Faktencheck

Nein, Christian Drosten hat 2014 nicht gesagt, dass er PCR-Tests für „untauglich“ halte

Ein altes Interview mit dem Virologen Christian Drosten wird in einem Internet-Blog irreführend interpretiert. Es wird behauptet, Drosten habe erklärt, dass der PCR-Test für Massentestungen nicht geeignet sei. Hier fehlt wesentlicher Kontext. Tatsächlich äußerte Drosten 2014 Kritik am Umgang mit dem MERS-Virus, das er als wesentlich weniger ansteckend einschätzte.

von Sarah Thust

christian drosten
Der Virologe Christian Drosten hat nicht behauptet, dass er PCR-Tests generell für „untauglich“ hält. (Symbolbild: Markus Schreiber/AP POOL/dpa)
Behauptung
Der Virologe Christian Drosten habe PCR Tests 2014 für „untauglich“ gehalten und ihren Einsatz bei Massentestungen kritisiert.
Bewertung
Fehlender Kontext
Über diese Bewertung
Fehlender Kontext. Drosten sagte nicht, PCR-Tests seien „untauglich“ – er kritisierte die Teststrategie 2014 in der MERS-Epidemie. Seine Aussagen lassen sich nicht auf die heutige Coronavirus-Pandemie übertragen.

„Altes Interview aufgetaucht: Drosten hielt PCR Tests für untauglich“: So lautet die Überschrift für einen Text auf der Internetseite Info-Direkt. Der Text wurde am 2. Oktober veröffentlicht und bisher laut dem Analysetool Crowdtangle mehr als 3.500 Mal auf Facebook geteilt. Die Überschrift ist allerdings irreführend.

In dem Text von Info-Direkt geht es um den Virologen Christian Drosten, der an der Entwicklung von PCR-Tests auf das neuartige Coronavirus mitgearbeitet hat. Der Artikel  zitiert mehrere Sätze von Drosten aus einem Interview mit der Wirtschaftswoche aus dem Jahr 2014, in dem er gesagt haben soll, der PCR-Test sei „für Massentestungen nicht wirklich geeignet“.

Unsere Recherche ergab: Das genannte Interview mit dem Virologen Christian Drosten gab es. Drosten hat darin aber nicht gesagt, dass PCR-Tests für Massentestungen nicht geeignet oder „untauglich“ seien. 

Christian Drosten hat nicht gesagt, er halte PCR-Tests für „untauglich“

Was in der Überschrift und im ersten Absatz des Textes von Info-Direkt steht hat Drosten so nie gesagt. Es handelt sich dabei um Interpretationen durch den Autor des Artikels, der zudem wesentlichen Kontext weglässt. 

Drosten kritisierte in dem Interview die Art, wie PCR-Tests während der MERS-Epidemie auf der arabischen Halbinsel eingesetzt wurden. 

Die Abkürzung MERS steht für „Middle East Respiratory Syndrome“ oder „Atemwegssyndrom aus dem Mittleren Osten“. Es handelt sich um eine Lungenkrankheit, die durch ein Coronavirus ausgelöst wird. Die ersten Fälle wurden 2012 beschrieben. Die WHO schreibt auf ihrer Webseite, es seien seitdem Fälle in 27 Ländern aufgetreten, 858 Menschen seien an der Krankheit gestorben. Insgesamt gab es Stand September 2019 weltweit 2.468 laborbestätigte Fälle.

Info-Direkt erwähnt nicht, dass Drosten in dem Interview mit der Wirtschaftswoche sagte, er halte die Chancen, dass das MERS-Virus eine Pandemie auslöse, für gering. Das Virus verhalte sich anders als das erste SARS-Virus, das 2003 in Asien identifiziert worden war. Die Infektionsketten bei MERS seien kurz und Menschen steckten sich bei Tieren an, so Drosten. 

Über SARS-CoV-2 spricht Drosten anders, weil er schon früh das Risiko für eine Pandemie sah 

Bei der aktuellen SARS-CoV-2-Pandemie liegen die Dinge anders. Hier sagte Drosten schon früh, das Virus ähnele SARS und es bestehe das Risiko einer Pandemie (zum Beispiel am 13. Februar im Deutschlandfunk oder Ende Februar bei einer Veranstaltung in Berlin). Das Ärzteblatt zitierte Drosten am 21. Februar mit den Worten, man sehe hier eine „Pandemie in den Kinderschuhen“.  

Bei Info-Direkt wird zudem behauptet, Drostens Aussagen von damals würden sich mit den aktuellen Aussagen des Infektionsepidemiologen Sucharit Bhakdi über SARS-CoV-2 decken. Bhakdi behauptete unter anderem, das neuartige Coronavirus sei nicht gefährlicher als ein Grippevirus. Neben dieser sind viele weitere Aussagen Bhakdis zur aktuellen Corona-Pandemie jedoch irreführend oder unbelegt, wie CORRECTIV hier berichtete

Die angebliche Übereinstimmung Drostens und Bhakdis soll mit diesem Zitat von Drosten aus dem Interview von 2014 belegt werden: „Was zunächst interessiert, sind die echten Fälle. Ob symptomlose oder mild infizierte Krankenhausmitarbeiter wirklich Virusträger sind, halte ich für fraglich. Noch fraglicher ist, ob sie das Virus an andere weitergeben können. Das Beraterteam des neuen Gesundheitsministers sollte stärker zwischen medizinisch notwendiger Diagnostik und wissenschaftlichem Interesse unterscheiden.“

Drosten kritisierte: Ärzte in Dschidda handelten gegen das damalige Testschema während der MERS-Epidemie

Bei dem Zitat fehlt allerdings der erste Satz – und der ordnet seine Aussage ein: „Es wäre sehr hilfreich, wenn die Behörden in Saudi-Arabien wieder dazu übergehen würden, die bisherige Definitionen der Krankheit einzuhalten.“ 

Drosten sagte, es habe damals ein striktes Schema gegeben, das festlegte, welcher Patient als MERS-Fall der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gemeldet werden sollte. Demnach musste zum Beispiel beim Patienten eine Lungenentzündung vorliegen, bei der beide Lungenflügel betroffen waren. Doch in Dschidda hätten die dortigen Ärzte Ende März 2014 „plötzlich“ alle Patienten und das Krankenhauspersonal auf den Erreger getestet – mit der Polymerase-Kettenreaktion (PCR). Daraufhin stiegen die Infektionszahlen, weil auch milde oder asymptomatische Fälle einbezogen wurden. 

PCR steht für Polymerase-Ketten-Reaktion. Mit diesem Verfahren werden im Labor ganz bestimmte Sequenzen des Erbguts von SARS-CoV-2 vervielfältigt, um sie nachweisen zu können. Die Proben dafür werden mit einem Abstrich (meist durch die Nase im Rachen eines Menschen) entnommen und untersucht. Ein PCR-Testergebnis ist der Nachweis einer Infektion – es bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Person ansteckend oder krank ist.

In Bezug auf Dschidda in Saudi-Arabien verweist Drosten auf diese Tatsache (das zitiert Info-Direkt): „Die Methode ist so empfindlich, dass sie ein einzelnes Erbmolekül dieses Virus nachweisen kann. […] Wo zuvor Todkranke gemeldet wurden, sind nun plötzlich milde Fälle und Menschen, die eigentlich kerngesund sind, in der Meldestatistik enthalten. Auch so ließe sich die Explosion der Fallzahlen in Saudi-Arabien erklären.“

Drosten betonte auch im Februar 2020, asymptomatische Personen massenhaft zu testen, sei nicht sinnvoll

Christian Drostens Aussagen zur aktuellen Corona-Pandemie stehen nicht im Widerspruch zu 2014. Er hat in seinem Podcast mit dem NDR immer wieder auch über PCR-Tests gesprochen. Dabei sagte er selbst am 28. Februar 2020, es sei „Unsinn“, asymptomatische Patienten in der breiten Bevölkerung zu testen: „Wir handeln uns große Probleme ein, wenn wir anfangen, asymptomatische Personen ohne eine ganz klare Kontakt-Anamnese mit Labortests zu versorgen. Das heißt: Ich habe mit einem bestätigten Fall in seiner infektiösen Zeit Kontakt gehabt für ausreichende Zeit. Also zum Beispiel, eine Viertelstunde habe ich mich mit dem unterhalten. Dann bin ich ein Kontakt-Fall. Und dann kann man mich auch asymptomatisch testen. Dann fängt es an, Sinn zu machen.“

Zudem wies Drosten damals auf das Problem möglicher falsch positiver Ergebnisse hin. Er betonte auch, Labor-Kapazitäten müssten geschont werden.  

Die Zahl der falsch-positiven Ergebnisse ist in der Praxis allerdings sehr niedrig, wie die Virologin Sandra Ciesek ebenfalls im NDR-Podcast mit einer Studie belegte. Sie sagte am 17. November 2020: „Also, wir haben über 13.000 PCRs gemacht für diese Studie. Und haben zwei positive Ergebnisse mitgeteilt. Es wird immer behauptet, dass alle PCRs falsch seien oder so viel falsch positive Befunde bringen würden. Das kann ich mit dieser Studie ausschließen.“ (Mehr über falsch-positive Tests lesen Sie hier.)

Nein, der PCR-Test kreuzreagiert nicht mit vielen anderen Viren

Info-Direkt verlinkte zudem einen eigenen Text als Quelle mit der Behauptung, Drosten habe zu Beginn der Corona-Pandemie erklärt, dass es beim Test „auf jeden Fall“ zu Kreuzreaktionen mit anderen Viren käme. Das ist irreführend. 

Als Quelle diente hier offenbar wiederum ein Zitat von Drosten aus der Folge des NDR-Podcasts vom 18. März. Wenn man sich dieses komplett anhört, wird jedoch deutlich, dass Drosten Kreuzreaktionen des Tests auf SARS-CoV-2 mit anderen menschlichen Coronaviren ausschließt. 

Er sagte: „Es stimmt, aber das ist natürlich eine vollkommen irreführende Information, rein theoretisch würde dieser Test gegen das alte SARS-Coronavirus reagieren. Das gibt es aber seit 16 Jahren nicht mehr beim Menschen. Und rein theoretisch würde dieser Test auch gegen eine ganze Reihe von Fledermaus-Coronaviren reagieren, aber die gibt es auch nicht beim Menschen. Und genauso ist es zum Beispiel, wenn wir uns jetzt andere Erkältungs-Coronavirus-Teste anschauen. Es gibt zum Beispiel ein Coronavirus beim Menschen, ein Erkältungs-Coronavirus, da würde der Test auf jeden Fall auch kreuzreagieren, gegen ein Coronavirus des Rindes, das beim Rind Durchfall macht, diese Viren sind sehr ähnlich. Und noch ein anderes, das würde kreuzreagieren gegen ein Coronavirus des Kamels. Und damit meine ich nicht das MERS-Virus, sondern ein anderes unserer normalen Erkältungsviren. Aber das hat mit der medizinischen Diagnostik und der Wertigkeit der Daten für die Epidemiologie überhaupt keine Bewandtnis. Wir testen mit diesem Test nur das neue Coronavirus beim Menschen. Wenn wir eine Patientenprobe testen und Date [sic] ist positiv, dann ist es dieses neue Coronavirus und auf gar keinen Fall eins der bekannten anderen Coronaviren.“ (NDR-Podcast Folge 16, Transkript Seite 3).

Drosten sprach also nicht von einer großen Anzahl Viren, die bei aktuellen PCR-Tests auf SARS-CoV-2 für Kreuzreaktionen infrage kämen, sondern eigentlich nur von einem: dem ersten SARS-Virus, das seit 16 Jahren nicht mehr bei einem Menschen nachgewiesen wurde. Andere Erkältungs-Coronaviren, die Menschen befallen, seien wiederum enger verwandt mit anderen tierischen Coronaviren, sodass es dort Überschneidungen geben könne. Das betrifft aber nicht die aktuell verwendeten PCR-Tests. (Mehr über Kreuzreaktionen lesen Sie hier.) 

Fazit: Drostens Aussagen über PCR-Tests von 2014 bezogen sich auf das Virus MERS-CoV, das sich wesentlich vom neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 unterscheidet. Er kritisierte, dass sich Ärzte in Saudi-Arabien nicht an das damalige WHO-Testschema während der MERS-Epidemie hielten. Drosten schätzte die Gefahr einer weltweiten MERS-Pandemie damals als gering ein, und rückblickend lag er damit richtig. 

Redigatur: Alice Echtermann, Uschi Jonas

Die wichtigsten öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Interview mit Christian Drosten, Wirtschaftswoche (16. Mai 2014): Link
  • WHO zu SARS: Link
  • WHO zu MERS: Link
  • Drosten-Podcast (28. Februar 2020): Link