Devestment

Sieben von 16 Bundesländern legen ihre Ersparnisse in korrupten und klimaschädlichen Firmen an.

EXKLUSIV: Weltweit freuen sich schmutzige Konzerne über Steuergeld aus Deutschland. Denn die Landesregierungen sind ziemlich skrupellos bei der Auswahl der Firmen, in denen sie ihre Beamtenpensionen angelegt haben. Wir veröffentlichen erstmals eine Übersicht über die schmutzigen Investments. Vielerorts in Deutschland gibt es Widerstand gegen diese Geldanlagen. Die Menschen wollen nicht, dass die Politik weiter in fragwürdge Konzerne investiert. Doch welche Alternativen gibt es?

von Annika Joeres , Fabian Löhe

© Ivo Mayr

Diese Recherche erscheint gleichzeitig im Magazin „Der Spiegel“.

Hier geht es zu den Geldanlagen aller Bundesländer.

„Silbersee“ nennen die Anwohner von Brüchau ihr Gewässer. Doch der See enthält keinen Schatz, im Gegenteil: Der Energieriese GDF Suez hat in dem Tagebauloch zigtausende Kubikmeter Abfälle verklappt. Der Silbersee in Sachsen-Anhalt gilt als eine der giftigsten Müllhalden Deutschlands.
GDF Suez, die heute „Engie“ heißen, gilt außerdem als einer der schlimmsten Verursacher des Klimawandels: Über 150 Millionen Tonnen CO2 pustete der Konzern in manchen Jahren in die Atmosphäre – mehr als die neun größten deutschen Braunkohlekraftwerke zusammen.

Das hindert deutsche Bundesländer aber nicht daran, in den Konzern zu investieren. Die Pensionsfonds von Bund und Ländern haben rund 20 Millionen Euro in den Konzern investiert. Darunter sogar Sachsen-Anhalt.

Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg, Berlin, Hessen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg haben zusammen mehr als vier Milliarden Euro weltweit in Konzernen angelegt. Knapp 400 Millionen Euro davon stecken in Firmen, die den Klimaschutzzielen der Bundesregierung entgegenstehen. Im französischen Mineralölunternehmen Total stecken fast 53 Millionen Steuergeld aus Deutschland. Shell kann sich über 26 Millionen freuen, BP über 19 Millionen Euro. Darüber hinaus investieren die Bundesländer in ethisch fragwürdige Anleihen von Folterstaaten wie Aserbaidschan. Außerdem in Zigarettenfirmen wie Philipp Morris oder Imperial Tobacco.

Bisher behandelten viele Ministerpräsidenten die Anlage-Entscheidungen ihrer Pensionsfonds wie ein Staatsgeheimnis. Und das, obwohl es sich bei den Investitionen um Steuergeld handelt. Nach monatelangen Recherchen und Klagedrohungen gegenüber den zuständigen Landesfinanzministerien hat CORRECTIV die Listen nun aber bekommen und veröffentlicht die Namen der weltweit tätigen Konzerne, in denen die Landesregierungen ihre Beamten-Pensionsgelder angelegt haben.

 

 

Die Investitionen in klimaschädliche Firmen sind nicht nur ökologisch fragwürdig, sondern inzwischen auch ökonomisch riskant: Der Börsenwert der betroffenen Unternehmen orientiert sich unter anderem an ihren Reserven an fossilen Brennstoffen – die aber womöglich nie mehr gefördert werden. Denn alle Staaten haben sich im Pariser Weltklimavertrag auf eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 bis 2 Grad Celsius geeinigt. Nimmt man das ernst, müssten zum Beispiel 80 Prozent der weltweit noch vorhandenen Kohle also im Boden bleiben. Wahrscheinlich wird die Politik in den kommenden Jahren Gesetze erlassen, die die Verwendung dieser Kohlevorräte stoppt – was wiederum Auswirkungen auf die geschäftliche Entwicklung der betroffenen Firmen hat. 

So prognostiziert etwa die renommierte London School of Economics, dass Kohle-, Öl- und Gasunternehmen allein in den nächsten zehn Jahren eine Spekulationsblase von hunderten Milliarden US-Dollar bilden werden. Der Weltklimavertrag bedroht damit die Gewinnerwartungen jeder Unternehmen, deren Hauptgeschäft fossile Brennstoffe sind. Für die Ministerpräsidenten ist die Kohlenstoffblase heute so weit weg, wie bis zum Jahr 2008 die Immobilienblase. 

Sie sind weit davon entfernt, ihre Beamtenpensionen auch nur halbwegs ethisch korrekt anzulegen. So investieren die öffentlichen Pensionsfonds zum Beispiel in den brasilianischen Konzern Petrobras, der eine Ölpest vor der Küste Rio de Janeiros zu verantworten hat und in einen Bestechungsskandal verwickelt ist. Oder in den Bergbau-Riesen Rio Tinto, der auf Papua-Neuguinea die größte Goldmine der Welt betreibt und zugleich die Kupfermine mit den niedrigsten Förderkosten. Der norwegische Staatsfonds hat sein Geld schon vor einigen Jahren aus Rio Tinto abgezogen, weil die Mine „grob unethisch“ geführt sei und die Flüsse verschmutze.

Knapp acht Millionen Euro liegen bei BHP Billiton, einem Konzern, der Kohleminen in Australien betreibt und Goldminen in Afrika. Selbst in Tabakkonzerne stecken die Ministerpräsidneten gemeinsam weiterhin knapp 27 Millionen Euro – obwohl seit kurzem Schockbilder von fast abgestorbenen Füßen und vergammelten Zähnen auf den Zigarettenschachteln prangen. Beschlossen worden waren die Ekelfotos übrigens mit Zustimmung der Länder im Bundesrat.

Die andere Hälfte der 16 Bundesländer hat ihr Geld nicht in Aktien weltweit angelegt, sondern statt dessen in eigene Schuldscheine oder in Schuldscheine anderer Bundesländer investiert – und sich damit selbst Geld geliehen. Finanzpolitisch ist das aber umstritten.

Die meisten anderen Bundesländer verschwiegen bisher ihre Anlagen vor der Öffentlichkeit. Mecklenburg-Vorpommern wollte die Geldanlagen nicht detailliert beantworten.  Auch Nordrhein-Westfalen machte aus seinen 1,5 Milliarden in Unternehmen investierten Euro bislang ein Geheimnis. Abgeordnete durften zwar in die Unterlagen einsehen, die Informationen wurden aber vom Ministerium als „nicht öffentlich“ deklariert. Die Parlamentarier durften also niemandem berichten, was sie gesehen hatten, weder Journalisten noch Bürgern.

Als wir damit begannen, die Landesregierungen nach ihren Investments zu fragen, bekamen wir oft zur Antwort, eine Veröffentlichung der Summen könne dem Land wirtschaftlich schaden. Doch das ist nicht stichhaltig. „Zwei oder drei Milliarden Euro sind auf dem Finanzmarkt relativ wenig Geld“, sagt Susan Dreyer vom „Carbon Disclosure Project“. Die Organisation berät Firmen darin, ihre CO2-Bilanz zu verbessern. Die Finanzexpertin wundert sich darüber, wie gedankenlos in Deutschland investiert wird: „Wir sind bei diesem Thema bestenfalls im Baby-Status angekommen.“ Öffentliche Gelder würden häufig sehr intransparent vergeben. „Der Finanzmarkt spielt eine große Rolle für den Klimawandel. Dort gibt es Hebel und Menschen, die Verantwortung übernehmen müssen. Sonst finanzieren wir, ohne es zu wollen, Kohlekraftwerke.“

Besonders verschlossen zeigte sich das bis zur Landtagswahl SPD-geführte Finanzministerium von Baden-Württemberg. Obwohl das Ländle mit knapp zwei Milliarden Euro von allen Ländern die größte Summe an Steuergeld in Unternehmensanleihen gesteckt hat, weigerte sich das Ministerium über Monate hinweg, die detaillierten Daten preiszugeben. Als Gründe für das Mauern wurden unter anderem „schutzwürdige private Interessen“ angeführt. Man bat um „Verständnis dafür, dass wir auf die Aufstellung einzelner Aktien und Anleihen verzichten möchten“, wie in einer Antwort an CORRECTIV heißt. Erst unsere vorab per E-Mail versandte Klageschrift gegen das Land Baden-Württemberg brachte das Finanzministerium kurz vor einem möglichen Prozessbeginn doch noch dazu, die Informationen über seine Geldanlagen rauszurücken.

„Wir können alles“ – außer sauber investieren

Die nun öffentlich zugänglichen Daten zeigen: Ausgerechnet das Bundesland mit dem Grünen-Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann an der Spitze hält das größte Klimasünder-Portfolio: Insgesamt sind rund 190 Millionen Euro an Investitionen in Unternehmen geflossen, die mit fossilen Brennstoffen handeln — fast so viel wie alle anderen Bundesländern zusammen.

Die Liste der Firmen, in die Baden-Württemberg seine Beamtenpensionen investiert hat:

Dabei gewinnt die internationale Kampagne zum so genannten „Devestment“, dem Ausstieg aus schmutzigen Investitionen, immer mehr Anhänger. Der Pensionsfonds von Norwegen, mit einem Volumen von mehr als 700 Milliarden Euro der größte der Welt, hat sich bereits von unethischen oder umweltschädlichen Investitionen verabschiedet. Ebenso mehrere amerikanische Universitäten, der Versicherungskonzern Allianz oder die einst mit Öl groß gewordene Rockefeller-Stiftung. „Als kluger und der Zukunft zugewandter Geschäftsmann würde Rockefeller heute den fossilen Energien den Rücken zuwenden und in erneuerbare Energien investieren“, erklärte dazu der Präsident der Rockefeller-Stiftung Stephen Heintz.

Vor wenigen Wochen, Ende Juni, einigte sich das EU-Parlament zusammen mit dem Europäischen Rat darauf, dass alle betrieblichen Pensionsfonds in Europa die finanziellen Risiken des Klimawandels in ihre Anlagestrategie berücksichtigen sollen. Das betrifft Investitionen von über 2.000 Milliarden Euro. Der Grünen-Europapolitiker Sven Giegold prophezeit: „Die Pensionsfonds müssen jetzt handeln und aus Anlagen mit fossilen Brennstoffen aussteigen.“

Weltweit haben Städte wie Paris, Oslo, Kopenhagen, Seattle und Melbourne bereits umgesteuert. In Deutschland haben Aktivisten von „Free Fossil“ als erste Stadt Münster zum Ausstieg aus klimaschädlichen Investitionen bewogen. Erst kürzlich hat Berlin nachgezogen und will jetzt fast sieben Millionen Euro de-investieren. „Aktien von fossilen Unternehmen sind nicht nur schlecht fürs Klima, sondern auch für den Haushalt“, sagt Tine Langkamp von „Fossil Free“.

Inzwischen gibt es rund 23 Fossil-Free Gruppen in Deutschland, die Städte, Länder und Universitäten zu klimafreundlichen Investitionen bewegen wollen. Unter anderen sind sie in Köln, Hamburg, Essen, Düsseldorf, Leipzig, München und Stuttgart aktiv. Bisher aber mussten sie häufig ihre Forderungen ins Blaue stellen, weil gar nicht bekannt war, wohin das öffentliche Geld floss.

Sind die Millionen einmal investiert, ist das Umsteuern schwierig. Das rot-grün regierte Nordrhein-Westfalen hat schon vor einigen Monaten das Finanzministerium dazu aufgefordert, ökologische Kriterien für den landeseigenen Pensionsfonds festzulegen. Im bevölkerungsreichsten Bundesland wird die Zahl der Ruhestandsbeamten von derzeit 150 000 bis zum Jahr 2015 auf 165 000 ansteigen. Aber wohin sollen die Pensionsgelder künftig fließen? Sollten statt Öl- und die Pharmakonzerne mehr Geld erhalten? Oder Agrarkonzerne, die in großem Stil landwirtschaftliche Flächen in Afrika aufkaufen? Welche Rolle spielt das Thema Klimaschädlichkeit? Fragen, auf die NRW derzeit noch eine Antwort sucht.

Auch Sachsen-Anhalt hatte schon mal darüber diskutiert, die Anlagen nur noch „vernünftig und menschlich“ zu investieren, sagt ein Regierungsbeamter, der aber nicht namentlich zitiert werden möchte. Am Ende jedoch entschieden sich die Finanzmanager im Ministerium, alles beim Alten zu lassen. „Wir wollten das Fass nicht aufmachen“. Das Land hat nicht nur 26 Millionen Euro in Energiekonzerne investiert, sondern seine Steuermillionen auch in die größten Alkohol- und Zigarettenvertreiber der Welt gesteckt, mithin also Whiskey, Bier und Tabak gesponsert. Es sei nicht möglich, sichere und zugleich ethisch korrekte Firmen zu finden, heißt es in Sachsen-Anhalt. 

Für Finanzexpertin Dreyer sind das vorgeschobene Argumente. „Wir haben in Europa 3000 Firmen, in die man investieren kann. Selbst wenn wir 1000 von öffentlichen Investitionen ausschließen, bleiben immer noch genügend übrig.“

Tatsächlich wird das Angebot für klimafreundliche Investitionen immer größer. Längst gibt es Fonds an den Börsen, die Finanzspritzen für fossile Unternehmen ausschließen, auch das „Carbon Disclosure Project“ arbeitet an einem eigenen, sauberen Fonds. „Das ist alles keine Zauberei, sondern eine mathematische Aufgabe“, sagt Dreyer.

Mecklenburg-Vorpommern löste diese Aufgabe, indem es sich ganz von Unternehmensaktien verabschiedete. Bei den „rückläufigen
internationalen Wachstumszahlen sind die Wertpapieranlagen des Versorgungsfonds sowie der Versorgungsrücklage zunehmend hohen
Verlustrisiken ausgesetzt“, sagt der Sprecher des Meck-Pomm-Finanzministeriums. Deswegen habe das Bundesland in den vergangenen Monaten seine Aktien in Höhe von rund 50 Millionen Euro verkauft und nun in eigene Schuldscheine investiert.

Wie schnell sich die Anleger verrechnen können, beweist seit einiger Zeit auch der Niedergang der RWE-Aktie eindrucksvoll. 2007 war die Aktie noch fast 100 Euro wert, jede Ruhrgebietsstadt fütterte seinen Haushalt mit der jährlichen Dividende des Kraftwerksbetreibers. Jahrezehntelang hinweg galt RWE als eine der besten und sichersten Anlagen überhaupt.

Doch dann kam erst die Energiewende und die Debatte über Deutschlands Ausstieg aus der Kohle. Die Dividende wurde gestrichen, die Aktie rauschte innerhalb eines Jahres in den Keller, heute dümpelt sie bei rund 14 Euro vor sich hin. Finanziell stehen dadurch Städte wie Essen, Dortmund und Bochum inzwischen mit dem Rücken zur Wand — die Kämmerer dringen mitunter auf Steuererhöhungen.

Gut steht dagegen Düsseldorf da. Die Stadt hatte bereits 2007 deinvestiert und alle RWE-Aktien für rund 360 Millionen Euro gewinnbringend verkauft. Damals galten sie noch als Tafelsilber. Inzwischen sind sie ungefähr so zukunftsweisend wie der Silbersee in Sachsen-Anhalt.

Offenlegung: Einer der Autoren, Fabian Löhe, arbeitet hauptberuflich beim gemeinnützigen Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change. Während seiner Elternzeit arbeitet er ehrenamtlich als freier Journalist für CORRECTIV.