AfD-Spendenskandal

Die AfD und der Deutschland-Kurier: Alles nur Einzelfälle oder eine Spendenaffäre?

Eine gemeinsame Recherche von CORRECTIV und Frontal 21 zeigt, dass Parteimitglieder in Absprache mit Parteifunktionären 2018 den Deutschland-Kurier in Essen und Duisburg verteilten. Damit wäre die Verteilung eine Parteispende und die AfD müsste die Geldgeber nennen. Die AfD bestreitet die Vorwürfe. CORRECTIV startet zur weiteren Aufklärung des Skandals eine Recherche gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern: der CrowdNewsroom „Deutschland sucht den Deutschland-Kurier“.

von Marcus Bensmann , Justus von Daniels , Ulrich Stoll

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Der Deutschland-Kurier landete in vielen Briefkästen. Was wusste die AfD von den Werbeaktionen? © Ivo Mayr / Correctiv

Wie so viele Geschichten über den Spendenskandal der AfD beginnt auch diese mit einem Dementi. Seit Beginn des Skandals leugnet die Partei und streitet ab. Sie will nichts gewusst haben von den vermutlich millionenschweren Werbekampagnen, die ein gemeinnütziger Verein und eine Schweizer Firma für sie organisiert haben. Die AfD läuft weg vor der entscheidenden Frage: wie hat sie in den vergangenen Jahren ihren Aufstieg zu einer Bundestagspartei finanziert?

So lässt der Bundesvorstand AfD über Medienanwälte mitteilen: „Es ist falsch, dass Gliederungen der AfD in Städten wie Essen und Duisburg … die Verteilung von Exemplaren des Deutschland-Kuriers organisiert haben sollen.“ Sollten dennoch AfD-Mitglieder die Zeitungen verteilt haben, „so geschah dies privat und ohne jede Beteiligung der AfD“, schreiben die Anwälte der Partei.

Schriftliche Dokumente und Aussagen von Parteimitgliedern, die anderes berichten, seien nicht richtig, sondern teilweise „erfundene Behauptungen“.

CORRECTIV und Frontal21 liegen eine E-Mail, ein Screenshoot aus einem WhatsApp-Gespräch und Aussagen von zwei Parteimitgliedern vor, die das Dementi der AfD fragwürdig erscheinen lassen. Es geht um zwei Städte im Ruhrgebiet, Duisburg und Essen.

Unsere Recherchen ergeben mehrere Fälle, in denen AfD-Funktionäre in die Verteilung der Zeitungen Deutschland-Kurier und Extrablatt eingebunden waren. Doch wie funktionierte die deutschlandweite Verteilung? CORRECTIV startet die Crowdrecherche „Deuschland sucht den Deutschland-Kurier”. Hatten Sie je eine der Zeitungen in Ihrem Briefkasten? Dann beteiligen Sie sich! Es dauert nur wenige Minuten. Jetzt mitmachen

Ein Parteimitglied aus Essen sagt gegenüber CORRECTIV und Frontal21, dass er in seinem Viertel den Deutschland-Kurier 2018 „in Absprache“ mit dem Essener AfD-Vorsitzenden Günter Weiß „über einen längeren Zeitraum regelmäßig verteilt“ habe. Weiß habe die Zeitungen vorbeigebracht, sagt das Parteimitglied. Es seien jeweils um die 500 Exemplare gewesen.

Aus Sorge um seine Sicherheit will der Mann seinen Namen nicht öffentlich nennen. Eine Nachricht aus einer Unterhaltung auf WhatsApp scheint die Version des AfD-Mitglieds zu bestätigen. Demnach fragte Weiß ihn im Oktober 2018: „Wann kann ich Dir die nächsten Zeitungen bringen?“.

Der Vorsitzende Weiß hat auf schriftliche und telefonischen Anfragen von CORRECTIV und Frontal21 nicht reagiert.

Eine „Parallelaktion?“

Warum sind diese Kontakte zwischen Mitgliedern der Partei und einem AfD-Funktionär rund um die Verteilung des Deutschland-Kuriers wichtig? Vereine dürfen in Deutschland politische Parteien mit Plakataktionen oder Werbeblättern unterstützen. Das sind sogenannte „Parallelaktionen“. Es darf jedoch keine Abstimmung mit der Partei geben. Sonst muss diese den Wert der Werbeaktionen als Parteispenden melden und ab einer Summe von 10.000 Euro auch die Spender nennen.

Seit 2016 organisierten der Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und bürgerlichen Freiheiten sowie die Schweizer Werbeagentur Goal AG vor Landtags- und Bundestagswahlkämpfen Werbekampagnen, die zur Unterstützung der AfD aufriefen.

Der Verein gab in großer Auflage zwei Unterstützer-Zeitungen der AfD heraus, erst das Extrablatt, und dann den Deutschland-Kurier.

„Wenn Parteimitglieder diese Zeitungen zur Verteilung vom Vorsitzenden erhalten, ist das ganz klar eine Absprache,“ sagt der Parteienrechtler Martin Morlok, Professor an der Universität Düsseldorf.  „Wenn der Kreisverband diese Zeitungen zur Verteilung an Parteimitglieder weitergibt, dann hat er sich die Leistungen angeeignet und als Spende akzeptiert.“

Keine Auskunft

Seit Sommer 2018 steht nicht mehr der Verein für Rechtsstaatlichkeit, sondern eine Firma aus Hamburg im Impressum des Deutschland-Kuriers. Der PR-Berater David Bendels vertritt sowohl den Verein als auch die Firma aus Hamburg.

Bendels stammt aus Duisburg und lebt heute in Bayern. Bis 2016 war er Mitglied der CSU und gründete 2016 in Stuttgart den besagten Verein für Rechtsstaatlichkeit, dessen Post ausgerechnet die Schweizer Werbeagentur Goal AG erledigte.

Wer die Kampagnen für die AfD finanziert hat, das will Bendels nicht sagen. Die Werbeaktionen kosteten laut Schätzungen mehrere Millionen Euro. Bendels wollte sich auf Anfrage nicht äußern. „Zu internen Vertriebsangelegenheiten und Versandabläufen erteilen wir grundsätzlich keine Auskunft“, schrieb Bendels.

© Nicolas Armer/dpa
Will nichts sagen: der PR-Berater Bendels. © Nicolas Armer/dpa

„Hallo David“

Einen kleinen Einblick in die Versandabläufe bietet eine E-Mail, die David Bendels im Juli 2018 von einem AfD-Mitglied erhielt und die CORRECTIV und Frontal21 vorliegt.

„Hallo David, bezüglich meiner Anfrage für den Deutschland-Kurier – KV Essen hätte den gerne, da sie ihn regelmäßig in Essen verteilen möchten.“

KV – das steht für Kreisvorstand. Die E-Mail enthält dann die Adresse, an die die Zeitung erst einmal geliefert werden soll. Es ist die Privatadresse des AfD-Chefs von Essen, Günter Weiß. Und wie eingangs beschrieben, behauptet zumindest ein AfD-Mitglied, dass Weiß ihm den Deutschland-Kurier dann zur weiteren Verbreitung vorbeibrachte.

„Wenn Parteimitglieder diese Zeitung vom Kreisverband erhalten und in Briefkästen verteilen, dann ist das der Partei zuzurechnen und keine Parallelaktion“, sagt der Parteienrechtler Morlok.

Kein Kontakt?

Die E-Mail an Bendels soll im Auftrag eines Essener AfD-Politikers geschrieben worden sein, auch bei anderen Fällen von möglichen Verstößen bereits aufgetaucht ist, der Bundestagsabgeordnete Stefan Keuter.

Keuter bestreitet, den Auftrag für die Email gegeben zu haben. Er geht von einer „Fälschung“ der E-Mail aus.

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass Herr Weiß den Deutschland-Kurier verteilen ließ“, schreibt Keuter auf Anfrage. Er könne sich auch nicht vorstellen, „dass sich ein Parteimitglied aus Essen zur Verteilung von Zeitungen, die nicht von der AfD sind, instrumentalisieren ließ“.

Der AfD-Politiker Keuter räumt ein, Bendels seit Ende 2017 zu kennen, ihm zum Geburtstag gratuliert zu haben. Er habe mit Bendels „ausschließlich“ Kontakt gehabt im Zusammenhang mit Artikeln, die Keuter für den Deutschland-Kurier geschrieben habe.

400.000 Euro Strafe

In einem Fall hat die Bundestagsverwaltung der AfD das Konstrukt der „Paralellaktion“ bereits nicht abgenommen. Recherchen von CORRECTIV und Frontal21 deckten 2017 auf, dass der heutige Parteichef Jörg Meuthen und der heutige AfD-Abgeordnete im Europaparlament Guido Reil über Plakataktionen der Schweizer Goal AG in Landtagswahlkämpfen Bescheid wussten und die Parteifunktionäre informiert hatten. Die Bundestagsverwaltung verhängte deswegen im April 2019 eine Strafzahlung von über 400.000 Euro. Bei Verstößen gegen das Parteispendengesetz muss das Dreifache einer nicht deklarierten Spende gezahlt werden. Die AfD geht gegen die Entscheidung der Bundestagsverwaltung juristisch vor.

Die Bundestagsverwaltung prüft derzeit auch die Verteilung der Gratiszeitung Extrablatt im Landtagswahlkampf NRW 2017. Auch Staatsanwaltschaften in Essen und Berlin gehen der Fragen nach, ob Parteifunktionäre gegen die Regeln des Parteiengesetzes verstoßen haben.

Nicht nur in Deutschland haben Parteien vom rechten Rand in den vergangenen Jahren an der Urne enormen Zulauf erhalten. In Österreich gewährte die FPÖ zuletzt ungewollt Einblicke, mit welchen Methoden sie sich dabei finanzieren. So behauptete der inzwischen zurückgetretene FPÖ-Chef Hans-Christian Strache auf dem #StracheVideo aus Ibiza:

„Es gibt ein paar sehr Vermögende. Die zahlen zwischen 500.000 und anderthalb bis zwei Millionen … Ich kann ein paar nennen, die zahlen aber nicht an die Partei, sondern an einen gemeinnützigen Verein.“

Auch in Deutschland?

Parteispenden, verschleiert mithilfe eines gemeinnützigen Vereins – hat die AfD ihre Wahlkämpfe in Deutschland in den vergangenen Jahren mit einem ähnlichen Konstrukt finanziert?

„Wenn AfD-Mitglieder in Absprache oder im Auftrag von der AfD Deutschland-Kuriere verteilt haben, die die Partei kostenlos bekommen hat, dann ist das ganz klar eine Parteispende und dann muss die AfD das verbuchen“, sagt der Parteispenden-Experte Ulrich Müller von LobbyControl. „Also für die AfD ist es schwierig, Spenden durch David Bendels und seine Organisationen einzuräumen, weil genau dann die Frage ist, ob diese Spenden überhaupt legal waren oder ob es nicht weitergeleitete Spenden von dritten sind und damit illegal“, sagt Müller.

Sollte die AfD die Verteilung der Zeitungen nachträglich als Spende deklarieren oder die Verteilung in ihrem Rechenschaftsbericht für das Jahr 2018 angeben, müssten sie die Geldgeber namentlich nennen. Bislang weigerte Bendels sich, die Geldgeber für AfD-Unterstützungsleistungen offenzulegen.

Andernfalls drohten weitere Strafzahlungen. Insgesamt schätzt LobbyControl das bisherige Werbeengagement für die AfD auf über 10 Millionen Euro. Sollte sich herausstellen, dass die AfD bei den Werbeaktionen des Vereins sowie die Verteilung des Extrablattes und des Deutschland-Kuriers eingebunden war, dann stünde die Bundesrepublik vor einem der größten Spendenskandale der Geschichte, übertroffen nur noch von den schwarzen Kassen der CDU unter Helmut Kohl.

„Rechtliche Verwicklungen“

Die AfD weist die Vorwürfe von sich. Die Partei habe weder mit dem PR-Berater Bendels oder den Herausgebern des Deutschland-Kuriers etwas zu tun. „Es gab hier keine Zusammenarbeit, keine Bestellung, keine Vorstandsbeschlüsse und keine Zahlungen“, schreiben die Anwälte der Partei. Dies gelte auch für Städte wie Essen und Duisburg.

Auch in Duisburg haben die Recherchen von CORRECTIV und Frontal21 einen Fall wie in Essen zutage gefördert.

„Weil ich AfD-Mitglied bin, habe ich seit ungefähr Mitte des vergangenen Jahres den Deutschland-Kurier verteilt“, berichtet ein Parteimitglied, das unerkannt bleiben will, gegenüber Frontal21 und CORRECTIV. Der Deutschland-Kurier sei anfangs immer an das Büro des AfD-Kreisverbands Duisburg geliefert worden. „Von dort habe ich den Deutschland-Kurier abgeholt“, sagt das AfD-Mitglied.

© Ivo Mayr / Correctiv
Marcus Bensmann sucht den Deutschland-Kurier. Der CORRECTIV-Reporter auf Spurensuche im Ruhrgebiet. © Ivo Mayr / Correctiv

Später, bis Ende 2018, sei die Lieferung nicht mehr an die AfD, sondern an seine Privatadresse erfolgt, weil die AfD „rechtliche Verwicklungen“ gefürchtet habe. Der Duisburger AfD-Vorsitzende Andreas Laasch ließ eine Anfrage unbeantwortet.Nicht nur im Ruhrgebiet, sondern auch in Bayern verbreiteten AfD-Mitglieder laut Medienberichten den Deutschland-Kurier. Der Bayerische Rundfunk berichtete im April, dass AfD-Mitglieder den Deutschland-Kurier in Rosenheim verteilten. Auch das ARD-Magazin Panorama berichtete 2018 über die Verteilung des Deutschland-Kuriers durch AfD-Mitglieder in Bayern.

Nach den Berichten zeigte sich die Bundespartei empört über die möglichen Verstöße der  bayerischen Kreisverbände. In Bayern wie im Ruhrgebiet will die Partei also nichts gewusst haben.

Sie bezweifelt die Aussagen ihrer Mitglieder. Sollten dennoch Mitglieder den Deutschland-Kurier verteilt haben, so sei dies wie gesagt „privat und ohne jede Beteiligung der AfD“ geschehen.

Die Spendenaffäre im CrowdNewsroom

Duisburg, Essen, Rosenheim  – die Verteilung des Deutschland-Kuriers durch AfD-Mitglieder scheint kein Einzelfall gewesen zu sein. Doch wie umfassend waren Parteimitglieder in die Verbreitung involviert?

Um diese Frage zu beantworten, startet CORRECTIV eine deutschlandweite Crowdrecherche: „Deutschland sucht den Deutschland-Kurier“. Dafür verwendet CORRECTIV den CrowdNewsroom. Mit dieser Plattform können Redaktionen gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern Informationen zusammen tragen.

Wer in den vergangenen Jahren den Deutschland-Kurier oder das Extrablatt in seinem Briefkasten hatte, kann das angeben. Das kann wichtige Anhaltspunkte für weitere Recherchen ergeben.

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