Reserve-Antibiotikum wirkt zum Teil nicht mehr
Im November haben Forscher eine Resistenz gegen das wichtige Reserve-Antibiotikum Colistin entdeckt. Seither überschlagen sich Ereignisse. Der Wirkstoff droht auch in Deutschland als Notfall-Medikament auszufallen. Wahrscheinliche Ursache ist der massenhafte Einsatz des Antibiotikums in der Massentierhaltung
Wer sich mit Darmbakterien infiziert, mit bösartigen E. coli oder Klebsiellen, dem kann bislang das Antibiotikum Colistin das Leben retten. Forscher haben den Wirkstoff 1947 entdeckt, seit den 1980er Jahren wird er nur selten bei Menschen verwendet. Denn Colistin hat zum Teil heftige Nebenwirkungen – unter anderem kann es den Nieren schaden. Gerade diese Nebenwirkungen haben den Stoff so wertvoll werden lassen: Durch den seltenen Einsatz haben sich bislang kaum Resistenzen beim Menschen gebildet. Die Arznei kann eingesetzt werden, wenn andere Antibiotika nicht mehr helfen, etwa Cephalosporine und Carbapenem. 2012 setzte die WHO Colistin auf die Liste der „kritisch wichtigen Antibiotika“.
Der Keimeatlas
Die Verbreitung der Resistenz gegen einzelne Antibiotika seht Ihr in unserem Keimeatlas.
Ganz anders in der Massentierhaltung: Da ist Colistin seit Jahren eines der am meisten verwendeten Antibiotika. Tierärzte verabreichen es etwa gegen Durchfallerkrankungen. Weltweit, schätzen Experten, werden in der Massentierhaltung pro Jahr fast 12.000 Tonnen Colistin verbraucht.
Die Rechtfertigung: Bei Menschen wird das Antibiotikum ja kaum genutzt. Zudem beschränken sich Resistenzen auf jene Keime, die nur Tiere befallen. Man ging davon aus, dass Colistin eines der wenigen Antibiotika sei, dessen Resistenz-Gene nicht von Keim zu Keim springen.
Diese Argumentation ist in den vergangenen Wochen von chinesischen Wissenschaftlern über den Haufen geworfen worden. Sie waren stutzig geworden, weil sie immer mehr Colistin-resistente Erreger in der Tiermast beobachtet hatten. Und fragten sich: Gibt es vielleicht doch ein Resistenz-Gen, dass von Keim zu Keim springen kann?
Ja, gibt es: Die chinesischen Wissenschaftler sammelten den Darmkeim E. coli in Schweineställen und konnten dann im Labor nachweisen, dass die Bakterien die Resistenz weitergeben, über Artgrenzen hinweg. Der Übeltäter: Ein Gen namens mcr-1, das die Struktur der Bakterienhülle verändert, so dass das Antibiotikum Colistin nicht mehr daran andocken kann. Die Forscher fanden heraus, dass mcr-1 bei Tierkeinem weit verbreitet ist. Besonders beunruhigte sie, dass sie die Resistenz auch bei einigen Erregern fanden, die Menschen befallen.
Im Dezember 2015 überschlugen sich die Ereignisse: Die Europäische Arzneimittelbehörde gab bekannt, dass sie ihre Empfehlungen über den Einsatz des Mittels in der Tiermast überdenken wird. Und Forscher machten sich weltweit daran, das Resistenz-Gen in ihren Regionen nachzuweisen. In Thailand, Dänemark, Holland und Frankreich wurden die Wissenschaftler fündig – und Anfang Januar auch in Deutschland. Das Bundesinstitut für Risikobewertung untersuchte alte Proben und fand das neu entdeckte Resistenz-Gen mcr-1 am häufigsten bei E. coli im Mastgeflügel.
Auch eine andere Forschungsgruppe war erfolgreich. Sie fand das neue Gen in vier Proben. Drei davon stammten aus Schweinen, eine aus einer menschlichen Wunde.