TTIP

Haftung durch die Hintertür

Die Deutsche Regierung warnte früh, dass CETA eine Haftung der EU-Mitgliedsstaaten für Schuldenschnitte möglich macht. Trotz einiger Änderungen lässt das Abkommen Schlupflöcher zu, über die private Fonds hohen Schadensersatz vor einem Schiedsgericht einklagen können. Die Bundesregierung verteidigt dennoch das Ergebnis.

von Justus von Daniels , Marta Orosz

© Ivo Mayr

Dieser Artikel erscheint auch in der aktuellen Ausgabe des „Focus“.

Am 5. Juli will die EU-Kommission bekannt geben, ob nationale Parlamente wie der Bundestag über das Freihandelsabkommen CETA überhaupt abstimmen dürfen. Im Sommer soll CETA dann von den EU-Regierungschefs endgültig abgesegnet werden. Doch das Abkommen ist in mancher Hinsicht problematisch: Es ermöglicht zum Beispiel Finanzinvestoren, ihr Geld bei Schuldenschnitten von der EU zurückzufordern. Diese milliardenschweren Schadenersatzklagen vor Schiedsgerichten könnten auch die Steuerzahler anderer EU-Länder betreffen.

Der Fall ist nicht aus der Luft gegriffen: In Griechenland besteht nach wie vor die Möglichkeit, dass das Land erklärt, einen Teil seiner Schulden nicht mehr zurück zu zahlen. Auch durch den beschlossenen Austritt Großbritanniens aus der EU wächst die Unsicherheit für Staaten wie Italien oder Spanien. Finanzinvestoren hatten schon nach der Griechenlandkrise erste Klagen über andere Handelsverträge gegen Griechenland erhoben.

Alarmiert

Die Deutsche Regierung war alarmiert, als sie vor zwei Jahren den ersten Entwurf des CETA-Vertrages zu lesen bekam. Dort fand sich kein klares Verbot, dass private Investoren ihre verlorenen Wetten auf Staatsanleihen vor einem CETA-Schiedsgericht einklagen konnten. Die EU selbst hatte einen Vorschlag Kanadas abgelehnt, Klagen wegen einer Staatspleite weitreichend auszuschließen, weil sie „kein negatives Signal an die Finanzmärkte“ habe senden wollen, wie es in einem Protokoll einer internen EU-Sitzung am 10. September 2014 heißt.

Gut für Finanzinvestoren

Auf derselben Sitzung warnte ein Vertreter der deutschen Regierung: Es dürfe bei Umschuldungsmaßnahmen nicht „zu einer Haftung der EU und damit zu einer Vergemeinschaftung der Haftung über den EU-Haushalt kommen.“

Es folgte das übliche politische Gezerre – bei dem sich die deutsche Position am Ende nicht ganz durchsetzen konnte. Die deutsche Regierung wollte, dass gegen Umschuldungen nicht vor Schiedsgerichten geklagt werden kann. In einem schriftlichen Vorschlag, der CORRECTIV exklusiv vorliegt, hatten Beamte detaillierte Änderungen gefordert. Es wurde daraufhin an einer Ausnahme gefeilt. Aber von dieser Ausnahme gibt es wieder Ausnahmen, die Finanzinvestoren nun nützen könnten.

Hier ist der Änderungsantrag, den die Bundesregierung 2014 an die EU schickte. Auf Seite 5 warnt sie vor der Haftung durch die Hintertür:

Immerhin: Der Vorschlag Kanadas wurde aufgenommen und ein paar Wünsche der Deutschen im Kleingedruckten eingefügt, unter anderem eine Fußnote. Durch sie soll verhindert werden, dass Käufer von Staatsanleihen wegen Diskriminierung vor das CETA-Schiedsgericht ziehen. In der Regel müssen einige Banken oder Fonds bei einem Schuldenschnitt auf mehr verzichten als andere, dies könnten deren Anwälte als „Diskriminierung“ werten. Die Regierung hatte die Lücke erkannt und gefordert, dass „legitime politische Gründe“ ausreichen sollen, um Klagen zu vermeiden.

Schwammige Begriffe

Solche Formulierungen in CETA lassen den Investoren Spielräume, sagt der New Yorker Anwalt Lee Buchheit, der seit Jahrzehnten Schuldenschnitte für Staaten aushandelt und von Finanzinvestoren gefürchtet wird. Der Anwalt formuliert ein Beispiel: Ist es legitim, kleine lokale Banken bei einem Schuldenschnitt zu verschonen, die sonst vielleicht vor dem Aus stünden? Das mag politisch legitim sein, aber sobald es Zweifel an dem Vertrag gibt, „könnte es Gläubiger dazu bringen, Rechtsschutz zu suchen.“ Im Klartext: Die schwammige Formulierung, die sich zudem in einer Fußnote versteckt, lädt die Privatinvestoren dazu ein, dagegen zu klagen.

Der Handelsexperte Ioannis Glinavos teilt die damaligen Befürchtungen der Bundesregierung: „Früher oder später kommt es zur Frage der gemeinsamen Haftung für Schulden.“ Er versteht nicht, warum man Staatsschulden dann nicht per se aus Freihandelsabkommen ausklammert. Auch amerikanische Handelsexperten wie Kevin Gallagher von der Boston University sprechen sich dafür aus, Staatsschulden ganz aus dem Begriff der „Investition“ bei Handelsverträgen auszunehmen.

Regierung zufrieden

Die Bundesregierung sagt, sie habe ihre Zweifel mittlerweile aufgegeben. „Die Bedenken der Bundesregierung wegen der Umschuldung von Staatsanleihen“ seien „im Zuge der Nachverhandlungen mit Kanada vollständig ausgeräumt worden“, antwortet das Wirtschaftsministerium auf Anfrage. Was das Ministerium nicht sagt: dass es sich nicht mit allen Forderungen durchsetzen konnte. Vielleicht hofft man im Finanz- und Wirtschaftsministerium, dass es schon nicht so schlimm kommen wird.

Faktische Haftung

Auch Deutschland könnte für Schuldenschnitte anderer EU-Länder faktisch haften, wenn der Schuldenschnitt nicht den CETA-Regeln entspricht. Möglich ist das, weil die EU der Vertragspartner des CETA-Abkommens ist und die Verteidigung einer Klage übernehmen muss, sobald bei einem Schuldenschnitt auch EU-Recht betroffen ist. „Wenn der EU-Mitgliedstaat insolvent ist, könnte das zu einer Vergemeinschaftung der Schulden über das EU-Budget führen, was bedeutet, dass alle Mitgliedstaaten haften würden“, schrieb die Bundesregierung in ihrem warnenden Brief an die EU-Kommission von 2014.

Das Bundeswirtschaftsministerium bestätigt nun auf Anfrage, dass die EU zunächst zahlen müsste, falls sie die Verteidigung einer Klage übernommen hat. Aber die intern geäußerten Sorgen von vor zwei Jahren seien jetzt vom Tisch: „Falls der verantwortliche Mitgliedstaat“ das Geld nicht an die EU zahle, „kann die EU ihre Forderungen gegen den Mitgliedstaat mit den Zahlungen verrechnen, die dem Mitgliedstaat aus dem EU-Haushalt zustehen.“

Aber das ist ein frommer Wunsch. Tatsächlich dürften EU-Staaten wie Deutschland dann auf den Kosten sitzen bleiben, weil in Krisenländern nichts zu holen ist.

Auch bei TTIP geplant

„Die meisten Staaten, die ein Abkommen aushandeln, hätten nicht bewusst vor, ihren eigenen Gläubigern ein zusätzliches Rechtsmittel zu verschaffen“, sagt der New Yorker Anwalt Buchheit. Ob Investoren bei Staatspleiten Lücken im Vertrag finden werden, lässt sich bei CETA schwer abschätzen. Ausgeschlossen ist es jedenfalls nicht.

Eine ähnliche Klausel findet sich übrigens auch im TTIP-Entwurf der EU-Kommission. Fast derselbe Wortlaut, auch die Fußnote der Bundesregierung ist schon drin. Ein Vorschlag, Staatsschulden einfach komplett von dem Vertrag auszunehmen, ist weder von der deutschen Regierung, noch von anderen EU-Staaten zu hören.