Faktencheck

Nein, zugelassene Covid-19-Impfstoffe enthalten kein Graphenoxid

Die Behauptung, Covid-19-Impfstoffe enthielten Graphenoxid, führt in die Irre. Die zugelassenen Impfstoffe wurden überprüft; sie enthalten diesen Stoff nicht.

von Uschi Jonas

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Im Netz kursiert die Behauptung, Covid-19-Impfstoffe enthielten den Stoff Graphenoxid. Dafür gibt es keine Belege. (Symbolbild: Unsplash / Mat Napo)
Behauptung
Covid-19-Impfstoffe enthielten Graphenoxid.
Bewertung
Größtenteils falsch
Über diese Bewertung
Größtenteils falsch. Laut Impfstoffherstellern, dem Paul-Ehrlich-Institut und der europäischen Arzneimittelbehörde ist in den zugelassenen Covid-19-Impfstoffen kein Graphenoxid enthalten. Der Einsatz dieses Stoffes im medizinischen Bereich wird derzeit lediglich erforscht.

In Artikeln auf mehreren deutschsprachigen Blogs wird behauptet, Corona-Impfstoffe enthielten einen Stoff namens „Graphenoxid“. Die Behauptung findet sich zum Beispiel bei Nichtimpfen.de, Uncut-News und Freie-Medien.tv, sowie in einem Video auf Bitchute. Als angebliche Belege werden zwei Quellen genannt: Aussagen einer angeblichen ehemaligen Pfizer-Mitarbeiterin namens Karen Kingston und eine Untersuchung aus Spanien.

Doch die genannten Quellen belegen die Behauptung nicht. Das in Deutschland für die Zulassung von Impfstoffen zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI), die europäische Arzneimittelbehörde (EMA) und die Impfstoffhersteller Astrazeneca und Biontech/Pfizer widersprechen. Sie alle sagen, in den zugelassenen Covid-19-Impfstoffen sei kein Graphenoxid enthalten.

Graphenoxid ist ein Stoff, der bei der Oxidation von Graphen (einem Material aus Kohlenstoff-Verbindungen) entsteht. Es gilt als sehr reißfest und leitfähig. In der Industrie wird Graphenoxid zum Beispiel im Bereich der Elektronik oder der Energiegewinnung, aber auch in der Messtechnik oder Biomedizin eingesetzt. 

Graphenoxid ist kein Inhaltsstoff der Covid-19-Impfstoffe von Biontech/Pfizer, Moderna, Astrazenca oder Johnson & Johnson

Wir haben zunächst recherchiert, ob Graphenoxid in den öffentlich zugänglichen Listen der Inhaltsstoffe der vier aktuell in Deutschland zugelassenen Covid-19-Impfstoffe auftaucht. Weder beim Impfstoff von Biontech/Pfizer, noch bei Moderna, Astrazeneca oder Johnson & Johnson ist dies der Fall. Auf unsere Nachfrage bestätigten uns auch die Pressestellen von Pfizer und Astrazeneca, dass Graphenoxid kein Bestandteil ihrer Covid-19-Impfstoffe sei. 

Wir fragten außerdem beim Paul-Ehrlich-Institut (PEI) nach. Pressesprecherin Susanne Stöcker teilte uns mit: „Graphen / Graphenoxid wird weder in der Herstellung von Covid-19-Impfstoffen noch in der Herstellung anderer in der EU beziehungsweise in Deutschland zugelassener Impfstoffe als Hilfsstoff eingesetzt.“ 

Behörden haben keine Hinweise auf Graphenoxid in Corona-Impfstoffen

Dem PEI seien auch keine wissenschaftlich belegten oder haltbaren Informationen bekannt, die auf das Vorkommen dieser Substanz in Impfstoffen hinweisen würden. Zudem gebe es beim PEI auch keine Kenntnisse darüber, welchen „potenziellen Nutzen der Zusatz von Graphen bei Impfstoffen haben sollte“. 

Auch eine Pressesprecherin der europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) schrieb uns: „Die EMA hat weder bei ihren Bewertungen noch bei laufenden Tests glaubwürdige Hinweise darauf gefunden, dass ein Covid-19-Impfstoff Graphenoxid enthält.“ Graphenoxid sei generell kein anerkannter Hilfsstoff in Arzneimitteln. Die Qualität der zugelassenen Impfstoffe sei „in zufriedenstellender Weise“ festgestellt worden und „wird gemäß den EU-Rechtsvorschriften kontinuierlich und sorgfältig überwacht“.

Karen Kingston stellt Behauptungen über Impfungen auf

Als eine Quelle für die Behauptung dient eine Aussage einer angeblichen ehemaligen Pfizer-Mitarbeiterin namens Karen Kingston. Sie bezeichnet sich als Analystin in der Pharma- und Medizinprodukte-Industrie. 

Auf die Frage, ob Kingston eine ehemalige Mitarbeiterin sei, erhielten wir keine Antwort von Pfizer. Auch über eine Internetrecherche fanden wir dafür keine Hinweise – außer den Angaben auf ihrer Webseite und auf ihrem Linkedin-Profil, wo sie schreibt, für Pfizer als Außendienstmitarbeiterin tätig gewesen zu sein.

Kingston sagte am 28. Juli in der US-amerikanischen Sendung „Stew Peters Show“, sie habe „unwiderlegbare“ Informationen, dass die Covid-19-Impfstoffe Graphenoxid enthielten (im Video ab Minute 2:43). Diese Tatsache sei ein „Geschäftsgeheimnis“ und deshalb auch nicht direkt in öffentlich zugänglichen Dokumenten zu finden (im Video ab Minute 3:31). Wir haben uns deshalb die Quellen, mit denen sie ihre Aussagen untermauern will, genauer angeschaut.

Stew Peters und Karen Kingston
Stew Peters und Karen Kingston verbreiten irreführende Informationen rund um Graphenoxid und Covid-19-Impfstoffe (Quelle: Stew Peters Show/ Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Patent hat nichts mit den zugelassenen Covid-19-Impfstoffen zu tun

Zunächst wird im Video ein Patent eingeblendet, das belegen soll, dass im Covid-19-Impfstoff von Moderna Graphenoxid enthalten sei (im Video ab Minute 3:00). Doch die Patent-Anmeldung vom Shanghai National Engineering Research Center for Nanotechnology hat nichts mit Moderna oder einem anderen zugelassenen Covid-19-Impfstoff zu tun. 

Das Forschungszentrum gehört zur Jiao Tong University in Shanghai. Es veröffentlichte im Oktober 2020 erste Ergebnisse seiner Forschung an Impfstoffkandidaten, die Graphenoxid enthalten. Diese wurden jedoch nur in Tierversuchen an Mäusen getestet.

Patent
Kingston nutzt dieses Patent als angeblichen Nachweis, dass der Covid-19-Impfstoff von Moderna Graphenoxid enthalte. Doch das Patent hat nichts mit Moderna oder einem anderen zugelassenen Impfstoff zu tun (Quelle: Stew Peters Show / Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Chinesisches Unternehmen Sinopeg und Pfizer widersprechen Behauptungen zu Graphenoxid

Kingston erzählt weiterhin in dem Video, sie habe herausgefunden, dass Pfizer einige Inhaltsstoffe für seinen Covid-19-Impfstoff von dem chinesischen Unternehmen Sinopeg beziehe, das sich ebenfalls mit der Verwendung von Graphenoxid in Impfstoffen befasse (im Video ab Minute 7:28). 

Sinopeg ist ein Unternehmen in China, das sich eigenen Angaben zufolge auf Verabreichungssysteme von Arzneimitteln spezialisiert hat und in der Forschung und Entwicklung von Biopharmazeutika und Medizinprodukten tätig ist. 

Wir haben die Internetseite des Unternehmens mit Google nach dem englischen Begriff „graphene oxide“ durchsucht. Der einzige Treffer führte zu einem Artikel von September 2020. Sinopeg verwies darin auf eine Studie, in der Graphen erwähnt wird. Darin geht es allerdings nicht um Impfstoffe, sondern um das Speichern von Energie beziehungsweise Wärme mithilfe von Graphen beziehungsweise Graphenoxid. 

Auf eine Anfrage der Nachrichtenagentur Reuters antwortete Sinopeg, es gebe keinen Zusammenhang zwischen dem Graphen, das in der Studie erwähnt wird, und Covid-19-Impfstoffen. Eine Sprecherin von Pfizer erklärte gegenüber Reuters zudem, dass keine Inhaltsstoffe von Sinopeg im Covid-19-Impfstoff des Unternehmens verwendet würden.

Graphenoxid wird als potenzieller Bestandteil von Impfstoffen erforscht

An Graphenoxid wird also im Zusammenhang mit Impfungen geforscht, zum Beispiel als potenzieller Trägerstoff oder im Zusammenhang mit der Krebsforschung. Wir fanden jedoch nichts, was mit den zugelassenen Corona-Impfstoffen zu tun hätte. 

Gegenüber der AFP erklärte auch Hong Byung-hee, ein Experte für Nanotechnologie an der National University in Seoul, dass Graphenoxid auf seine Anwendbarkeit bei Impfstoffen erforscht werde. Diese Forschungen seien aber noch in der „experimentellen Phase“.

Kingston behauptet weiter (im Video ab Minute 11:49): Ein Unternehmen namens Shanghai Nanotech habe ein Patent auf Graphenoxid für die Verwendung in „Covid-19-Hilfsstoffen“ angemeldet. Hilfsstoffe dienen der Herstellung von Arzneimitteln oder der Regelung ihrer Wirkung.

Es existiert ein Unternehmen mit dem Namen Shanghai Huzheng Nano Technology Co. in China. Auf ihrer Webseite finden sich zwar zahlreiche Produkte mit Graphen, darunter jedoch keine Impfstoffe. Wir konnten auch kein Patent dieser Firma für Impfstoffe mit Graphen finden

„Stew Peters Show“ verbreitete bereits Falschinformation über „magnetische“ Impfungen

Die Behauptung über Graphenoxid in Impfstoffen kursierte international. Im Interview mit der „Stew Peters Show“ behauptet Kingston mehrfach, der Grund für die Verwendung dieses Stoffes sei, dass er gut leitet und sich „mit dem Internet verbinden“ könne (im Video ab Minute 10:58). Sie behauptet außerdem, der Stoff sei giftig.

Die Sendung „Stew Peters Show hat in der Vergangenheit laut Faktenchecks der AFP oder von USA Today bereits eine ähnliche falsche Behauptung verbreitet. So hieß es dort, Corona-Impfungen enthielten magnetische Partikel.

Angebliche Studie zu Graphenoxid aus Spanien: Universität Almería distanziert sich von Veröffentlichung 

Neben den Aussagen von Kingston wird in den deutschen Blog-Artikeln eine angebliche Studie aus Spanien als Quelle erwähnt. In dem Dokument beschreibt ein Mann namens Pablo Campra Madrid, er sei Professor an der Universität Almería in Spanien, seine Fachgebiete seien Chemie und Biologie und er habe in einer Probe des Covid-19-Impfstoffes von Pfizer/Biontech unter dem Mikroskop Graphenoxid entdeckt. 

Campra Madrid ist Professor an der Universität Almería, allerdings am Institut für Landwirtschaftswissenschaften. Am 2. Juli distanzierte sich die Universität in einer Stellungnahme von der Veröffentlichung und erklärte, es sei „schlicht falsch“, dass die Universität eine Studie mit diesen Ergebnissen durchgeführt habe. Zudem sei nicht rückverfolgbar, woher die Probe stamme. 

Die europäische Arzneimittelbehörde (EMA) äußerte sich dazu ebenfalls in der E-Mail an uns. Der Bericht von Campra Madrid habe „vorläufige Beobachtungen einer einzelnen Probe unbekannter Herkunft“ enthalten. Die Herkunft der Probe sei jedoch nicht nachvollziehbar. Auch sei die „vorläufige Feststellung“, dass es sich bei den in der Probe identifizierten Partikeln um Graphenoxid handele, nicht wissenschaftlich, sondern mit dem Vergleich von Fotos durchgeführt worden.

Auch Health Feedback, ein Zusammenschluss von Forschenden, der medizinische Veröffentlichungen prüft, kritisierte die Vorgehensweise der vermeintlichen Studie.

Fazit: Behauptungen über Graphenoxid führen in die Irre

Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass in den aktuell zugelassenen Impfstoffen Graphenoxid enthalten ist. Sowohl die Hersteller selbst, als auch Behörden, die für die Überprüfung und Zulassung der Impfstoffe zuständig sind, widersprechen. Keine der angeführten Quellen belegt, was Kingston behauptet. 

Zu diesem Ergebnis kamen auch zahlreiche andere internationale Faktencheck-Redaktionen, zum Beispiel vom Poynter Institute, von der AFP, von Reuters und Fullfact.

Richtig ist, dass an Graphenoxid als Bestandteil von Impfstoffen geforscht wird. Diese Forschung ist jedoch noch in der Anfangsphase. Experten der Organisation Health Desk erklärten in einem Artikel Anfang August, die Forschung deute darauf hin, dass die geringe Menge Graphenoxid, die in Impfstoffen eingesetzt werden könnte, nicht gesundheitsschädlich sei. 

Redigatur: Sarah Thust, Alice Echtermann

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Liste Inhaltsstoffe des Covid-19-Impfstoffes von Pfizer/Biontech: Link
  • Liste Inhaltsstoffe des Covid-19-Impfstoffes von Astrazeneca: Link
  • Liste Inhaltsstoffe des Covid-19-Impfstoffes von Moderna: Link
  • Liste Inhaltsstoffe des Covid-19-Impfstoffes von Johnson & Johnson: Link
  • Stellungnahme der Universität Almeria: Link (Spanisch)