Faktencheck

Großbritannien: Nein, es sind nicht mehr Menschen an der Impfung gestorben als an Covid-19

Ein Blog-Artikel verbreitet irreführende Behauptungen über Impfungen gegen Covid-19 in England und Schottland. Dabei wird die Statistik der Covid-19-Todesfälle künstlich klein gerechnet und eine falsche, viel zu hohe Zahl von Todesfällen durch Impfungen angegeben. 

von Alice Echtermann

Symbolbild Impfungen Covid-19
In Großbritannien sind bereits rund 50 Prozent der Menschen vollständig geimpft (Foto: Picture Alliance / Zumapress.com / Dinendra Haria)
Behauptung
Offizielle Daten aus Großbritannien zeigten, dass in sechs Monaten mehr Menschen an der Impfung gestorben seien als in 15 Monaten an Covid-19.
Bewertung
Falsch. Die Statistik zeigt das nicht. Es werden falsche Schlussfolgerungen aus den Daten gezogen. 

In einem Artikel der Webseite „Schildverlag“ wird behauptet, in sechs Monaten seien in Großbritannien mehr Menschen an der Impfung gegen Covid-19 gestorben, als an Covid-19 selbst. Als Quelle werden „offizielle Daten“ des National Health Service (NHS) und Public Health Scotland genannt. Der Artikel wurde auf Telegram tausendfach angesehen und auch Facebook verbreitet. 

Die Behauptung stammt ursprünglich von der englischen Seite The Daily Expose, deren Argumentation „Schildverlag“ eins zu eins übernommen hat. The Daily Expose hat laut verschiedener internationaler Faktencheck-Organisationen schon häufiger Falschinformationen über die Corona-Impfungen verbreitet. Auch in diesem Fall stimmt die Behauptung nicht. 

The Daily Expose zitiert Anzahl der Verstorbenen ohne Vorerkrankungen

Als Quelle für die Behauptungen bei The Daily Expose dienen Daten aus einer Excel-Datei (Download) vom 3. Juni, die auf der Webseite des NHS zu finden ist. Sie zeigen, dass bis zum 2. Juni insgesamt 87.213 Menschen in Krankenhäusern in England starben, die zuvor positiv auf Covid-19 getestet wurden. Diese seien jedoch angeblich „alle an anderen schweren Vorerkrankungen gestorben“, behauptet The Daily Expose. Laut NHS seien tatsächlich nur 3.589 Menschen wirklich an Covid-19 gestorben. 

Das ist falsch. Tatsächlich ist 3.589 lediglich die Zahl der Covid-19-Todesfälle, bei denen die Menschen gar keine Vorerkrankungen hatten; das heißt aber nicht, dass sie nicht trotzdem an Covid-19 gestorben sein können. 

Auch bei vorerkrankten Menschen kann Covid-19 die Todesursache sein

Nur weil ein Mensch eine Vorerkrankung hatte, heißt das nicht, dass er oder sie nicht an Covid-19 gestorben sein kann. Diese Fehlinterpretation haben wir bereits in anderen Faktenchecks (hier und hier) thematisiert. 

Screenshot aus dem Bericht über Covid-19-Todesfälle in Großbritannien
Auszug aus dem wöchentlichen Bericht „Covid-19 total announced deaths 3 June 2021“ (Quelle: NHS / Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Die häufigsten Vorerkrankungen unter den Todesfällen in England – das wird aus einem anderen Tabellenblatt derselben Excel-Datei deutlich – waren Diabetes, chronische Nierenerkrankungen, Demenz, chronische Lungenerkrankungen, Herzkrankheiten und Asthma. Auch neurologische Störungen und Rheuma listet der NHS auf. Laut Robert-Koch-Institut können solche Krankheiten das Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19 erhöhen. 

Auch in Bezug auf die Todesfälle in Schottland geht The Daily Expose so vor: Es wird behauptet, es seien bis Januar 2021 nur 596 Menschen an Covid-19 gestorben, da diese Personen keinerlei Vorerkrankungen hatten.

Es kann natürlich sein, dass bei einem schwer vorerkrankten Menschen die Infektion mit dem Coronavirus nicht todesursächlich ist. Diese Fälle machen jedoch nicht die Mehrheit aus. Für Studien wurden in Deutschland schon mehrfach Verstorbene obduziert, zum Beispiel am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Dort wurde bei nur sieben Prozent festgestellt, dass sie nicht an Covid-19 gestorben seien. Auch eine Studie der Berliner Charité untersuchte 26 Verstorbene und kam zu dem Schluss, dass die Mehrheit wirklich an Covid-19 starb. 

Falsche Zahlen zu angeblichen Todesfällen durch Impfungen in Schottland 

Die zu niedrig angesetzten Todeszahlen vergleicht The Daily Expose mit der Zahl der Menschen, die in Schottland laut einem offiziellen Bericht von Public Health Scotland innerhalb von 28 Tagen nach einer Impfung gegen Covid-19 gestorben sind. Das waren zwischen dem 8. Dezember 2020 und 28. Mai 2021 insgesamt 3.752 Personen. 

The Daily Expose schreibt, dies sei die Zahl der Menschen, die in Schottland „aufgrund des Covid-Impfstoffes“ gestorben seien. Die Seite sieht es offenbar als erwiesen an, dass die Impfung die Todesursache war. Dafür gibt es jedoch keine Belege. 

Die schottische Gesundheitsbehörde Public Health Scotland schreibt in dem betreffenden Bericht von Anfang Juni 2021 ausdrücklich: „Die Analyse beinhaltet alle erfassten Todesfälle durch alle Todesursachen und bezieht sich nicht auf Todesfälle, die durch die Impfung selbst verursacht wurden.“ 

Anhand der Alters- und Geschlechtsverteilung der geimpften Population seien statistisch in dem Zeitraum rund 8.500 Todesfälle zu erwarten gewesen. Die beobachtete Zahl der Todesfälle nach Impfungen liege deutlich darunter. Zudem steht in dem Bericht, dass die Behörden keine Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Impfungen und Todesfällen gefunden hätten, mit Ausnahme der sehr seltenen Fälle von Thrombosen in Verbindung mit Blutplättchenmangel. 

Statistikbehörde Schottlands: Drei Todesfälle durch Impfungen bei mehr als 2,8 Millionen Geimpften

Im Mai 2021 berichtete die Statistikbehörde National Records of Scotland von drei Todesfällen durch Nebenwirkungen einer Covid-19-Impfung bis zum 16. Mai – unter 2,81 Millionen Menschen, die bis zum 30. April in Schottland bereits mindestens einmal geimpft wurden. 

Die Behauptungen bei The Daily Expose und der Seite „Schildverlag“ ist also falsch. Es sind in Großbritannien nicht mehr Menschen an der Covid-19-Impfung gestorben als an Covid-19. Der Vergleich durch The Daily Expose offenbart zudem eine verdrehte Logik: Während ein Todesfall 28 Tage nach einer Impfung als sicheres Zeichen dafür interpretiert wird, dass die Impfung tödlich gewesen sei, wird ein solcher Zusammenhang beim Tod 28 Tage nach einer nachgewiesenen Corona-Infektion kategorisch ausgeschlossen. 

Redigatur: Matthias Bau, Till Eckert

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Statistik-Bericht von Public Health Scotland mit der Zahl der Todesfälle, die 28 Tage nach Impfungen dokumentiert wurden (9. Juni 2021): Link
  • Anzahl der Menschen in Schottland, die bis Januar 2021 ohne Vorerkrankungen an Covid-19 starben (11. März 2021): Link
  • Excel-Tabelle des National Health Service zu Covid-19-Todesfällen mit Vorerkrankungen (3. Juni 2021): Link (Download Excel-Datei)
  • Bericht National Records of Scotland zu Todesfällen im Zusammenhang mit Covid-19 und Impfungen (19. Mai 2021): Link