Vettern in Ämtern – die Recherche
Manche Recherchen brauchen einen besonders langen Atem. Die Recherche zur Hertener Softwarefirma Prosoz zog sich fast sieben Jahre hin. Und führte über zwei Gerichtsprozesse. Ein Recherche-Protokoll.
In der vergangenen Woche haben wir über Prosoz Herten berichtet. Die Firma bezahlt bundesweit Verwaltungsmitarbeiter als Honorarkräfte. Offiziell sollen sie Programme von Prosoz testen oder unterrichten; die Prosoz-Software wird in Jobcentern oder Jugendämtern eingesetzt. Zugleich führte dieses Geschäftsmodell zu einer weiten Landschaftspflege.
Der Verdacht, dass die Landschaftspflege weiter ging, als Landschaftspflege, dass vielleicht sogar Auftragsvergaben beeinflusst wurden, besteht seit dem Jahr 2009. Damals schlossen sich die Landkreise Wernigerode und Halberstedt zum Landkreis Harz zusammen und schrieben für ihre Bauämter eine neue Software aus. Prosoz bekam den Auftrag.
David Schraven, heute Publisher von CORRECTIV, erfuhr damals: In Wernigerode hat eine Frau im Bauamt seit 2004 nebenbei für Prosoz gearbeitet. Schraven wurde hellhörig – und fragte bei Prosoz nach, wie viele solcher freien Mitarbeiter die Firma in welchen Kommunen beschäftigt. Doch Prosoz schwieg. Schraven forschte weiter und sammelte erste Belege.
Fünf Jahre später übergab er den Fall an mich. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Und für manche Recherchen muss man eben auf den richtigen Zeitpunkt und die richtigen Rahmenbedingungen warten, um sie durchzuziehen.
CORRECTIV war gerade gegründet, ich trat mein Volontariat an und setzte mich auf die Spur von Prosoz. Ich las in Archiven von einem Hertener Unternehmen, das fast schon einmal pleite war, nachdem es sich mit der Produktion von Hartz IV-Software übernommen hatte. Ich las von großen Problemen nach Systemumstellungen. In Berlin und vor der eigenen Haustür in Recklinghausen zahlte die Software Sozialleistungen zu spät oder gar nicht aus. Musste die Firma zu unlauteren Methoden greifen, um zu überleben?
Ich telefonierte mit Kommunalpolitikern in Herten, mit Experten, Verbänden, Konkurrenten und ehemaligen Vertriebsmitarbeitern von Prosoz. Kaum jemand wollte reden. Zu angespannt war das komplexe Geschäft um Software für Amtsstuben.
Im Winter 2014 fragte ich erneut bei Prosoz nach, wie viele freie Mitarbeiter sie in Kommunen beschäftigen. In harschem Ton verkündete Petra Hertel, die Chefin von Prosoz, die Fragen seien vor fünf Jahren schon abschließend beantwortet worden.
Zur Auskunft verpflichtet
Doch Prosoz unterschätzte zwei Dinge: Erstens gehört die Firma der Stadt Herten. Zweitens nimmt Prosoz Aufgaben der Daseinsvorsorge wahr, also Dinge, die – wenn es Prosoz nicht geben würde – die Kommune selbst übernehmen müsste. Zum Beispiel die Verwaltung von Bürgerdaten. Und damit ist Prosoz nach dem Presserecht zur Auskunft verpflichtet.
Also klagten wir. Ende April 2015 saß ich den beiden Anwälten von Prosoz und ihrer Pressereferentin im Amtsgericht Recklinghausen gegenüber. Heimspiel für Prosoz: Die Richterin fertigte CORRECTIV nach zehn Minuten ab. Sie hatte die Klage offenbar gar nicht verstanden, denn sie sprach nur von freien Mitarbeitern im Kreis Recklinghausen und konnte offenbar nicht begreifen, was ein kommunales Unternehmen macht und warum es der Daseinsvorsorge dient.
Wir aber hatten nach den bundesweit eingesetzten freien Mitarbeitern bei Kunden gefragt. Der WDR und die Lokalpresse in Herten berichteten. Sie verbreitete vor allem die ablehnende Argumentation von Prosoz.
Neue Quellen öffnen sich
Dennoch öffneten sich langsam weitere Quellen: Ich ging zu Tagungen und fuhr durch die Republik. Nun sprach ich mit Kennern und ehemaligen Mitarbeitern von Prosoz, mit Verwaltungsmitarbeitern, die von Kollegen mit Nebenjobs berichteten. Und ich sprach mit weiteren Konkurrenten von Prosoz. Es ergab sich ein konkretes Bild vom Filz der Firma, der sich durch deutsche Verwaltungen zog. Von Vetternwirtschaft und Landschaftspflege.
Wir gingen in Berufung vor das Landgericht in Bochum. Prosoz ließ sich wieder von Anwälten der Kanzlei LLR vertreten, die auch den Fall vor dem Amtsgericht vertraten. LLR behauptete in dieser zweiten Verhandlung frech, wir würden „klagen um des Klagens Willen.“ Die besonnene Richterin aber verwies darauf, dass Kommunen der Betrieb eigener Firmen nur erlaubt ist, wenn diese einen öffentlichen Zweck verfolgen. Im Klartext: Jede von einer Kommune betriebene Firma, erfüllt automatisch Aufgaben der Daseinsvorsorge, sonst dürfte sie von der Kommune gar nicht betrieben werden. Jetzt war Prosoz schachmatt: Die Firma war uns gegenüber zur Auskunft verpflichtet. Sie musste rausrücken mit den Angaben, wie viele Mitarbeiter sie in wie vielen Kommunen beschäftigte.
Lokaler Filz: Prosoz und die SPD
Ich berichtete nach der gewonnen Verhandlung über die Verbindungen von Prosoz zu Lokalpolitikern der SPD. Und über die Auftragsvergabe für das Jobcenter im Kreis Recklinghausen in 2012, zu dem Herten gehört. Hier bekam Prosoz unter Protest der lokalen Opposition den Zuschlag. Pikant: Der ehemalige Verantwortliche für die Jobcenter-Software von Prosoz, Jürgen Ritzka, leitete mittlerweile das Jobcenter Recklinghausen. In meinen Augen ein Paradebeispiel von Filz. Meine Fragen an Pressestellen im Kreis Recklinghausen ließen mich darüber hinaus erahnen, wie weit der Filz reichte: Es schien, als fragte ich Wände und Mauern. Antworten erhielt ich zögerlich oder auch gar nicht.
Prosoz redete noch immer nicht. Anstatt uns zu antworten, wollten „die Hertener“ – so wird Prosoz in der Branche genannt – nach der verlorenen Verhandlung in Bochum vor den Bundesgerichtshof ziehen. Damit wir nicht einen Gerichtsvollzieher schicken, der das Urteil gegen Prosoz vollstreckt, zahlte die Firma sogar eine Sicherheitsleistung bei Gericht ein. 8000 Euro. In bar.
Im Sommer 2016 sah Prosoz offenbar ein, wie unsinnig der Zug vor den Bundesgerichtshof wohl geworden wäre und zog die Revision zurück. Jetzt konnte ich die Kommunen endlich fragen, wann Aufträge an Prosoz vergeben worden sind – während Verwaltungsmitarbeiter für Prosoz arbeiteten.
103 E-Mails an Kommunen
Ende August 2016 schickte ich 103 E-Mails mit meinen Fragen an die Pressestellen der Kreise und Städte, in denen die Verwaltungsmitarbeiter mit Nebenjob arbeiten. Einige kooperierten, andere wollten mich loswerden und mussten unter Androhung rechtlicher Schritte zur Antwort bewegt werden.
Nach drei Wochen und unzähligen weiteren Nachfragen per Telefon und E-Mail stand fest: Offenbar haben leitende Verwaltungsmitarbeiter in Kommunen Kriterien bei Auftragsvergaben mitbesprochen und standen zur selben Zeit auf der Gehaltsliste von Prosoz.
All das bestätigte in mehreren Gesprächen schließlich mir gegenüber ein ehemaliger Chef von Prosoz.
Am 7. Oktober 2016 erschien unsere Recherche. Sie fand großen Widerhall. Der Artikel erschien in den Ruhr Nachrichten, im Tagesspiegel, der Berliner Zeitung und anderen Lokalmedien. Zudem erschienen Berichte in Radio und Fernsehen.
Hektik in den Kommunen
In manchen Verwaltungen brach wegen des Artikels offenbar Hektik aus: Ich erhielt teils wütende Anrufe von Pressesprecherinnen und -sprechern, die keine Lust auf weitere Berichte hatten. Aus vertraulichen Quellen weiß ich auch: Politische Verantwortliche in den Kreisen und Städten sind sauer, dass ihre Kommunen wegen solcher Geschäftspraktiken in der Zeitung stehen.
Die Ergebnisse der Recherche zeigen: Wir haben nicht um des Klagens Willen geklagt. Sondern, um unserer journalistischen Sorgfaltspflicht nachzukommen. Verwaltungen sind keine Selbstbedienungsläden, sondern sie sollen uns allen dienen. Sie sollen keinen Klüngel mit städtischen Betrieben bilden.
Ich habe für die Recherche fast zwei Jahre gebraucht. Dutzende Arbeitstage und Arbeitswochen, in denen ich Hunderte Telefonate führte und Fragen per E-Mail stellte. Dazu kamen Gespräche in der Redaktion und mit Anwälten, Stellungnahmen für Gerichte, Blogbeiträge, Fahrtkosten für Treffen mit Quellen.
Diesen Aufwand hätte ich ohne CORRECTIV nicht bewältigen können. Und CORRECTIV hätte ohne seine Spender kein Geld für diese Recherche gehabt.
Nur weil wir Unterstützung haben, können wir über Filz, über Machtmissbrauch und Korruption berichten.