TTIP

TTIP-Nein heißt nicht Nein

Mit dem Satz „TTIP ist faktisch gescheitert“ hält sich Sigmar Gabriel alles offen. Auf dem Parteikonvent soll ihm die Ablehnung von TTIP für die CETA-Debatte helfen. Was wie ein endgültiges Nein zu TTIP klingt, wird aber nur zu einer Verhandlungspause führen. Wir veröffentlichen die interne Analyse des Wirtschaftsministeriums zu TTIP.

von Justus von Daniels , Marta Orosz

© Ivo Mayr

Ende August erklärte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) mit einem Paukenschlag das Ende von TTIP. „Die Verhandlungen mit den USA sind de facto gescheitert“, sagte er in einem Fernsehinterview. „Da bewegt sich nix.“

Sein Urteil stützte sich auf einen internen Zwischenbericht des Wirtschaftsministeriums, den das Recherchezentrum CORRECTIV nun veröffentlicht hat.

Das ist der Zwischenbericht des Wirtschaftsministeriums. Gabriels Fazit: Da bewegt sich nix.

Inzwischen rudert das Wirtschaftsministerium wieder zurück. Am 31. August schob eine Sprecherin des Ministeriums nach, dass die Verhandlungen „in diesem Jahr“ nicht mehr abgeschlossen werden könnten. Und in einer Stellungnahme gegenüber CORRECTIV hieß es aus dem Ministerium, TTIP sei „daher insoweit de facto gescheitert.“

Daher insoweit de facto. Vielleicht eventuell möglicherweise. In diesem Jahr. Ein Nein zu TTIP sieht anders aus. Ganz offensichtlich will sich Gabriel ein Hintertürchen offenlassen, sollte es mit TTIP doch in nächster Zeit vorangehen.

Nicht beendet

Auch die SPD-Bundestagsfraktion in Berlin ringt um Halbsätze. Der TTIP-Berichterstatter der SPD-Fraktion, Dirk Wiese, hält den Handelspakt für „gescheitert“, aber nicht für „beendet“. Wiese: „Es ist durchaus denkbar, dass die TTIP-Verhandlungen mit Hillary Clinton, falls sie Präsidentin wird, im Frühjahr weitergeführt werden.“ Wenn die Amerikaner auf die Schiedsgerichte und ein Kapitel zur Landwirtschaft verzichten würden, könne man über weitere Gespräche nachdenken.

Was ist das Kalkül hinter Gabriels öffentlichem Jein? Erstens will er sich beliebt machen bei den Wählern. Die Mehrheit der Deutschen ist gegen TTIP. Die CDU hingegen unterstützt TTIP vorbehaltlos. Da möchte sich Gabriel absetzen.

Zum zweiten möchte er durch sein Nein zu TTIP für ein Ja zu CETA werben. Heute wird Gabriel auf dem SPD-Parteikonvent die Genossen bitten, dem Handelsabkommen mit Kanada zuzustimmen. In der Tat wurde vieles, was an TTIP kritisiert wird, bei den Verhandlungen mit Kanada in den Vertrag eingearbeitet. Vielen Genossen reicht das aber noch nicht, eine Zustimmung zu CETA ist nicht sicher.

Verhandler in Sackgasse?

Der interne Bericht, auf den sich Gabriel bei seinem „Da bewegt sich nix“ stützt, zeichnet ein desaströses Bild der Verhandlungen: Die USA blockierten bei fast allen Themen. Sie bewegten sich nicht. Bei den umstrittenen Schiedsgerichten nicht. Bei den öffentlichen Aufträgen nicht. Bei Standards für Lebensmittel und Produkten nicht. Bei einheitlichen Regeln für Banken und Hedgefonds nicht. Genauso wenig wie bei Regeln für mehr Gasexporte, die die EU gerne hätte.

Die Liste mit den Unterschieden ist lang. Die wenigen erreichten Kompromisse, ausgehandelt in 14 Verhandlungsrunden, haben die Beamten erst gar nicht hervorgehoben. Auch nicht, dass die EU-Kommission und die Amerikaner durchaus Kompromisse ausloten könnten.

Aber Gabriel will die Tür zu TTIP nicht ganz zuschlagen. Auch aus Regierungskreisen, die Gabriels Einschätzung teilen, ist zu hören, dass es derzeit bei TTIP „nicht gleich weiter gehen könne.“ Trotz der negativen Bilanz schreibt das Ministerium in seinem Wasserstandsbericht immerhin, dass Deutschland wirtschaftlich „in besonderer Weise“ von TTIP profitieren würde.

Also nur eine Pause? Längst nicht alle Länder der EU teilen Gabriels Sicht. Gerade erst haben zwölf Handelsminister, von Großbritannien bis Schweden, einen Brief an die EU-Kommission geschrieben, in dem sie darum bitten, die Verhandlungen bald zum Erfolg zu führen. Die EU-Regierungen könnten sich als Kompromiss darauf einigen, die Verhandlungen auszusetzen, bis die Wahlkämpfe vorbei sind. Und bei den strittigsten Themen nochmal ganz neu ansetzen. Damit könnte offenbar auch Gabriel leben.

Von Brüsseler Genossen erhält Gabriel Rückendeckung. „TTIP ist ein totes Pferd, das man nicht mehr reiten sollte“, sagt Bernd Lange, Chef des Handelsausschuss im Europaparlament. „Die Angebote der USA sind in einigen Bereichen unterirdisch.“

CSU: „Leute nicht auf Bäume treiben“

Kritik kommt vom Bund der Deutschen Industrie (BDI). Stormy-Annika Mildner, zuständig für Außenwirtschaftspolitik beim BDI, interpretiert Gabriels Aussage als „Kalkül und politisches Geplänkel“ und erinnert daran, dass er sich seit dem Beginn der Verhandlungen stark für TTIP eingesetzt hat. „Äußerungen, wie, TTIP ist faktisch tot, sind kontraproduktiv“, sagt Mildner. „Vor allem wenn man noch seinen Halbsatz ‘bis zum Ende des Jahres’ hinzufügt.“

Auch in der CSU ist man nicht begeistert von den Aussagen des Vizekanzlers: „Gabriels Aussage ist billig und primitiv“, sagt Barbara Lanzinger (CSU), Mitglied des Wirtschaftsausschusses des Bundestages. Lanzinger fürchtet, „wenn die Leute mit emotionalen Argumenten auf den Baum getrieben werden, ist es schwierig, sie mit sachlichen Argumenten wieder herunterzubekommen.“

Heute kann der SPD-Vorsitzende den Genossen auf dem SPD-Parteikonvent erklären, was er unter dem Scheitern von TTIP versteht. Die Handelsminister der EU beraten dann am 23. September bei einem Treffen in Bratislava darüber, ob und wie die Verhandlungen fortgesetzt werden sollen.

Stolperstein CETA

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