Wallonen bleiben stur – CETA vertagt
Die EU und Kanada bangen um den Gipfel zur Unterzeichnung des CETA-Handelsvertrages. Weil eine belgische Region das Handelsabkommen mit Kanada ablehnt. Ist CETA jetzt gescheitert? Wir beantworten die sieben wichtigsten Fragen zur CETA-Blockade aus Wallonien.
Eine belgische Provinz legt die EU lahm. Nach etlichen Vermittlungsversuchen lehnte der wallonische Ministerpräsident Paul Magnette am Montag ab, dem Handelsabkommen mit Kanada zuzustimmen. Damit blockiert er ein Ja der Belgier im EU-Rat. Und damit die Handelspolitik der gesamten EU. Kritiker sind begeistert. Die EU und Kanada müssen jetzt umsteuern, um CETA zu retten. Noch halten sie an ihren Plänen fest.
1. Was haben die Wallonen entschieden?
Die wallonische Regierung hat die Unterzeichnung des CETA-Abkommens am Montag abgelehnt. Damit hat das Regionalparlament im Süden Belgiens von seinem Veto-Recht Gebrauch gemacht, um die Zustimmung Belgiens zu CETA zu verhindern. Das vom sozialistischen Premierminister Paul Magnette geführte Parlament hat einige Tage vor der geplanten CETA-Abstimmung im Europäischen Rat mehrere Vorbehalte formuliert. Die Wallonie will zwar das Freihandelsabkommen prinzipiell nicht verhindern, die sozialistische Mehrheit im Regionalparlament will aber mit der EU-Kommission noch über einige strittige Punkte weiterverhandeln.
2. Weshalb bestimmen die Wallonen über die EU-Politik?
Belgien ist ein kompliziertes Land. Die Regionalparlamente haben ein Mitspracherecht, wenn es um die Handelspolitik des Staates geht. Ohne Unterstützung der drei belgischen Regionalregierungen kann der belgische Ministerpräsident dem CETA-Vertrag in der Runde der EU-Regierungen nicht zustimmen. Und für CETA braucht es eine einstimmige EU-Entscheidung – das hat die EU-Kommission vorgegeben. So kommt es, dass eine Region, in der weniger als ein Prozent der EU-Bevölkerung lebt, über die gesamte EU-Handelspolitik entscheiden kann.
3. Warum sperren sich die Wallonen gegen CETA?
Ganz neu sind die Vorbehalte des Premiers Magnette nicht: Er warnt schon länger vor den Risiken der geplanten Schiedsgerichte und vor den Nachteilen, die wallonische Bauern durch CETA erleiden würden. Es geht also um handfeste wirtschaftliche Interessen der schwer gebeutelten Region Wallonien und um bekannte Kritikpunkte an CETA.
Am Montag morgen fasste Andre Antoine, Sprecher des wallonischen Parlaments, die vier wichtigsten Forderungen im belgischen Radio RTL zusammen:
Die Wallonen wollen sicherstellen, dass die geplante CETA-Zusatzerklärung, in der die EU weitreichende Garantien für die EU-Staaten ausspricht, rechtlich bindend ist. Das wallonische Parlament will diese Inhalte in den CETA-Text einbauen.
Vor allem beim Thema Investorenschutz hat der wallonische Ministerpräsident Magnette Zweifel: Er verlangt rechtliche Garantien dafür, dass Investoren nicht mit Erfolg gegen staatliche Regulierungen klagen können.
Außerdem sollen wallonische Bauern, vor allem in der Fleischindustrie, vor möglichen negativen Auswirkungen kanadischer Fleischimporte geschützt werden.
Vieles von dem steht schon in der Zusatzvereinbarung der EU, bei der aber umstritten ist, ob sie auch rechtlich bindend ist. Die CETA-Blockade bietet dem 45-jährigen Magnette auch eine Bühne, um sich innerhalb Belgiens politisch zu profilieren.
4. Ist CETA jetzt am Ende?
Nein. Die Entscheidung der EU-Staaten ist erstmal nur verschoben worden. Eigentlich wollten die EU-Regierungen diese Woche den Sack zumachen, damit CETA auf dem EU-Kanada-Gipfel am Donnerstag beschlossen werden kann.
Die wallonische Regierung will CETA auch nicht ganz verhindern, sondern mehr Zugeständnisse erreichen. Der Sprecher des wallonischen Parlamentes, Andre Antoine, gab sogar einen möglichen Zeitpunkt für eine Einigung an: „Eine vernünftige Zielmarke wäre Ende des Jahres. Bis dahin könnten wir es schaffen“, sagte er am Montag. Vorher hatten alle übrigen EU-Staaten signalisiert, dass sie CETA unterzeichnen wollen und ihre Vorbehalte ausgeräumt seien. Von EU-Seite gibt es also weiterhin den Willen zu CETA. Es kommt jetzt darauf an, ob Kanada eine Verzögerung akzeptiert.
5. Wie reagiert Kanada?
Die kanadische Regierung war zuletzt sehr ungeduldig geworden. Die Handelsministerin Chrystia Freeland wollte zunächst ihren Besuch in Brüssel abbrechen, als sich die Wallonen gegen CETA sperrten. Auch der Premierminister Justin Trudeau sagte im Vorfeld, dass sich Europa „unglaubwürdig“ mache, wenn es noch nicht mal in der Lage sei, ein Abkommen mit Kanada zu schließen. Allerdings hat auch Kanada Interesse an einem erfolgreichen Abkommen mit der EU. An einer Verzögerung, in der es um kleinere Zugeständnisse an die Wallonen geht, wird auch die kanadische Regierung einen milliardenschweren Deal nicht scheitern lassen.
6. Wie will die EU CETA retten?
Die EU steht zunächst blamiert da. Wegen einer kleinen Provinz wird sie entscheidungsunfähig. Am Wochenende gab es eine Reihe von Rettungsversuchen, darunter Gespräche des EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz und des Ratspräsidenten Donald Tusk mit der wallonischen Regierung, die alle gescheitert waren. Die EU-Kommission war den Wallonen mit Änderungen eines Zusatzprotokolls weit entgegen gekommen. Auch das reichte den Wallonen nicht.
Die Kommission versucht nun, etwas Zeit zu gewinnen. Aus EU-Kreisen heißt es, man könne den Gipfel auch verschieben. Die Kommission wird mit den Mitgliedstaaten klären müssen, welche Zugeständnisse man den Wallonen machen kann. Gleichzeitig wird die Kommission darauf achten, dass jetzt nicht noch andere Staaten mit Sonderwünschen kommen.
7. Was passiert als nächstes?
Sollte es diesen Donnerstag keine Entscheidung geben, werden sowohl die EU als auch Kanada wahrscheinlich versuchen, einen Gipfel bis Ende des Jahres zu organisieren, um den Wallonen einerseits Zeit zu geben und andererseits den Druck aufrecht zu erhalten. Je länger die Hängepartie dauert, desto höher ist das Risiko, dass mehr Sonderwünsche aus anderen EU-Staaten kommen.
Mit einem gemeinsamen CETA-Beschluss der Regierungen ist das Ringen um den Handelspakt nicht vorbei. Das Europäische Parlament muss zustimmen, bevor CETA vorläufig angewendet werden kann. Dann gibt es noch die Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht an CETA gestellt hat. Und die nationalen Parlamente müssen letztlich auch noch abstimmen. Darunter auch Belgien.