Ungerechte Arbeit

Wie Amazon seine Macht in der Logistikbranche ausbaut – auf dem Rücken der Lkw-Fahrer

Amazon will mehr Macht über seine Lieferkette gewinnen. Mit neuen Subunternehmen, die der Logistikkonzern kontrolliert. Die Folgen sind prekäre Arbeitsbedingungen für Lkw-Fahrerinnen und -fahrer.

von Miriam Lenz , Jonathan Sachse , Thore Rausch

Amazon Freight Partner Lkw
Deutsches Kennzeichen, Zugmaschine und Container mit Amazon-Logo: Immer mehr solcher Lkws sind auf Autobahnen in Deutschland unterwegs. Collagiertes Foto: CORRECTIV

Seit anderthalb Jahren versucht Amazon in Deutschland, weniger abhängig von den Fuhrunternehmern zu sein, die die Ware zu den Kunden bringen. Das Ziel der Offensive mit dem Namen „Amazon Freight Partner“, kurz AFP: Der Handelsgigant möchte besonders auf der sogenannten „mittleren Meile“ Speditionen als Subunternehmen an sich binden. So nennt die Branche die Strecke zwischen großen Logistikzentren und kleineren Verteilzentren. Auf der „letzten Meile“, der Schlussetappe bis an die Haustür, setzt Amazon bereits Subunternehmen ein, deren Angestellte in Amazon-Transportern Pakete abliefern.

Nach den USA und Großbritannien treibt Amazon nun auch in Deutschland mit neu gegründeten Transportunternehmen das AFP-Programm voran. Amazon deckelt die Zahl der Lkws, die jeder Subunternehmer betreiben darf. Der Konzern möchte offenbar nicht, dass einzelne zu groß und mächtig werden. Doch aus Sicht der Subunternehmer sind kleine Flotten wenig profitabel – Leidtragende dieses Kampfes um Macht und Margen sind die Fahrer.

CORRECTIV.Lokal hat mehrere Monate lang über das AFP-Programm recherchiert und dafür mit Lkw-Fahrern gesprochen, die für Amazon und seine Subunternehmer fahren. Sie berichten von mangelndem Schlaf, schlechter Versorgung und davon, wie ihre Fahrdaten über eine App pausenlos an den Konzern übermittelt werden – als seien die Fahrer bloß Pakete, die der Konzern 24 Stunden am Tag trackt.

„Wir sind keine Maschinen“, sagt ein Fahrer, dem es wie vielen schwerfällt, in dem minutiös diktierten Wechsel von Tages- und Nachtfahrten und einem immer anderen Pausenrhythmus ausreichend zu schlafen.

Amazon: Ein verlockendes Versprechen für Lkw-Unternehmen

Das Versprechen klingt zunächst verlockend: Wer sich unter dem AFP-Programm selbstständig macht, erhält von Amazon Beratung, zuverlässige Lieferaufträge und eine eigene Lkw-Flotte. „Entwickeln Sie Ihr eigenes Unternehmen, angetrieben von Amazon“, heißt es auf einer Werbeseite. Es klingt nach einem Rundum-Sorglos-Paket.

Doch es gibt eine Schattenseite: Wer in das Programm einsteigt, ist von Amazon abhängig. Der Online-Versandhändler übt strenge Kontrolle aus, hat die Hand auf der Zahl der Aufträge und überwacht jede Tour.

Und Amazon genießt noch einen weiteren Vorteil, wenn sie mehr deutsche Unternehmen an sich binden: Der US-Konzern hat mit mehr als 115 Standorten mittlerweile ein sehr dichtes Logistiknetzwerk im Land. Fuhrunternehmen aus dem Ausland dürfen zwischen diesen Zentren nur dreimal in der Woche fahren, für deutsche Unternehmen gibt es keine Begrenzung.

Im AFP-Programm geht es um das klassische Subunternehmen-Spiel, das aus Branchen wie dem Bau oder der industriellen Fleischherstellung bekannt ist: Amazon ist de facto der einzige Auftraggeber von kleinen Speditionen mit zehn bis fünfzehn Lkws, deren Fahrer nicht bei Amazon beschäftigt sind, aber ausschließlich seine Pakete transportieren. Und für eben diese Fachkräfte, die Amazons Ware von einem Lager zum nächsten transportieren, scheint sich der US-Konzern nicht verantwortlich zu fühlen. Gewerkschaften und Logistikexperten kritisieren, Amazon müsse als Hauptauftraggeber mehr Verantwortung tragen.

„Partner verpflichten sich vertraglich, die geltenden Gesetze insbesondere im Hinblick auf Löhne, Sozialabgaben und Arbeitszeiten einzuhalten“, schreibt Amazon auf Anfrage von CORRECTIV.Lokal. Die Einhaltung der Regeln würde regelmäßig überprüft. „Wir ergreifen Maßnahmen, wenn dies nicht der Fall ist.“ Warum Amazon keine Fahrerinnen und Fahrer direkt beschäftigt, beantwortet der US-Konzern nicht.

Die Maschine Amazon

CORRECTIV.Lokal hat zusammen mit Medienpartnern sieben Monate lang in verschiedenen Regionen Deutschlands recherchiert. Zu den Kooperationsmedien zählen die Nürnberger Nachrichten, Badischen Neuesten Nachrichten, Leipziger Volkszeitung, Nordstadt Blogger, Ostfriesen-Zeitung, Nordsee-Zeitung und weitere Medien. Die Lokaljournalistinnen und -journalisten sind zeitgleich losgezogen und veröffentlichen parallel eigene Geschichten. In unserer großen Multimedia-Story blicken wir in das Getriebe des Logistik-Giganten Amazon.

Über die Zahl der Fuhrunternehmen im AFP-Programm in Deutschland macht Amazon keine Angaben. CORRECTIV.Lokal hat acht dieser Vertragspartner identifiziert – keiner wollte zur Zusammenarbeit mit Amazon eine genauere Auskunft geben.

Amazons Drahtseilakt zwischen Kontrolle und Verantwortungslosigkeit

Um dennoch Einblick in dieses verschwiegene Geschäft zu gewinnen, nahm ein CORRECTIV.Lokal-Reporter unter falschem Namen an einem Video-Infotreffen für am AFP-Programm Interessierte teil.

Von den fünfzehn Teilnehmenden, zum Großteil Männer um die fünfzig, schalten sich einige direkt aus ihren Lkws zu – angelockt vermutlich von der Vorstellung, vom Lkw-Fahrer zum Unternehmer aufzusteigen. Eine Amazon-Mitarbeiterin schwört die Interessierten erst einmal auf Amazons Credo ein: „Wir haben alle etwas gemeinsam: Dass wir den Prime-Kunden versprochen haben, rechtzeitig zu liefern“, sagt sie.

Die Neu-Unternehmen sollen zehn Lkws betreiben, mit Amazon-Logo und direkt vom Konzern geleast. Für diese zehn Lkws garantiere Amazon eine Frachtauslastung und gebe die Touren vor. Die Unternehmen bezahlten die Gehälter und die Versicherung der Fahrer.

„Sie müssen sich klar sein, dass es eine Vollzeitbeschäftigung ist“, sagt die Amazon-Mitarbeiterin. Den Partnern dürfe keine andere Nebentätigkeit in die Quere kommen. Dieser Appell ist ein springender Punkt: Einerseits möchte Amazon von sich abhängige Fuhrunternehmen, die keine anderen Auftraggeber haben. Doch ist dies zu sehr formalisiert, kann Amazon die Verantwortung nicht mehr vollständig abwälzen. Wenn etwa ihre Auftragnehmer Gesetze und Vorschriften nicht einhalten.

Amazon: Keine Erfahrung im Transportwesen nötig

Bei der Präsentation des Programms wird jedenfalls deutlich, dass Amazon vor allem Interessierte ohne viel Vorwissen sucht. „Keine Logistik-Erfahrung erforderlich“, heißt es auch auf der Webseite zum AFP-Programm. Ein Amazon-Trainingsprogramm soll „Neueinsteigern alles über die Logistikbranche beibringen“. Nach vier bis elf Wochen soll ein Neu-Unternehmer bereits erste Aufträge von Amazon erledigen können.

Amazon wirbt mit geringen Anlaufkosten und hohen Gewinnen. Und schreckt dabei nicht vor irreführender Kommunikation zurück: Anlaufkosten „ab 25.000 €“ und ein jährliches Gewinnpotential von „75.000 bis 165.000 €“ prangt es in neongrün auf der Amazon-Seite für das AFP-Programm. Erst wer das Kleingedruckte liest, erkennt, dass Amazon hier geschickt Äpfel mit Birnen vergleicht. Für die Anlaufkosten legt der US-Konzern eine Flottengröße von fünf Lkws zugrunde – für das jährliche Gewinnpotential jedoch ein Unternehmen mit zehn bis 15 Lkws.

Ebenfalls erst im Kleingedruckten finden sich notwendige liquide Mittel in Höhe von 54.000 Euro für eine Lizenz, die für grenzüberschreitenden Güterkraftverkehr notwendig ist.

„Wir stellen Amazons Bedarf an Transportkapazitäten zur Verfügung und unterstützen sie gleichzeitig, um das Geschäftswachstum voranzutreiben“, sagt ein Amazon-Sprecher zum neuen AFP-Programm. Wer dort mitmacht, bekomme Zugang zu „kraftstoffsparenden Zugmaschinen“ ohne dafür „im Voraus Geld ausgeben zu müssen“.

„Ich sehe für Branchenfremde die Gefahr, dass sie unter anderem aufgrund der zugesagten
Auslastung eine Investition tätigen, die sich am Ende nicht rechnet“, sagt Horst Manner-Romberg, Chef der Logistikberatung MRU. Er verweist auf die „letzte Meile“, also die Paketlieferung an die Haustür, bei der Amazon ebenfalls mit Subunternehmen zusammenarbeite. Auch beim neuen AFP-Programm sieht Manner-Romberg eine „absolute Abhängigkeit, die sowohl die operativen Inhalte der Tätigkeit als auch alle finanziellen Aspekte umfasst“.

Amazon: ein zersplittertes Netz von Kleinunternehmen

Auch Gewerkschaften sehen in der Abhängigkeit ein Problem, besonders bei unerfahrenen Führungskräften. „Amazon zerstückelt seine Aufträge auf kleine Unternehmen, die bereit sind, anstelle von Amazon Verantwortung als Arbeitgeber zu übernehmen“, sagt Michael Wahl. Er arbeitet für das Beratungsnetzwerk „Faire Mobilität“ des Deutschen Gewerkschaftsbunds DGB. Sein Team aus dutzenden Beraterinnen und Beratern hat regelmäßig Kontakt zu Lkw-Fahrern. Auch er sieht Parallelen zur Branche der Kurierfahrer, in der Amazon bereits ein zersplittertes Netz von Kleinunternehmen geschaffen hat. Die Amazon-Subunternehmen würden 20 oder manchmal auch mehr Personen beschäftigen.

„Wenn dann etwas schief geht, kann Amazon den Transportauftrag kündigen und sich der Probleme einfach entledigen“, sagt Wahl.

Das Netzwerk CORRECTIV.Lokal

Diese Recherche ist eine Kooperation von zahlreichen Lokalmedien und CORRECTIV.Lokal. Mit dem Netzwerk fördern wir Recherchen im Lokaljournalismus. Neben gemeinsamen Recherchen bieten wir den mehr als 1.400 Mitgliedern Fortbildungen an und unterstützen den Austausch mit Bürgerinnen und Bürgern vor Ort. Dadurch stärken wir die Demokratie.

Mit dem Programm AFP greift der Online-Händler auch die traditionellen Platzhirsche der Logistik an, zu denen die Deutsche Post-Tochter DHL und UPS gehören. Die Deutsche Post stand in der Vergangenheit regelmäßig in der Kritik, mit Subunternehmen oder sogar Sub-Subunternehmen zusammenzuarbeiten, bei denen prekäre Arbeitsverhältnisse herrschten.

Mittlerweile sei die DHL aber das Logistikunternehmen mit dem geringsten Anteil an Subunternehmern in Deutschland, sagt ein DHL-Sprecher auf Anfrage. Der Gewerkschaft Verdi zufolge sind neben DHL auch bei UPS inzwischen wieder überwiegend eigene, fest angestellte Zustellerinnen und Zusteller beschäftigt.

Amazons Lkw-Fahrer: Niedrige Löhne, Übermüdung, Zeitdruck

Die vielleicht größte Herausforderung für die neuen Subunternehmer von Amazon könnte die Suche nach Lkw-Fahrerinnen und -fahrern sein. Laut Branchenverband Spedition und Logistik fehlen in Deutschland mehr als 80.000 dieser Fachkräfte. Der Großteil von ihnen kommt aus dem Ausland, vor allem aus Osteuropa.

Obwohl sie also gefragt sind, sind wegen der in der Branche vorherrschenden Subunternehmerstrukturen die Arbeitsbedingungen vieler Fahrer immer noch schlecht. CORRECTIV.Lokal hat in den vergangenen Monaten auf Rastplätzen oder vor Amazon-Lagerhallen mit acht Lkw-Fahrern aus Polen, Litauen und der Ukraine gesprochen. Die meisten waren bei Fuhrunternehmen angestellt, die Teil des AFP-Programms sind. Sie berichten von knappen Zeitplänen, langen Wartezeiten an Amazon-Standorten, Druck und Übermüdung.

Ihre Berichte vermitteln ein ganz anderes Bild im Vergleich zu dem, das Amazon bei seiner Präsentation des Programms zeichnet. Die Fahrer wollen nicht mit ihren echten Namen in Erscheinung treten, weil sie Konsequenzen von ihren Arbeitgebern befürchten.

Jakub und Alexander arbeiteten als Fahrer für ein Berliner AFP-Unternehmen – die Truck Friends GmbH. Wie viele Amazon-Fahrer fuhren sie vor allem nachts. Bei einem Treffen an der deutsch-polnischen Grenze berichten sie über Erfahrungen, zeigen Arbeitsverträge, Chatprotokolle und Wochenpläne von Touren, die sie fahren sollten. Sonntags fuhren sie mit Kollegen mehrere Stunden zu einem Parkplatz in Brandenburg, wo ihre Tour für die Woche begann.

Amazon: ein rigider Tourenplan pro Woche

Die Tourenpläne für die gesamte Arbeitswoche gibt Amazon vor. Minutiös ist in Wochenplänen aufgelistet, wann die Fahrer wo ankommen und weiterfahren sollen. Etwa: Kurz vor 2 Uhr nachts in einem Amazon-Lager in Niedersachsen, kurz nach 6 Uhr in einem weiteren Lager in Norddeutschland, nach 9 Uhr dann am Niederrhein. Dann beginnt eine längere Pause, bevor am späten Abend die nächsten Aufträge folgen.

Die Tourdaten werden über die App „Amazon Relay“ ständig an den US-Logistikriesen übermittelt. Die App übermittelt nicht nur die Aufträge, sondern gibt auch die genaue Route vor. So sind die Fahrer endgültig nur noch ein Teil in einer großen Maschinerie, das von Amazon pausenlos überwacht wird – selbst wenn es formal gar nicht für den Konzern arbeitet.

Amazon hat also einerseits volle Kontrolle über die Fahrer – andererseits hält es sich selbst nicht an die Vorgaben. Die Zeiten, die Amazon zu Beginn einer Woche vorgebe, seien nicht realistisch, sagen mehrere Fahrer. Sie kritisieren gegenüber CORRECTIV.Lokal, dass sie oft länger als geplant auf die Be- und Entladung ihrer Laster warten müssten beziehungsweise diese länger als geplant dauern würde. Dadurch entstehe oft viel Zeitdruck.

In der „Trucker Lounge“ von Amazons Logistikzentren müssen die Fahrer während des Be- und Entladens ihrer Lkws mitunter stehen, weil es nicht genügend Stühle gibt. Auch Duschen gebe es teilweise nicht.

Lkw-Fahrer in Deutschland: Noch immer Unfallgefahr wegen Schlafmangel

In den Gesprächen mit den Fahrern geht es immer wieder um fehlenden Schlaf.

„Das Problem ist, dass Fahrer zu müde sind“, sagt Tarek, angestellt bei einem AFP-Unternehmen. Die Auftragszeiten bei Amazon seien zu unregelmäßig. Es gebe Schichten, in denen er drei bis vier Stunden fahren soll, bevor eine elfstündige Pause eingeplant ist. Auf eine kurze Tour folge anschließend wieder eine lange Schlafenspause, während der er dann aber kein Auge zu bekomme. Auf der Autobahn steige dann die Unfallgefahr.

Am Wochenende schläft Tarek immerhin zuhause, in einer Stadt in Norddeutschland. Für viele seiner Kollegen aus Osteuropa und vom Balkan sei das aber nicht möglich, sagt er, weil sie sich in Deutschland keine Wohnung leisten können. Zwei serbische Kollegen hätten ein halbes Jahr lang nur in ihren Fahrerkabinen geschlafen.

Auch Jakub und Alexander berichten von unregelmäßigen Fahrzeiten mit Ruhepausen: mal mittags, mal mitten in der Nacht. Dadurch sei es schwer gewesen, einen Schlafrhythmus zu finden. Während der langen Fahrzeiten seien sie deswegen am Steuer oft übermüdet gewesen. „Einmal die Woche schlafen wir fast ein“, sagt Jakub im Rückblick. Manchmal hätten sie 15 Stunden am Tag fahren müssen.

Diesem Vorwurf widerspricht Brahim Lamnabhi. Er ist geschäftsführender Gesellschafter der Truck Friends GmbH. „Das ist unglaublich“, sagt Lamnabhi am Telefon. In seiner Firma hätten die Fahrer eine tägliche Ruhezeit von 13 Stunden. Dabei bezieht er sich auf eine Zeit, die Fahrer jeden Tag frei gestalten können. „Das gibt es kaum bei einer anderen Firma. Das ist dokumentiert.“ Zudem würde er regelmäßig von Amazon geprüft werden. Nach dem Telefonat lässt Lamnabhi einen schriftlichen Fragenkatalog bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

Gesetzliche Regelung: maximal zehn Stunden am Steuer

Alle Fahrer, mit denen CORRECTIV.Lokal gesprochen hat, sind bereits wegen Übermüdung in brenzlige Fahrsituationen geraten oder kennen Kollegen, die Unfälle auslösten, weil sie am Steuer einschliefen. In einem Fall berichten sie von einem Unfall, den ein erschöpfter Kollege im Juni in Süddeutschland verursacht habe. Die örtliche Polizei berichtete damals, dass der Lkw-Fahrer gegen 5 Uhr in die Gegenfahrbahn geraten sei.

Hinweise geben

Sie arbeiten selbst bei Amazon, bei einem Subunternehmen oder kennen sich mit dem Thema aus anderen Gründen aus? Dann melden Sie sich gerne bei uns, auch anonym. Alle Nachrichten werden vertraulich behandelt.

jonathan.sachse@correctiv.org (Threema S63CK66M)
miriam.lenz@correctiv.org
Anonyme Hinweise: correctiv-upload.org

Es gibt Gesetze, die für ausreichend Schlaf von Lkw-Fahrern sorgen sollen. Vorgeschrieben ist eine sogenannte Lenkzeit von maximal zehn Stunden, bevor eine längere Pause gemacht werden muss.

Der Arbeitsrechtler Adam Sagan sieht die Verantwortung trotz der Subunternehmer-Strukturen bei Amazon. „Als Hauptunternehmer sind sie für die Einhaltung des Lenkzeitrechts verantwortlich“, sagt Sagan.

Insgesamt könne Amazon sich seinen gesetzlichen Pflichten nicht entziehen, indem es die Verantwortung über die Lieferkette hinweg aufspalte, sagt Sagan. „Es muss sich in angemessenen Zeitabständen darüber vergewissern und darauf hinwirken, dass die Subunternehmen die Transportauaufträge mit zulässigen Lenkzeiten ausführen.“

„Unsere Amazon Freight Partner verpflichten sich vertraglich, die geltenden Gesetze insbesondere im Hinblick auf Löhne, Sozialabgaben und Arbeitszeiten einzuhalten“, teilt Amazon auf Anfrage von CORRECTIV.Lokal mit. Sie würden mit mehr als 600 deutschen Speditionen zusammenarbeiten. Die Einhaltung der Gesetze und Vorschriften würden sie „von Zeit zu Zeit“ überprüfen. Weiter schreibt ein Sprecher: „Die Ruhepausen sind vom Gesetzgeber klar geregelt und jeder Spediteur ist für deren Einhaltung verantwortlich. Wenn wir feststellen, dass ein Unternehmen gegen die Vorschriften verstößt, handeln wir sofort.“

Die Amazon-Subunternehmer: mancherorts ein unübersichtliches Geflecht

Subunternehmer von Amazon dürfen im AFP-Programm maximal 15 Lkws betreiben. Der Konzern will offenbar verhindern, dass die Logistiker zu groß werden. Doch kleine Flotten sind weniger profitabel und Fahrer berichten in Gesprächen davon, dass die Grenzen zwischen verschiedenen Subunternehmern erstaunlich fließend sein können. Umgehen Subunternehmer die Auflage von Amazon, indem sie auf dem Papier mehrere Firmen gründen, die jedoch tatsächlich zusammenhängen?

So ist das Unternehmen Truck Friends GmbH, für das die Fahrer Jakub und Alexander Aufträge erledigten, offenbar eng mit einem anderen AFP-Unternehmen aus Berlin verbunden, der EuRide GmbH. Beide geben denselben Verkehrsleiter an, den Fuhrunternehmen beim Bundesamt für Güterverkehr anmelden müssen. Jakub und Alexander berichten von Disponenten und Disponentinnen, die für beide Firmen die Fahrer betreut hätten. Zudem stehen Zugmaschinen der beiden Firmen auf demselben Parkplatz in Brandenburg, der allwöchentlich der Startpunkt für ihre Touren ist.

Laut einem Dokument, in das CORRECTIV.Lokal Einsicht hatte, spielt zudem ein Unternehmen aus Nürnberg eine besondere Rolle im Netzwerk verschiedener Subunternehmen, die für Amazon Pakete transportieren: Die Mars Holding GmbH hat in zahlreichen Städten bereits ein Netz mit rund 600 Fahrerinnen und Fahrern aufgebaut, die Amazon-Pakete an die Haustür ausliefern – und das offenbar unter fragwürdigen Bedingungen. Im Internet finden sich zahlreiche negative Bewertungen von ehemaligen Beschäftigten.

„Grundsätzlich spiegeln die auf einem solchen Portal abgegebenen Bewertungen das subjektive Empfinden und die Eindrücke des Verfassers wider“, teilt das Unternehmen Mars auf Anfrage mit. Dennoch würden aufgrund solcher Bewertungen die dort aufgeführten negativen Punkte überprüft und ggfs. Abhilfe veranlasst.

Ein Unternehmen aus Nürnberg transportiert Pakete von Amazon mit Transportern und Lkws

Mit einer Tochtergesellschaft, der Spedition Mars GmbH, schickt das Unternehmen jetzt auch Lkw-Fahrer für Amazon auf die Straße. Und ist dabei auch Teil des neuen AFP-Programms. Damit drängen offenbar auch Akteure aus der „letzten Meile“ der Logistikkette in das AFP-Programm von Amazon, das auf die „mittlere Meile“ zielt.

Das ist bemerkenswert, weil Amazon nach eigenen Angaben eigentlich mit seinen Vertragspartnern nur auf Kurier- oder der Lkw-Ebene zusammenarbeitet.

Gewerkschafter befürchten dennoch, dass sich die Zustände, die sie von den Kurieren der „letzten Meile“ kennen, jetzt verstärkt auf die Lkw-Fahrer ausweiten. „Nicht selten melden Firmen plötzlich Insolvenz an und versuchen sich damit ihrer Verantwortung endgültig zu entziehen“, sagt Michael Wahl vom DGB. „Manche haben keine Skrupel, am nächsten Tag mit Strohmännern das nächste Subunternehmen zu gründen, bei dem alle weiter arbeiten dürfen, die sich nicht wehren.“

Amazon-Subunternehmer: kommen gesetzliche Regelungen?

In der Vergangenheit standen andere Branchen im Fokus, die auf Subunternehmerstrukturen setzten und so fragwürdige Arbeitsbedingungen schufen. Nach mehreren Recherchen zu teils prekären Zuständen in der Fleischindustrie beschloss der Bundestag mit dem Arbeitsschutzkontrollgesetz strengere Vorschriften für die Fleischindustrie und verbot 2021 den Einsatz von Subunternehmen mit osteuropäischen Billiglohn-Arbeitern in der Branche.

Auf Anfrage von CORRECTIV.Lokal sieht das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) kein vergleichbares „Regulierungsbedürfnis“ in der Logistikbranche. Allerdings plane die Bundesregierung, bis Ende 2023 einen Bericht über die „Haftung für Sozialversicherungsbeiträge im Logistikgewerbe“ zu erstellen und diesen öffentlich zugänglich zu machen. „Auf dieser Grundlage kann über eine eventuelle Fortentwicklung der geltenden Regelungen entschieden werden.“

Fahrer wie Tarek wünschen sich einen schnellen Eingriff durch die Bundesregierung. Besonders „Geld und Fahrzeiten“ sieht er als Problem.

Dennoch wird er erst einmal weiter am Steuer sitzen, wenn er und tausende weitere Lkw-Fahrer und -fahrerinnen in der Vorweihnachtszeit Pakete über die „mittlere Meile“ des Handelsgiganten Amazon fahren.

Mitarbeit bei dieser Recherche

Text und Recherche: Miriam Lenz, Jonathan Sachse, Thore Rausch Fotos und Karte: Ivo Mayr, Max Donheiser Redaktion: Frederik Richter, Justus von Daniels, Svenja Stühmeier, Ole Rockrohr, Anna Ross Social Media: Anne Ramstorf, Valentin Zick Faktencheck: Jean Peters Netzwerk CORRECTIV.Lokal: Nina Eichenmüller, Max Söllner (beide Nürnberger Nachrichten), Alex Völkel (Nordstadtblogger), Christian Lindner, Luise Langen (beide Nordsee-Zeitung), Gordon Päschel (Ostfriesen-Zeitung), Sebastian Raviol, Marie Orphal (beide Badische Neueste Nachrichten), Denise Peikert (Leipziger Volkszeitung)