Der Tod des Ex-Papstes und die Folgen des Missbrauchs in der katholischen Kirche
Papst emeritus Benedikt XVI. ist gestorben, die gescheiterte Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs von Kindern überschattete zuletzt sein Lebenswerk. Das laufende Verfahren vor dem Landgericht Traunstein zu einer möglichen Verantwortung der Kirchenoberen wird nun ohne ihn fortgeführt.
Der deutsche Vorgänger des jetzigen Papstes ist tot. Papst emeritus Benedikt XVI. starb im Vatikan mit 95 Jahren, er wurde als Joseph Aloisius Ratzinger 1927 im bayerischen Marktl am Inn geboren.
Für seine Anhänger galt er als einer der erfolgreichsten Theologen der Neuzeit und prägenden Männer der katholischen Kirche. Der Journalist Peter Seewald veröffentlichte 2020 eine rund tausend seitige Biografie über das Leben des damals schon zurückgetretenen Papstes, in der der ehemalige Autor des Spiegel und der Süddeutschen Zeitung jeden Vorwurf gegen Ratzinger vom „Panzergeneral“ bis zu dessen Umgang mit theologischen Abweichlern sowie der Missbrauchsdebatte zu entkräften suchte.
Die Süddeutsche Zeitung sah in dieser unkritischen Biografie eine mögliche Vorbereitung für eine Seligsprechung. Der Ex-Papst Benedikt XVI. hatte seinerseits die schnelle Seligsprechung für dessen verstorbenen Vorgänger Papst Johannes Paul II. vorangetrieben, die dann für katholische Verhältnisse innerhalb kürzester Zeit – bereits nach sechs Jahren – ausgesprochen wurde.
Kirchenrechtler sieht Versagen des Ex-Papstes bei der Aufklärung sexualisierter Gewalt
„Ein zweites santo subito wie bei Papst Johannes Paul II. darf es nicht noch mal geben“, sagt der Professor für Kirchenrecht der Universität Münster, Thomas Schüller, da „die Rolle und das Versagen von Joseph Ratzinger in seinen Ämtern als Erzbischof, Präfekt der Glaubenskongregation und als Papst in Sachen Umgang mit sexualisierter Gewalt erst dann möglich sein wird, wenn 60 Jahre nach dessen Tod die vatikanischen Archive geöffnet werden“.
Während Ratzinger in seiner Amtszeit als Papst für seine strenge Glaubenslehre kritisiert wurde, stand in den letzten Jahren seine persönliche Verantwortung im Umgang mit sexuellem Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche im Vordergrund. Zentral ging es um den Umgang des Ex-Papstes mit dem ehemaligen Priester Peter H., für dessen Einsetzung im Bistum München und Freising Ratzinger verantwortlich war.
Vor dem Landgericht Traunstein hatte eines der Opfer von H., Andreas Perr, erst im Juni eine Feststellungsklage, auch gegen den Ex-Papst, eingereicht. Mitte der 1990er Jahre nötigte H. den damals 12-jährigen Perr zum gemeinsamen Schauen eines Pornofilms im Garchinger Pfarrhaus. Dort war H. für 20 Jahre als Priester tätig, obwohl dem Erzbistum München und Freising die Gefährlichkeit des Priesters bekannt war.
Die zivilrechtliche Klage richtet sich gegen den ehemaligen Priester, aber auch gegen die Verantwortungsbereiche der Kirche: das Erzbistum München und Freising, den Nachfolger von Ratzinger als Erzbischof, Kardinal Friedrich Wetter und eben auch gegen den nun verstorbenen Ex-Papst. Das Landgericht Traunstein soll laut dem Kläger feststellen, dass die Beklagten „gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, dem Kläger den Schaden zu ersetzen“, den dieser aufgrund des sexuellen Missbrauchs durch H. erlitten habe. Dieses Verfahren wird nun ohne den verstorbenen Ex-Papst weitergeführt.
Bis zuletzt haben der Ex-Papst und dessen Umgebung darauf verwiesen, dass Ratzinger als Erzbischof die Missbrauchstaten von H. nicht bekannt gewesen seien und er daher auch keine Verantwortung trage.
Ratzinger und der Fall H.
Ratzinger hatte über die Jahre allerdings mehrere Berührungspunkte zu dem Fall H., der vor seiner Versetzung nach Bayern mehrere Jungen in Essen und Bottrop missbraucht hatte.
1980 wechselte H. nach einem Missbrauchsvorfall von Essen nach München. Die Einsetzung des Priesters in Bayern wurde unter der Verantwortung des damaligen Erzbischofs Kardinal Ratzinger beschlossen.
Priester H. wurde nach einer Verurteilung 1986 wegen mehrfachen Kindesmissbrauch innerhalb Bayerns erneut versetzt, diesmal in die oberbayerische Gemeinde Garching an der Alz. Dort war er 20 Jahre lang als Priester tätig. Trotz weiterer Vorwürfe während seiner Zeit dort blieb H. unbehelligt. CORRECTIV deckte jüngst mehrere Fälle auf, in denen H. selbst in den 1990er Jahren Jungen missbrauchte, als er unter Beobachtung eines Bischofs stand, der mit ihm gemeinsam die Gemeinde führte. Pikant: Dieser Bischof hatte mit Ratzinger einst die Priesterweihe gemeinsam empfangen. Beide standen in Kontakt. Als Ratzinger Chef der Glaubenskongregation in Rom war, besuchte er im Jahr 2000 seinen Studienfreund zu einem Krankenbesuch sogar in der Gemeinde, in der H. Jungen missbrauchte.
Der Fall H. beschäftigte die Kirche bis nach Rom. Selbst in einem innerkirchlichen Urteil von 2016, das erst 2020 durch Recherchen der Zeit bekannt wurde, attestierten die kirchlichen Richter dem früheren Kardinal Ratzinger im Umgang mit H. als Erzbischof von München und als Chef der Glaubenskongregation eine Pflichtverletzung. Dies hatten sowohl der Ex-Papst und sein Umfeld immer zurückgewiesen.
Das Verfahren gegen die Kirchenoberen geht weiter
Eines der damaligen Opfer war der jetzige Kläger Andreas Perr. Zur Verteidigung in dem Verfahren vor dem Landgericht Traunstein, hatte Ratzinger mit Hogan Lovells eine der weltweit teuersten Anwaltskanzleien mandatiert. Bis Ende Januar wurde den Beklagten Zeit eingeräumt, die Klage zu erwidern. Mit dem Tod erlischt nun der Klage-Teil gegen den Ex-Papst.
Auch nach dem Tod von Benedikt XVI. gehe das Verfahren vor dem Landgericht Traunstein gegen die anderen Beklagten weiter, sagt der Rechtsanwalt Andreas Schulz gegenüber CORRECTIV, der den Kläger vertritt: „Die institutionelle Verantwortung des verstorbenen Papst emeritus wird als sein Schatten weiterhin in diesem Verfahren eine Rolle spielen, die posthum der Aufklärung durch ein weltliches Gericht bedarf bevor Erlösungsgewissheit für die Beklagten eintreten kann.“
Nun bleibe abzuwarten, ob „seine Fans seine Seligsprechung umgehend fordern werden“, sagt der Kirchenrechtler Thomas Schüller. „Franziskus wäre sehr klug beraten, zumindest die vorgeschriebene Fünf-Jahresfrist für die Eröffnung eines solchen Verfahrens abzuwarten und sich nicht dem Druck einer inszenierten Öffentlichkeit zu beugen.“
Korrektur vom 16.01.2023. Wir haben das Geburtsjahr von Papst emeritus Benedikt XVI. korrigiert. Er wurde als Joseph Aloisius Ratzinger 1927 im bayerischen Marktl am Inn geboren.