„Ärzte für Aufklärung“ verbreiten in ihrer Videokonferenz irreführende Behauptungen über Covid-19
Die Gruppierung „Ärzte für Aufklärung“ hat Anfang August eine Videokonferenz auf Youtube veröffentlicht. Ein Ausschnitt des Videos kursiert nun in den Sozialen Netzwerken. Er enthält teils irreführende Behauptungen zu Gesichtsmasken, PCR-Tests und einem möglichen Covid-19-Impfstoff.
Die Gruppierung „Ärzte für Aufklärung“ verbreitet in einem Video irreführende Behauptungen zum Tragen von Masken, PCR-Tests und einem möglichen Impfstoff gegen Covid-19. Das originale Video haben die „Ärzte für Aufklärung“ am 5. August auf ihrem Youtube-Kanal hochgeladen. Es ist insgesamt mehr als 17 Minuten lang.
Ein vierminütiger Ausschnitt der Videokonferenz (Minute 12:51 bis 16:49 im Originalvideo) wurde am 11. und 12. August auf verschiedenen Facebook-Seiten (hier, hier und hier) veröffentlicht. Unser Faktencheck bezieht sich auf diesen Ausschnitt, da dieser auf Facebook zehntausendfach geteilt wurde.
Das Video zeigt Gründer der Initiative „Ärzte für Aufklärung“, die in den vergangenen Wochen durch Kritik an den Corona-Maßnahmen aufgefallen ist: Olav Müller-Liebenau, Heiko Schöning und Walter Weber (von links nach rechts, Minute 01:13 im Originalvideo). In der Kurzfassung auf Facebook äußert sich vor allem Walter Weber.
Erste Behauptung: Masken schützten nicht vor dem Coronavirus
Walter Weber behauptet in dem Video, dass Masken nicht vor dem Coronavirus schützen würden (ab Minute 01:00 im Videoausschnitt auf Facebook). Welche Art von Masken er genau meint und auf welche Personen sich seine Aussage bezieht, sagt er nicht. Auf Grundlage der bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse ist die Behauptung nicht ganz richtig – sie lässt wichtigen Kontext aus.
Zwar schützen Mund-Nasen-Bedeckungen den Träger nicht zwingend vor einer Ansteckung. Zumindest fehlt es dafür bisher an wissenschaftlichen Belegen, schreibt das Robert-Koch-Institut (RKI).
Eine Metaanalyse kam kürzlich jedoch zu dem Ergebnis, dass einfache OP-Masken das Risiko einer Infektion des Trägers deutlich reduzieren könnten (PDF, S. 1.973). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte diese Studie in Auftrag gegeben. Im Juni erschien sie in der Fachzeitschrift The Lancet.
Das Forscherteam analysierte alle Studien, die bisher untersucht haben, wie gut Masken vor einer Ansteckung mit Viren wie SARS-CoV-2, dem ersten SARS-Virus oder MERS-Virus schützen. Das relative Infektionsrisiko der Träger sinke demnach stark, wenn sie eine Maske tragen würden. Allerdings betonen die Forschenden, dass die Aussagekraft der Analyse begrenzt sei und keine der untersuchten Maßnahmen (Schutzmasken, Abstand halten, Augenschutz) einen vollständigen Schutz biete (PDF, S. 1.982). Weitere Studien seien erforderlich, um Verzerrungen in den Ergebnissen auszuschließen.
Bisherige Studien zeigen: Masken schützen vor allem andere
Aussagekräftiger sind die Erkenntnisse in Bezug auf den Schutz anderer. Schon in der Vergangenheit (zum Beispiel in den Jahren 2008 und 2013) lieferten Studien Hinweise darauf, dass Stoffmasken, die von der Bevölkerung getragen werden, dazu beitragen könnten, die Verbreitung von Influenzaviren im Fall einer Pandemie einzuschränken. Denn sie halten einen Teil der größeren Speicheltröpfchen, die beim Sprechen entweichen können, auf und bremsen kleinere Aerosole, also Schwebeteilchen in der Luft, zumindest ab – sodass sie nicht mehr so weit umherfliegen.
Selbst gebastelte Masken seien dabei zwar lange nicht so effektiv wie OP-Masken, aber immerhin besser als gar kein Schutz, hieß es in der Studie von 2013. Während sich diese älteren Studien mit einer möglichen Influenza-Pandemie beschäftigten, bestätigt eine aktuelle Untersuchung an der Universität in Illinois die Ergebnisse in Bezug auf Atemwegserkrankungen wie Covid-19: Mehrlagige Stoffmasken können Tröpfchen demnach „ähnlich wirksam“ abhalten wie OP-Masken. Der Peer-Review-Prozess dieser Studie steht allerdings noch aus.
Eine erst im Juni veröffentlichte Studie aus Deutschland kam außerdem zu dem Ergebnis, dass das Tragen von Masken die Verbreitung von Covid-19 in Deutschland eingeschränkt habe. Es ist nach Angaben der Forscher die erste Studie, die Feldergebnisse zur Auswirkung von Masken auf die Covid-19-Pandemie lieferte (PDF, S. 28).
Das RKI und die WHO empfehlen auf Basis dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse seit einigen Monaten das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung – vor allen Dingen, um andere vor einer Ansteckung zu schützen (Fremdschutz).
Die Datenlage zur Wirksamkeit von Masken ist jedoch weiterhin beschränkt. Klar ist auch, dass Masken sonstige Hygienemaßnahmen keinesfalls ersetzen. Der beste Schutz vor einer Virusübertragung sei weiterhin, konsequent Abstand zu halten, schreibt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte.
Zweite Behauptung: Bis zu 85 Prozent der PCR-Tests seien falsch positiv
Walter Weber behauptet in dem Video zudem, dass der sogenannte PCR-Test, mit denen Personen auf eine Covid-19-Infektion getestet werden, in bis zu 85 Prozent der Fälle falsch positiv sein könne (ab Minute 02:03). Dadurch könne man „jede Pandemie, jeden Hotspot herbeitesten“, wenn man das so wolle, sagt er (Minute 02:20). Auch dieser Behauptung fehlt wichtiger Kontext.
PCR steht für Polymerase-Ketten-Reaktion („polymerase chain reaction“) und wird zur Diagnostik von Infektionskrankheiten eingesetzt. Sogenannte „falsch positive Tests“ sind Tests, die ein positives Ergebnis zeigen, obwohl der Patient gar nicht infiziert ist.
Die Behauptung zu falsch positiven PCR-Tests kursiert seit Monaten in den Sozialen Netzwerken. Auch der Mitgründer der „Ärzte für Aufklärung“, Heiko Schöning, hat die Behauptung verbreitet. CORRECTIV hat dazu bereits einen Faktencheck und einen Hintergrundartikel veröffentlicht. Es stimmt zwar, dass je nach Gegebenheiten die Wahrscheinlichkeit für falsch positive Tests steigt, Webers Aussage ist in ihrer Pauschalität aber irreführend.
Sensitivität und Spezifität der PCR-Tests sind sehr hoch
Allein bezogen auf die Sensitivität und Spezifität der PCR-Tests ist die Behauptung falsch. Sensitivität ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Test Infizierte als infiziert erkennt, und Spezifität die Wahrscheinlichkeit, dass er Gesunde als gesund erkennt. Beide Wahrscheinlichkeiten seien sehr hoch (95 Prozent oder höher), schrieben uns bereits im April drei Uniklinik-Labore unabhängig voneinander.
Ein Ringversuch der Gesellschaft zur Förderung der Qualitätssicherung in medizinischen Laboratorien bestätigt diese Aussagen: Laut einem Zwischenergebnis vom 3. Juni gab es bei dem Versuch im April sowohl bei den positiven als auch den negativen Proben in mehr als 95 Prozent der Fälle korrekte Ergebnisse. Andere Faktoren wie falsche Probenentnahmen wurden in dem Versuch nicht berücksichtigt. Diese könnten wesentlich zur Fehlerquote beitragen, insbesondere zu falsch negativen Ergebnissen.
Die Vortestwahrscheinlichkeit kann eine Fehlerquelle sein
Es gibt jedoch noch eine andere große Fehlerquelle: die Vortestwahrscheinlichkeit. Selbst wenn Corona-PCR-Tests hoch spezifisch und sensitiv sind, können sie je nachdem, wie viel getestet wird und wie viele Menschen infiziert sind, viele falsche Ergebnisse liefern. Die Vortestwahrscheinlichkeit, auch Basisrate oder Prävalenz genannt, bezeichnet die Häufigkeit, mit der eine Krankheit in der Bevölkerung vorkommt. Je nachdem, wie weit verbreitet eine Krankheit in einer zu testenden Gruppe ist, wirken sich falsch positive Ergebnisse unterschiedlich stark aus.
Deutlich wird das anhand einer interaktiven Covid-19-Simulation, die das British Medical Journal auf seiner Webseite eine zur Verfügung stellt. Dort kann jeder ausprobieren, wie sich die Test-Spezifität und Sensivität und die Vortestahrscheinlichkeit auf die Testergebnisse von 100 Personen auswirken. Wir haben bei Spezifität und Sensitivität einmal jeweils 98 Prozent angenommen. Geht man von einer Vortestwahrscheinlichkeit von 50 Prozent (also: die Hälfte der Getesteten ist infiziert) aus, bedeutet ein positiver Test, dass die Person mit 98-prozentiger Wahrscheinlichkeit tatsächlich infiziert ist. Eines der 50 positiven Testergebnissen ist falsch positiv.
Gibt es nur sehr wenige Erkrankte, wirken sich falsch positive Ergebnisse stärker aus
Schraubt man die Vortestwahrscheinlichkeit in der Simulation auf nur ein Prozent herunter (einer von 100 Getesteten ist infiziert), würde es ein korrektes positives Testergebnis geben, aber auch zwei falsch positive Ergebnisse. Es gibt also mehr falsch positive Ergebnisse als tatsächlich positive – trotz der hohen Spezifität und Sensitivität.
Kommt eine Krankheit in einer getesteten Gruppe kaum vor, sinkt also die Wahrscheinlichkeit, bei einem positiven Testergebnis auch tatsächlich infiziert zu sein, extrem. In unserem Rechenbeispiel sinkt sie von 98 Prozent auf 33 Prozent.
Pauschale Aussagen zu einer Fehlerquote von „bis zu 85 Prozent“ sind demnach verkürzt und ohne Kontext irreführend, weil sie suggerieren, der Test sei ungenau. Das ist nicht der Fall, je nach Prävalenz kann der Anteil falsch positiver an den positiven Testergebnissen aber völlig unterschiedlich sein.
Das RKI teilt einmal wöchentlich mit, wie viel getestet wurde und wie viele dieser Tests positiv waren. Diese Quote schwankte seit Anfang des Jahres stark, von neun Prozent in der 14. Kalenderwoche, bis 0,6 Prozent in der 29. Kalenderwoche.
Dritte Behauptung: Bei einer Corona-Impfung würden Menschen „gentechnisch manipuliert“
Eine dritte Behauptung von Walter Weber im Video bezieht sich auf auf einen möglichen Impfstoff gegen Covid-19. Weber sagt, diese Impfung sei „in einem höchstwahrscheinlichen Maße eine neuartige Impfung, also nicht, dass man gegen abgeschwächte Erreger impft, sondern es ist eine gentechnische Manipulation. […] Wir werden dabei gentechnisch manipuliert“ (ab Minute 02:35).
Die Behauptung über Genmanipulation ist falsch. Die Aussage, der zukünftige Covid-19-Impfstoff werde ein neues Impfkonzept verfolgen, ist Spekulation. Ähnliche Gerüchte kursieren seit mehreren Wochen. Wir haben dazu bereits im Juli einen Faktencheck veröffentlicht.
Um welches Impfverfahren geht es?
Weber spielt offenbar auf ein neuartiges Impfverfahren an, zu dem unter anderem mRNA-Impfstoffe gehören. Wir erklären das Verfahren hier anhand dieser mRNA-Impfstoffe.
Wie das Science Media Center und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) erklären, enthalten mRNA-Impfstoffe Teile des Erbmaterials der Viren, genauer gesagt die Baupläne für Proteine oder Proteinabschnitte des Erregers. Die genetische Information des Virus kann demnach durch die Impfung in einige Körperzellen des Geimpften gelangen. Die menschlichen Zellen produzieren dann die entsprechenden Proteine des Erregers. Das Immunsystem reagiert auf diese Proteine und bildet Abwehrstoffe gegen das Virus.
„Während bei vielen herkömmlichen Impfstoffen das Antigen selbst injiziert wird, wird also beim mRNA-Impfstoff die genetische Information gespritzt, sodass der Körper das Antigen selbst bildet“, schreibt das PEI. Es werde zwar an mRNA-Impfstoffen geforscht, aber es sei noch keiner für Menschen zugelassen worden.
Paul-Ehrlich-Institut: „Nein, genetische Manipulation ist nicht möglich“
Werden Menschen bei diesem Verfahren nun „gentechnisch manipuliert“? Das PEI antwortet auf die Anfrage von CORRECTIV per E-Mail: „Nein, eine genetische Manipulation durch Impfstoffe auf der Basis von ungefährlichen Abschnitten des Viruserbmaterials ist nicht möglich.“ Auch das Science Media Center schreibt auf seiner Webseite bezogen auf mRNA-Impfstoffe: „Nach der Impfung besteht keine Gefahr, dass sich die eingeschleuste RNA langfristig in den Zellen manifestiert.“
Zudem sei das Impfkonzept, anders als behauptet, nicht völlig neu; im Humanbereich gebe es erste Ergebnisse aus klinischen Prüfungen mit Tumorimpfstoffen auf RNA-Basis, schreibt das PEI. Der erste zugelassene Impfstoff gegen Ebola sei ein Vektorimpfstoff gewesen – auch bei diesem Impfverfahren wird Genmaterial des Erregers injiziert, als Träger dienen allerdings im Gegensatz zu mRNA-Impfstoffen keine Fetttröpfchen, sondern für den menschlichen Körper harmlose „Trägerviren“. Der Covid-19-Impfstoff aus Russland, der aktuell für Aufsehen sorgt, ist ebenfalls ein solcher Vektorimpfstoff.
Es ist nicht sicher, ob ein solches Verfahren bei Covid-19 zum Einsatz kommen wird
Ob ein solches Impfverfahren das Rennen machen wird, ist, anders als Walter Weber im Video behauptet, noch nicht klar.
Wie ein Überblick der WHO zeigt, befanden sich am 13. August 138 Impfstoff-Kandidaten gegen Covid-19 in der Entwicklung. Bei 29 Impfstoff-Kandidaten liefen bereits klinische Studien an Menschen. Einige davon, wie die RNA- und Vektorimpfstoffe, verfolgen das beschriebene Konzept, bestimmte Gensequenzen zu injizieren, die der menschliche Körper als „Kopiervorlage“ nutzt, um die Antigene zu reproduzieren. Bei anderen Ansätzen, beispielsweise Tot- oder Lebendimpfstoffen, wird der Erreger selbst injiziert. Welcher Impfstoff in Deutschland zugelassen wird, ist noch offen.
Die Aussage, es werde „höchstwahrscheinlich“ ein neuartiges Impfverfahren zum Einsatz kommen, ist demnach unbelegt.
Wer steckt hinter „Ärzte für Aufklärung“?
In den vergangenen Monaten haben die Betreiber der Webseite „Ärzte für Aufklärung“ bereits irreführende Behauptungen zu Impfungen verbreitet, die wir in einem Faktencheck geprüft haben. Vier Hamburger Ärzte bezeichnen sich als Gründer der Gruppierung: Walter Weber, Heiko Schöning, Marc Fiddike und Olav Müller-Liebenau.
Walter Weber ist nach eigenen Angaben auf dem Gebiet der Psychosomatik und Krebstherapie tätig und vertritt eine Theorie, nach der Gesundheit vor allem von der „Harmonie von Körper und Seele“ abhängt. Marc Fiddike ist nach eigenen Angaben Hausarzt und Homöopath, und auch Olav Müller-Liebenau ist laut Einträgen in Ärzte-Datenbanken praktischer Arzt, spezialisiert auf Naturheilverfahren.
Heiko Schöning trat laut Medienberichten auf Demonstrationen von Gegnern der Corona-Maßnahmen auf und stellte das Coronavirus auf seiner Webseite in einen Zusammenhang mit „Bioterror“. In der ungeschnittenen Version der Videokonferenz behauptet Schöning, dass die „Ärzte für Aufklärung“ vor Aufzeichnung des Videos auch an der Anti-Corona-Demo am 1. August in Berlin teilgenommen hätten (ab Minute 00:15 im Originalvideo).