Ohne Gas und Öl aus Russland: Wie Deutschland Energie sparen kann
Ein Embargo von Gas und Öl aus Russland würde es notwendig machen, dass wir weniger davon verbrauchen. Während in der Politik Pläne für einen Umstieg auf andere Energiequellen diskutiert werden, hilft unmittelbar nur ein sinkender Konsum. Fachleute sehen viele Einsparmöglichkeiten.
Auch mehr als zwei Wochen nach der russischen Invasion in der Ukraine zahlt Deutschland täglich hunderte Millionen Euro für Gas und Öl aus Russland. Die Bundesregierung hält weiterhin an den Importen fest. Aber diese Linie ist unter den Abgeordneten der Fraktionen im Bundestag umstritten: Einige Abgeordnete würden die Importe lieber sofort stoppen. Und im Gegenzug die Industrie und Bürgerinnen und Bürger um vorübergehenden Verzicht bitten.
Nur das kurzfristig mögliche Einsparen von Energie kann die Abhängigkeit von russischen Importen unmittelbar senken. Denn alle diskutierten Alternativen, etwa das klimaschädliche Flüssiggas aus den USA zu importieren oder Solar- und Windkraftanlagen auszubauen, liefern frühestens im kommenden Jahr nennenswert zusätzliche Energie.
Forschende sind sich zunehmend einig, dass daher als Erstes über einen sinkenden Verbrauch von Energie gesprochen werden muss – und zugleich über alternative Angebote. Noch hat das Bundeswirtschaftsministerium nach Informationen von CORRECTIV keine eigenen Studien dazu beauftragt, wieviel Gas und Öl etwa durch kühlere Wohnungen, Tempolimits oder Einschränkung des Flugverkehrs eingespart werden könnten. Alle Aufmerksamkeit richtet sich darauf, den bestehenden Verbrauch im Fall eines Embargos aus anderen Quellen zu bestreiten.
Wohnungen auf 19 Grad zu heizen, könnte 20 Prozent Energie einsparen
Aber was bedeutet es konkret für Bürgerinnen und Bürger, ohne russische Energie auszukommen? Die größte Herausforderung wäre das fehlende Gas, mit dem bislang in rund der Hälfte aller Haushalte geheizt und gekocht wird. „Die Räume um ein Grad weniger zu heizen, bedeutet sechs bis sieben Prozent weniger Gas zu verbrauchen“, sagt Bruno Burger, Energiespezialist beim Fraunhofer-Institut für Solarenergie. „Bei drei Grad sparen wir also 20 Prozent ein, das ist enorm.“ Der Internationalen Energieagentur IEA zufolge liegt die durchschnittliche Temperatur in europäischen Gebäuden bei mehr als 22 Grad Celsius. Zwischen drei und vier Grad Wärme in der Wohnung zu verlieren, hieße für viele bei 18 oder 19 Grad zu leben und zu arbeiten – eine gesunde Temperatur.
Bisher aber steht im deutschen Mietrecht, dass in Wohnungen eine Mindest-Raumtemperatur von 20 bis 22 Grad Celsius herrschen sollte. Dies ließe sich gesetzlich ändern. Ebenso wie eine Höchsttemperatur von Heizungsanlagen in Einfamilienhäusern. Schon vor der Krise haben Expertinnen und Experten vorgeschlagen, Bürgerinnen und Bürger dafür zu belohnen, Energie einzusparen – etwa bei sinkendem Verbrauch weniger für eine Kilowattstunde zahlen zu müssen.
Der Energiespezialist Burger vom Fraunhofer-Institut glaubt, die Menschen seien bereit, auf Komfort zu verzichten. „Es ist für mich schwer zu verstehen, dass wir uns um die Heizung im nächsten Winter Sorgen machen, während die Menschen in der Ukraine jede Stunde um ihr Leben bangen“, sagt der Wissenschaftler. Zumal auch hier verschiedene Optionen diskutiert werden, Geringverdiener bei knappem Angebot und damit höheren Preisen zu entlasten. Darunter fallen progressive Energietarife, bei denen jeder Haushalt pro Person einen angemessenen Grundbedarf günstig erhält und alles, was darüber hinausgeht, teuer bezahlen muss.
„Ein Fehler, in der Industrie nicht über Einsparungen zu sprechen“
Auch darüber, wie das Gas für die Industrie zu ersetzen ist, spricht kaum jemand. Heute nicht, aber auch schon vor dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine nicht: Während fossiles Gas im Stromsektor laut aktuellem Entwurf des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes ab 2035 kaum noch eine Rolle spielen soll, gibt es keinen verbindlichen Fahrplan für einen Ausstieg aus dem Gas in der Industrie.
Unternehmen nutzen Gas, um Stoffe zu erwärmen, etwa in der Nahrungsmittel-, Glas-, Keramik- und Metallindustrie. Nach Angaben des Deutschen Energie- und Wasserwirtschaftsverbandes DEW wird Gas benötigt, um zum Beispiel Öfen in Großbäckereien zu erhitzen oder auch um Papier herzustellen. Der Ludwigshafener Chemiegigant BASF etwa stellt mit Gas Ammoniak für Düngemittel her. Diese Produktion ist insgesamt energieintensiv und verursacht viele Treibhausgase, der Dünger selbst auf den Feldern verunreinigt das Trinkwasser, muss langfristig also ohnehin deutlich weniger genutzt werden. Auch hier könnte schnell nach Alternativen gesucht werden.
„Es ist ein großer Fehler, dass wir gar nicht über Einsparungen in der Industrie sprechen“, sagt Constantin Zerger, Gas-Experte der deutschen Umwelthilfe. Es fehlten transparente Daten darüber, wie viel russisches Gas einzelne Industrie nutzen und wie sie diese Energiequelle, auch aus Klimaschutzgründen, künftig ersetzen könnten.
Zerger plädiert für einen Kompromiss: Die Gaspipeline Nordstream 1 durch die Ostsee sollte abgeschaltet werden, dafür aber Gas durch die Erdleitungen, die auch durch die Ukraine führen, importiert werden. „Das könnte Putin davon abhalten, ukrainische Regionen mit dieser Gaspipeline zu bombardieren“, hofft Zerger. Er schlägt darüber hinaus vor, die Zahlungen für das Gas zunächst auf ein Sperrkonto zu überweisen: „Ansonsten finanziert die Industrie den Krieg in Ukraine weiter mit. Die Gelder dürfen erst freigegeben werden, wenn sich Russland aus der Ukraine zurückzieht.“ Langfristig erwartet Zerger eine Antwort der Bundesregierung darauf, wann das Gas in der Industrie auslaufen soll. „Da fehlt noch ein konkretes Ausstiegsdatum.“
Einige Forschende gehen inzwischen ohnehin davon aus, dass die Industrie ihre Produktion kurzfristig drosseln wird, weil die aktuellen Gaspreise ihre Erzeugnisse zu stark verteuern. Auch das könnte den industriellen Gesamtbedarf an Wärmeversorgung sinken lassen, schreibt die Leopoldina-Akademie.
Geringerer Ölverbrauch durch weniger Flüge
Neben dem Gas kommen auch mehr als ein Drittel der deutschen Ölimporte aus Russland. Davon wiederum werden 70 Prozent im Verkehr für Autos, Schifffahrt und den Flugverkehr genutzt. Das Öl brachte Russland im vergangenen Jahr 55 Milliarden Euro ein. Wie lässt sich diese Abhängigkeit in kürzester Zeit reduzieren?
Über Spritsparen beim Auto wurde schon einiges geschrieben: Ein Tempolimit von 100 Kilometer pro Stunde etwa könnte 3,7 Milliarden Liter Benzin pro Jahr einsparen, sagt die Deutsche Umwelthilfe. Das entspricht etwa 10 Prozent des Gesamtverbrauchs. Auch autofreie Sonntage wären wie schon in der Ölkrise 1973 ein Mittel, um unabhängiger vom russischen Öl zu werden.
Noch nicht diskutiert wird, wie der Flugverkehr eingeschränkt werden kann. Eine in der Klimapolitik schon lange diskutierte Maßnahme ist beispielsweise das Verbot von Kurzstreckenflügen, die mit Bahnfahrten ersetzt werden könnten. Nach einer aktuellen Berechnung der Umweltorganisation Greenpeace fliegt jedes vierte Flugzeug mit russischem Öl. Das ist in diesen Kriegszeiten ein Problem, aber auch für die Klimaziele: Nirgendwo sonst im Verkehr steigen die Emissionen so rasant wie im Flugverkehr. Ein Verbot von Kurzstreckenflügen, die meist von Geschäftsreisenden genutzt werden, sind noch nicht in der Diskussion. Obwohl die Bevölkerung dahinter stünde: Mehr als 60 Prozent befürworten laut einer Umfrage dieses politische Verbot.
Auf lange Sicht helfen erneuerbare Energien
Wenn Verbraucherinnen und Verbraucher Energie sparen, muss weniger fossile Energie erzeugt und importiert werden. Um den weiterhin bestehenden Bedarf klimafreundlich und unabhängig zu stillen, müssen allerdings auch so schnell wie möglich die erneuerbaren Energien ausgebaut werden. Offiziell wollen sowohl Deutschland als auch die Europäische Union bis 2030 unabhängig von russischen Kraftstoffen werden. „Mit erneuerbaren Energien können wir uns aus der Abhängigkeit von totalitären Staaten befreien und unser Energiesystem auf eine klimaneutrale Erzeugung umstellen. Deshalb brauchen wir jetzt einen nationalen Kraftakt zum Ausbau der erneuerbaren Energien“, sagt Energieexperte Bruno Burger.
Bisher wurde der massive Ausbau von erneuerbaren Energien vor allem von CDU- und FDP geführten Ländern systematisch ausgebremst. Ein Beispiel: In Bayern dauert es fünf bis zehn Jahre, um ein Windrad zu bauen, weil die Genehmigung so langwierig ist. „Die Alternativen zu importiertem Gas und Öl wurden lange Zeit politisch gebremst“, sagt auch Claudia Kemfert, Umweltökonomin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und langjährige Verfechterin einer Energiewende. „Wir können uns bis 2030 zu hundert Prozent mit erneuerbaren Energien versorgen. Wenn wir zugleich noch Energie einsparen, geht es auch einige Jahre früher.“
Pro Tag müssten sieben Windanlagen geschaffen werden, auch alle Dächer sollten künftig Solarpaneele tragen, sagt Kemfert. Der schnelle und massive Ausbau scheitere aber an langen Planungsverfahren und mangelnden Fachkräften. Für die Expertin ist dies der „Flaschenhals“, der in den vergangenen Jahren alles verzögert hat. „Beides kann mit politischem Willen und damit verbunden mehr öffentlichen Investitionen überwunden werden.“ Etwa mit einer schnellen Task-Force, die den Behörden in den Ländern und Kommunen helfe, passende Flächen für Windräder und Solaranlagen auszuweisen.
„Wenn wir alles elektrifizieren – den Verkehr, die Industrie, die Heizung in Häusern durch Wärmepumpen – halbiert sich automatisch der Primärenergiebedarf. Das ist in weniger als zehn Jahren zu stemmen“, sagt Kemfert.
Erneuerbare Energien: Kompletter Umstieg in 10 oder 20 Jahren?
Daran wiederum arbeitet das Wirtschafts- und Klimaministerium. „Jedes Windrad, jede Solaranlage machen Deutschland und Europa unabhängiger von Autokraten wie Putin“, sagt der grüne Bundestagsabgeordnete Lukas Benner. Die Regierung wolle den kompletten Umstieg auf erneuerbare Energien bis zum Jahr 2035. Der Jurist Benner arbeitet im Rechtsausschuss des Bundestages daran, das Planungs- und Genehmigungsrecht für erneuerbare Energien zu vereinfachen. „Wir wollen die Verfahren zeitlich straffen, stärker digitalisieren und behördliche Bewertungsmethoden vereinheitlichen.“ Etwa, indem künftig bundeseinheitliche Kriterien für die artenschutzrechtliche Prüfung festgelegt und Genehmigungen von Wind- und Solaranlagen abgefragt würden. Auch die Akzeptanz von Windrädern soll gesteigert werden. „Wir wollen die Bürgerinnen und Bürger frühzeitig und effektiv am Verfahren beteiligen und finanzielle Beteiligungsmöglichkeiten der lokalen Bevölkerung stärken“, sagt Benner.
Aber ausgerechnet der Bundesverband Solarwirtschaft sieht den Zeitplan skeptisch. „Deutschland kann sich erst im Laufe der kommenden 20 Jahre unabhängig von fossilen Energieimporten machen“, sagt Carsten Körnig, Hauptgeschäftsführer des Verbandes. Zwar sei es möglich, durch einen schnellen Ausbau von Photovoltaikanlagen und Solarthermie unabhängiger von russischen Importen zu werden. Kompensieren ließen sich die Importe jedoch nicht. „Auch nicht im Mix mit anderen erneuerbaren Energien.“
Kurz- bis mittelfristig müssten für eine Übergangszeit andere Länder fossile Kraftstoffe nach Deutschland liefern, prognostiziert Körnig. Dies könne eine Alternative zu dem Hochfahren inländischer Atom- und Kohlekraftwerke sein, „wovon wir dringend abraten.“
Solarausbau: Fachkräfte sind ausgebucht und es fehlt an Material
Wie schwierig es im Alltag ist, fossile Brennstoffe kurzfristig zu ersetzen, zeigt ein Blick nach Baden-Württemberg. Das Bundesland hat sich vorgenommen, bis 2040 klimaneutral zu werden. Ralf Bültge-Bohla ist Klimamanager und Teil der Task-Force Klima und Umwelt in Reutlingen. Die Stadt ist 2020 dem Klimaschutzpakt des Landes beigetreten und strebt an, die Verwaltung, die Eigenbetriebe und die Tochterunternehmen bis spätestens 2040 klimaneutral aufzustellen.
Die Aufgabe von Ralf Bültge-Bohla ist es, dieses Ziel in der Region umzusetzen. „Wenn wir als Stadt bei diesem Thema nicht vorangehen und Erfolge vorzeigen, dann können wir von den Bürgern auch nichts fordern.“ Spricht man mit Bültge-Bohla über den Ausbau von erneuerbaren Energien im Alltag, wird schnell klar, dass viel Wille da ist, sowohl in der lokalen Politik als auch in der Bevölkerung. „Die Energieberater in der Region bekommen gerade sehr viele Anfragen.“ Besonders gefragt seien Informationen zu Photovoltaikanlagen für die Dächer oder Alternativen zu Gas- und Ölheizungen.
Seit dem Kriegsausbruch in der Ukraine sei der Beratungsbedarf in der Bevölkerung noch mal gestiegen, sagt Bültge-Bohla. Doch kurzfristig umzurüsten sei schwierig. „Die Energieberater sind bis Mai ausgebucht.“ Dazu komme, dass es gerade beim Photovoltaikausbau rechtlich schnell kompliziert werde, sagt der Klimaschutzmanager. Die nächsten Hürden sei der Fachkräftemangel und Lieferengpässe. „Die Handwerker warten hier teilweise bis zu sechs Monate auf Material für die Installation von Photovoltaikanlagen.“
Für Bültge-Bohla ist klar, dass es nun an der Politik ist, für gesetzliche Lösungen zu sorgen. Dazu gehöre ein Abbau von Bürokratie und eine bundesweite Photovoltaik-Pflicht für die Dächer. „Wir brauchen einen gesetzlichen Rahmen, alles muss ineinander greifen, sonst wird der Wandel nicht funktionieren.“
Update, 14. März 2022: Die Firma BASF hat ihren Sitz in Ludwigshafen, nicht in Leverkusen. Wir haben das korrigiert.