Faktencheck

Nein — Diese Filmcrew inszeniert kein Ertrinken von Flüchtlingen

Videoaufnahmen eines Filmteams, das scheinbar ertrinkende Personen im Meer vor Kreta filmt, machen aktuell in sozialen Netzwerken die Runde. Laut mehreren Bloggern soll das Video zeigen, wie Journalisten die Öffentlichkeit mit inszenierten Bilder manipulieren. Das stimmt nicht. EchtJetzt hat die Filmcrew gefunden und mit ihr gesprochen.

von Jacques Pezet

Screenshot eines Youtube-Videos, in dem einem Filmteam vorgeworfen wird, das Ertrinken von Flüchtlingen im Meer vor Kreta zu inszenieren.© https://youtu.be/pplP6Kvw3os

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Falsch. Das in Kreta aufgenommene Video zeigt keine Journalisten, die das Ertrinken von muslimischen Flüchtlinge inszenieren. Es handelt sich um die Kulissen eines Filmdrehs über griechischen Flüchtlinge im Jahr 1922.

Seit Anfang August wird das folgende Video von mehreren deutschen Bloggern, darunter David Berger von „Philosophia Perennis“ („,Flüchtlinge ertrinken‘: Werden hier Fake-Videos für unsere Medien produziert?“; am 5.8.2018) und Oliver Janich von „Oliver Janich Investigativ“ („Filmcrew dreht Fake-Video über ertrinkende Migranten am Strand von Kreta“; am 3.8.2018), so wie von ihren Followern geteilt.

Das Video zeigt verwackelte Aufnahmen von Frauen mit Kopftüchern. Einige von ihnen stehen an einem Strand, während andere im Meer schwimmen. Nach einem Kameraschwenk ist zu sehen, wie ein Filmteam die Frauen filmt. Aus dem Off spricht ein Mann. 

Laut den englischen Untertiteln wirft der aus dem Off sprechende Mann der gezeigten Filmcrew vor, eine Szene von „Migranten, die im Meer ertrinken“ zu filmen. So würden Fernsehjournalisten die Bevölkerung mit inszenierten Bilder manipulieren.

David Berger, dessen Texte wir bereits oft überprüft haben, hat auf Twitter und in einem Artikel gefordert, dass sich Faktenchecker mit dem Video befassen. Konkret nannte er uns, den ARD-Faktenfinder und Mimikama. Er schreibt: „Eigentlich wäre das ein Aufgabenfeld für unsere hoch bezahlten Fakenews- und Faktenfinder. Dass diese sich bisher des Themas nicht angenommen haben, zeigt, dass es durchaus nicht unwahrscheinlich ist, dass es sich hier um Aufnahmen handelt, die die Öffentlichkeit bewusst täuschen sollen.“

Wie haben wir die Meldung geprüft?

Um die Filmaufnahmen zu prüfen, haben wir zunächst versucht herauszufinden, wo das Video gedreht wurde. Die Szene soll laut der Beschreibung unter dem Youtube-Video auf der griechischen Insel Kreta gefilmt worden sein. Laut Videotitel angeblich von einem Tschechen.

Um das Originalvideo zu suchen, haben wir deshalb bei Facebook die Suchbegriffe „Migranten, Kreta, Manipulation“ auf Tschechisch („migranti kreta manipulace“) eingegeben.

So haben wir das gleiche Video ohne Untertitel auf der tschechischen Facebook-Seite „AntiKavárna“ gefunden. Mithilfe von GoogleTranslate haben wir den Videotitel übersetzt. „Kreta — Filmcrew oder Medienmanipulation?“ steht dort. Das Video wird folgendermaßen beschrieben: „Auf Facebook gab es ein interessantes Video aus Kreta von Marek Chrastina. Sein Kommentar zum Video: ‘In Kreta habe ich ein interessantes Video in Ierapetra gedreht und jeder wird selbst ein endgültiges Fazit ziehen’.“

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Screenshot aus einem Facebook-Video auf Tschechisch mit dem angegebenen Drehort Ierapetra

Eine Person mit dem Namen Marek Chrastina soll das Video demnach gefilmt haben. Über Facebook haben wir mehrere Profile mit dem Namen Marek Chrastina kontaktiert, aber niemand antwortete auf unsere Anfragen.

Wo wurde die Szene gefilmt ?

Neben einem möglichen Namen des Urhebers wird auf der Facebookseite auch die Stadt genannt, in der das Video angeblich gedreht wurde: Ierapetra. Die Stadt liegt im südöstlichen Teil von Kreta. Bei Google Maps lässt sich dort mit der Funktion Street View tatsächlich der Drehort des Videos finden: Die filmende Person stand offenbar neben dem Restaurant Astrophengia, das man an den Bäumen, den grünen Tischen und dem Ausblick auf die Bucht wiedererkennen kann.

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Screenshot aus GoogleMaps von dem Dreh-Standort.

Um den Drehort zu bestätigen, haben wir das Restaurant Astrophengia angerufen. Doch die Personen am Telefon sprachen kaum Englisch und eine Verständigung war nicht möglich.

Daraufhin haben wir das nahegelegene Restaurant Levante auf Facebook kontaktiert. Das Restaurant antwortete uns per Messenger, dass das Video den Dreh eines Dokumentarfilms zeige, der beim Ierapetras Dokumentarfilmfestival vorgestellt wurde. Die im Video zu sehende Kamerafrau sei die Regisseurin und Produzentin. Das Restaurant erklärte uns gegenüber auch, dass der Film von griechischen Flüchtlingen während des Griechisch-Türkischen Kriegs von 1919 bis 1922 handele.

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Screenshot aus einem Facebook-Chat mit dem Restaurant Levante vom 8.8.2018 auf eine Presseanfrage von EchtJetzt

So haben wir die Filmcrew identifiziert

Das Restaurant schickte uns auch den Link zu der Webseite des Dokumentarfilmfestivals von Ierapetra. Dort haben wir den Film “Das Land der schmerzhaften Jungfrau Maria“ (auf Englisch „Land of the Painful Virgin Mary“) gefunden. Auf der Webseite sind auch Fotos der Regisseurin und Produzentin Eleni Vlassi und des Kameramanns George Mpalothiaris zu sehen. So konnten wir die beiden in dem Video identifizieren.

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CORRECTIV konnte die Regisseurin Eleni Vlassi und den Kameramann George Mpalothiaris in dem Video identifizieren.

Filmcrew bestätigt Dreharbeiten zu historischem Film

CORRECTIV hat die Regisseurin und den Kameramann kontaktiert, um zu bestätigen, dass sie die Personen im Video sind und um zu erfahren, was sie gedreht haben. Auf Facebook bestätigte uns der Kameramann George Mpalothiaris, dass er für den Dreh eines Dokumentarfilms der Filmregisseurin Eleni Vlassi in Ierapetra gearbeitet habe. Er empfahl uns, für mehr Informationen mit der Regisseurin zu sprechen und gab uns ihre Emailadresse.

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Screenshot aus einem Facebook-Chat mit George Mpalothiaris am 9.8.2018.

Auf Facebook kontaktierten wir auch den Kameramann Giannis Kassis, dessen Name auf der Webseite des Filmfestivals im Zusammenhang mit dem Film genannt wird. Als wir ihm das Youtube-Video schickten, antwortete er: „Das ist unsere Filmcrew beim Dreh eines Dokumentarfilms über Flüchtlingen aus den 1900er, die von Anatolien nach Kreta kamen“. Er schreibt, dass der Film in Ierapetra in den Jahren 2017 und 2018 gedreht wurde.

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Screenshot aus einem Facebook-Chat mit Giannis Kassis am 10.8.2018

Mit der Regisseurin Eleni Vlassi zu sprechen, war komplizierter. Wir versuchten es mehrmals. Weil sie das Dokumentarfilmfestival in Ierapetra vom 4. bis 9. August organisierte, erreichten wir sie erst am 10. August telefonisch. Auf Nachfrage von EchtJetzt, war sie überrascht von der Nutzung der Bilder ihres Filmdrehs. Sie versprach uns ein Statement per E-Mail, das sie uns am 13. August 2018 schickte.

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Statement von der Regisseurin Eleni Vlassi per E-Mail am 13.8.2018

In ihrer Antwort bestätigte die Regisseurin Eleni Vlassi, dass das im Internet kursierende Video den Dreh ihres Films „Land of the Painful Mary“ zeigt. Weiter schreibt sie, dass das kursierende Video ohne ihre Erlaubnis gedreht wurde und warnt davor, dass sie juristische Schritte gegen alle Personen, die Falschmeldungen über den Dreh ihres Films verbreiten, einleiten könnte. Die Regisseurin betont, dass die gefilmte Szene keinerlei Bezug zu heutigen Migranten habe, sondern die Situation griechischer Flüchtlinge aus Kleinasien im Jahr 1922 thematisiere.

Auf Nachfrage präzisierte die Regisseurin Eleni Vlassi gegenüber EchtJetzt: „Die Dreharbeiten zur Dokumentation begannen im September 2017 und wurden am 24. Juli 2018 abgeschlossen. Der letzte Dreh im Meer wurde gemacht, um einige bessere Aufnahmen zu machen.“

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Antwort von Eleni Vlassi per Email am 15. August 2018 auf eine Presseanfrage von EchtJetzt

Im Trailer des Films sind in mehreren Szenen Frauen mit Kopftüchern und langen Röcken und Männer in traditioneller Kleidung auf einem Boot auf dem Meer zu sehen. Offenbar hat die Person, die das kursierende Video aufnahm, diese Frauen und Männer, die Schauspieler sind, mit muslimischen Flüchtlingen verwechselt.

Die Schauspieler verkörpern für den Film die Rollen von griechischen Flüchtlingen aus Kleinasien am Anfang des 20. Jahrhundert. Es handelt sich also nicht um einen gefälschten Fernsehbeitrag, wie mehrere Blogger behaupten.