Die Unsichtbaren

Das überzogene Visum

Wenn Du als Ausländer, als Nicht-EU-Bürger nach Deutschland reist, brauchst Du ein Visum. Nur für wenige Länder ist diese Pflicht aufgehoben. Wenn Du einen Antrag auf ein Visum stellst, musst Du erklären, wieso Du einreisen möchte, dass Du ausreichend Geld hast, krankenversichert bist und in Dein Heimatland zurückkehren möchtest. Dein Visum ist immer befristet. Wenn Du länger bleibst, giltst Du als illegal. Folge der Geschichte eines Kolumbianers, der zum Studieren nach Deutschland kam.

von Benedict Wermter , Julian Jestadt , Florian Bickmeyer

Du bist 23 Jahre alt. Du kommst aus einem kleinen Dorf im Nordosten Kolumbiens. Deine Eltern haben eine Rinderfarm und viel gearbeitet, damit Du, Ihr ältester Sohn, zur Schule gehen konntest. Du warst ein guter Schüler, darfst sogar studieren, Wirtschaft in Bogotá. Die Farm wird nicht die Zukunft sein für Deine Familie, das weißt Du. Das Glück wirst Du woanders finden müssen. An der Uni siehst Du einen Aushang: ein Jahr in Deutschland studieren.

Deine Eltern haben Zweifel, aber sie sehen auch die Chance, die sich Dir bietet. Sie, Deine Tanten und Onkel, legen Ihr Geld zusammen für einen Flug und 7908 Euro für ein Sperrkonto, das Du zur Einreise nach Deutschland nachweisen musst. Mit Deinem Zulassungsbescheid der Universität bekommst Du ein Visum für die Zeit des Studiums.

Du magst die Stadt und die Deutschen. Alles hat seine Ordnung, das Leben ist sicher. Du verliebst Dich in ein Mädchen. Und bald werdet Ihr ein Paar. Du findest einen Job, mit dem Du ein paar Euro verdienst. Nach bald einem Jahr steht Deine Rückreise an. Aber Du möchtest bleiben. In langen Nächten sprichst Du darüber mit Deiner Freundin – und dann entscheidet Ihr gemeinsam: Du bleibst in Deutschland. Sie will Dir helfen und zusammen werdet Ihr es schon schaffen.

Dein Rückflugticket lässt Du verfallen. Deine Eltern sind traurig, aber sie verstehen Dich. Zwei Tage später ist Dein Visum abgelaufen – jetzt giltst Du in Deutschland als illegal.

Weiter studieren kannst Du nicht und auch Deinen Job musst Du aufgeben. Aber Du hast Glück: über einen Freund findest eine neue Arbeit in einer Küche. Du brätst Burger. Und Du träumst von einem eigenen Restaurant, wo Du gutes südamerikanisches Rindfleisch auftischen möchtest. Mit Deiner Freundin sprichst Du über eine Heirat, Du dürftest dann wieder in Deutschland sein. Aber noch sind ihre Eltern dagegen, es ginge zu schnell.


Du giltst jetzt als illegal.

  • Du darfst nicht arbeiten, nur schwarz, und Deinen Lohn kannst Du nicht einklagen, ohne Deine Identität zu offenbaren.
  • Du bist nicht krankenversichert und kannst auch sonst keine Versicherungen abschließen.
  • Du hast keine Altersvorsorge.
  • Du wirst Schwierigkeiten haben, eine Wohnung zu mieten.
  • Du meidest jede Begegnung mit Polizei, Behörden und Menschen, die Dich verraten könnten.
  • Du kannst kein Verbrechen anzeigen. 
  • Du bekommst keine sozialen Leistungen.
  • Du darfst nicht wählen.

Zurück

Redaktion: Florian Bickmeyer
Gestaltung: Thorsten Franke, Simon Jockers, Ivo Mayr