Nein – Wer eine einzige Wespe tötet muss nicht 5.000 Euro Bußgeld zahlen
Eine Wespe zu töten kostet bis zu 50.000 Euro Bußgeld. Das hat der „Merkur“ in einem Onlineartikel im Juli behauptet. Zahlreiche weitere Medien veröffentlichten in diesem Jahr bereits ähnliche Schlagzeilen. Die Texte ignorieren die Realität der Naturschutzbehörden. Es entsteht der Eindruck, das höchstmögliche Bußgeld könne für jeden Menschen verhängt werden, der im Garten eine einzige Wespe tötet. EchtJetzt hat recherchiert, wie der Bußgeldkatalog zum Tierschutz in der Praxis umgesetzt wird.
Wespen sind in Deutschland von Anfang Mai bis Ende September aktiv. Ähnlich aktiv sind in dieser Zeit Journalistinnen und Journalisten, die über Wespen schreiben. Ein beliebtes Thema: Bußgelder, die für das Töten von Wespen fällig werden können. „Wer eine einzige Wespe erschlägt, muss bis zu 50.000 Euro Bußgeld zahlen“ titelt etwa der „Merkur“ am 11. Juli 2018 auf seiner Webseite. Und er ist damit nicht allein. Weitere Schlagzeilen aus dem Juli: „Achtung, teuer: Wespentöten kostet bis zu 50.000 Euro“ – „Augsburger Allgemeine“. „Wespen töten? Mindestens 5000 Euro Strafe!“ – „Antenne Bayern“. „Wespe töten? 5000 Euro – mindestens“ – „ntv“.
Beim „Merkur“ heißt es, besonders streng seien die Behörden in Nordrhein-Westfalen und Thüringen. Dort müsse man „bereits für das Töten einer nicht besonders geschützten Art, 15.000 bis 50.000 Euro Strafe zahlen“. In Bayern seien es dagegen nur 5000 Euro für eine nicht geschützte Art, aber ebenfalls bis zu 50.000 Euro für eine geschützte Wespe.
„bussgeldkatalog.org“
Alle genannten Artikel beziehen sich auf das Portal „bussgeldkatalog.org“. Dort sind die Bußgelder für das Töten von Wespen in den Bundesländern aufgeführt. Der „Verband für bürgernahe Verkehrspolitik“ betreibt die Seite, auf der hauptsächlich Ratgeber zu Bußgeldern im Straßenverkehr veröffentlicht werden. Auf eine CORRECTIV Anfrage teilte der Verband mit, der Katalog basiere auf dem Bundesnaturschutzgesetz und der Artenschutzverordnung. Außerdem nenne jedes Bundesland die Höhe der Bußgelder separat. Für Wespen gebe es einen eigenen Eintrag, da dieses Thema von Bürgerinnen und Bürgern oft angefragt werde.
Das Bundesnaturschutzgesetz
CORRECTIV hat bei den zuständigen Behörden in den Bundesländern nachgefragt. Petra Freytag vom Landesverwaltungsamt Thüringen erklärte, die Grundlage für die Bußgelder sei das Bundesnaturschutzgesetz. Das Gesetz enthalte drei Paragraphen, die auf Wespen angewendet werden können: §39 verbietet es allgemein wild lebende Tiere ohne Grund zu töten, nach §44 ist es verboten besonders geschützten Arten zu töten und §69 legt die Höhe der Bußgelder fest.
Tatsächlich könnten die Naturschutzbehörden bei Verstößen Geldbußen bis zu 10.000 Euro für allgemeine geschützte und bis zu 50.000 Euro für besonders geschützte Tiere verhängen. Freytag sagte aber: „Bei den genannten Bußgeldern handelt es sich um gesetzliche Höchstsätze, die in jedem Bundesland gleich sind.“
Es gebe aber „keine spezielle Regelung, die nur für Wespen gilt“. Auch in Bayern und Nordrhein-Westfalen ist dies nicht der Fall. Wespen sind also nicht anders geschützt, als alle anderen Tierarten, auch wenn die Medienberichte diesen Eindruck erwecken.
In Deutschland begegneten den Menschen in der Regel nur die Deutsche und die Gemeine Wespe, sagte die Naturschutzbehörde Essen auf Anfrage von EchtJetzt. Beide Arten seien nicht „besonders geschützt“.
Die Bußgelder in der Praxis
Peter Schütz, Pressesprecher des Umweltministeriums in Nordrhein-Westfalen teilte gegenüber CORRECTIV mit, dass die Behörden nach eigenem Ermessen handeln. Eine mündliche Verwarnung reiche in den meisten Fällen aus. In den vergangenen fünf Jahren wurde in NRW nur ein einziges Mal ein Verwarngeld in Höhe von 45 Euro für die Zerstörung eines Wespennestes verhängt. Das geht aus der Antwort auf eine kleine Anfrage im Landtag hervor. Die 50.000 Euro Höchstmaß seien kein realistisches Bußgeld für das Töten einer einzelnen Wespe, sagte Schütz. Dafür müsse eine Person vorsätzlich, wiederholt und ohne Grund ganze Nester zerstören.
Das bayerische Landesamt für Umwelt erklärte auf Anfrage von EchtJetzt, dass die Sanktionen im Einzelfall schwer zu vollziehen seien. Ohne Kläger gäbe es auch keine Ermittlungen. Bei einer einzelnen Wespe würden die Naturschutzbehörden den Fall vermutlich einstellen.
In Thüringen wurde „noch kein Bußgeld wegen der Tötung allgemein geschützter Wespen verhängt“, sagt Petra Freytag vom Landesverwaltungsamt. Für das Töten von Hornissen, die zu den geschützten Wespen zählen, allerdings schon. Die Höhe dieser Bußgelder konnte Freytag nicht nennen. Der Thüringer Bußgeldkatalog empfehle Summen von 50 bis 40.000 Euro. Wer eine einzige Wespe töte, habe aber auf keinen Fall eine Verfolgung durch die Naturschutzbehörden zu befürchten.
Sensationalismus in den Überschriften
Fakt ist: Keine der Behörden, mit denen CORRECTIV gesprochen hat, verhängt Bußgelder von mehreren tausend Euro für das Töten einer einzelnen Wespe. Im Naturschutzgesetz sind Wespen außerdem nicht explizit erwähnt, die entsprechenden Paragraphen betreffen alle wildlebenden Tierarten. Es gibt also keinen speziellen Bußgeldkatalog, der Strafen für das Töten von Wespen festlegt. Das Höchstmaß für Bußgelder aus dem Naturschutzgesetz wird in den Medienberichten ohne jegliche Einordnung wiedergegeben. Es entsteht der falsche Eindruck, dass die Behörden tatsächlich derartig hohe Bußgelder für das Töten von Wespen verhängen. Ein kleines „bis zu“ ist kein Ersatz für Kontext.
Update, 25. Juli 2018: Inzwischen hat der „Merkur“ den Artikel überarbeitet. Dort heißt es jetzt korrekt, dass Bußgelder für das Töten von Wespen „nur im absoluten Extremfall“ fällig werden. Auch der Titel des Textes wurde entschärft („Wer besonders geschützte Tiere tötet, dem droht ein hohes Bußgeld — auch einige Wespenarten gehören dazu“). Jetzt stellt der Text wichtige Hintergrundinformationen zu den Bußgeldern dar. Die Bewertung unten gilt für den ursprünglichen Artikel.
Update, 26. Juli 2018: Auch „ntv“ hat reagiert und die Überschrift geändert. Sie ist jetzt deutlich zurückhaltender formuliert: „Wespen töten kann Geld kosten“. Außerdem wurden einige überspitzte Formulierungen entfernt.