WDR #metoo

„…wieder ein sexy Strickkleid an“

Die Vorwürfe über sexuelle Belästigung beim WDR reissen nicht ab. Uns liegt eine Beschwerde vor, in der mehrere Frauen Belästigung und Diskriminierung durch einen WDR-Mann in Führungsposition beklagen. Der Sender reagiert auf den Skandal: Betroffene sollen sich jetzt auch an eine externe Anwaltskanzlei wenden können. Doch ausgerechnet die hat bisher den Sender gegen die Opfer vertreten.

von Marta Orosz , Wigbert Löer

An Machtstrukturen gebunden: Weiterer Fall von sexueller Belästigung und Machtmissbrauch beim WDR© Collage von Ivo Mayr

Weitere Opfer melden sich mit Vorwürfen und bitteren Erfahrungen. Die Senderspitze musste sich zweieinhalb Stunden lang den bohrenden Fragen der Belegschaft stellen. Es geht drunter und drüber im WDR, seit CORRECTIV und „stern“ zwei Fälle von Machtmissbrauch und sexueller Belästigung enthüllt haben. Eine Geste allerdings halten Intendant Tom Buhrow und Programmdirektor Jörg Schönenborn offenbar für unnötig: eine öffentliche Entschuldigung bei jenen Frauen, die über Jahre unter prominenten Journalisten des Senders litten.

Stattdessen behauptete Jörg Schönenborn mit Blick auf einen der beiden Belästigungsfälle, es habe damals ein „dringendes Interesse aufzuklären“ bestanden.

Größere Konsequenzen hatte der angebliche Drang zur Wahrheit offenbar eher selten. Das zeigen auch neue Recherchen von CORRECTIV und „stern“. In einem dritten, bisher unbekannten und recht aktuellen Fall geht es um Machtmissbrauch und sexuelle Diskriminierung.

Sie steht auf mich, das weiß ich.

Der Mann, gegen den sich die Vorwürfe richten, amtiert im WDR-Kosmos weiterhin an hoher Stelle. Er soll für diesen Text Tilo Matzen heißen. CORRECTIV und „stern“  liegt eine Beschwerde über Matzen vor, die Ende 2016 an drei verschiedenen, jeweils zuständigen Stellen des WDR vorgetragen und auch in Papierform vorgelegt wurde. Das Dokument, über das der WDR seitdem verfügt, fasst die Erfahrungen mehrerer Mitarbeiterinnen mit Tilo Matzen zusammen.

„Sexuelle Diskriminierung“ und „Arbeiten in sexuell aufgeladener Atmosphäre“ seien an der Tagesordnung gewesen, heißt es in dem Papier. Die Frauen belegen das mit etlichen Zitaten, die sie Tilo Matzen zuschreiben.

• Eine Kollegin, habe der gesagt, „hatte heute wieder ein sexy Strickkleid an. Man konnte alles durchsehen.“ – „Sie steht auf mich, das weiß ich.“

• Ein Kollege, sagte er dem Beschwerdepapier nach ebenfalls, falle für einige Wochen aus. „Er hat Rücken. Kein Wunder. Er hat ja jetzt eine neue Freundin. Und endlich wieder Sex.“

• Weiter wird Matzen in dem Papier zitiert: „‚Na, hattest Du ein schönes Wochenende mit Deinem Freund, oder warum kannst Du Dich nicht mehr bewegen?‘ (Die Mitarbeiterin hatte einen Hexenschuss.)“

Ich habe keine Lust mehr auf die Diskussionen mit den Frauen. Nur mit Männern ist es viel einfacher und schöner.

Matzen war dem Beschwerdepapier nach bemüht, es nicht bei Worten zu belassen. Der Versuch, ihm auszuweichen, konnte demnach zu unangenehmen Konsequenzen führen. „Eine Mitarbeiterin hat er auf einer Dienstreise nach der Zimmernummer gefragt. Nachdem sie ihm die falsche Nummer gesagt hatte, hat er später behauptet, sie stände kurz vor dem Burnout und sie sei mit dem Job überfordert.“

Eine Frau, die zu einem Abendtermin nach Köln reiste und davon ausging, dass  auch Matzen selbst im Hotel absteigen würde, habe sich von Matzen „so stark bedrängt“ gefühlt, „dass Kolleginnen ebenfalls in Köln übernachtet haben, damit sie nicht alleine mit ihm an der Bar sitzen musste“. Insgesamt waren laut dem Beschwerdepapier „mind. sieben Frauen im direkten und weiteren Arbeitsumfeld von Herrn Matzen bekannt, die er bedrängt hat“.

Matzen hatte seinerzeit begonnen, sein Reich neu zu ordnen. Dabei verloren mehrere weibliche Führungskräfte ihren Job. Matzen sagte damals laut Beschwerdepapier: „Ich habe keine Lust mehr auf die Diskussionen mit den Frauen. Nur mit Männern ist es viel einfacher und schöner.“ 

Nach Informationen von CORRECTIV und „stern“ war mit der Beschwerde beim WDR auch die stellvertretende Intendantin befasst. Der Sender bestätigte das auf Nachfrage. Eine Sprecherin schrieb, die Vize-Intendantin habe den Mann „in einem kurzfristig angesetzten Gespräch“ mit den Vorwürfen konfrontiert. Dieser habe sie mit aller Deutlichkeit zurückgewiesen. Die stellvertretende Intendantin habe in dem Gespräch deutlich gemacht, das „jegliches Fehlverhalten solcher Art“ nicht geduldet werde.

Am besten erweckt man nicht mal den Anschein, etwas könne falsch laufen.

Matzen selbst antworte auf Fragen zu den konkreten Vorwürfen, dass er sich so nicht geäußert beziehungsweise nicht entsprechend gehandelt habe. Die Zitate entsprächen auch nicht seinem Sprachstil.

„Zum Schutz der betroffenen Frauen“ sind in dem Beschwerdepapier die einzelnen Kolleginnen nicht namentlich erwähnt. Genau das verdeutlicht das Problem, vor dem der Sender seit vielen Jahren steht, wenn es um Machtmissbrauch, Mobbing und sexuelle Belästigung geht: Es herrscht ein Klima der Angst. Ein Klima, in dem Frauen sich nicht trauen, Fehlverhalten von Vorgesetzten zu melden.

Kürzlich schrieb die Vorsitzende des WDR-Personalrats, ihr Gremium habe „immer wieder vergeblich gefordert, im absolut hierarchisch geprägten WDR (…) eine Ahndung von Machtmissbrauch und Herabwürdigung gegenüber Schwächeren und Abhängigen zu gewährleisten“. Eine langjährige WDR-Führungskraft erklärt das Phänomen so: „Es geht immer um Gesichtswahrung. Am besten erweckt man nicht mal den Anschein, etwas könne falsch laufen. Denn darunter könnte ja der Sender leiden.“

Sexuelle Nötigung dulde der WDR nicht, sagte kürzlich Intendant Tom Buhrow. Nach den Enthüllungen präsentiert der WDR nun im Intranet zwei externe Ombudsfrauen, junge Rechtsanwältinnen, die ihre Karriere gerade gestartet haben: An sie sollen WDR-Mitarbeiter sich bei Machtmissbrauch und Übergriffen gefahrlos wenden können.

Auf jene Frauen, die unter Tilo Matzen litten, dürfte dieses Angebot zynisch wirken. Als sie das Unternehmen verließen und über ihre Abfindungen verhandelten, vertrat nämlich genau die Kanzlei der zwei neuen Ombudsfrauen die Gegenseite. Absurd der Gedanke, dass die Frauen ihre Probleme mit dem Chef zuvor gerade der Kanzlei anvertraut hätten, die sie im anschließenden Verfahren gegen sich hatten.

UPDATE vom 19. April 2018, 16:15 Uhr.

Der Personalrat stellt sich deswegen offen gegen die Senderspitze: „Wir raten von dieser Kanzlei ab“, schrieb der Personalrat am Donnerstag in einer Email an alle Mitarbeiter des Senders. Denn diese Kanzlei habe den Sender gegen einen Korrespondenten vertreten, der intern auf Vorwürfe sexueller Belästigung aufmerksam machte und vom Sender deswegen abgemahnt wurde. Auch in weiteren Prozessen habe diese Kanzlei den Sender gegen Mitarbeiterinnen vertreten.

Vor allem fordert der Personalrat weiter eine lückenlose Aufklärung der Vorfälle.

Schließlich erwarteten die Beitragszahler vom WDR die kritische Auseinandersetzung mit Missständen – und das solle auch im eigenen Hause praktiziert werden.

Hier die Email des Personalrats im Wortlaut:

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir, die Personalratsmitglieder des WDR, die Jugend- und Auszubildendenvertretung und die Schwerbehindertenvertretung, wenden uns persönlich an euch, um folgendes klarzustellen:

1. Wir fordern eine lückenlose Aufklärung der Vorfälle. Die Verantwortlichen, die trotz eindeutiger Hinweise nicht eingeschritten sind, müssen benannt werden und sich bei den Betroffenen entschuldigen.

2. Die Beauftragung der Kanzlei Küttner als Anlaufstelle für Betroffene von sexueller Belästigung wurde nicht mit uns abgesprochen. Wir raten von dieser Kanzlei ab, da sie den WDR auch gegen den Korrespondenten vertreten hat, der sich für die Betroffenen von sexueller Belästigung eingesetzt hat. Die Kanzlei Küttner hat auch in anderen Prozessen den WDR gegen MitarbeiterInnen vertreten.

3. Wir fordern das Haus auf, herabwürdigende Bemerkungen über den o.g. Korrespondenten zu unterlassen. Äußerungen wie u.a. auf dem Sonderdialog „Er habe in allen Redaktionen Probleme gehabt„, tragen nichts zur Aufarbeitung der Vorfälle bei.

4. Den Kolleginnen und Kollegen, die sich kritisch zum Umgang des WDR mit dem Thema sexuelle Belästigung und Machtmissbrauch äußern oder beim Sonderdialog geäußert haben, dürfen keine Nachteilte daraus erwachsen. Das gilt für feste, freie und befristet angestellte KollegInnen.

5. Das frühe Unterbinden von sexueller Belästigung, Machtmissbrauch und herabwürdigendem Verhalten ist eine Führungsaufgabe. Vorgesetzte müssen mit gutem Beispiel vorangehen.

6. Die Aufgabe, Fälle sexueller Belästigung zu sammeln, kann deswegen nicht an „Vertrauensleute“ aus den Teams delegiert werden, wie das jetzt in einigen Abteilungen diskutiert wird. Denn diese KollegInnen sind selbst Teil des Teams und stehen in genau den gleichen Abhängigkeiten. Außerdem besteht die Gefahr, dass

– diese KollegInnen durch ihre Sonderrolle vom Team isoliert werden, weil sie als Kontrollinstanz wahrgenommen werden.
– sie von Vorgesetzten unter Druck gesetzt werden, Fälle zu bagatellisieren.
– sie von den Konsequenzen, die diese Stellung mit sich bringt, überfordert werden.

Die kritische Auseinandersetzung mit Missständen gehört zum Kerngeschäft des WDR und ist maßgeblicher Bestandteil unserer Legitimation für die BeitragszahlerInnen. Nur wenn wir bereit sind, ebenso kritisch mit uns selbst umzugehen, bewahren wir unsere Glaubwürdigkeit. Deswegen muss dringend ein Klima geschaffen werden, in dem Kritik zur Unternehmenskultur gehört. Unserer Meinung nach brauchen wir dazu Hilfe von außen — zum Beispiel in Form eines Beirats.

Marta Orosz erreichen Sie per Email unter marta.orosz(at)correctiv.org.

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