Fußballdoping

Vergleich: Doping in Fußball und Radsport

Körperliche Beanspruchung

von Daniel Drepper , Jonathan Sachse

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Der Vergleich ist subjektiv; gezogen von zwei Journalisten, die in den vergangenen beiden Jahren die Tour de France begleitet (Jonathan) beziehungsweise Doping im Fußball recherchiert haben (Daniel). Über Hinweise und Kommentare freuen wir uns.

Dopingarzt Luis del Moral soll 1999 zu Ex-Radprofi Tyler Hamilton gesagt haben: „Im Vergleich mit den Fußballern nehmt ihr Jungs gar nichts.“ Luis del Moral ist ein spanischer Arzt. Im Juli 2012 wurde del Moral von der USADA im Zuge der Armstrong-Anklage wegen Dopings lebenslänglich vom Radsport ausgeschlossen. Auf seiner Website führt del Moral die spanischen Topvereine FC Barcelona und FC Valencia weiterhin als Kunden auf. Im Juli hatten wir darüber auch auf fussballdoping.de berichtet.

Luis del Moral ist nicht der einzige Dopingarzt, der sowohl mit Radsportlern, als auch mit Fußballern zusammengearbeitet hat. Zu nennen sind unter anderem Eufemiano Fuentes und T-Mobile-Arzt Andreas Schmid. Letzterer hat jahrelang die Fußballer des SC Freiburg betreut. Schmid akzeptierte erst vor kurzem einen Strafbefehl wegen des Weitergebens von EPO an Radprofis (mehr zu Schmid in der Einstellungsverfügung der Freiburger Staatsanwaltschaft). Das beweist nicht, dass Schmid auch Fußballer gedopt hat. Aber die Verbindungen der belasteten Mediziner zeigen, dass es vom Radsport zum Fußball nicht weit ist.

Nun, wie dopinggefährdet sind die beiden Sportarten? Ein subjektiver Vergleich.

Körperliche Beanspruchung
Auf den ersten Blick scheinen im Radsport die körperlichen Eigenschaften wichtiger zu sein: Muskelauf- und Fettabbau, erhöhte Sauerstoffkonzentration im Blut, schnellere Regeneration – nur drei Beispiele. Die Körper von Radsportlern haben neben Triathleten und Ruderern die größten körperlichen Belastungen zu ertragen, im Rennen wie im Training. Das Training ist hart und lang, im Rennen zählt in vielen Disziplinen allein der eigene Körper, der Kampf gegen die Uhr oder den Rest des Feldes (Bahnrad, Anstiege, Zeitfahren). Im Rennen gibt es, wenn es drauf an kommt, kaum Regenerationsphasen. Und oft entscheiden wenige Sekunden über Erfolg oder Niederlage.

Doch auch im Fußball entscheiden auf höchstem Level nur noch Details. Die Geschwindigkeit des Spiels und damit das Laufpensum der Spieler hat sich in den vergangenen Jahrzehnten enorm gesteigert. Mittlerweile laufen Bundesliga-Profis mehr als zwölf Kilometer pro Spiel, viele hundert Meter davon im Sprint. Moritz Leitner von Meister Dortmund lief beim 3:3 gegen Eintracht Frankfurt gar 13.110 Meter und sprintete 20 Mal. Je besser ein Fußballer körperlich vorbereitet ist, desto stärker kann er sich auf die technischen und taktischen Elemente des Spiels konzentrieren. Wer frischer kickt, spielt präziser und effizienter. Und wenn elf Spieler durch Doping jeweils zehn Prozent schneller, kräftiger, härter spielen, entspricht das einem zwölften Mann: So ergeben sich auch taktisch ganz neue Möglichkeiten.

Gefährdung Rad: 3/3
Gefährdung Fußball: 2/3

Biografische Falle
Die Einbahnstraße Profisport nennen Soziologen gern „biografischen Falle.“ Wer keinen ordentlichen Beruf gelernt hat, ist dazu verdammt, im Sport Geld zu scheffeln. Das gilt für Athleten im Radsport und Fußball gleichermaßen. Im Radsport vergeben die Teams in der Regel nur Verträge über ein oder zwei Jahre. Für einen durchschnittlichen Bundesligaprofi gelten ähnliche Zeiträume. Ein kurzer Vertrag verpflichtet die Sportler, in kürzester Zeit gute Resultate zu erzielen. Für Regeneration, insbesondere nach größeren Verletzungen, bleibt kaum Zeit.

Wer nicht mithalten kann und keine alternative berufliche Perspektive sieht, kann in Doping einen Ausweg sehen. „Doping ist eine Art Mehrzweckwaffe, um die sehr, sehr großen Druckverhältnisse auszuschalten“, sagt Sportsoziologin Antje Dresen. „Ein Sportler ist mit 35, maximal 40 Jahren am Ende seiner Karriere. Diese Abhängigkeit vom eigenen Körper spielt eine ganz, ganz große Rolle.“

Immerhin: Viele Fußballvereine investieren in ihren Fußballakademien auch in die Bildung, lassen die jungen Spieler Abitur machen. Studierte Fußballer bleiben aber die Ausnahme, ein Studium ist als Profi wegen der starren Strukturen kaum möglich. Auch Rad-Profis haben wegen des hohen zeitlichen Aufwandes kaum Chancen auf höhere Bildung. Und: Wegen der extremen Trainingsumfänge schon im Jugendalter leidet bei manchen auch die schulische Ausbildung.

Doch auch im Radsport gibt es positive Ansätze: Das neu gegründete Team Argos Shimano schließt mit seinen Fahrern Verträge über mindestens drei Jahre, um den Erfolgsdruck etwas zu mindern. Eine duale Karriere ist bei einem Trainingsumfang von 40.000 Kilometern im Jahr aber dennoch nicht möglich.

Gefährdung Rad: 3/3
Gefährdung Fußball: 2/3

Geld für Leistung
Wer erfolgreich ist, erhöht sein Einkommen: Im leistungsbezogenen Sport ist diese Parallele sehr einfach zu ziehen. Vielleicht ist hier der Fußball sogar extremer als der Radsport: Für jeden Erfolg gibt es Prämien, die eins zu eins auf das Sportlerkonto überwiesen werden. Prämien fürs Tore schießen, für Einsätze, für Punkte, für Titel: Jeder Erfolg erhöht das Honorar, der variable Anteil ist häufig sehr hoch. Jeder Misserfolg bedeutet einen finanziellen Verlust. Echte Pausen kann sich keiner leisten. Immer wieder hört man von Extrembeispielen. Ex-Fußballprofi Alexander Klitzpera spielte einst monatelang trotz einer Entzündung in der Plantarsehne, baute vor Spielen bewusst einen hohen Spiegel von Schmerzmitteln im Blut auf.

Auch im Radsport gibt es die Tendenz, Verletzungen nicht ausheilen zu lassen. Mehr Rennen bedeuten mehr Geld. Tony Martin saß trotz gebrochenen Handgelenks bei den Olympischen Spielen auf der Zeitfahrmaschine. Der deutsche Sprinter Andre Greipel bestritt in diesem Jahr bereits mehr als 14.000 Rennkilometer. Im Unterschied zum Fußball fließen die Prämien im Radsport allerdings meist in die gemeinsame Teamkasse, an der auch Betreuer oder Mechaniker partizipieren.

Ein durchschnittlicher Bundesliga-Kicker verdient im Jahr etwa 300.000 Euro Grundgehalt. Nach ein paar Jahren kann selbst ein Profi im ständigen Abstiegskampf zum Millionär werden. Topstars verzigfachen diese Summen leicht. Der Anreiz zum Doping ist da. In der zweiten Liga verdient ein durchschnittlicher Profi laut Spielergewerkschaft VdV etwa 150.000 Euro im Jahr, in Liga drei sind es sogar nur rund 60.000 Euro. Ein Fußballprofi ohne Ausbildung könnte in Liga drei unter Druck geraten, besser zu spielen – um für die Zeit nach der Karriere auszusorgen.

Eine vom Radsportweltverband in Auftrag gegebene Studie bei Ernst & Young bezifferte der Durchschnittseinkommen der Radprofis im Jahr 2009 auf 136.000 Euro, zeigte aber auch: 15% der Profis verdienen weniger als 40.000 Euro im Jahr.

Gefährdung Rad: 2/3
Gefährdung Fußball: 2/3

Soziales Umfeld
Durch das viele Training wird das soziale Umfeld bei angehenden Profis oft auf die Personen reduziert, die zur sportlichen Weiterentwicklung beitragen. Die mehrstündigen Trainingsausfahrten im Radsport beanspruchen mehr Zeit als die Trainingseinheiten im Fußball, zudem sind Radsportler häufiger bei Rennen unterwegs, von Hotel zu Hotel. Aber auch bei den Profikickern bleibt kaum Zeit für externe moralische Prägungen. Der Einfluss kommt im wesentlichen durch Mitspieler, Trainer, Ärzte und Familie zu Stande. Wenn erfahrene Sportler oder Betreuer positiv über Nahrungsergänzungsmittel, Schmerzmittel und Doping sprechen, hat das Einfluss auf jüngere Teamkollegen.

Gefährdung Rad: 2/3
Gefährdung Fußball: 2/3

Historie
Das geschlossene Personalkarussell wurde im Radsport in den letzten Jahren ein wenig gelockert, aber die ewig Gestrigen sind weiter im Peloton unterwegs. Auch im Fußball ist dieser Karriereweg typisch: Ehemalige Spieler starten ihre zweite Karriere als Trainer oder Funktionär. Eine gefährliche Mentalität wird so über Generationen hinweg übertragen. Im Radsport gibt es bislang deutlich mehr aufgedeckte Skandale, in den 90er Jahren war verschiedenen Berichten zu Folge der Großteil des Pelotons gedopt. Im Fußball gibt es immer wieder Hinweise auf Doping, eine flächendeckende Verbreitung ist bislang aber nicht belegt.

Gefährdung Rad: 3/3
Gefährdung Fußball: 2/3

Kontrollen
Hier unterscheiden sich Radsport und Fußball deutlich: Die Kontrollen im Profifußball sind deutlich schlechter. Wer dopen will und sich halbwegs clever anstellt, kann nicht erwischt werden. Auch in der Saison 2012/13 wird das Blut der Bundesligaprofis nicht kontrolliert. Die wenigen Urintests sind überschaubar und kommen kaum überraschend.

Der Radsport glänzt mittlerweile mit den umfangreichsten Kontrollen aller Sportarten. So sind die Radsportler Vorreiter des Blutpassprogramms (welches die FIFA ablehnt). Das bedeutet nicht, dass im Radsport die gedopten Athleten immer erwischt werden. Die Dopingjäger werden immer einen Schritt hinterher sein und selbst ein positiver Test muss keine Sperre nach sich ziehen. Nachträgliche Ausnahmegenehmigungen (TUE) bilden nur eine Option ab, einer Verurteilung zu umgehen. Dennoch: Hier hat der Fußball nachholbedarf.

Gefährdung Rad: 1/3
Gefährdung Fußball: 3/3

Fazit
Sechs Vergleiche, die zeigen: Die Faktoren für Doping im Radsport und Fußball ähneln sich, können zu großen Teilen auf den gesamten Profisport übertragen werden. Im direkten Vergleich wird deutlich, dass die Strukturen im Fußball noch zu wenig erforscht sind und fragwürdige Personalsituationen zu selten öffentlich kommuniziert werden. Aufgrund der schillernden Doping-Vergangenheit und der extremen körperlichen Belastungen halten wir Radsport für etwas dopinganfälliger als Fußball.

Gefährdung Rad: 14
Gefährdung Fußball: 12

Kontakt zu Jonathan: jonathan.sachse@gmail.com oder +49 151 405 22 403