Fußballdoping

„Was in Bern passiert ist, war verboten“

Eine Diskussion über Doping der 54er Weltmeister gibt es seit einigen Jahren. Kannst Du die wichtigsten Fakten zusammenfassen?Erik Eggers:

von Daniel Drepper

(FILES) West German forward Helmut Rahn

Eine Diskussion über Doping der 54er Weltmeister gibt es seit einigen Jahren. Kannst Du die wichtigsten Fakten zusammenfassen?
Erik Eggers:
Monate nach dem WM-Sieg gab es viele Gelbsuchtfälle bei Nationalspielern. Heute weiß man, dass diejenigen Spieler an Gelbsucht erkrankten, die sich damals verunreinigte Spritzen haben setzen lassen. Was war in den Spritzen drin? Ich bin ziemlich sicher, dass es nicht Vitamin C war. Wenn man sich die Zeitungsberichte von damals ansieht, dazu das sportwissenschaftliche Umfeld und die Schilderungen von Mannschaftsarzt Franz Loogen, dann muss man davon ausgehen, dass damals Amphetamine verabreicht wurden. Alles andere macht wenig Sinn. Vitamin C konnte man damals auch schon oral verabreichen, dazu brauchte man keine Spritzen.

Was ich in Deinem Aufsatz zum Thema interessant fand: Die Spritzen sind geheim verabreicht worden, im Keller. Das spricht eher für verbotene Praktiken.
Eggers:
Dieses konspirative Element spricht in der Tat für eine verbotene Methode. Viele sagen heute, Doping war damals nicht verboten: Das ist natürlich nicht richtig. Der Deutsche Sportbund hatte künstliche Mittel zur Leistungssteigerung ab 1953 verboten. Das galt auch für den Deutschen Fußball Bund. Was in Bern passiert ist, war verboten, das kann man so festhalten.

Der DFB war offiziell erst gegen künstliche Leistungssteigerung. Offenbar änderte sich das in der Vorbereitung auf Bern.
Eggers:
Sepp Herberger hatte immer Interesse an Dingen, die sich abseits des Feldes abgespielt haben. Er war ein großer Taktikfuchs, hat sich viele Anregungen von außen geholt. Genau das gleiche gilt für sportwissenschaftliche Themen. Wenn Helmut Rahn nach der Südamerika-Tournee 1954 mit Rot-Weiß Essen erzählte, die Südamerikaner würden irgendwelche Substanzen nehmen und so schnell laufen, wie er das im Leben noch nicht gesehen hat – dann hat das Herberger sicher interessiert. Mannschaftsarzt Franz Loogen ist übrigens erst nach vielen Irrungen und Wirrungen mit nach Spiez gefahren. Loogen hatte offenbar Gewissensbisse.

Loogen sollte erst ausgetauscht werden, dann fand man keinen Ersatz und schließlich fuhr er doch mit in die Schweiz.
Eggers:
Sehr komplizierte Geschichte, muss man sagen. Wir wissen, dass Pervitin damals in vielen Sportarten im Einsatz war. Das erklärt sich mit dem Einsatz von Pervitin im zweiten Weltkrieg. Es war Alltag, sich mit solchen Dingen aufzuputschen. Auch in anderen Fußballmannschaften gab es Versuche mit Pervitin. Von den Olympischen Spielen 1948 wurde zum Beispiel berichtet, dass US-Amerikaner und angeblich auch Engländer mit Strychnin gearbeitet haben. Trainer, Sportler und Ärzte wussten das natürlich.

An der Uni Freiburg wurde ganz konkret die Wirkung von Pervitin erforscht.
Eggers:
Es gibt eine Dissertation aus Freiburg, die ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Erstens ist sie fünf Jahre lang nicht publiziert worden. Natürlich wurde sie als Dissertation eingestellt, aber sie wurde eben nicht publiziert. Vermutlich, um nicht in die Dopingdebatte zu fallen, die bis 1956 in Deutschland getobt hat. Damals hat der Doktorand erforscht, welche Vorteile Mittel wie Pervitin überhaupt bringen. Pervitin erwies sich damals als das perfekte leistungssteigernde Mittel. Der Doktorand hat Leistungssteigerungen von über 20 Prozent festgestellt, in Eigenversuchen und in Versuchen an Ruderern und Leichtathleten. Die Doktorarbeit habe ich erst 2003 im Rahmen meiner Recherchen gefunden, die war vorher völlig unbekannt. Diese Arbeit ist extrem wichtig, weil sie für mich den Auftakt zu weiteren fragwürdigen Forschungen markiert, die in den folgenden Jahrzehnten in Freiburg passiert sind.

Die Ergebnisse wurden fünf Jahre lang nicht publiziert, aber wurden sie genutzt, waren die Ergebnisse im Sport bekannt?
Eggers:
Reindell war Sportarzt mit Leib und Seele. Ich gehe davon aus, dass er alle Ergebnisse nutzte, die ihm zur Verfügung stehen. Er wird die nicht einfach zur Seite gestellt haben, sondern er wird das, was von einem Doktoranden geschrieben wurde, durchaus genutzt haben. Davon muss man ausgehen.

Du hast grad den Pervitin-Einsatz im Krieg angesprochen. Wie ist denn die Verbindung von dort zu Sepp Herberger und der WM 54?
Eggers:
So wie in anderen Berufen auch: Es gab viele Fußballer, die im Krieg gedient haben. Die wussten ganz genau, welche Wirkung das hat. Fritz Walter hat damals zum Beispiel bei den Roten Jägern gedient. Und es gab viele Spieler wie Walter, die schon etwas älter waren, und denen diese Kultur des Aufputschens immer noch geläufig war. Es ist ja nicht so, dass man das mit Kriegsende einfach abstreift. Natürlich wurden diese Präparate weiter genutzt. Auch in anderen Berufen. Ganz extrem war der Gebrauch unter Medizinern.

Was dafür spricht, dass Mannschaftsatzt Franz Loogen Kontakt mit Pervitin hatte.
Eggers:
Dass ein solcher Arzt den Zugang zu Pervitin bekommen sollte, das steht außer Frage. Es war zwar verboten, so etwas ohne medizinische Genehmigung zu verabreichen, aber dieses Verbot wurde häufig unterlaufen.

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Heute gibt es die Anti-Doping-Agenturen, es gibt Kontrollen. Damals war das anders. Doping war wie gesagt seit 1953 in Deutschland verboten. Aber Kontrollen gab es nicht und auch die FIFA hat für die WM 54 nichts gegen Doping unternommen.
Eggers:
Es war verboten, weil es der Deutsche Sportbund verboten hatte. Insofern durften die deutschen Fußballer und ihr Arzt damit nicht experimentieren, auch wenn das Turnier außerhalb Deutschlands stattfand. Dopingverbote gab es aber schon viel früher. Die erste Anti-Doping-Konvention von Sportärzten datiert von 1924. Das Problem: Lange Zeit wurde überhaupt nicht kontrolliert. Sanktionen gab es höchstens, wenn Sportler oder Ärzte in flagranti erwischt wurden. Erst ab der Fußball-WM 1966 wurde kontrolliert.

Nach der WM 54 ist das Pervitin nicht aus dem Fußball verschwunden. In deinem Aufsatz schreibst Du, dass Max Merkel als Trainer 1961 bei Borussia Dortmund Pervitin eingesetzt hat. Gibt es eine Dopingtradition im deutschen Fußball?
Eggers:
Davon ist auszugehen. Ganz sicher wissen wir das aus Italien: 1960 haben sie dort im Training kontrolliert und stellten fest, dass mehr als zwei Drittel der italienischen Profis schon Kontakt mit Aufputschmitteln hatten. Die Profiliga in Italien war strukturell weiter entwickelt. Aber man muss davon ausgehen, dass sich auch deutsche Vereine mit Aufputschmitteln auskannten, schon ab 1949 mit Beginn des Oberliga-Spielbetriebs.

2004 hat die Bild die Pervitin-Geschichte der 54er Weltmeister öffentlich gemacht. Danach wurde alles dementiert. Dabei blieb es. Wundert es dich, dass es so wenig fundierte Berichte dazu gibt?
Eggers:
Mich wundert das eigentlich nicht. Die Bild-Zeitung kommt mit so einer spektakulären Schlagzeile, was passiert dann? Zeitungen befragen die Sportler, Funktionäre und Trainer von damals. Und wenn die dann alles abstreiten, dann steht das eben am nächsten Tag so in der Zeitung. Das ist ja auch eine medienökonomische Frage: Was soll man dann weiter berichten? Wenn die entsprechenden historischen Studien nicht vorliegen, dann kann man das weder verifizieren noch falsifizieren. Dann ist journalistisch gesehen schnell das Ende der Fahnenstange erreicht. Nur historische Aufklärung kann da helfen; dass man solche Spezialfragen beforscht. Das muss man deutschen Sporthistorikern vorwerfen, dass sie sich bis 2004 damit überhaupt nicht beschäftigt haben. Das beste Buch zur Geschichte des Dopings hat ein US-Amerikaner geschrieben, John Hoberman 1994. Wenn man andere Dinge nicht zur Verfügung hat, was will man als Journalist dann schreiben? Dann zielt man in den luftleeren Raum und das wäre unseriös.

Jetzt gibt es die Studie Doping in Deutschland, an der auch Du mitwirkst. Ist Fußball ein Thema? Kann man da schon mehr zu sagen? Gibt es da Quellen?
Eggers:
Dass es Quellen gibt, davon bin ich überzeugt. Aber zu den Inhalten der Studie Doping in Deutschland kann ich nichts sagen, solange die nicht publiziert ist. Dazu braucht es eine Genehmigung des Bundesinstitutes für Sportwissenschaft.

Ich bin mit Erik Eggers persönlich bekannt, deshalb haben wir uns im Gespräch geduzt. Das Interview ist für die Schriftform etwas gekürzt und sprachlich angepasst worden.