Heimlicher Abstecher: AfD-Politiker vertuscht Reise nach Belarus
Belarus gilt als letzte Diktatur Europas und engster Verbündeter Russlands. Seit Beginn des Kriegs in der Ukraine sind Reisen dorthin für die meisten Bundestagsabgeordneten tabu – offenbar aber nicht für Petr Bystron. Nach Recherchen von CORRECTIV und dem litauischen Fernsehsender LRT nutzte der AfD-Politiker eine Dienstreise nach Litauen für einen heimlichen Trip.
Update, 8. Februar, 11:15 Uhr: Petr Bystron hat seine Belarus-Reise in einer AfD-Pressekonferenz am heutigen Mittwochmorgen zugegeben. Er habe dort den inzwischen verstorbenen Außenminister Wladimir Makai getroffen, sowie Vertreter der NGO „MIR“. Laut Bystron habe es sich um eine „Fraktionsreise“ gehandelt. Diese reagierte jedoch nicht auf unsere Fragen dazu. Der Auswärtige Ausschuss des Bundestages wurde über diese Reise nicht informiert, wie die Recherche zeigt.
Petr Bystron zeigt gerne, mit wem er sich trifft. Auf Instagram posiert der AfD-Außenpolitiker etwa mit einem Vertreter der litauischen Partei „Freiheit und Gerechtigkeit“. Im vergangenen November flog Bystron für zwei Tage in die litauische Hauptstadt Vilnius, um Kontakte zu dortigen Think-Tanks zu knüpfen und die „parlamentarische Zusammenarbeit“ auszubauen. So zumindest lautete die offizielle Begründung seines Reisevorhabens.
Worüber der bayerische Abgeordnete dagegen schweigt: Bystron fuhr nach Recherchen von CORRECTIV und dem litauischen Fernsehsender LRT anschließend wohl noch weiter. Über den Grenzposten Medininkai, etwa 30 Kilometer von Vilnius entfernt, reiste er offenbar über den Landweg in das Nachbarland Belarus.
Bystron selbst äußert sich auf Anfrage von CORRECTIV nicht zu seinem brisanten Abstecher nach Belarus: Quellen aus den litauischen Grenzbehörden aber bestätigten den Übertritt des AfD-Politikers. Drei Tage später habe ihn ein Fahrer über denselben Grenzposten wieder zurück nach Litauen chauffiert. Der Name und das Geburtsdatum des Fahrers wurden nach Informationen von CORRECTIV und LRT an der Grenze erfasst.
Belarus gilt als letzte Diktatur Europas und Machthaber Alexander Lukaschenko als engster Verbündeter von Russlands Präsident Vladimir Putin. Im russischen Angriffskrieg auf die Ukraine spielt das Land eine zentrale Rolle: Von dort marschierten die Soldaten im Februar 2022 in das Nachbarland ein. Aktuell wachsen in Kiew die Sorgen, Belarus könnte sogar selbst in den Krieg eingreifen.
Heimlicher Abstecher nach Belarus wirft Fragen auf
Die Hinweise auf Bystrons diskreten Trip über die Grenze sorgen nun für Irritationen im Parlament. Michael Roth (SPD), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, wo der AfD-Politiker Obmann ist, erfuhr erst in Folge der CORRECTIV-Recherchen davon: „Weder in dem Dienstreiseantrag noch in dem späteren Reisebericht von Herrn Bystron fand eine Weiterreise nach Belarus Erwähnung“, sagt Roth. „Das ist ein höchst befremdlicher Vorgang, da hier der begründete Verdacht besteht, dass eine Reise verschleiert werden sollte.“
Die AfD ist bei der Frage nach dem Umgang mit Russland gespalten, einige Abgeordnete unterstützen die Ukraine, die Führung dagegen sucht offensichtlich Nähe zu Russland. Am Donnerstag will die AfD einen sogenannten „Friedensplan mit Sicherheitsgarantien für die Ukraine und Russland“ in den Bundestag einbringen: Es handelt sich um einen prorussischen Antrag, der Russlands Herrschaft über die besetzten Gebiete in der Ukraine zementieren würde. Bystron selbst lädt am heutigen Mittwoch zu einem sogenannten „Friedenskonzert“ im Bundestag ein.
Sein Abstecher wirft Fragen darüber auf, was genau er in Belarus vorhatte, mit wem er sich dort traf – und warum er die Fahrt gegenüber dem Bundestag und der Öffentlichkeit offenbar vertuschte. Für die meisten anderen Politikerinnen und Politiker sind Besuche in Belarus derzeit ausgeschlossen: SPD, Grüne, FDP, CDU und Linke teilten CORRECTIV auf Anfrage mit, dass ihrer Kenntnis nach keine Abgeordneten in ihren Fraktionen seit Kriegsbeginn Reisen nach Belarus oder Russland unternommen haben.
Bystron erwähnt Trip nach Belarus nicht in Reiseantrag und Bericht – AfD-Fraktionsführung wusste offenbar Bescheid
Innerhalb der AfD wird hinter vorgehaltener Hand über Bystrons Reise nach Belarus gesprochen: Zwei Quellen in der Fraktion bestätigten CORRECTIV unabhängig voneinander, dass sie von der Weiterfahrt Bystrons nach Belarus gewusst hätten.
CORRECTIV recherchierte gemeinsam mit dem litauischen Sender LRT genaue Einzelheiten zu Bystrons Einreise in das Land: Quellen beim litauischen Grenzdienst bestätigten, dass Bystron am 16. November 2022 den Grenzübergang Medininkai übertrat. Nach drei Tagen kehrte er den Informationen des Grenzdiensts zufolge aus Belarus nach Litauen zurück. An diesem Tag, dem 19. November, saß Bystron in einem Auto, das an dem Grenzübergang angehalten und kontrolliert wurde.
Offiziell bestätigen wollen die litauischen Grenzbehörden dies nicht. „Wir geben keine Informationen über Grenzübertritte“, teilt ein Sprecher auf Anfrage von CORRECTIV mit, sie würden dies nur in Ausnahmesituationen gegenüber staatlichen Stellen tun.
Für ihre Reisen müssen sich Bundespolitikerinnen und -politiker grundsätzlich nicht rechtfertigen. Es sei denn, es handelt sich um eine genehmigte Dienstreise auf Kosten des Bundestags: Dann müssen sie eine Zustimmung der Vorsitzenden ihres Ausschusses und ihrer Fraktion einholen und die Reise schriftlich beim Bundestagspräsidenten beantragen und begründen. Hinterher müssen sie einen Bericht abgeben.
Bystron hat nach Aussage des Ausschussvorsitzenden Michael Roth am 9. November 2022 beim Bundestagspräsidenten einen Antrag für eine Reise in der Zeit vom 14. bis 16. November 2022 nach Vilnius abgegeben. Die Genehmigung für die Reise wurde demach am 14. November erteilt, nachdem der Vorsitz des Auswärtigen Ausschusses zugestimmt hatte.
Bystron verfasste auch einen Reisebericht. Seinen Abstecher nach Belarus erwähnt der Politiker darin jedoch nicht. Auf Fragen von CORRECTIV dazu antwortet Bystron nicht.
Laut einer Quelle innerhalb der AfD soll Bystron aber die Fraktionsspitze vorher in seine Reisepläne eingeweiht haben, zumindest informell. Die AfD-Fraktion äußerte sich gegenüber CORRECTIV nicht dazu.
Unruhe im Ausschuss – Vorsitz: Hätte Dienstreise so nicht zugestimmt
Der stellvertretende Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Thomas Erndl (CSU), hat im November der Litauenreise des AfD-Abgeordneten Bystron zugestimmt. „Hätte ich damals gewusst, dass Herr Bystron vorhatte, auch nach Belarus zu reisen, hätte ich den Reiseantrag nicht befürwortet“, sagt Erndl gegenüber CORRECTIV. Er fühle sich von Bystron getäuscht.
Auch der Vorsitzende des Ausschusses, Michael Roth, hält Besuche in dem Land derzeit für inakzeptabel: „Belarus unterstützt den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und unterliegt deshalb auch EU-Sanktionen. Treffen mit Oppositionellen sind in Belarus faktisch nicht möglich“, sagt der SPD-Politiker. Deshalb könnten Reisen nach Belarus laut ihm auch nicht im Interesse des gesamten Deutschen Bundestages sein, was Voraussetzung für eine Dienstreisegenehmigung wäre.
Fragen darüber, was genau er für seine Reise abgerechnet hat, beantwortet Bystron nicht. Laut seinem Reiseantrag hätte die Reise am 16. November enden müssen – aber an diesem Tag reiste er nach CORRECTIV-Informationen weiter nach Belarus. Unklar ist also, für welches Datum er den Rückflug buchte und ob er ihn vom Bundestag bezahlen ließ.
Die Bundestagsverwaltung teilt CORRECTIV dazu mit, dass Kosten einer Dienstreise nur erstattet werden, wie sie vorher beantragt und genehmigt wurden. „Nach dem Bundesreisekostengesetz kann man eine Dienstreise mit bis zu fünf Tagen eines privaten Reiseteils verbinden“, teilt ein Sprecher der Verwaltung mit. An- und Abreise würden dann trotzdem übernommen – allerdings nur, wenn dies bereits im Antrag angegeben werde.
Kiesewetter (CDU): „Sicherheitspolitisch hochbedenklich“
Auch CDU-Politiker und Ausschussmitglied Roderich Kiesewetter äußert sich irritiert über den Belarus-Ausflug des AfD-Abgeordneten: „Er hat das als nicht berichtenswert empfunden“, sagt er gegenüber CORRECTIV. „Das lässt nur darauf schließen, dass er dort entweder Urlaub gemacht hat oder nicht möchte, dass seine Dienstreise bekannt wurde.“
Kiesewetter wusste vor der CORRECTIV-Enthüllung ebenfalls nichts von dem Abstecher seines Ausschusskollegen und reagiert mit scharfer Kritik: „Das stimmt nachdenklich, weil er Obmann der AfD im Auswärtigen Ausschuss ist. Und das wirkt für mich schon so, als ob er sein Amt missbraucht.“ Reisen in Länder, die sich aktiv am Krieg gegen die Ukraine beteiligten, seien laut Kiesewetter sicherheitspolitisch hochbedenklich. „Insbesondere dann, wenn sie vertuscht werden. Was hat Herr Bystron zu verbergen?“
Am heutigen Mittwoch tagt der Auswärtige Ausschuss des Bundestags wieder. Der Vorsitzende Roth teilte CORRECTIV mit, dass er Bystrons Belarus-Reise thematisieren will.
AfD streitet intern um Umgang mit Russland
Die AfD streitet weiterhin über den Umgang mit Russland. Der prorussische „Friedensplan“, der eigentlich bereits Ende Januar präsentiert werden sollte, sorgte laut CORRECTIV-Informationen schon vorab für erhebliche Konflikte. Die Parteispitze will nach außen künftig offenbar wohlwollend gegenüber Russland auftreten. Am Donnerstag soll der AfD-Vorschlag in den Bundestag eingebracht werden – allerdings in einer abgeschwächten Form.