Fußballdoping

„Ausgequetscht wie eine Zitrone“

Geht es im professionellen Fußball nicht mehr ohne Schmerzmittel, Ingo Froböse?

von Daniel Drepper

Foto: Monika Sandel

Geht es im professionellen Fußball nicht mehr ohne Schmerzmittel?
Ingo Froböse:
Der Fußball ist absolut an der Oberkante der Belastbarkeit. Nehmen wir mal die EM-Spieler, die haben schon 60-70 Spiele hinter sich. Wenn jetzt ein neuer Höhepunkt folgt, geht das nicht ohne körperliche Schäden. Die Regeneration wird immer kürzer, der Körper wehrt sich und so greift man zu diesen Mitteln, um Symptome zu unterdrücken. Und das wird immer häufiger.

Was macht das mit den Spielern?
Froböse:
Schmerz ist immer ein Warnsignal und dient dazu, den Körper vor einer neuen Schädigung zu schützen. Wenn ich dieses Signal ignoriere, führt das dazu, dass langfristige körperliche Schäden entstehen, zum Beispiel im Knie- oder Sprunggelenk. 25 Prozent der Verletzungen werden nicht richtig auskuriert. Grade in der Champions League, bei den absoluten Stars. Es sind sicher 60 Prozent der Fußballer nicht ausreichend regeneriert. Deshalb müssen sie zu Mitteln greifen.

Worauf gründen sie das? Haben sie selbst Studien gemacht?
Froböse:
Wir haben eine ganze Reihe von Befragungen durchgeführt. Der Fußball ist natürlich eine geschlossene Gesellschaft, die lassen niemanden hineingucken. Und schon gar nicht jemanden, der das nach außen trägt. Wir haben trotzdem Insiderinformationen von Spielern. Wir haben auch mit Trainern und Betreuern gesprochen, wenn auch meist nur anonym. Eine umfassende Statistik bekommen wir leider nicht. Dafür beobachten wir die wiederkehrenden Verletzungen. Wir schauen dem Fußball sehr argwöhnisch über die Schulter.

Welche Reaktionen bekommen Sie auf kritische Äußerungen?
Froböse:
Wir verspüren keinen Druck, aber die Verschlossenheit nimmt zu, das ist schade. Wir werden öffentlich-rechtlich finanziert und wenn wir den Sport als Vorbildfunktion für unsere Gesellschaft sehen, ist es unsere Aufgabe als Wissenschaftler, den Finger in die Wunde zu legen. Das ist nicht gern gesehen und das merken wir.

Was müsste passieren, damit der Missbrauch kleiner wird?
Froböse:
Der wirtschaftliche Druck müsste sinken. Das sind ja keine Personen mehr, die dort spielen, sondern Produkte, Waren. Die Sportler verkaufen sich mit Haut und Haaren. Aber es geht nicht darum, kurzfristig viel Geld zu scheffeln, sondern um langfristige Lebensqualität. Dazu gehört insbesondere die Gesundheit. Ich kenne viele Spieler, die sich sehr darüber ärgern, was früher mit Ihnen gemacht worden ist. Diese Reflexionsfähigkeit würde ich gerne aktiven Spielern vermitteln. Denn nur sie können an der Schraube drehen, niemand anders.

Gibt es denn Spieler, die heute öffentlich dafür eintreten würden?
Froböse:
Es gibt eine Art Ehrenkodex, dass man aus dem Fußball möglichst wenig nach außen dringen lässt. Aber es gibt natürlich eine ganze Reihe von Spielern, mit denen wir auch reden, die zu Sportinvaliden werden und eine Therapie bekommen. Weil sie plötzlich sehen: Es geht nicht mehr. Ich kenne einige, die können mit ihren Kindern nicht einmal mehr laufen gehen, weil ihre Knochen so kaputt sind. Ich halte es für wichtig, dass diese Spieler aufklären. Es gibt einige, die machen das, allerdings immer nur im Zwiegespräch. Sie würden es nie öffentlich machen.

Schrecken diese Beispiele jüngere Spieler nicht ab?
Froböse:
Nein, leider hat der ökonomische Druck, der Druck von Trainer und Manager dazu geführt, dass die Spieler sehr kurzfristig agieren. Die Spieler werden total hochgehoben und das dann zu verlieren, das wäre extrem. Es gibt einen Trainer in der Bundesliga, der so dominant ist, dass die Spieler gar nicht informiert werden, was sie für eine Verletzung haben. Der Trainer ist letztendlich auch Herr des gesamten Wissens. So wird auch gar nicht an die Spieler herangetragen, welche Probleme sich möglicherweise ergeben könnten. Die Spieler werden für dumm gehalten und werden auch dumm gehalten. Diese Herrschermentalität sehe ich als ganz, ganz großes Manko.

Als Fußballprofi scheint man nicht den gesündesten Arbeitsplatz zu haben.
Froböse:
Im Fußball wird der Körper ausgelaugt, ausgequetscht wie eine Zitrone. Auch aus ökonomischen Gründen wird versucht, das Maximale rauszuholen. In allen Berufen gibt es bestimmte arbeitsmedizinische Grundlagen. Das ist im Fußball überhaupt nicht der Fall. Das hat mit Arbeitsschutz überhaupt nichts zu tun, ganz im Gegenteil. Man lutscht einen Organismus aus, bis es nicht mehr geht.

Ist es ein Problem, dass die Mannschaftsärzte für Spieler oft die einzigen Ansprechpartner sind, dass es bei Verletzungen keine Zweitmeinung gibt?
Froböse:
Wir haben leider eine Art Guru-System im Spitzensport. Diese Gurus haben so einen Einfluss auf die Sportler, dass eine gewisse Hörigkeit entsteht. Daraus resultiert eine Einseitigkeit der Meinungsbildung, weil eben keine Zweitmeinung eingeholt wird. Das halte ich für absolut gefährlich. Jeder Spitzensportler sucht nach der kleinsten Kleinigkeit, die ihm hilft, noch besser zu werden. Dementsprechend haben viele Scharlatane Hochkonjunktur. Da gibt es kein Kontrollsystem und keine Qualitätssicherung. Kontrollen wären Zweit- oder Drittmeinungen.

Ivan Klasnic benötigte eine neue Niere und verklagt jetzt Werder Bremens Mannschaftsarzt Götz Dimanski. Wir beurteilen Sie den Fall in diesem Zusammenhang?
Froböse:
Ich glaube, dass der Fall Ivan Klasnic nie aufgetreten wäre, wenn einem normalen medizinischen Kodex gefolgt wäre. Und wenn man das ganz seriös mit anderen Meinungen begleitet hätte. Ich glaube das ist ein hausgemachtes, vereinseigenes Problem – leider zum Schaden des Spielers.

Haben Sie eine Vermutung, wie es bei Klasnic gegen Werder weitergeht?
Froböse:
Das wird leider ausgehen wie das Hornberger Schießen. Es hängt immer davon ab, welche Vorschädigung der Spieler hatte: Das Nierenversagen ganz kausal auf die Behandlung zurückzuführen, das wird nur ganz schwer gelingen. Ich glaube es wird nicht gut ausgehen für Klasnic. Aber der Prozess zeigt das Problem: Hier ist für die Leistung des Vereins ein Spieler zugrunde gerichtet worden. Klasnic wird ein Leben lang darunter leiden. Das halte ich für fatal.

Die EM folgt am Ende einer langen Saison, die Spiele sind dicht getaktet. Ist der Missbrauch von Schmerzmitteln hier besonders groß?
Froböse:
Durch den enormen EM-Hype wird die Belastung der Spieler extrem größer, nicht nur körperlich, sondern auch mental. Die mentale Anspannung hat unmittelbare Konsequenzen auf meine Körperlichkeit. Ich bin mir sicher, dass die Vereine und die Spieler die Zeche zahlen müssen – und nicht die Nationalmannschaft. Es werden alle Mittel genutzt, um die Probleme während der EM in den Griff zu kriegen. Über diese drei Wochen kann man sich grade noch drüberretten: Für die Nation schafft man es. Ich erwarte, dass in den ersten Monaten der Bundesliga die Zeche gezahlt werden muss.

Das Gespräch in etwas längerer Fassung als Podcast

Ein kurzes Video-Interview mit Ingo Froböse