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Die Vorreiter der Energiewende

Für die Energiewende muss Deutschland schnell Solar-und Windenergie ausbauen. Die erfolgreichsten Gehilfen könnten diejenigen sein, die lange ausgebremst wurden: Bürgerinitiativen.

von Annika Joeres , Katarina Huth , Gesa Steeger

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Dies ist der Windpark der Elektrizitätswerke Schönau auf der Erhebung Rohrenkopf im Schwarzwald. (Foto: Claude Ledergerber)

Hätte die deutsche Bundesregierung vor vier Jahrzehnten den Wunsch vieler Bürgerinnen und Bürger nach Solar- und Windkraft ernst genommen wir wären heute viel unabhängiger von russischem Gas. Denn das ehrenamtliche Engagement für erneuerbare Energien begann für viele Initiativen schon Mitte der 1980er mit dem Reaktorunfall in Tschernobyl. „Damals informierten wir an Tapeziertischen darüber, wie Strom eingespart werden kann, Messgeräte wurden an Familien verteilt, um die größten Stromschlucker in den Haushalten zu finden, der Verein kürte regelmäßig die größten Stromsparer“, erzählt Eva Stegen, Mitarbeiterin der Elektrizitätswerke Schönau. 

Die Initiative machte schon damals von sich reden, weil sie den Regional-Monopolisten „Kraftübertragungswerke Rheinfelden“ in einem Bürgerentscheid entmachtete. Ihre Tipps zum Stromsparen werden nun erstmalig auch von der Regierung geteilt. Angesichts des Ukrainekrieges appellierte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) kürzlich: „Jeder und jede kann Energie sparen.“ Zehn Prozent gingen immer. 

So ähnlich formulierten es auch die Elektrizitätswerke Schönau (EWS) und so sind nicht nur sie, sondern viele Bürgerinitiativen als Vorreiter der Energiewende zu bezeichnen. Die EWS bot ihren ersten Kundinnen und Kunden stromsparende Tarife an: ein niedriger Preis für die Grundversorgung und hohe Kosten für den zusätzlichen Verbrauch. Auch dies ist ein Vorschlag, der heute wieder aufkommt, um finanziell schwache Menschen zu versorgen und gleichzeitig überdurchschnittlichen Verbrauch stärker zu belasten. 

Im Gegensatz zu großindustriellen Solaranlagen und Windradparks haben die von engagierten Menschen geplanten Erneuerbaren einen entscheidenden Vorteil: Sie sind von den Bürgerinnen und Bürgern selbst gewollt, die Bauarbeiten werden unterstützt, für das Projekt ehrenamtlich geworben. Sie nehmen also den Städten und ihrer Verwaltung wichtige Arbeit ab.

Die Energiewende führt zu einer rabiaten Konkurrenz um Boden

Damit sind Bürgerinitiativen der Gegenpart zu den häufig umstrittenen Großprojekten von Investmentfirmen und Konzernen: CORRECTIV hat Anfang Mai gemeinsam mit dem RBB aufgedeckt, wie der Agrarkonzern Lindhorst nicht nur Ackerflächen für neue Solarparks nutzen will, sondern sogar die Rodung von mehreren Hundert Hektar Wald für ein Solarenergie-Vorhaben plant. Wie die Recherche zeigt, wecken die inzwischen hohen Renditen zunehmend Begehrlichkeiten und ziehen auch fragwürdige Akteure an. Das schadet wiederum der Akzeptanz: Die Firmengruppe Lindhorst hat sich mit ihren Methoden in manchen Orten so unbeliebt macht, dass sich Anwohner und Anwohnerinnen nun gegen neue Vorhaben des Konzerns wehren. 

Die Stimmung ist in einigen Teilen des Landes ohnehin aufgeladen: Denn der Bedarf an Flächen für die Energiewende führt zu einer immer rabiateren Konkurrenz um Boden. Die jährlichen Pachtpreise für Photovoltaik-Anlagen liegen mit 2.000 bis 3.000 Euro pro Hektar gut zehn Mal höher als für die Landwirtschaft. Wenn sich Bürgerinnen und Bürger dagegen selbst um das Windrad oder die Solarpaneele kümmern, sie etwa selbst entscheiden, auf welche Dächer oder nachhaltig nutzbare Freiflächen die erneuerbaren Energien installiert werden sollen, verdient nicht ein Konzern an der Energiewende, sondern ein gesamtes Dorf oder eine Siedlung. Und macht so Klimaschutz zum Gemeinwohl – anstatt zur reinen Profitanlage.

Die Initiative Mehr Demokratie listet dutzende Projekte von Bürgerinnen und Bürgern auf, die Stadtwerke zu mehr Erneuerbaren getrieben haben oder selbst Windräder und Solaranlagen aufstellen wollten. So haben sich in Bochum, Flensburg, Frankfurt, Hannover, Heidelberg, Hildesheim, Konstanz, Mannheim und Rostock Initiativen für eine lokale Energieversorgung gegründet.

Doch die Umsetzung ist nicht einfach und erfordert Ausdauer. In Gernsbach waren es Schülerinnen und Schüler, die die Paneele nach langem Kampf auf die Dächer ihres Gymnasiums brachten. 

Die, die sich engagieren wollten, wurden jahrzehntelang in Papier erstickt. „Unsere Kernkompetenz war es, naiv zu sein, sonst hätten wir es gar nicht erst angepackt“, sagt Solar-Pionierin Eva Stegen. „Unter der Großen Koalition ist ein aufgeblähter Popanz entstanden, der es jeder Initiative schwer gemacht hat“, sagt Stegen.

Unter der Großen Koalition ist ein aufgeblähter Popanz entstanden, der es jeder Initiative schwer gemacht hat.

Gesetze seien so geschrieben worden, dass gerade engagierte Einzelinitiativen keine Erneuerbaren anschaffen konnten. Ein Beispiel seien Landwirtinnen und Landwirte: Derjenige, der für die CO2-Speicherung wertvolle Hecken hat, würde nur schwerlich ein Windrad bauen können. Der Bauer aber, der schon vorher alles weggekeult habe, werde mit der Windenergie viel Geld verdienen können. 

Die neue Bundesregierung will nun die historischen Versäumnisse wiedergutmachen und hat das Förderprogramm “Bürgerenergiegesellschaften” bei Windenergie an Land aufgelegt. Sie will bis zu 70 Prozent der Kosten für die Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen an Land übernehmen, schreibt das Ministerium von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Auch Solaranlagen auf Mietshäusern oder Eigenheimen sollen sich künftig mehr lohnen – die Nutzenden können selbst entscheiden, ob sie den Strom direkt bei sich vor Ort verwenden oder ins allgemeine Netz einspeisen. Auch der Papierkram, vor dem viele Bürgerinitiativen warnen, soll drastisch verringert werden. „In den Ländern schaffen wir mehr Rechtssicherheit bei Entscheidungen, und wir vereinfachen und beschleunigen die Genehmigungsverfahren. Abweichende Regelungen der Länder sind bis auf wenige Ausnahmen nicht mehr möglich“, sagt Habeck.

So wurde die Bürger-Energiewende abgewürgt

Tatsächlich gab es in den 2000er-Jahren noch viele enthusiastische Projekte. Bis zum Jahr 2011 stieg der Anteil der erneuerbaren Energien rasant an, jedes Jahr kamen zwischen drei und neun Gigawatt hinzu. Von anfänglich rund fünf Prozent eroberte der EEG-Strom bis 2009 einen Anteil von 16 Prozent am Strommarkt. Möglich machte dies das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das allen Menschen, die mit Solar- oder Windkraft Strom erzeugten, im Gegenzug ein paar Cent pro Kilowattstunde bezahlte. 

Manche Initiative hatte es auch schwer, weil vor Ort weitere Bürgerinnen und Bürger gegen die Erneuerbaren kämpften. Sie hatten Angst vor der Sicht auf das Windrad oder den Folgen für Tiere, auch Angst vor hohen Kosten durch Solaranlagen spielte eine Rolle. 

Der größte Gegenwind kam aber von den Stromriesen, die von Anfang an gegen die neue Konkurrenz lobbyierten und dafür, die Umlage nicht zahlen zu müssen. Denn umgerechnet ging Eon, RWE und EnBW jede siebte Kilowattstunde verloren. Das EEG hatte anfangs nur fünf Seiten – später wurde es ein Konvolut von 140 Seiten und über 100 Paragrafen mit immer mehr Ausnahmen für die Großindustrie. Der damalige CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier führte den sogenannten „atmenden Deckel“ ein: Mit diesem Instrument senkte sich automatisch die Vergütung für Erneuerbare, sobald viele Windräder und Solaranlagen hinzu gebaut wurden. Der Altmaier-Deckel war der Anfang vom Ende des Ausbaus. Zugleich boten von der chinesischen Regierung subventionierte Firmen günstigere Solarmodule als die in Deutschland produzierten an. Beides zusammen würgte die Solarwende in Deutschland ab. 70.000 Menschen verloren ihren Job.

Im November 2019 musste der Windrad-Hersteller Enercon vermelden, 3.000 Arbeitsplätze zu streichen. Für die Angestellten der Erneuerbaren-Branche gab es keinen Rettungsplan, keine Hilfen, kein Interesse. Zum Vergleich: von dem Kohle-Aus im Jahr 2038 hängen 20.000 Stellen ab, und die Bundesregierung pumpt heute 40 Milliarden Euro Hilfen in die betroffenen Regionen. 

Währenddessen versuchten einzelne Klimabewusste, die Energiewende voranzutreiben – auch gegen den Willen der bestehenden, konventionellen Energieanbieter. Den Elektrizitätswerken Schönau stand damals der lokale Netzbetreiber, ein Tochterunternehmen der EnBW gegenüber. Der Netzbetreiber störte sich an der Initiative, die ihn Geld kostete schließlich schmälerte sie mit ihren Einspar-Ideen die Rechnung vieler Kundinnen und Kunden. Der Betreiber drohte damals mit Klagen. 

Erneuerbare Energie aus Wasserkraft für ganz Deutschland

„Die Engagierten wurden wie arme Irre behandelt“, sagt Mitstreiterin Stegen. Durch die ständige Arroganz der Mächtigen wuchs aber auch der Wunsch, das Stromnetz zu übernehmen und eigene Alternativen zu finden. Das gelang zu dem Zeitpunkt, als die Stadt in absehbarer Zeit einen neuen Konzessionsvertrag für das Stromnetz ausschrieb. „Da haben wir gesagt – jo, das machen wir.“ Die Gruppe sei ein Querschnitt des Dorfes gewesen – ein Arzt, eine Apothekenmitarbeiterin, ein Elektroniker, Lehrerinnen und eine Kindergärtnerin seien dabei gewesen. 

Die Engagierten wurden wie arme Irre behandelt

Es sei eine regelrechte Flugblattschlacht ausgebrochen, auch gegen den fossilen und nuklearen Mix, den der alte Energieversorger damals anbot. Am Ende gewann die Initiative. Die EWS gingen am 1. Juli 1997 an den Markt, aber damals war er noch nicht liberalisiert sie konnten nicht bestimmen, wer sie beliefert. Ab 1999 konnten die EWS schließlich erneuerbare Energien aus Wasserkraft beziehen – und Kunden und Kundinnen aus ganz Deutschland anwerben. Ab da bezogen umweltbewusste Bürgerinnen und Bürger in Berlin oder Hannover plötzlich EWS-Strom. „In unserem winzigen Büro in unserer kleinen Stadt  trudelten plötzlich waschkörbeweise Stromwechselanträge ein. Bis mitten in der Nacht haben die EWSlerinnen an den alten PCs Mitglieder in Tabellen eingetragen“, sagt Stegen. Damals gab es einen festen Angestellten – inzwischen sind es 240.

Auch ein weiteres Modell ist vielversprechend: Städte, die zusammen mit ihren Bürgerinnen und Bürgern die Energiewende vorantreiben. So wie in der CDU-geführten Gemeinde Mengerskirchen. Seit 2014 drehen sich dort Windräder, und zwar mit hoher Akzeptanz. Die Einwohnerinnen und Einwohner konnten mitbestimmen, wo die Anlagen stehen und sie werden zudem an den Gewinnen beteiligt, die diese abwerfen. Projektpartner sind außerdem ein regionales Unternehmen und der Energieversorger vor Ort.

„Wir wollten eine größtmögliche Verträglichkeit mit allen Menschen vor Ort und Nutzern der Flächen, egal ob Wanderer, Jogger, Forstarbeiter oder Bürger“, sagt Bürgermeister Thomas Scholz. „Wir wollten miteinander ins Gespräch kommen, sowohl Befürworter als auch Gegner hören.“ Sie alle konnten die Baustellen besichtigen, sich auf Tafeln informieren, Tage der offenen Tür besuchen. Es sei wichtig, eine größtmögliche Transparenz herzustellen, sagt Scholz. Und die Windräder zahlen sich aus: Über die Pacht erhält die Gemeinde Mengerskirchen zusätzliche Haushaltsmittel, die sie einsetzen kann für soziale Projekte, kostenfreie Kitaplätze, für Vereine oder die Infrastruktur. 

Wie auch bei den Elektrizitätswerken Schönau spielte ein Atomunfall eine entscheidende Rolle: Nach Fukushima wuchs das Interesse an nachhaltigen Energien sprunghaft an. Auch jetzt – nach Ausbruch des Angriffskrieges Russlands, mit dem Wunsch nach einer unabhängigen Energieversorgung – wollen sich Bürgerinnen und Bürger selbst mit Solar-und Windstrom beliefern.

Bis 2030 will die Bundesregierung zu 80 Prozent auf Erneuerbare umgestellt sein da wird es auf jede Initiative ankommen. Und darauf, frühere Fehler nicht zu wiederholen. 

 

Text: Annika Joeres
Recherche: Annika Joeres, Katarina Huth, Gesa Steeger, Heike Lachnit, Xenia Miller 

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