Warum schweigt Prosoz?
Im vergangenen Monat hat Correctiv einen Prozess gegen Prosoz Herten GmbH gewonnen. Das Landgericht Bochum verurteilte die Firma dazu, Auskunft auf unsere Fragen zu geben. Doch erneut weigert sich Prosoz: Das Unternehmen zahlt bei Gericht 8000 Euro in bar ein, um nicht antworten zu müssen. Prosoz kann nun in Revision vor dem Bundesgerichtshof gehen. Offensichtlich steht für die Firma einiges auf dem Spiel.
Prosoz gehört der Stadt Herten und stellt Computerprogramme her, mit denen bundesweit Behörden ihre Verwaltungen organisieren: Hartz-IV-Empfänger, Bauanträge oder Jugendhilfen. Vor einigen Jahren ist Prosoz dazu übergegangen, Angestellte in diesen Behörden als freie Mitarbeiter zu beschäftigen. Offiziell bekommen diese ein Honorar dafür, dass sie ihre Kollegen in der Anwendung der Software schulen.
Wir fragen uns: Hat Prosoz auf diese Weise Ausschreibungen zu seinen Gunsten beeinflusst? Haben die Prosoz-Mitarbeiter mitgeredet, wenn die Kommunen Software-Aufträge vergeben haben? Warben und werben die Mitarbeiter in anderen Kommunen für die Software?
Um das zu überprüfen, wollen wir von Prosoz wissen, wie viele Behörden-Mitarbeiter das Unternehmen seit wann beschäftigt. Das Landgericht verurteilte Prosoz auf diese Auskunft. Doch Prosoz weigert sich erneut und beruft sich auf angebliche Geheimnisse.
Doch was genau will Prosoz wirklich geheim halten? Es gibt einige Lokalpolitiker, die etwas zu verlieren haben. Ehemalige Angestellte von Prosoz bekleiden heute Ämter in der Region. Darunter:
– Cay Süberkrüb (SPD). Von 2000 bis 2004 war er nebenamtlicher Geschäftsführer von Prosoz. Heute ist er Landrat des Kreises Recklinghausen, zu dem die Stadt Herten gehört.
– Ulrich Paetzel (SPD). Er war lange in der Unternehmenskommunikation von Prosoz beschäftigt. Bis Februar 2016 war er Bürgermeister von Herten.
– Jürgen Ritzka. Auch er war zuvor bei Prosoz angestellt. Heute leitet er das Jobcenter Recklinghausen. Welche Funktion er bei Prosoz innehatte, wollte das Jobcenter bis Redaktionsschluss nicht beantworten.
Dieses Jobcenter vor der Haustür von Prosoz ist besonders heikel. Kommunen können eigene Arbeitsagenturen gründen und verwalten die Arbeitssuchenden dann in Eigenregie. Genau das machte der Kreis Recklinghausen im Jahr 2012. Und baute einen eigenen Verwaltungsapparat auf, der allein in jenem Jahr rund 46 Millionen Euro kostete.
Der Auftrag für Verwaltungssoftware wurde ausgeschrieben – den Zuschlag erhielt Prosoz. Die Entscheidung fiel in nicht-öffentlicher Abstimmung im Kreisausschuss. Heute weiß man: SPD, Grüne und FDP wollten Prosoz den Auftrag erteilen. CDU, Unabhängige Bürgerpartei (UBP) und LINKE waren dagegen. Ein Patt. Erst die Stimme von SPD-Landrat Cay Süberkrüb gab den Ausschlag. Jener Süberkrüb, der zuvor Geschäftsführer der Prosoz war.
„Völlig intransparent“ sei das Vergabeverfahren gewesen, kritisierten CDU, LINKE und UBP. Es sei nicht nachvollziehbar, warum Prosoz den Zuschlag für den Millionenauftrag bekommen habe.
„Die Unterlagen zur Ausschreibung waren sehr dürftig, wir konnten uns kein objektives Bild machen“, sagt Martina Ruhardt von der LINKE heute. Sie kritisierte schon 2011 öffentlich, dass die Vergabe des Auftrags durch die Stimme von Landrat Cay Süberkrüb durchgedrückt wurde. „Das hatte ein Geschmäckle.“
Für Klienten und Mitarbeiter des neuen Jobcenters war die Umstellung auf Prosoz ein Desaster: Weil die Software viele Schnittstellen nicht zuließ, mussten Mitarbeiter Daten von 70.000 Fällen manuell nachtragen. Ganze Datensätze gingen zudem verloren. Darauf folgten Überstunden und Überlastungsanzeigen. Klienten mussten Unterlagen wiederholt einreichen oder wurden als Putzkräfte in Bordelle vermittelt. So stand es in der Regionalpresse.
Der Landkreis wies damals alle Vorwürfe zurück: Landrat und Ex-Prosoz-Geschäftsführer Süberkrüb sprach von „Gerüchten“ und „Vermutungen“. Das ganze Projekt befände sich „im grünen Bereich“, erklärte er im Kreistag. Jobcenter-Chef und Ex-Prosoz-Mitarbeiter Ritzka sprach von „normalem Betrieb“.
Doch die Zahl der Hartz-IV-Empfänger im Kreis Recklinghausen stieg im Jahr 2012 um 2000 Personen an, die Vermittlungszahlen sanken um 18 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Die Kosten für die Umstellung waren enorm. Eine kleine Anfrage der Grünen im Bundestag ergab, dass allein im Jahr 2012 über 10 Millionen Euro aus dem Eingliederungsbudget für Arbeitslose in das Verwaltungsbudget des Jobcenters im Kreis Recklinghausen umgeschichtet wurden. Arbeitssuchende mussten auf Qualifizierungen und andere Weiterbildungsmaßnahmen verzichten, damit der Kreis unter anderem die neue Prosoz-Software einsetzen konnte.
So scheint es möglich, dass die politischen Träger von Prosoz jetzt Angst vor einem bundesweiten Korruptions-Skandal haben: Denn ein Skandal bei der Firma wird schnell ein Skandal für die Amtsträger im Landkreis.
Prosoz hat rund 280 Mitarbeiter und gilt mit etwa 1500 Kunden als Marktführer in dem Bereich. Die Firma betont, dass die Beschäftigung von Dozenten in Behörden rechtmäßig und branchenüblich sei. „Bei den eingesetzten freien Mitarbeitern handelt es sich nicht um Personen, die Einfluss auf Vergabeentscheidungen nehmen können“, schreibt Prosoz auf seiner Internetseite.
Das würden wir gerne überprüfen.
Ein anderer Grund für das Schweigen liegt auf der Hand: Prosoz könnte sich durch die Praxis der Beraterverträge Geschäftsvorteile gesichert haben – in diesem Fall wären auch Ermittlungen gegen die Firma wegen Korruption oder Bestechung nicht ausgeschlossen.