Die vom „Rheinneckarblog“ erfundene Terror-Story ist kein „Gonzo-Journalismus“
In der Nacht auf Samstag veröffentlichte „rheinneckarblog.de” eine Meldung, laut der es in Mannheim einen Terroranschlag gegeben habe. Schnell war klar: Die Meldung ist erfunden. In der Erklärung von „Rheinneckarblog” heißt es, man hätte „Gonzo-Journalismus“ betrieben. „Gonzo-Journalismus“ ist per Definition aber etwas anderes. Echtjetzt erklärt den Unterschied.
In der Nacht von Freitag auf Samstag veröffentlichte „Rheinneckarblog.de“ einen Artikel mit der Überschrift: „Massiver Terroranschlag in Mannheim“.
In Mannheim sei es „zum bisher größten Terroranschlag in Westeuropa“ mit 136 Toten und 237 Verletzten gekommen. Rund 50 Angreifer hätten mit Macheten und anderen Messern verschiedene Feste in der Stadt gestürmt, und für ein „Blutbad apokalyptischen Ausmaßes“ gesorgt.
Mittlerweile ist klar: Die Meldung war falsch. Das twitterte die Polizei Mannheim noch in derselben Nacht, eine halbe Stunde, nachdem der Artikel online gegangen war. Auch der „Rheinneckarblog“ bestätigte am nächsten Morgen, die Geschichte habe man erfunden. Der Blog hatte die Polizei laut eigener Aussage selbst über die Veröffentlichung des Artikels informiert.
Auf der Facebook-Seite des Blogs reagieren die User seitdem entsetzt und wütend auf die Falschmeldung, oder „fiktive Story“, wie der Herausgeber des Blogs Hardy Prothmann es nennt. Viele Nutzer fordern eine Entschuldigung.
Diese kommt von Prothmann nicht — nur Versuche, seine „fiktive Story“ zu rechtfertigen. Diese Form des Journalismus nenne man laut Prothmann nämlich „Gonzo-Journalismus.“ Das sei auch im Artikel deutlich gemacht worden – die Erklärung versteckte sich aber hinter einer Paywall.
Gonzo-Journalismus sieht anders aus
Laut Prothmann sei der Verfasser des Artikels Helle Sema ein „Gonzo-Spezialist“. Das verwundert jedoch, der Artikel ist nämlich nicht „Gonzo“. Auch Prothmanns Definition, „Gonzo“ sei eine „eine fiktive, literarische Geschichte, die so tut, als sei sie journalistisch entstanden“, ist nicht richtig.
„Gonzo-Journalismus“ ist laut dem „Deutschen Journalistenkolleg“ eine Form des Journalismus, deren Berichterstattung auf den subjektiven Erfahrungen und Emotionen des Journalisten beruht. Hintergrundgedanke des Begründers Hunter S. Thompson war, dass Journalismus niemals objektiv sein könnte. Demnach wollte man nicht versuchen, objektiv zu berichten.
Oftmals wird dabei der Journalist als Ich-Erzähler selbst zum Protagonisten. Der Journalist nähert sich mit Sarkasmus, Polemik und Selbstironie einem Thema. So vermischen sich reale, autobiographische und oft auch fiktive Erlebnisse.
Das bedeutet im Fall vom erfundenen „Mannheimer Terroranschlag“: Nein, hier liegt kein „Gonzo-Journalismus“ vor. „Gonzo-Journalisten“ reagieren auf reale Ereignisse, jedoch aus subjektiver Sicht. “Rheinneckarblog“ erfand ein Szenario, und berichtete über dieses bewusst in einer scheinbar „objektiven“, auf „Fakten“ beruhenden Erzählart.
Reverse-Gonzo-Journalismus, sozusagen.
Erklärung befand sich hinter einer Paywall
Als weitere Inspiration gab der „Rheinneckarblog“ das von Orson Welles inszenierte berühmte Hörspiel „Der Krieg der Welten“ an, welches am 30. Oktober 1938 auf dem US-Radiosender „Columbia Broadcasting System“ übertragen wurde. Das Hörspiel simulierte eine Alien-Invasion. Es soll damals eine Massenpanik ausgelöst haben, das tatsächliche Ausmaß einer solchen Panik wird mittlerweile jedoch als sehr gering eingeschätzt.
Der Unterschied zum Artikel des „Rheinneckarblogs“: Dem Hörspiel ging damals eine Einleitung voraus, die darauf hinwies, dass es sich um eine fiktive Geschichte handle.
Dies war beim „Rheinneckarblog“ nicht der Fall. Aufgeklärt wurde die Story erst am Ende des Artikels. Die Aufklärung befand sich jedoch hinter einer Paywall. Diese wurde erst Montagnachmittag entfernt.
„Rheinneckarblog“ ist sich keiner Schuld bewusst
Auf Facebook-User, die dies kritisieren, reagiert Prothmann eingeschnappt: Wer sich damit begnügen würde, sich durch Überschriften zu informieren, wisse nichts über die Welt. Es sei außerdem erschreckend, „wie wenig Medienkompetenz es in der Bevölkerung gibt“.
Im Text hätte es schließlich ausreichend Informationen gegeben, die den Text hätten fragwürdig erscheinen lassen, schreibt Prothmann auf Facebook. So wurden Straßennamen sowie Namen bekannter Plätze in Mannheim im Text leicht verändert. Außerdem waren einige Aussagen im Text widersprüchlich oder bizarr.
Ob bei einer solchen Nachricht auf Details geachtet wird, und jeder Leser des „Rheinneckarblog“ genaue Kenntnisse über die Mannheimer Örtlichkeiten hat, ist zu bezweifeln.
Eine Entschuldigung, die viele Kommentatoren forderten, kam nicht. Stattdessen schreibt Prothmann auf der Facebook-Seite des Blogs: „Wir würden uns entschuldigen, wenn wir konkret wüssten, was wir falsch gemacht haben sollen. Wir haben eine fiktive Story veröffentlicht – jeder Roman ist eine fiktive Story. Jedes Theaterstück.“
Diese tarnen sich jedoch nicht als objektive Berichterstattung. Und die Erklärung verschwindet da nicht hinter einer Paywall.