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„Irgendwann breche ich zusammen“: Von der chinesischen Polizei zum Spitzeln gedrängt

Ein junger Mann berichtet, in China von der Polizei unter Druck gesetzt worden zu sein – trotz deutscher Staatsbürgerschaft. Offenbar sollte er China-kritische Personen in Deutschland verraten. Deutsche Sicherheitsbehörden sind alarmiert.

von Till Eckert , Sophia Stahl

Polizeibeamte an einem chinesischen Flughafen. (Symbolfoto: Picture Alliance / dpa / TASS / Artyom Ivanov)

Bei der Ankunft am Flughafen in China winkt die Polizei Alex zu sich. Der Deutsch-Chinese soll in einem kleinen Raum gegenüber den Beamten Platz nehmen und seine elektronischen Geräte vor ihm auf den Tisch legen. Dann hätten ihn die Beamten gefragt, ob er in Deutschland an China-kritischen Demos teilgenommen hätte, erzählt er. „Immer dieselben Fragen. Ich streite alles ab, aber ich denke: Okay, fuck, das war‘s.“

Als die Polizisten ihm Fotos vorgelegt hätten, die ihn auf einer Demo zeigten, sei ihm nichts anderes übrig geblieben, als alles zuzugeben. „Sie fragen jetzt sehr direkt: Wer hat die Demo organisiert? Wer war alles da? Wie sahen die Leute aus? Vor allem aber wollten sie Namen.“ Stundenlang sei das so gegangen, die Beamten hätten irgendwann angefangen, ihn anzubrüllen. Alex hatte Angst, Hunger, Durst. 

„Irgendwann breche ich zusammen. Ich gebe ihnen zwei Pseudonyme von Demonstranten, die ich kenne. Sie nicken zufrieden. Dann legen sie mir ein Protokoll meiner Aussage hin und einen Entschuldigungsbrief. Ich soll beides mit meinem Fingerabdruck signieren.“

Mehrere Indizien sprechen dafür, dass Alex’ Schilderungen stimmen. CORRECTIV sprach mehrfach mit dem jungen Mann und konnte Fotos und auch Chatnachrichten einsehen. Darin setzen die Männer, die sich als Polizeibeamte ausgeben, Alex auch nach dem Vorfall weiter unter Druck, Folge zu leisten. 

Der Fall ist nach Informationen von CORRECTIV auch deutschen Sicherheitsbehörden bekannt. Er betrifft deutsche Interessen und dürfte die ohnehin angespannte Beziehung zwischen der Bundesrepublik und China belasten: Der betroffene Mann ist zwar in China geboren, aber mittlerweile deutscher Staatsbürger. 

Stimmt es, dass die chinesischen Behörden ihn erpresst und zum Verrat von in Deutschland lebenden Personen aufgefordert haben, wäre das ein ungeheuerlicher Vorgang. Ob das Auswärtige Amt darauf reagiert, ist bis zur Veröffentlichung dieses Artikels jedoch unklar.

Staatsbürgerschaft abgeben – verhaftet werden

Zuletzt war ein ähnlich gelagerter Fall aus Taiwan bekannt geworden, über den die Menschenrechtsorganisation „Safeguard Defenders“ berichtete. Der in China geborene Li Yanhe wurde demnach 2023 verhaftet, als er nach China zurückreisen musste, um seinen Pass und damit seine Staatsangehörigkeit abzugeben. Dass er auf dem Papier schon Taiwanese war, interessierte die chinesischen Behörden nicht. 

Ähnlich war es in einem Fall von 2020. Damals wurde der in China geborene Schwede und Buchhändler Gui Minhai zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Angeblich soll er sich der Spionage schuldig gemacht haben. Die Regierung teilte mit: „Auch wenn Gui Minhai ein schwedischer Staatsbürger ist, muss dieser Fall nach chinesischem Recht behandelt werden.“

Alex, mit dem CORRECTIV sprechen konnte, musste bei seiner Reise nach China seinen chinesischen Reisepass annullieren; zuvor hatte er nach einigen Jahren in Deutschland die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen.

Laut der für Alex zuständigen Einwanderungsbehörde würden Menschen, die sich in Deutschland freiwillig einbürgern ließen, automatisch die chinesische Staatsbürgerschaft verlieren. Aber: „Es ist Sache der Betroffenen, die chinesische Seite über den Staatsangehörigkeitswechsel zu informieren.“ Einen Austausch darüber gebe es nicht, teilt die Behörde CORRECTIV mit. Ihr sei weder bekannt, ob Menschen bei einem Wechsel der Staatsbürgerschaft persönlich in China vorsprechen müssen, noch wie das Land mit einem solchen Wechsel umgehe.

Den chinesischen Polizeibehörden indes kommt der Wechsel der Staatsbürgerschaft offensichtlich gelegen – denn eine Rückkehr ins Land ist dann von chinesischer Seite obligatorisch: In einer offiziellen Richtlinie des chinesischen Ministeriums für öffentliche Sicherheit heißt es, dass Bürger, die eine andere Staatsbürgerschaft annehmen, ihre chinesische „Haushaltsregistrierung“ bei der Polizei annullieren müssen.

Alex erzählt, nachdem er in die Verhörzelle zitiert worden sei, habe er chinesisch-stämmigen Bekannten in Deutschland per Messenger ein vorher abgesprochenes Codewort geschickt, um diese zu warnen.

Regierungskritische chinesische Studierende geraten immer mehr unter Druck

Exil-Chinesen können auch in ihrer neuen Heimat nicht dem Griff des Regimes entfliehen, insbesondere dann nicht, wenn sie sich kritisch äußern. 2020 zitierten Beamte den Vater einer Studentin in Australien etwa in eine Polizeistation, weil sie die Kommunistische Partei öffentlich kritisiert hatte. Im selben Jahr wurde ein chinesischer Student nach seiner Rückkehr aus den USA für sechs Monate inhaftiert. Sein Vergehen: kritische Memes auf Twitter. 

CORRECTIV hatte im März darüber berichtet, wie chinesisch-stämmige Studierende im Ausland unter Druck geraten, etwa durch Knebelverträge, die sie zur Staatstreue verpflichten. Die China-Expertin Mareike Ohlberg sprach gegenüber CORRECTIV von einem regelrechten „Kontrollwahn“ durch die chinesische Führung.

Sorgen um neues Sicherheitsgesetz in China: Plötzlich könnten alle pauschal zu „Spionen“ erklärt werden

Als der Buchhändler Gui Minhai 2020 verurteilt wurde, warfen ihm die chinesischen Behörden die „illegale Weitergabe von nachrichtendienstlichen Informationen an ausländische Einrichtungen“ vor. Warum genau er verhaftet wurde, ist allerdings bis heute nicht bekannt. Bekannt ist lediglich, dass er in Hongkong politisch sensible Publikationen verkauft habe.

Das Vorgehen soll mit einem neuen chinesischen Sicherheitsgesetz jetzt offenbar offiziell zementiert werden. Es erweitert den Straftatbestand der „Spionage“ auf die Weitergabe aller Dokumente, Daten oder Gegenstände, die die nationale Sicherheit betreffen könnten. Was genau das heißt, wird allerdings nicht genau definiert. Unter Beobachtern geht daher die Sorge um, dass auf diese Weise Studierende, Professoren oder Journalistinnen und Journalisten pauschal zu „Spionen“ erklärt werden könnten. Mit der möglichen Konsequenz, dass man sie für alles mögliche belangen und verhaften könnte.

Die ohnehin schon schwierige Situation für chinesische Dissidenten im Ausland verschärft sich damit weiter.  

USA veröffentlicht Reisewarnung wegen der Gefahr „unrechtmäßiger Inhaftierungen“

Das US-Außenministerium veröffentlichte vergangene Woche eine offizielle Warnung: „Überdenken Sie Reisen nach Festlandchina aufgrund der willkürlichen Durchsetzung lokaler Gesetze, auch in Bezug auf Ausreiseverbote, und der Gefahr unrechtmäßiger Inhaftierungen.“ 

Weiter schreibt das Ministerium, es habe festgestellt, „dass in der Volksrepublik China die Gefahr einer unrechtmäßigen Inhaftierung von US-Bürgern durch die Regierung der Volksrepublik China besteht“.

Beim Auswärtigen Amt scheint vergleichbares derzeit nicht geplant. Die Behörde hat sich auf mehrfache Nachfrage bis zum Redaktionsschluss noch nicht gegenüber CORRECTIV zu dem Vorfall geäußert. Ein Sprecher teilte telefonisch mit, es fielen derzeit viele Anfragen an.

Zumindest bei deutschen Sicherheitsbehörden ist man durch Alex’ Fall alarmiert: Er habe Glück, dass er überhaupt wieder zurück nach Deutschland kommen konnte, heißt es.

Update, 7. Juli 2023, 18:00:

Bundestagsabgeordnete forderten nach Veröffentlichung Konsequenzen vom Auswärtigen Amt: Die Behörde solle über mögliche Risiken bei Reisen nach China informieren.

Das Auswärtige Amt selbst äußerte sich nach Veröffentlichung der CORRECTIV-Recherche auf Fragen der Redaktion. Demnach genießen „auch Deutsche mit chinesischen Wurzeln den Schutz des Konsulargesetzes“. Dieses Gesetz kommt zur Anwendung, wenn ein Deutscher im Ausland verhaftet wird. „Wenn deutsche Staatsangehörige unseren Auslandsvertretungen unrechtmäßiges Verhalten der Behörden im Zusammenhang mit Verhören oder Verhaftungen berichten, wird dieses Verhalten unverzüglich mit den zuständigen Behörden und gegebenenfalls mit der Botschaft des jeweiligen Landes in Berlin aufgenommen“, teilt die Behörde mit. Das Auswärtige Amt habe keine Kenntnisse darüber, ob eine später erlangte deutsche Staatsbürgerschaft von chinesischer Seite nicht anerkannt werden könnte. Aber: Es seien Fälle bekannt, „in denen China bei chinesischstämmigen Staatsangehörigen dritter Staaten nicht seine völkerrechtlichen Verpflichtungen in vollem Umfang eingehalten hat“. Eine Aktualisierung der Reisehinweise für China scheint aktuell indes nicht geplant.