übereinstimmend mit.

Mit 642.907,20 Euro in den Jahren von 2016 bis 2019 ist die SPD Hamburg-Mitte der Spenden-Spitzenreiter unter allen anderen Kreisverbänden, die auf eine aktuelle Anfrage von CORRECTIV.Lokal geantwortet haben. Bei dieser Recherche schlüsselt CORRECTIV.Lokal die Verteilung von Parteispenden erstmals nach Kreisen auf. Im Falle der SPD Hamburg-Mitte werden hierbei mehrere hohe Spenden erstmalig öffentlich bekannt.

Gelder aus der Immobilienwirtschaft fließen in die Lokalpolitik

Zu den freigiebigsten Spendern gehörte die Becken Holding GmbH, ein Hamburger Immobilienunternehmen. Dieses spendete der SPD Hamburg-Mitte 2019 glatte 10.000 Euro – und lag damit gerade unter der gesetzlichen Veröffentlichungspflicht. Anders gesagt: Hätte die Firmengruppe einen Cent mehr gespendet, hätte ihr Name im Rechenschaftsbericht stehen müssen. Die Hamburger SPD teilt dazu mit, es sei weder Landes- noch Kreisverband bekannt, warum sich ein Spender für welche Summe entscheide.

Die Becken Holding GmbH erwarb in dem gleichen Jahr ein 3.500 Quadratmeter großes Grundstück in bester Lage nahe dem Hamburger Hauptbahnhof – also im Bezirk Mitte. Verkäufer war: die Stadt Hamburg. An der Regierung war dort, damals wie heute, die SPD gemeinsam mit den Grünen.

Gut möglich, dass das Zufall ist. Die Parteispenden, teilt ein Sprecher der Becken Holding auf Anfrage von CORRECTIV.Lokal mit, „standen oder stehen in keinem direkten oder indirekten Zusammenhang mit dem operativen Geschäft des Unternehmens Becken“.

Die Holding und ihr Gründer Dieter Becken hätten seit 40 Jahren immer wieder die politische Arbeit von SPD, FDP, CDU und auch CSU finanziell unterstützt. Zudem habe das Land bereits 2017 über die Vergabe des Grundstücks am Hauptbahnhof entschieden. Maßgeblich seien hierbei der gebotene Höchstpreis und „konzeptionelle Kriterien“ gewesen.

Die SPD Hamburg indes schließt jegliche Absprachen zu einer Bevorzugung der Spender aus: Rechtlich, teilen Landes- und Kreisverband einhellig mit, könnten keine Parteispenden angenommen werden, die „erkennbar in Erwartung oder als Gegenleistung eines bestimmten wirtschaftlichen oder politischen Vorteils gewährt werden“.

Und die SPD ist in Hamburg auch längst nicht die einzige Partei, die Geld aus der Immobilienwirtschaft erhält: Nach Recherchen von CORRECTIV.Lokal erhielt in Hamburg auch die FDP größere Beträge aus der Branche.

In einem Fall zahlte eine Firma 2020 leicht mehr als 11.000 Euro an die FDP, und deren Geschäftsführer überwies bereits im Vorjahr 10.000 Euro an die SPD, beide Male profitierten die Parteiverbände im Bezirk Hamburg-Mitte. Die SPD weist eine Vorzugsbehandlung für die Spender kategorisch zurück. Aber weil Interessenkonflikte in solchen Situationen potenziell möglich sind, fordern Expertinnen seit Langem mehr Transparenz bei Parteispenden.

Generell ist die Finanzierung von Parteien und Abgeordneten in Deutschland komplex und schwer durchschaubar. Spenden müssen erst ab einer Summe von mehr als 10.000 Euro im Rechenschaftsbericht erscheinen – und dies auch erst mit einer Verzögerung von zwei Jahren. Und ob die Parteispende an einen Landes- oder Kreisverband der Partei floss, ist aus dem Bericht nicht ersichtlich.

Rund 850 Kreisverbände legen ihre Finanzen offen

Gerade die Kreisverbände geraten beim Thema Finanzen daher oft aus dem Blick – dabei nehmen die Parteien auf kommunaler Ebene in der Summe sehr viel mehr Geld ein als auf Landes- und Bundesebene. Um in diesem Bereich mehr Transparenz zu schaffen, hat CORRECTIV.Lokal mit Lokalmedien in ganz Deutschland Parteispenden in der Kommunalpolitik abgefragt. Rund 850 Kreisverbände verschiedener Parteien haben offengelegt, wie viele Spenden sie in den vergangenen Jahren erhalten haben.

Die Ergebnisse sind relevant, weil Geld Parteien, Politikern und Politikerinnen in Kommunen und Kreisen wichtige Spielräume eröffnet: Politik fängt vor Ort an, oder, wie der frühere Sprecher des amerikanischen Repräsentantenhauses Tip O'Neill einmal sagte: „All Politics is Local.“

Vor allem, aber nicht nur im Wahlkampf haben Parteien mit gut gefüllten Kassen große Vorteile gegenüber denen, die eher klamm sind. In den meisten Fällen ist das Spendensammeln auf kommunaler Ebene eine mühselige Angelegenheit. In vielen Kreisverbänden kommen im Jahr gerade drei- oder niedrige vierstellige Beträge zusammen.

Der SPD-Kreisverband Hamburg-Mitte ist Spenden-Spitzenreiter

Deswegen sticht der SPD-Kreisverband Hamburg-Mitte mit mehr als 640.000 Euro in vier Jahren extrem heraus: Vergleicht man die Hamburger SPD-Kreisverbände miteinander, erhielt Mitte zwölfmal so viel Geld wie die Nummer zwei auf der Liste, Altona mit 51.170 Euro.

Wie ist dem Kreisverband dieses kleine Spendenwunder gelungen? Der Verband erklärt das so: „Viele Spender betrachten es als ihre demokratische Pflicht demokratiefeste Parteien zu unterstützen, gerade in Anbetracht der heterogenen sozialen und demografischen Struktur des Bezirks Hamburg-Mitte.“ Somit sei es auch gelungen, dass kein Wahlkreismandat dort an „rechtsgesinnte und/oder demokratieferne Parteien“ ging.

Wichtig zu betonen ist außerdem: All dies ist nur bekannt, weil die SPD Hamburg ihre Spendenzahlungen freiwillig offengelegt hat, und damit steht der Landesverband in puncto Transparenz im bundesweiten Vergleich sehr weit vorne: Die SPD Hamburg hat auf Anfrage von CORRECTIV.Lokal die Höhe der Parteispenden nach Kreisen aufgeschlüsselt und die Namen der größten Spender genannt – obwohl sie das rechtlich nicht muss.

Neben der Spende der Becken Holding erhielt der SPD-Kreis Hamburg-Mitte 2019 zwei weitere Spenden aus der Immobilienbranche, die mit 10.000 Euro um einen Cent an der Veröffentlichungsgrenze vorbei schrammten. Insgesamt bekam der Kreisverband in dem Jahr sieben Zahlungen in Höhe von exakt 10.000 Euro.

Ohne Transparenz ist Demokratie nicht möglich

Längst nicht jede Partei in Deutschland liefert solche Informationen ohne rechtlichen Zwang: Die Hamburger CDU zum Beispiel wollte auf Anfrage von CORRECTIV.Lokal keine Auskunft geben. Also bleibt in ihrem Fall komplett im Dunkeln, ob auch bestimmte CDU-Kreisverbände bei den Parteispenden besonders reichhaltig bedacht wurden – und ob sich daraus Fragen nach einer möglichen politischen Beeinflussung ergeben könnten.

Transparenz ist eine Grundvoraussetzung für Demokratie. Und niedrigere Schwellen bei den Veröffentlichungspflichten würden helfen, vor allem die Lokalpolitik durchsichtiger und nachvollziehbarer zu machen. Wenn ersichtlich ist, welche Firma an welchen Bezirksverband wie viel gespendet hat, dann ist es auch möglich, eine Nähe zwischen den Kommunen und bestimmten Bau- und Immobilien-Unternehmen kritisch zu hinterfragen.

Eine Frage ist auch, wieso gerade der SPD-Kreisverband Hamburg-Mitte so hohe Spendengelder erhielt. Wer sich den Verband näher anschaut, stößt schnell auf eine schillernde Figur: Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs war 18 Jahre lang SPD-Kreisvorsitzender in Hamburg-Mitte, ehe er 2020 überraschend seinen Rücktritt ankündigte, seine Profile in den sozialen Netzwerken löschte und sich aus der Öffentlichkeit zurückzog.

Johannes Kahrs: „Dann lösche ich das einfach“

Der Ausstieg aus der Politik stellte für den umtriebigen Sozialdemokraten eine radikale Wende dar. Die Verbindungen des 57-jährigen reichten weit. Nach Aserbaidschan, in die Türkei, nach Israel und sogar in den Südkaukasus. Auch in Deutschland und speziell in Hamburg pflegte er intensive Kontakte in alle möglichen Bereiche. Im Bundestag empfing er laut eigenen Angaben bis zu 200 Besuchergruppen im Jahr. Half der begabte Netzwerker Kahrs auch seinem Kreisverband, die verblüffend hohen Spendenbeträge einzuwerben?

Die SPD Hamburg teilt auf Anfrage von CORRECTIV.Lokal mit, Kahrs sei während seiner aktiven Zeit ein „sehr bekannter Abgeordneter“ gewesen, und „erfahrungsgemäß gehen bei diesen mehr Spenden ein als bei anderen.“ Ob und inwiefern Kahrs direkt an der Akquise der Spenden beteiligt gewesen sei, „obliegt nicht unserer Kenntnis“. Auch der Kreisverband schreibt auf Anfrage nichts Konkreteres zu der Rolle des prominenten Ex-Politikers.

Kahrs selbst will sich zu der Frage nicht äußern. „Da ich inzwischen Rentner bin, habe ich den großen Vorteil, nicht mehr mit der Presse reden zu müssen. Ich habe kein Interesse“, sagt er gegenüber CORRECTIV.Lokal am Telefon. Auf die Ankündigung eines schriftlichen Fragenkatalogs, auf den er in Ruhe antworten könne, sagt er: „Dann lösche ich das einfach. Ich schmeiß das einfach weg.“ Auf die E-Mails mit den Fragen antwortete Kahrs bis Redaktionsschluss nicht.

Parteispenden für die SPD aus der Verkehrsbranche

Neben den Spenden aus der Immobilienwirtschaft nahm der SPD-Verband Hamburg-Mitte zwei weitere auffällige 10.000-Euro-Zahlungen entgegen: Beide stammen aus der Verkehrsbranche, in einem Fall von dem brandenburgischen Konzern Spitzke SE.

Die Unternehmensgruppe mischt bei vielen großen Bahn-Infrastruktur-Projekten mit, etwa beim Umbau des Ostkreuzes in Berlin. 2019 spendete sie 10.000 Euro an die SPD Hamburg-Mitte. Ein Jahr später erhielt sie den Zuschlag zu einem Kabeltiefbau bei der S-Bahn-Linie S4. Auch hier gibt es keine Indizien dafür, dass die Parteispende mit dem öffentlichen Auftrag in Zusammenhang steht. Die zweite 10.000-Euro-Zahlung kam von der Falkenhahn-Gruppe, zu deren Kerngeschäften der Gleis- und Ingenieurbau zählt.

Bei der SPD weisen Landes- wie Kreisverband auf Anfrage von CORRECTIV.Lokal darauf hin, dass Projekte im Kabeltiefbau öffentlich ausgeschrieben werden. Das Vergabeverfahren werde „in den jeweiligen Behörden bzw. den zuständigen Stellen abgewickelt“. Der Landesverband fügt noch hinzu, dass in dem Fall die Deutsche Bahn zuständig sei, die Ausschreibung sei daher in Frankfurt am Main erfolgt, und nicht in Hamburg.

Trotz mehrmaliger E-Mails und telefonischer Anfragen erreichte CORRECTIV.Lokal bis Redaktionsschluss keine Antwort des Spitzke-Konzerns und der Falkenhahn-Gruppe.

Kahrs und die Spenden von Rüstungskonzernen und einer Skandalbank

Auch bei diesen Vorgängen bleibt unklar, ob der Ex-Kreisvorsitzende Johannes Kahrs eine Rolle gespielt haben könnte. Auf Bundesebene entschied Kahrs als stellvertretendes Mitglied im Verkehrsausschuss teilweise über Infrastrukturmaßnahmen der Bahnen mit. Zudem war er mehrere Jahre Sprecher der SPD-Fraktion im Haushaltsausschuss und hatte damit Einfluss bei Finanzthemen. Ob er aber geholfen hat, die Spenden zwischen 2016 und 2019 in Hamburg zu akquirieren, weiß niemand. Auf die Fragen von CORRECTIV.Lokal antwortet er nicht. Er sagt nur, er gebe keine Interviews mehr.

Sicher ist dagegen, dass sein Kreisverband in Hamburg in der Vergangenheit bereits zwei Male wegen fragwürdiger Spenden in die Schlagzeilen geriet, und bei diesen Fällen soll Kahrs unmittelbar beteiligt gewesen sein. So wurde bekannt, dass der SPD-Kreis für den Bundestagswahlkampf 2005 mehr als 60.000 Euro aus der Rüstungsindustrie erhielt. Darunter waren mehrere Spenden der Konzerne Rheinmetall und Krauss-Maffai-Wegmann, die sich jeweils ebenfalls unter der gesetzlichen Veröffentlichungsgrenze bewegten.

Und im Februar 2020 berichtete das Hamburger Abendblatt über Spenden von der Warburg-Bank an die Hamburger SPD.  Dabei flossen 2017 Parteispenden in Höhe von 38.000 Euro aus dem Umfeld der Warburg-Bank direkt an den SPD-Kreisverband Hamburg-Mitte. Die Hamburger Privatbank war an mutmaßlich illegalen CumEx-Geschäften beteiligt und soll zu diesem Thema Kontakt zu Johannes Kahrs gesucht haben.

CORRECTIV.Lokal hat Kahrs um Stellungnahme zu diesen Zahlungen gebeten, und auch diese Fragen ließ der Ex-Bundestagsabgeordnete unbeantwortet.

Nur CDU und AfD verweigern jegliche Auskunft zu ihren Spenden

Die Hamburger SPD dagegen setzt nun auf Transparenz und hat auf Anfrage von CORRECTIV.Lokal eine ganze Reihe von bisher geheimen Spenden öffentlich gemacht. Verglichen mit der Union ist das ein großer Schritt. Die CDU schweigt nicht nur in Hamburg zu Parteispenden, sondern auch in den meisten anderen Bundesländern.

Die Informationen ermöglichen eine öffentliche Kontrolle im Hamburger Landesverband der SPD, dem Kanzlerkandidat Olaf Scholz bis März 2018 vorsaß. Wie ein SPD-Sprecher des Landesverbandes mitteilt, beriet sich die Hamburger SPD bereits damals zu allen Spenden ab 2.000 Euro im Landesverband: Geprüft werde insbesondere, „ob mit der Spende der Versuch einer Einflussnahme auf politische Entscheidungen verbunden sein könnte“. Angesichts einiger der Spenden drängt sich freilich die Frage auf, ob diese Überprüfung hart genug war, oder ob das Gremium dem Rekordspenden-Verband nicht hätte engere Grenzen setzen sollen.

Indes verweigern in Hamburg zwei Parteien auf Anfrage von CORRECTIV.Lokal eine genaue Aufschlüsselung der Spenden: die AfD und die CDU.

Fest steht allerdings auch so, dass auch bei diesen beiden Parteien wohl kein Kreisverband bei den Spenden in die Nähe der SPD Hamburg-Mitte kam: Im Jahr 2019 haben alle Kreisverbände der CDU in Hamburg zusammen gerade 284.880,89 Euro an Parteispenden gemeldet – also ungefähr das, was der SPD-Kreisverband Hamburg-Mitte alleine erhielt (276.738,67 Euro). Das ist ungewöhnlich. Denn deutschlandweit ist es sonst die Union, die mit Abstand die meisten Spenden einsammelt.

Transparenzhinweis: Autor Jonas Halbe ist Mitglied der SPD und gehört dem Kreisverband Ennepe-Ruhr an.

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