Aussagen von Christian Drosten 2014 zur MERS-Epidemie lassen sich nicht auf Corona-Pandemie übertragen
Seit Monaten kursiert im Netz ein Interview mit dem Virologen Christian Drosten aus dem Jahr 2014. Aktuell wird auf Facebook behauptet, dieses Interview belege, dass PCR-Tests während der Corona-Pandemie die „Zahlen“ hochtreiben würden. Drosten sprach in dem damaligen Interview aber über die MERS-Epidemie in Saudi-Arabien, bei der er kein Risiko für eine Pandemie sah.
Auf der Facebook-Seite „Du entscheidest über Dein Leben“ wurde am 25. August ein Bild geteilt, das ein altes Zitat von dem Virologen Christian Drosten zeigt. Er habe 2014 gesagt, PCR-Tests würden die „Zahlen“ der MERS-Infektionen in Saudi-Arabien hochtreiben, weil sie auch Gesunde erfassen. In dem Beitrag, der mehr als 2.400 Mal geteilt wurde, wird erklärt, dass Drosten sich damals im Zuge der MERS-Epidemie so äußerte. Seine Aussage wird dann auf die aktuelle Corona-Pandemie bezogen: „Genau das erleben wir seit eineinhalb Jahren auf der gesamten Welt“, heißt es.
Zu dem Zitat des Virologen fehlt jedoch Kontext – bei der MERS-Epidemie 2014 waren die Rahmenbedingungen ganz andere, Drostens Aussagen von damals sind nicht auf die Corona-Pandemie übertragbar. Wir haben eine ähnliche Behauptung bereits im November 2020 überprüft.
Richtig ist: Christian Drosten war an der Entwicklung einer PCR-Testmethode auf das neuartige Coronavirus Anfang 2020 beteiligt, und die von ihm zitierte Aussage stammt aus einem Interview der Wirtschaftswoche, das am 16. Mai 2014 veröffentlicht wurde. Es ist aber irreführend zu behaupten, dass „wir seit eineinhalb Jahren auf der gesamten Welt“ erleben würden, wie PCR-Tests „die Zahlen“ hochtreiben.
Drosten kritisierte in dem Interview die Art, wie PCR-Tests während der MERS-Epidemie auf der arabischen Halbinsel eingesetzt wurden.
Die Abkürzung MERS steht für „Middle East Respiratory Syndrome“ oder „Atemwegssyndrom aus dem Mittleren Osten“. Es handelt sich um eine Lungenkrankheit, die durch ein Coronavirus ausgelöst wird. Die ersten Fälle wurden 2012 beschrieben. Die WHO schreibt auf ihrer Webseite, es seien seitdem Fälle in 27 Ländern aufgetreten, 858 Menschen seien an der Krankheit gestorben. Insgesamt gab es Stand September 2019 weltweit 2.468 laborbestätigte Fälle.
Bei MERS sah Christian Drosten kein Risiko für eine Pandemie, bei SARS-CoV-2 dagegen schon
Die Facebook-Seite „Du entscheidest über Dein Leben“ erwähnt nicht, dass Drosten in dem Interview mit der Wirtschaftswoche sagte, er halte die Chancen, dass das MERS-Virus eine Pandemie auslöse, für gering. Das Virus verhalte sich anders als das erste SARS-Virus, das 2003 in Asien identifiziert worden war. Die Infektionsketten bei MERS seien kurz und Menschen steckten sich bei Tieren an, so Drosten.
Bei der aktuellen SARS-CoV-2-Pandemie liegen die Dinge anders. Hier sagte Drosten schon früh, das Virus ähnele SARS und es bestehe das Risiko einer Pandemie (zum Beispiel am 13. Februar im Deutschlandfunk oder Ende Februar bei einer Veranstaltung in Berlin). Das Ärzteblatt zitierte Drosten am 21. Februar mit den Worten, man sehe hier eine „Pandemie in den Kinderschuhen“.
Der entscheidende Unterschied ist, dass sich das Coronavirus sehr leicht von Mensch zu Mensch überträgt.
Tests dienten während der Corona-Pandemie zur Eindämmung des Virus
PCR steht für Polymerase-Ketten-Reaktion. Mit diesem Verfahren werden im Labor ganz bestimmte Sequenzen des Erbguts von SARS-CoV-2 vervielfältigt, um sie nachweisen zu können. Die Proben dafür werden mit einem Abstrich (meist durch die Nase im Rachen eines Menschen) entnommen und untersucht. Ein PCR-Testergebnis ist der Nachweis einer Infektion – es bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Person zum Zeitpunkt des Tests ansteckend oder krank ist. Es bedeutet aber, dass sie potenziell ansteckend war – oder es noch werden wird.
Es stimmt, dass ein PCR-Test so empfindlich ist, dass er das Erbgut des Virus auch dann nachweisen kann, wenn die infizierte Person keine Symptome hat oder schon wieder genesen ist. Während der Corona-Pandemie ging es aber vor allem darum, die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Deshalb wurden PCR-Tests und später auch Antigen-Schnelltests in großer Zahl eingesetzt, um Infizierte zu erkennen und isolieren zu können.
Doch auch bei der Corona-Pandemie gilt: PCR-Tests werden nicht wahllos durchgeführt, sondern vorrangig bei Menschen mit Symptomen oder Kontakt zu einer infizierten Person.
Laut Christian Drosten handelten Ärzte in Saudi-Arabien während der MERS-Epidemie gegen das Testschema
Im Interview 2014 sprach Drosten darüber, dass es damals ein striktes Schema gegeben habe, das festlegte, welcher Patient als MERS-Fall der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gemeldet werden sollte. Demnach musste zum Beispiel beim Patienten eine Lungenentzündung vorliegen, bei der beide Lungenflügel betroffen waren.
Doch in Dschidda hätten die dortigen Ärzte Ende März 2014 „plötzlich“ alle Patienten und das Krankenhauspersonal auf den Erreger getestet – mit der Polymerase-Kettenreaktion (PCR). Daraufhin stiegen die Infektionszahlen, weil auch milde oder asymptomatische Fälle einbezogen wurden.
Im Februar 2020 betonte Drosten, asymptomatische Personen massenhaft mit PCR-Tests zu testen sei nicht sinnvoll
Christian Drostens Aussagen zur aktuellen Corona-Pandemie stehen nicht im Widerspruch zu 2014. Er hat in seinem Podcast mit dem NDR immer wieder auch über PCR-Tests gesprochen. Dabei sagte er selbst am 28. Februar 2020, es sei „Unsinn“, asymptomatische Patienten in der breiten Bevölkerung zu testen: „Wir handeln uns große Probleme ein, wenn wir anfangen, asymptomatische Personen ohne eine ganz klare Kontakt-Anamnese mit Labortests zu versorgen. Das heißt: Ich habe mit einem bestätigten Fall in seiner infektiösen Zeit Kontakt gehabt für ausreichende Zeit. Also zum Beispiel, eine Viertelstunde habe ich mich mit dem unterhalten. Dann bin ich ein Kontakt-Fall. Und dann kann man mich auch asymptomatisch testen. Dann fängt es an, Sinn zu machen.“
Zudem wies Drosten damals auf das Problem möglicher falsch-positiver Ergebnisse hin. Er betonte auch, Labor-Kapazitäten müssten geschont werden.
Die Zahl der falsch-positiven Ergebnisse ist in der Praxis allerdings sehr niedrig, wie die Virologin Sandra Ciesek ebenfalls im NDR-Podcast mit einer Studie belegte. Sie sagte am 17. November 2020: „Also, wir haben über 13.000 PCRs gemacht für diese Studie. Und haben zwei positive Ergebnisse mitgeteilt. Es wird immer behauptet, dass alle PCRs falsch seien oder so viel falsch positive Befunde bringen würden. Das kann ich mit dieser Studie ausschließen.“ (Mehr über falsch-positive Tests lesen Sie hier.)
Fazit: Christian Drostens Aussagen über PCR-Tests von 2014 bezogen sich auf das Virus MERS-CoV, das sich wesentlich vom neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 unterscheidet. Er kritisierte, dass sich Ärzte in Saudi-Arabien nicht an das damalige WHO-Testschema hielten. Drosten schätzte die Gefahr einer weltweiten MERS-Pandemie damals als gering ein, und rückblickend lag er damit richtig.
Redigatur: Steffen Kutzner, Alice Echtermann