Teilnehmer an Potsdam-Treffen versichert: „Remigration“ von Staatsbürgern wurde geplant
Erstmals bestätigt ein Teilnehmer des Potsdamer Treffens vor dem Notar: Die Zusammenkunft war geheim – und dort wurde ein „Masterplan“ besprochen, in dessen Verlauf die „Remigration“ auch für „nicht-assimlierte Staatsbürger“ vorgeschlagen wurde. Für den Teilnehmer war dies ein Tarnbegriff für Vertreibung und sogar „ethnische Säuberung“.

Am 12. August 2025 unterzeichnete Erik Ahrens eine eidesstattliche Versicherung. Sie bestätigt die Recherchen von CORRECTIV zum Potsdamer Treffen vom 25. November 2023 – und erweitert sie in zentralen Punkten. Ahrens war Teilnehmer an der Zusammenkunft. Laut eigener Aussage ist er mittlerweile ein Aussteiger aus der rechten Szene. Wer in einer eidesstattlichen Versicherung die Unwahrheit sagt, kann sich strafbar machen.
Ahrens erklärt schriftlich und vom Notar beurkundet: Das in Potsdam vorgestellte „Remigrations“-Konzept laufe auf „ethnische Säuberungen bzw. Vertreibungen“ auch von deutschen Staatsbürgern hinaus – „freiwillig oder unfreiwillig“.
Und weiter: Der Kopf der rechtsextremen Gruppe „Identitäre Bewegung“, Martin Sellner, schlug bei der Zusammenkunft explizit die „Remigration“ für „nicht-assimilierte Staatsbürger“ vor.
Ahrens schreibt in seiner eidesstattlichen Versicherung auch: Der Organisator des Treffens in Potsdam schlug die Einrichtung einer Expertenkommission vor, die für die Umsetzung des „Remigrations“-Konzepts zuständig sein solle. Diese Kommission solle die juristischen, logistischen und ethischen Aspekte möglichst konkret vorbereiten. Im Falle, dass eine patriotische Kraft in Deutschland an die Macht komme, habe man auf diese Weise schon einmal einen möglichst konkreten Plan in der Schublade – so äußerte sich der Organisator laut Ahrens.
Mit der „patriotischen Kraft“ war laut Ahrens’ schriftlicher Versicherung „eindeutig die Partei Alternative für Deutschland (AfD) gemeint“.
Nach der Veröffentlichung der CORRECTIV-Recherche im Januar 2024 über das Geheimtreffen organisierten sich bundesweit Proteste gegen Rechtsextremismus. Die Recherche legte damals nicht nur die Beratungen über das „Remigrations“-Konzept offen, sondern zeigte auch, dass bei der Zusammenkunft neben Neonazis auch hochrangige AfD-Funktionäre anwesend waren.
Das neue Theaterstück zum Nachschauen:
Der in Potsdam von Sellner vorgestellte „Masterplan“, das zeigte die Recherche, sah unter anderem die „Remigration“ auch für „nicht-assimilierte Staatsbürger“ vor. Diese solle über „Anpassungsdruck“ wie „maßgeschneiderte Gesetze“ zur Abwehr der „ethnischen Wahl“ als „Jahrzehnteprojekt“ umgesetzt werden.
Diese Aussagen von Sellner beim Geheimtreffen bestätigte Ahrens schriftlich.
„Remigration“ und „ethnische Wahl“ sind Tarnbegriffe der neuen Rechten für Vertreibung und „Überfremdung“.
Wer ist Erik Ahrens – und wie glaubwürdig ist er?
Als Erik Ahrens beim Potsdamer Treffen im November 2023 einen Vortrag hielt, galt er für die AfD und deren rechtes Umfeld als führender Experte. Besonders bekannt war er für seine Expertise in der Nutzung sozialer Medien zu propagandistischen Zwecken. Im Sommer 2023 etwa hatte er die Plattform TikTok als „das Fenster in das Gehirn der Jugendlichen“ beschrieben. Er trug wesentlich dazu bei, den AfD-Spitzenkandidaten Maximilian Krah zu einem TikTok-Star zu machen.
Renommierte Medien wie Zeit und Spiegel berichteten bereits über den Social Media-Strategen der AfD. Auch CORRECTIV berichtete bereits mehrfach in diesem Zusammenhang über Ahrens – etwa über eine von ihm ins Leben gerufene „TikTok Guerilla“: ein Netzwerk aus AfD-Unterstützern, das vor den Landtagswahlen 2024 die Plattform mit AfD-unterstützenden Inhalten fluten sollte.
Ahrens war aber zu der Zeit der Potsdamer Veranstaltung nicht nur Experte für Algorithmen, sondern auch ideologischer Weggefährte von Martin Sellner. Nach eigenen Aussagen war er in die Ausarbeitung des Konzepts der „Remigration“ eingebunden, das Sellner in Potsdam vorgestellt hatte. Ahrens kennt somit die Tarnbegriffe der neuen Rechten in diesem Feld. Er arbeitete eng mit Sellner und dem völkischen Verleger Götz Kubitschek zusammen.
Doch dann trennten sich ihre Wege. Im Frühjahr griff Ahrens verschiedene AfD-Politiker und Personen aus deren ideologischem Vorfeld in Sozialen Netzwerken an. Es folgte eine turbulente Zeit für ihn: Ahrens radikalisierte sich zunächst, behauptete dann, aus der rechten Szene auszusteigen, und machte zwischendurch Werbung für pornografische Webseiten.
Vor wenigen Tagen klopfte die Polizei an seine Tür. Die Hintergründe dieses Polizeieinsatzes sind schwer durchschaubar – laut Ahrens sollte er von politischen Gegnern unglaubwürdig gemacht werden.
Bereits Anfang August hatte Ahrens auf der Plattform X angekündigt, eine eidesstattliche Versicherung zum Geheimtreffen von Potsdam zu unterschreiben. Aus der rechten Blase gab es darauf viele, zu großen Teilen wütende Reaktionen. Tenor: Ahrens sei als Quelle unglaubwürdig.
Die CORRECTIV-Redaktion hat sich mit der Frage nach Ahrens’ Glaubwürdigkeit intensiv auseinandergesetzt – und kam zum Ergebnis: Für die journalistische Bewertung ist sein Werdegang unerheblich. Relevant sind seine Anwesenheit in den Räumlichkeiten der Konferenz in Potsdam, die Stringenz seiner Wiedergabe der dortigen Ereignisse und seine Bereitschaft, dies an Eides statt zu versichern.
Ahrens hat die eidesstattliche Versicherung vor einem Notar beglaubigen lassen. Sollte sie bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung vorgelegt werden, würde er sich strafbar machen, wenn er Unwahres behauptet hätte. Da er sich dessen bewusst ist, erscheint er als glaubwürdige Quelle.
Weitere Folgen der CORRECTIV-Veröffentlichung von damals: Mehrere Teilnehmer wehrten sich medial und juristisch gegen die Annahme, es sei dort die Ausweisung deutscher Staatsbürger geplant worden. Die rechtsextreme französische Politikerin Marine Le Pen forderte AfD-Chefin Alice Weidel dazu auf, sich vom „Remigrations“-Konzept, wie es in Potsdam besprochen wurde, zu distanzieren und es nicht ins AfD-Wahlprogramm zu übernehmen. Dem kam Weidel nicht nach – und daraufhin wurde die AfD aus der Europäischen Fraktion „Identität und Demokratie“ der rechtspopulistischen Parteien ausgeschlossen.
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In seiner eidesstattlichen Versicherung schreibt Ahrens: Er habe das „Remigrations“-Konzept in Zusammenarbeit mit Martin Sellner entwickelt.
Ahrens konkretisiert in seiner Erklärung: Hinter dem Konzept, wie Sellner und er es gedacht hätten, habe die Idee gestanden, durch ein Maßnahmenpaket einen Assimilationsdruck zu erzeugen, der „freiwillig oder unfreiwillig“ zur Auswanderung von Menschen „mit und ohne deutsche Staatsbürgerschaft aufgrund ihrer ethnischen Herkunft“ führen solle. Das liefe auf „Vertreibung“ oder „ethnische Säuberung“ hinaus.
Ahrens erklärt auch, dass Sellner, wie in der CORRECTIV-Recherche beschrieben, dabei drei Zielgruppen benannte: Asylbewerber, Menschen mit Aufenthaltsstatus und „nicht-assimilierte“ deutsche Staatsbürger.
Ahrens schreibt zudem in seiner eidesstattlichen Versicherung: Die von dem Gastgeber Gernot Mörig vorgeschlagene Expertenkommission bezog sich explizit auf das von Sellner vorgestellte Konzept. Mörig bestreitet diesen Punkt in einem Gerichtsverfahren gegen CORRECTIV.
Sellner habe in Potsdam auch gesagt: Alle, die sich für Geflüchtete einsetzten, könnten in eine „Musterstadt in Nordafrika“ bewegt werden, zusammen mit mehreren Millionen Menschen. CORRECTIV hatte zuvor von einem Musterstaat geschrieben und dies aufgrund der neuen Informationslage korrigiert.
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Sachsen-Anhalt: Ulrich Siegmund wollte Teile des „Remigrations“-Konzepts umsetzen
Besonders brisant erscheint die Rolle der AfD in diesem Zusammenhang. Mit der Bestätigung Ahrens’, dass die Partei als „patriotische Kraft“ vorgesehen war, das Konzept umzusetzen, rücken die dortigen Partei-Funktionäre stärker in den Fokus.
Der AfD-Spitzenpolitiker Ulrich Siegmund habe während des Treffens sogar angekündigt, so Ahrens, im Falle seiner Wahl die „Remigration“ auf Landesebene in Sachsen-Anhalt voranzutreiben, „so weit dies möglich sei“. CORRECTIV hatte hierzu in der Recherche von Januar 2024 berichtet: Siegmund sagte in Potsdam, er wolle dafür sorgen, dass sich das Straßenbild ändere und ausländische Restaurants unter Druck gesetzt würden. Sachsen-Anhalt solle „für diese Klientel möglichst unattraktiv sein zu leben“.

Für seinen Wahlkampf wollte Siegmund Spenden einwerben, und zwar in Höhe von mehr als einer Million Euro. So steht es bei CORRECTIV und so erklärt es nun Ahrens. Diese Aussagen stehen im direkten Widerspruch zu früheren Stellungnahmen anderer Teilnehmer, die eine Planung und Diskussion, auch über die „Remigration“ deutscher Staatsbürger bestritten hatten. Mehrmals erwähnt Ahrens das planerische Moment während der Veranstaltung.
Neue Details zu Umsetzungsplänen für „Remigrations“-Konzept
Ahrens nennt zudem die Beteiligung einer Tarnorganisation namens „Die Österreicher“, die mit der Identitären Bewegung verbunden ist und maßgeblich an der Ausarbeitung und Formulierung des Konzepts der „Remigration“ mitgewirkt habe. Im Zusammenhang mit dieser Organisation habe er selbst eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des Konzeptes gespielt, das in Potsdam von Sellner vorgetragen wurde, etwa der Formulierung eines Fünf-Punkte-Plans.
Später übernahm die AfD den Kampfbegriff als Teil ihrer Politik, bezog sich in ihrem Parteitag in Riesa aber lediglich auf eine Verschärfung des Aufenthaltsrechtes. Der derzeit bei Gericht anhängige Verfassungsschutzbericht wertete dies aber als unglaubwürdige Distanzierung vom ethnisch-abstammungsmäßigen Kern des Sellner’schen „Remigrations“-Begriffs. „Remigration“ ist als Begriff der neuen Rechten kaum von der völkischen Aufladung, die ihm Sellner, aber auch der AfD-Politiker Björn Höcke, gegeben haben, zu trennen.
So geheim war das Treffen laut Erik Ahrens
Das Potsdamer Treffen sei von strikter Geheimhaltung geprägt gewesen, so Ahrens. Der Organisator Gernot Mörig habe die Teilnehmer aufgefordert, „Funkdisziplin“ einzuhalten. Er habe „alles getan, damit niemand wisse, dass sie sich bei der Veranstaltung treffen“ und betonte, dass alles „unter dem Radar“ bleiben müsse. Er warnte davor, dass Informationen nach außen dringen könnten, und äußerte Enttäuschung darüber, dass einige Teilnehmer diese Vorgaben missachtet hätten.
Mörig erklärte laut Ahrens auf der Veranstaltung in Potsdam, er unterstütze Immobilienprojekte und beteilige sich intensiv daran. Mörig selbst war für ideologische Schulungscamps für Kinder und Jugendliche bekannt. So organisierte er in den siebziger Jahren etwa völkisch-nationalsozialistische Campingveranstaltungen als Bundesführer der Bundes Heimattreuer Jugend (BHJ). In einem Liederbuch des BHJ aus dieser Zeit wird laut Tagesschau offen für ein Großdeutsches Reich geworben.
Bereits am 13. April 2025 hatte Ahrens auf X das Potsdamer Treffen als „Remigrations-Konferenz“ bezeichnet, auf der Martin Sellner seine Sichtweise präsentierte: „Eine komplette Rückabwicklung der Einwanderung bis zurück in die 1980er, indem die Innenpolitik gezielt Druck auf ethnische Minderheiten ausübt. Diese Gedanken flossen bereits zuvor in Krahs Buch ein, in welchem er von 25 Millionen zu Remigrierenden spricht.“ Das deckt sich mit der nun abgegebenen eidesstattlichen Versicherung.
Davor, am 27. März 2025, sprach Ahrens in einem Video bei Youtube im Bezug auf die Potsdamer Veranstaltung über die ideologischen Unterschiede zwischen Krah und Sellner, „Krah sagt ja eben, dass nur kriminelle und Asylbewerber ohne Aufenthaltsstatus remigriert werden sollen, also die seit 2015 kamen und dass zum Beispiel die ganzen Türken und Balkanen und anderen Einwanderer, die vorher kamen, halt in Deutschland bleiben sollen. Und Martin Sellner sagt das Gegenteil, der will ja viel mehr remigrieren.“

Auch Sellner hatte bereits auf X. am 16, August 2024 bestätigt, dass er in Potsdam „Remigration“ für „nicht-assimilierte Staatsbürger“ in Potsdam vorgeschlagen habe.
Bundesweite Debatte über Bedeutung der „Remigration“
Nach der CORRECTIV-Veröffentlichung entstand eine bundesweite Debatte über Inhalt und Anlass des Treffens sowie über die Verfassungsfeindlichkeit des Sellner’schen Konzepts, wie es in Potsdam vorgestellt und in die Partei getragen wurde. Medial stellten neben Rechtsaußen-Medien wie Junge Freiheit auch etablierte Medien infrage, ob in Potsdam wirklich von Planungen gesprochen wurde und ob mit der „Remigration“ auch Staatsbürger gemeint seien.
In mehr oder weniger gleichlautend eidesstattlichen Versicherungen legten sich im Februar 2024, knapp vier Wochen nach der Veröffentlichung der CORRECTIV-Recherche, sieben Teilnehmer des Treffens fest: „Insgesamt ist also festzuhalten, dass sowohl der vortragende Sellner, wie auch die anderen Teilnehmer des Treffens zu keinem Zeitpunkt eine Remigration von Menschen mit deutschem Pass gefordert oder geplant haben“.
Mit diesen eidesstattlichen Versicherungen begründete der Anwalt von Ulrich Vosgerau den Anspruch auf Unterlassung gegen Medien oder NGOs. Der Rechtsanwalt Vosgerau hatte an dem Treffen teilgenommen und dort auch einen Vortrag gehalten. Er fühlte sich von der CORRECTIV-Recherche angegriffen.
Die NZZ titelte im Februar 2024, „Es gab keinen Masterplan Remigration“.
Was andere Potsdam-Teilnehmer heute sagen:
CORRECTIV hat nun Teilnehmer am Potsdamer Treffen noch einmal angeschrieben und sie – zusammengefasst – in einem Fragenkatalog gefragt: Bleiben Sie bei Ihrer Darstellung, dass es in Potsdam ganz anders gewesen sei, obwohl nun einer der Teilnehmer sich vor einem Notar dazu bekannt hat, dass es eben doch so war wie von CORRECTIV beschrieben?
Anstelle von Antworten gab es zunächst vor allem Einschüchterungsversuche. Drei Teilnehmende antworteten – beziehungsweise ließen von der Kölner Presserechtskanzlei Höcker antworten: Die gesetzte Frist für die Beantwortung der Fragen sei zu kurz (Anmerkung: Die Redaktion hatte eine Frist von eineinhalb Tagen für die Antwort auf die Frage gesetzt, ob die Teilnehmer weiter zu ihrer bisherigen Aussage stehen oder nicht). Der zuständige Anwalt der Kanzlei schickte zudem Gegenfragen im Stile eines journalistischen Mediums: ob CORRECTIV wohl Herrn Ahrens finanzielle Zusagen im Gegenzug für das Unterschreiben der eidesstattlichen Versicherung gemacht habe? (CORRECTIV hat das nicht getan, dies wäre unjournalistisch.)
Dann antwortete die Kanzlei doch noch, und zwar im Namen von Ulrich Vosgerau und Gernot Mörig, dem Organisator des Potsdamer Treffens. Kern der Antwort: Ahrens Aussagen seien falsch. Martin Sellner habe beim Treffen nicht sein Konzept der „Remigration“ auch für deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund vorgeschlagen.
Der Anwalt schreibt im Namen von Mörig: „Herr Sellner hat keine Remigration zu deutschen Staatsbürgern vorgeschlagen.“ Im Namen seines anderen Mandanten, Vosgerau, antwortet der Anwalt überraschenderweise weniger explizit auf dieselbe Frage: Hier schreibt er: „Das ist nicht richtig. Sellner redete in seinem Vortrag ausschließlich von Ausländern.“
Inhaltlich gleichlautend antwortet die Teilnehmerin Simone Baum. Sie schreibt: „Die Aussage des Teilnehmers stimmt nicht. Es wurde in Sellners Vortrag sogar ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich bei seinen Vorschlägen nicht um deutsche Staatsbürger handelt.“
LESEN SIE HIER DEN URSPRUNGSTEXT „GEHEIMPLAN GEGEN DEUTSCHLAND“
Auch, so Baum, habe Veranstalter Mörig nicht von einer Expertenkommission gesprochen, die sich mit deutschen Staatsbürgern befassen solle. Dies schreibt auch der Anwalt, der Mörig und Vosgerau vertritt: „Herr Mörig hat im Zusammenhang mit einer Expertenkommission nicht von deutschen Staatsbürgern gesprochen.“
Eine Antwort auf CORRECTIV-Fragen kam auch vom AfD-Landesverband Sachsen-Anhalt. Dieser schrieb allerdings nur knapp, dass man sich nicht „zu Äußerungen oder Behauptungen Dritter über Dritte“ äußern werde. Simone Baum wiederum schrieb zu den Aussagen des sachsen-anhaltinischen AfD-Mannes Siegmund in Potsdam, nach ihrer „Erinnerung“ habe der Vortrag von Sellner zur „Remigration“ in Siegmunds anschließenden Ausführungen keine Rolle gespielt.
Rechtliche Auseinandersetzungen nach der Potsdam-Veröffentlichung
Nach der Veröffentlichung der CORRECTIV-Recherche zum Geheimplan wurden verschiedene Sachverhalte vor Gerichten verhandelt:
Zum einen waren da die presserechtlichen Auseinandersetzungen. In verschiedenen Verfahren ging es darum, welche Begriffe tatsächlich in Bezug auf deutsche Staatsbürger während des Treffens gesagt wurden.
Der Teilnehmer Ulrich Vosgerau, ein Jurist, der die AfD schon häufiger vertrat, ging rechtlich weitgehend erfolglos gegen CORRECTIV vor; aber auch gegen andere Medien und Organisationen, die die Recherche aufgegriffen hatten. Anderen Medien untersagte die Pressekammer Hamburg die Verwendung der Begriffe „Ausweisung“, „Abschiebung“ und „Deportation“ bei zusammenfassenden Berichten mit Bezug auf die CORRECTIV-Recherche.
Worum sich rechtliche Auseinandersetzungen zur Geheimplan-Recherche drehten
Vosgerau ging allerdings nie gegen den Begriff „Vertreibung“ als Übersetzung für Sellners „Remigrations“-Konzept vor. Auf der Plattform X gestand er am 10. August 2025 sogar ein, dass es sich dabei um eine „meinungsmäßige Wertung“ handele, die juristisch offenbar daher auch nicht angreifbar sei. Allerdings hatten Vosgerau und dessen Anwälte zuvor den Geschichtsprofessor Wolfgang Benz dazu gebracht, eine Unterlassung dazu zu unterschrieben, das er in dessen Buch die in Potsdam besprochene „Remigration“ für „nicht-assimilierte“ Staatsbürger mit Vertreibung übersetzt hatte. Mit Vosgeraus Klagen waren und sind vor allem die Pressekammern des Landesgericht Hamburg beschäftigt.
Neben den presserechtlichen Auseinandersetzungen gab es nach dem Erscheinen der Recherche verschiedene Verfahren vor Verwaltungsgerichten. Sie beschäftigten sich mit Sellners Konzept der „Remigration“ und der Frage, inwiefern es sich tatsächlich auch auf deutsche Staatsbürger mit migrantischem Hintergrund bezog.
Wegweisend war hier eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster im Mai 2024. Das Gericht wies eine Beschwerde der AfD zurück, mit dem Hinweis: Eine „politische Zielsetzung“ aus einem „ethnokulturellen Volksverständnis“ heraus, die „die rechtliche Gleichstellung in Frage” stelle, sei verfassungswidrig. Die Richter in Münster lehnten die Beschwerde unter anderem ab, da auch der Thüringer AfD-Politiker Björn Höcke „nahe“ lege, dass „Remigration“ auch für Staatsbürger gelten könne. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig bestätigte dieses Urteil im Mai 2025.
Das Verwaltungsgericht München wies die Beschwerde des Landesverbandes der AfD ab, vom Verfassungsschutz beobachtet zu werden, mit der Begründung, deren Mandatsträger und Funktionäre würden sich das Konzept der „Remigration“, das auch auf Staatsbürger abziele, von Sellner zu eigen machen. Von einer „Freiwilligkeit“ bei Sellners Pläne zur „Remigration“ könne nicht die Rede sein, schrieben die Richter in München.
Mehrere Gerichte beurteilten Sellners Konzept
Das Bundesverwaltungsgericht Leipzig hob das Verbot der rechtsextremen Zeitschrift Compact auf, jedoch wurde in der Begründung festgestellt, dass das Sellner’sche Konzept eindeutig verfassungsfeindlich sei, sofern es Staatsbürger diskriminiere. Die Zeitschrift wurde jedoch nicht verboten, da sie von diesem Konzept nicht ausreichend geprägt sei. In Compact-Videos hatte Sellner 2023 ausgeführt, dass „Remigration“ ein Konzept sei, dass auch „nicht-assimilierte Staatsbürger im Fokus habe“ und nannte die Zahl von sechs Millionen „nicht-assimilierten Staatsbürgern“, für die die „Remigration“ gelten könne.
Der Staatsrechtler Vosgerau, der als Teilnehmer der Konferenz in Potsdam seit Februar 2024 CORRECTIV und vor allem andere Medien verklagte, war mit der richterlichen Entscheidung aus München nicht vertraut. „Das Urteil aus München ist mir unbekannt. Ich wüsste nicht, warum ein Münchner Gericht die Gedanken Martin Sellners irgendwie beurteilt haben sollte“, sagte Vosgerau bei der TV-Sendung Talk im Hangar am 16. Januar 2025.
Ausgerechnet Vosgerau vertrat vor dem Bundesverwaltungsgericht Leipzig die rechtsextreme Zeitschrift Compact und hörte dort, wie die Richter das Konzept als verfassungswidrig bezeichneten, das Sellner im Rahmen eines „Masterplan“ in Potsdam vorgestellt hatte. Anders als der Staatsrechtler Vosgerau erkannte widerum der AfD-Bundestagsabgeordnete und Jurist Maximilian Krah die Gefährlichkeit von Sellners Konzept, und warnt seither seine Partei vor der Nähe zu dem Mann aus Österreich und dessen Plänen.
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Recherche: Marcus Bensmann, Jean Peters
Redaktion: Anette Dowideit, Justus von Daniels
Faktencheck: Anette Dowideit
Illustration: Mohamed Anwar
Kommunikation: Anna-Maria Wagner, Nadine Winter
Technische Umsetzung: Sarah Cooper, Maximilian Bornmann, Martin Böhmer