Kein Geheimtreffen gegen Deutschland – wir waren trotzdem dabei
Mitte Dezember trafen sich AfD-Funktionäre mit Neonazis in der Schweiz, darunter Mitglieder von „Blood & Honour“. Das Treffen wurde beworben, aber zugleich von der Öffentlichkeit abgeschirmt. Unser Reporter schaffte es, dabei zu sein. Eine Überraschung bot sich im Nachklapp des Treffens.
Hören Sie hier eine eingelesene Fassung dieses Beitrags:
An einem Samstagabend im Dezember, zwei Wochen vor Weihnachten, in der Schweizer Kleinstadt Kloten, wenige Autominuten vom Zürcher Flughafen entfernt. Mehrere junge Männer stehen rauchend auf einem Balkon des Restaurants „83NullZwei“ und schauen hinunter auf das umliegende Sportgelände. Es ist ruhig, nur im Hallenbad nebenan ziehen einige Rentner ihre Bahnen.
Im Gastraum sind die Fenster beschlagen, die Wände dicht mit Topfpflanzen und Eishockey-Fotos behängt, professionell wirkende Filmkameras und Scheinwerfer wurden aufgestellt. Der Raum füllt sich, in erster Linie mit weiteren jungen Männern mit streng gezogenen Scheiteln, dazu ein paar junge Frauen mit Flechtfrisuren und einige ältere Besucher. Ein Typ im Thor-Steinar-Pullover bestellt an der Theke ein Bier und Kartoffelchips. Später werden noch Blätterteig-Häppchen gereicht.
Kurze Anmoderation des Beisitzers der Jungen Alternative Baden-Württemberg, dann tritt der Hauptredner des Abends nach vorne: Roger Beckamp, Abgeordneter für die AfD im Deutschen Bundestag. Die zweite Rednerin wird erst später eintreffen: Lena Kotré, frisch wiedergewählte AfD-Landtagsabgeordnete in Brandenburg. Ihr Flieger habe Schwierigkeiten gehabt, erklärt der Moderator.
Beckamp und Kotré reden an dem Abend viel über „Remigration“. Der Begriff ist ein Klassiker unter den völkisch-rassistischen Tarnbegriffen, wie wir im Infokasten weiter ausführen. Beckamp empfiehlt jungen Aktivisten auch, sich mal in die Groß- oder Urgroßeltern einzufühlen: Wen würden sie wohl heute denn wählen, wie würden sie heute auf unser Land blicken? Alles klassische Themen der Neonaziszene. Beckamp betont mehrfach, die Veranstaltung sei kein Geheimtreffen – was in der Gaststube jedes Mal mit Lachern quittiert wird. Man habe nichts zu verbergen. Er hoffe auch, dass „das Ganze ins Netz gestellt wird“, der Mitschnitt des Abends.
Verbotene, gewaltbereite Neonazi-Gruppen im Publikum
Am Ende des Abends wird sich Kotré bei ihren „Schweizer Freunden“ bedanken, Roger Beckamp wird anschließend auf Social Media von einer „sehr netten Runde lauter (…) Schwiegersöhne” schwärmen, es seien „sehr angenehme, anständige, differenzierte, junge Leute“ da gewesen. Vor Ort wirbt er damit, Abgeordnete könnten Geld und Jobs verteilen, an Leute, die „in ihrer Freizeit andere Dinge“ täten, die dem politischen Vorfeld „nützen“. Im Publikum sitzen Mitglieder rechtsextremistischer Gruppen, wie der in Deutschland verbotenen „Blood-and-Honour“-Bewegung und der Schweizer Gruppierung „Junge Tat“. Die „Schwiegersöhne“ sind gewaltbereite, radikale Neonazis. Bundestagsmitglied trifft Rechtsextreme, angekündigt und angepriesen in Sozialen Medien, es soll alles offen wirken.
In diesem Artikel finden Sie einige Audio-Clips. Es sind Aufnahmen des Treffens in der Schweiz. Zu hören sind der AfD-Bundestagsabgeordnete Roger Beckamp und die brandenburgische Landtagsabgeordnete Lena Kotré während ihres Vortrags auf der Bühne und im Dialog nach dem Auftritt.
Roger Beckamp spricht über die Finanzierung und die Vernetzung zwischen AfD und politischen Vorfeld-Gruppen.
Für die Teilnahme musste man sich mit dem Bild eines amtlichem Lichtbildausweis anmelden, kurzer Videoanruf mit Gesinnungscheck inklusive. Eigentlich wollte die Runde im Rössli-Saal in Illnau-Effretikon zusammenkommen. Doch die Stadt verbot die Veranstaltung. Durch ein „Trickli“ habe die Veranstaltung trotzdem stattfinden können, schrieb die „Junge Tat“ im Netz. Unser Reporter hat erlebt, wie dieses „Trickli“ aussah: Manche der Teilnehmer wurden zu einem Parkplatz bestellt, von dort weiter gelotst oder in Autos zu dem ihnen bis dahin unbekannten Ort gebracht, dieses Mal organisiert von AfD-Mitgliedern aus Lörrach. Solche konspirativen Schleusungen haben in der Neonazi-Szene Tradition. Alles trotz des von Beckamp mehrfach betonten, nicht geheimen Charakters.
CORRECTIV hat aber auch ein „Trickli“ auf Lager: Einer unserer Reporter hat verdeckt an dem Treffen teilgenommen.
Gut ein Jahr ist seit dem Geheimtreffen in Potsdam vergangen, über das CORRECTIV berichtete und bei dem der Kopf der Identitären Bewegung, Martin Sellner, sein „Remigrationskonzept“ vorstellte, das in der Einladung als Masterplan angekündigt wurde. Sein Konzept bedeutet die massenhafte Vertreibung von Menschen aus Deutschland, darunter Geflüchtete und sogenannte „nicht-assimilierte Staatsbürger“. Mithilfe von „maßgeschneiderten Gesetzen“ und „Anpassungsdruck“ sollen diese aus dem Land gedrängt werden. Nach Sellners Vorstellung betrifft das bis zu „sechs Millionen“ Menschen.
Der Grund, warum wir von CORRECTIV jetzt wieder detailliert über ein Treffen von Rechtsextremen berichten, ist: Das Gedankengut hat sich seither noch weiter verbreitet, der völkische Tarnbegriff „Remigration“ steht auf Wahlplakaten, ist in der Alltagssprache angekommen. Es ist das Trugbild einer völkischen „Vertrauensgemeinschaft“, aus der das mit willkürlicher Definitionsmacht ausgemachte Fremde vertrieben werden müsse, um ein angebliches Idyll des „Eigenen“ wiederherzustellen. Diese völkische Ideologie ist seit über 150 Jahren ein Wiedergänger in der deutschen Rechten. Heute propagieren die sogenannten Neuen Rechten und ihre Ideologen das Trugbild einer homogenen Gemeinschaft erneut, allerdings mit neuen Begriffen. Sie sagen nicht Rasse, sondern „ethnokulturelle Identität“, es heißt dort nicht Vertreibung, sondern „Remigration”.
Eine Aufgabe von Journalismus ist, diese Verschiebungen dessen, was „sagbar“ ist, sichtbar zu machen und die Tarnbegriffe zu erklären. Dort zuzuhören und dabei zu sein, wo sich wichtige Akteure der sogenannten Neuen Rechten unbeobachtet vor zu kritischer Öffentlichkeit fühlen. Um nicht nur ihre Aussagen zu hören, sondern auch den Kontext zu verstehen: Wer sind die Zuhörer? Wie ordnen Redner ihre Aussagen selbst ein?
Um an dem Treffen teilzunehmen, haben wir unseren Mitarbeiter eingeschleust. Die Journalisten des Medienkollektivs „Recherche Nord“ fotografierten die Schleusungsaktion auf dem Parkplatz, bevor unser Reporter an die Veranstaltungsstelle gebracht wurde. Lokale Antifaschisten wollten ursprünglich die Veranstaltung verhindern, standen aber dann den ganzen Abend in großer Gruppe in der Nähe des Veranstaltungsortes, um die Sicherheit unseres Reporters zu gewährleisten. Später fand noch ein Video-Call mit Roger Beckamp und seinem Mitarbeiter statt.
AfD-Mann Beckamp in der Schweiz: „Was die CDU jetzt verspricht, ist nichts anderes als Remigration“, Kontré kontert, und sieht es als Schlüssel zur Wahlbeeinflussung.
Auch hier, bei dem Treffen in der Schweiz, wird immer wieder Bezug auf den Tarnbegriff „Remigration“ genommen. Zu Beginn seines Vortrags erzählt Beckamp, der österreichische rechtsextreme Autor Martin Sellner habe Einfluss auf ihn gehabt. Beckamp sagt, man könne statt von „Remigration“ auch von Rückführung und Abschiebung in großem Stil sprechen. Auch eher weiche Aspekte zählten dazu, „Anreize“ wie Prämien in Dänemark beispielsweise. „Was die CDU jetzt verspricht, ist nichts anderes als Remigration“, sagt Beckamp auf der Bühne und zieht den Begriff damit von Sellners radikalen Definition weg, in der auch Staatsbürger vertrieben werden sollen.
Kotré erwidert allerdings, für sie gehe der Begriff „ein bisschen weiter.“ Es gehe nicht nur um die Ausreisepflichtigen, sondern „auch diejenigen, die sich hier nicht an Recht und Gesetz halten, die allerdings schon die deutsche Staatsbürgerschaft erlangt haben.“ Ihre Logik: „Sie haben getäuscht, dass sie sich hier an die freiheitlich demokratische Grundordnung halten und damit kann man ihnen nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz einfach mal die Staatsbürgerschaft wieder entziehen.“ Die volle Ausschöpfung der angeblichen gesetzlichen Möglichkeiten sei für sie „der volle Begriff der Remigration.“
Fünf Minuten später sagt Kotré, theoretisch sei „Remigration“ aber auch „wieder der Schlüssel“, um unliebsame Wahlentscheidungen zu verhindern.
Roger Beckamp und Lena Kotré diskutieren über „Remigration“.
Lena Kotré über das Wahlrecht von Menschen mit Migrationshintergrund.
„Remigration“ als vermeintliche Allround-Lösung.
Beckamp erzählt von Kontinuität und seiner Herkunft, von seinem „Zusammenhang“, seinem Volk, „den Deutschen“. Kontinuität sei für ihn etwas „Eigenes“, auch für zukünftige Generationen. Kotré will eine privatisierte Abschiebeindustrie, will mithilfe von DNA-Proben und Sprachanalysen von Smartphones Regionen bestimmen lassen, aus der Geflüchtete vermeintlich stammen und sie dorthin abschieben. Der Moderator schlägt vor, die jungen Leute aus dem Publikum könnten beim „Kofferpacken“ helfen.
CORRECTIV hat nach dem Treffen Beckamp und Kotré per E-Mail angeschrieben und sie unter anderem gefragt, wie der Kontakt zur Gruppe „Junge Tat“ zustande kam, ob ihnen die Teilnehmer der Veranstaltung bekannt waren und wie sie zu den Zielen der „Jungen Tat“ stehen. Antworten gab es nicht.
„Die Angst vorm AfD-Verbot, die den Bundesvorstand rumtreibt“
Während die Besucher der Klotener Gaststätte aufmerksam den Ausführungen von Kotré und Beckamp lauschen, wird in der AfD um eine ganz grundsätzliche Frage gestritten: Wie radikal darf und soll man auftreten? Zu den Vertretern eines radikalen Kurses gehört etwa Bundestagsmitglied Matthias Helferich, der dort „millionenfache Remigration“ propagiert und erst kürzlich den Verleger Götz Kubitschek in den Bundestag einlud. Maximilian Krah dagegen schreibt auf X, es sei unklug, sich mit Forderungen zu weit aus dem Fenster zu lehnen – mit Blick auf ein mögliches Verbotsverfahren.
Lena Kotré über Sagbares, AfD-Verbot und den AfD-Bundesvorstand.
Kotrés und Beckamps Besuch bei einer Schweizer Neonazi-Gruppierung ist eine klare Positionierung in dieser Streitfrage. Man dürfe sich nicht „künstlich distanzieren“, sagt Kotré später am Abend im Zwiegespräch. Es ergebe zwar „keinen Sinn“, den Holocaust zu verharmlosen oder Hitler zu verherrlichen. Aber „alles, was dadrunter ist, muss in meinen Augen sein: eben darüber zu sprechen, wie man sein eigenes Volk sieht. Und was man eben von seinem eigenen Volk fernhalten möchte.“ Denn das spreche die Wähler an. „Und die ganze Angst vorm AfD-Verbot. Das ist ja das, was gerade den Bundesvorstand auch umtreibt, ne? AfD-Verbot werden die so oder so beantragen, ob Roger und ich jetzt hier in der Schweiz sind oder nicht.“ CORRECTIV hat den AfD-Bundesverband gefragt, ob ihm das Treffen in der Schweiz bekannt war und wie er zur Teilnahme von Beckamp und Kotré steht. Die Anfrage blieb unbeanwortet.
Roger Beckamp ist seit langem Verfechter eines „Remigrations“-Konzepts. Bereits vor dem Potsdamer Geheimtreffen sprach er in seinen Bundestagsreden von „millionenfacher Remigration“. Regelmäßig präsentiert er diese als Lösung für Wohnungsmangel. Im September vergangenen Jahres teilte er ein Video, in dem er von der Vertreibung auch deutscher Staatsbürger träumt: „Remigration jetzt! Remigration, und zwar millionenfach und gerne auch die Herrschaften, die sich besonders laut aussprechen und die im Zweifel alles Deutsche sind, die besonders laut sind, weil sie es ganz toll finden, dass alle, alle, alle, alle bleiben sollen — egal woher, egal warum.” Auch im Konzept von Martin Sellner würden Menschen, die Geflüchtete unterstützen, aus dem Land gebracht werden.
Kotré machte im Brandenburger Landtagswahlkampf Schlagzeilen, als sie sogenannte Kubotans zur Selbstverteidigung verteilte, also einen spitzen Metallstab, der beispielsweise in der Schweiz als verbotene Waffe gilt. Kurz vor der Wahl im September, brachte Kotrés AfD-Fraktion in den brandenburgischen Landtag einen Entschließungsantrag ein, der unter anderem ein Betretungsverbot öffentlicher Veranstaltungen für „Asylantragsteller, Asylberechtigte, ukrainische Kriegsflüchtlinge“ und Weitere fordert.
Banner-Aktionen, Sturmhauben, Waffenarsenale: Das ist die Schweizer Gruppe „Junge Tat“
Das Bierglas des jungen Mannes ist längst geleert, als Beckamp die Motivation für sein politisches Engagement darlegt: Ihm gehe es um Kontinuität, „etwas Eigenes“, „mein Volk, die Deutschen“. Das sei seine Motivation. Die Möglichkeit von Kontinuität und deren konkrete Verkörperung in Personen. Personen wie den Menschen im Publikum. Dass die „Junge Tat“ von einer Sicherheitsbehörde als extremistisch angesehen werde, sage mehr aus über die Sicherheitsbehörden als über die „Junge Tat“.
Tatsächlich wird die „Junge Tat“ von der Schweizer Bundespolizei Fedpol beobachtet, sechs Mitglieder wurden unter anderem wegen Rassendiskriminierung verurteilt, da sie laut Staatsanwaltschaft „die Ideologie des Nationalsozialismus verbreiteten und die Menschenwürde von Juden und dunkelhäutigen Menschen krass herabsetzten“. Bei Hausdurchsuchungen fand die Polizei beim Führungsmitglied Manuel Corchia und einem weiteren Mitglied Waffenarsenale, darunter Kalaschnikows, Pistolen, Schrotgewehre und Munition. Bei Onlinevorlesungen loggte er sich zum Geburtstag von Adolf Hitler als „Alles Gute A.H. 88“ ein, „Heil Hitler“ Rufe waren zu hören. Konkret störten sie eine queere Vorlesestunde für Kinder mit Rauchbomben, ein Mitglied schlug bei einer Corona-Demo einen am Boden liegenden Gegendemonstranten und sie inszenierten Provokationen wie das Hissen rechtsextremer Banner am Basler Bahnhof. Auf Fragen von CORRECTIV, unter anderem, was sich die Gruppe davon versprach, Kotré und Beckamp einzuladen, antwortete die „Junge Tat“ nicht.
Auch das deutsche Bundesamt für Verfassungsschutz hat die „Junge Tat“ im Blick: Aufgrund von Vernetzungen der Gruppe nach Deutschland seien deren Aktivitäten für das Bundesamt relevant, heißt es auf CORRECTIV-Anfrage. „Zudem sind verschiedene Verbindungen der „Jungen Tat“ in die deutsche rechtsextremistische Szene bekannt. Vereinzelt mündeten diese bereits in gemeinsame Aktionen“, erklärt das Bundesamt.
Beckamp stört sich an all dem offenbar nicht. Sein Eindruck von den Anwesenden, erklärt er in seiner Rede, sei „ganz anders als das Bild, was entworfen wird.“ Später sagt er, man brauche „immer Leute, die vorangehen“, „so wie Manuel hier, der sich total verbrannt hat für das Projekt.“ Gemeint ist Manuel Corchia, der die Veranstaltung mitorganisiert hatte – und bei dem mutmaßlich die Waffen gefunden wurden.
Roger Beckamp erzählt von Kontinuität und „Eigenem“ – dem deutschen Volk.
Roger Beckamp über politisches Vorfeld und „Junge Tat“-Aktivist Manuel Corchia.
Roger Beckamp über Angriffe auf den CSD in Bautzen.
Aber vor homophoben Aktionen warnt Beckamp eindrücklich, die halte er für „nicht sinnvoll“. Er erinnert an den Aufmarsch im sächsischen Bautzen im letzten Sommer, bei dem Neonazis mit Reichskriegsflagge gegen den gerade stattfindenden Christopher Street Day hetzten. Das habe er abgelehnt, sagt Beckamp, „weil es nachher so rüberkam, als wenn man gegen Homosexuelle sei.“ Damit stößt Beckamp allerdings bei seinem Publikum auf Widerspruch, wie in der Pause zu hören ist.
Das Potpourri völkisch-rechtsextremer Lieblingsthemen
Hiervon abgesehen werden an dem Abend die Hauptthesen der völkischen Rechten heruntergespult. Es klingt ein bisschen wie eine KI-generierte Zusammenfassung rechtsextremer Lieblingsthemen, ein Portfolio der „neurechten“ Neonazi-Akademie in Schnellroda, garniert mit ausgesprochen altrechten Neonazi-Slogans:
Lena Kotré behauptet, Migranten würden „uns das Land streitig machen“ wollen.
Die Referenten sagen, Fremde wollten uns das Land wegnehmen, Frauen seien durch Migration besonders gefährdet, Linksextreme verdienten Geld mit Migration, Muslime bedrohten das Christentum, Ausländer wollten das Land übernehmen. Beckamp spricht vom „alliierten Bombenterror“, ein Teilnehmer befürchtet einen vermeintlichen „Bevölkerungsaustausch“, andere erkundigen sich nach Strategien, die Geburtenrate christlicher Akademikerpärchen zu steigern. Neuester Hit seit diesem Jahr: CORRECTIV, das Lügen-Netzwerk. Und das Wort „Remigration“ erscheint immer wieder als Allround-Lösung.
Am Büchertisch neben dem Eingang verkauft ein Junge in Trachtenweste derweil Titel eines neofaschistischen Verlags aus Dresden. Auf Seite 62 eines Büchleins zu neoreaktionärer Ideologie steht: „Menschenrassen existieren, unterscheiden sich, ernsthafte Politik muss sich daran orientieren.“
Allesamt Themen, die Beckamp schon zumindest in Teilen zuvor in seinen Kanälen verbreitete. Allesamt Themen, die in den Gerichtsverfahren zur Einschätzung der AfD als rechtsextremem Verdachtsfall, der Landesverbände als gesichert rechtsextremen Bestrebungen und nach Einschätzung von Verfassungsjuristen auch für ein Verbot der Bundespartei relevant seien.
Streit in NRW-AfD: Roger Beckamps Kandidatur nur zum Schein?
Und mehr noch: All das passiert im Kontext eines Streits der AfD in Nordrhein-Westfalen. Die Streitfrage: ob Beckamp auf einem oberen Platz der Wahlliste antreten darf. Was er noch gar nicht erzählt habe, sagt Beckamp ein paar Tage später unserem Reporter, der sich vor dem Treffen extra seinen Schnurrbart abrasiert hatte, in einem Zoom-Call: „Ich mache ja nicht weiter im Bundestag, das heißt, ich kandidiere nicht mehr.“ Was er da gerade mache, sei „nur um andere zu unterstützen, die auf die Liste sollen.“
Bemerkenswert ist das auch deshalb: Fünf Tage zuvor hatte er sich über die vielen Lügen beschwert, die von Medien in die Welt gesetzt würden, er nannte das „entweder schlechte Arbeit oder bewusst bösartig.“ Hier sagt er nun: „Ich kämpfe gerade um die Liste. Aber das ist nur zum Schein.“
Geheim ist das nun auch nicht mehr.
Audio-Update, 27. Dezember, 21:45 Uhr
Es wurde jeweils eine Änderung an den Audiofiles „Roger Beckamp und Lena Kotré diskutieren über ‚Remigration‘“ und „Lena Kotré über das Wahlrecht von Menschen mit Migrationshintergrund“ vorgenommen. Der Clip „Roger Beckamp und Lena Kotré diskutieren über ‚Remigration‘“, wurde um Kotrés Aussagen zu CDU und Remigration erweitert. Die Passage wurde aus dem Clip „Lena Kotré über das Wahlrecht von Menschen mit Migrationshintergrund“ (vorher: „‚Diese Leute wieder loswerden‘: Lena Kotré über ‚Remigration‘ und Wahlrecht von Menschen mit Migrationshintergrund“) entfernt, da sie nun in im Audiofile „Roger Beckamp und Lena Kotré diskutieren über ‚Remigration‘“ nachzuhören ist.
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Text und Recherche: Jean Peters, Tobias Ginsburg, Martin Böhmer, Niclas Fiegert
Mitarbeit: Anna Kassin, Sven Niederhäuser, Marc Engelhardt, Tobias Hauswurz
Redaktion: Anette Dowideit
Faktencheck: Shammi Haque
Fotos und Illustrationen: Recherche Nord, Ivo Mayr
Kommunikation: Anna-Maria Wagner, Luise Lange-Letellier